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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 02.03.2006
Aktenzeichen: I-8 U 163/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 139
ZPO § 448
ZPO § 531 Abs. 2
BGB § 31
BGB § 276
BGB § 278
BGB § 611
BGB § 823
BGB § 847 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 15.11.2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Die 1914 geborene Klägerin, die nach zwei in den Jahren 1996 und 1997 erlittenen apoplektischen Insulten unter fortschreitender seniler Demenz mit völliger Hilflosigkeit leidet, nimmt den Beklagten als Träger des St. B.-Hospitals in D.-H. wegen eines im Zusammenhang mit einer stationären Behandlung erlittenen Sturzes in Anspruch. Sie war in der Nacht vom 05. auf den 06.04.2001 wegen einer transitorisch-ischämischen Attacke mit interkurrenter Hemiparese links und Vigilanzstörung im Rahmen einer Exsikkose notfallmäßig in das Krankenhaus des Beklagten aufgenommen worden. Bei der Aufnahmeuntersuchung wurde u.a. eine freie Beweglichkeit der Gliedmaßen konstatiert und handschriftlich vermerkt: "Prellmarke OA und OS rechts (Sturz?)". Am Samstag, den 07.04.2001, saß die Klägerin zum Kaffeetrinken in ihrem Zimmer am Tisch. Gegen 15.00 Uhr stand sie auf und stürzte zwischen Tisch und Bett. Das von der Bettnachbarin herbeigerufene Pflegepersonal half ihr beim Aufstehen und brachte sie zurück ins Bett. Ein Arzt wurde nicht verständigt. Nach der Entlassung der Klägerin am 12.04.2001 stellte ihr Sohn an der rechten Oberschenkelseite im oberen Drittel eine schwarze Verfärbung fest und veranlasste noch am selben Tag die Wiedereinlieferung der Klägerin in das Krankenhaus des Beklagten. Dort wurde eine unverschobene Fraktur des rechten Oberschenkelkopfes diagnostiziert. Die Klägerin wurde daraufhin in die orthopädische Klinik des St. J.-H. in D.-H. verlegt, wo ihr am 20.04.2001 eine einzementierte Hüftgelenksendoprothese rechts implantiert wurde. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten zahlte vorprozessual an die Klägerin € 500.

Die Klägerin hat behaupt, angesichts ihres geistigen Zustandes und einer bestehenden Weglauftendenz, über die ihr Sohn den Chefarzt bei ihrer Einlieferung unterrichtet habe, hätte das Pflegepersonal des Beklagten sie während des Einnehmens der Mahlzeiten entweder dauernd überwachen oder fixieren müssen. Nach dem Sturz habe sie - anders als vorher - nicht mehr selbständig gehen können; angesichts dessen sei es pflichtwidrig, dass eine genaue Untersuchung auf etwaige Verletzungen nicht stattgefunden habe. Vor dem Sturz sei sie auch auf die nunmehr benötigten Hilfsmittel wie Rollstuhl und ein spezielles Krankenbett mit Dekubitusmatratze nicht angewiesen gewesen. Dies rechtfertige ein Schmerzensgeld von DM 35.000 (€ 17.900).

Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat behauptet, es sei ausreichend gewesen, die Klägerin mit dem Rollstuhl bei angezogenen Bremsen und an beiden Seiten mit Stühlen abgesichert an den Tisch zu setzen; zusätzlich habe das Pflegepersonal die Zimmertür offen gelassen, um die Klägerin im Auge behalten zu können. Auch bei einer weitergehenden Fixierung wäre der Sturz nicht mit Sicherheit zu verhindern gewesen. Da die Klägerin die Frage nach Schmerzen verneint und auch in der Folgezeit keine Beschwerden geäußert habe, seien - abgesehen von der durchgeführten äußerlichen Inspektion - keine weiteren Untersuchungen oder die Hinzuziehung eines Arztes erforderlich gewesen.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen, weil ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Sturz im Krankenhaus des Beklagten und der Oberschenkelhalsfraktur nicht festgestellt werden könne und weiterhin nicht festgestellt werden könne, dass die von der Klägerin vorgebrachte Immobilität auf den Oberschenkelhalsbruch zurückzuführen sei. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die Feststellungen in der landgerichtlichen Entscheidung vom 15. November 2004 verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter verfolgt. Sie meint, das Landgericht habe zu Unrecht den Pflege- bzw. Organisationsfehler, der zu dem Sturz geführt habe, nicht als grob bewertet mit der Folge, dass der Beklagte beweisen müsse, dass der Oberschenkelhalsbruch nicht bei dem Sturzereignis passiert sei. Außerdem habe es das Landgericht unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz entgegen § 139 ZPO versäumt, auf eine Vervollständigung des Sachverhalts hinzuwirken. Dann wäre von ihr nämlich vorgetragen worden, dass der Chefarzt Dr. R. ihrem Sohn ausdrücklich zugesagt habe, sich in besonderer Weise um sie und ihre Sicherheit zu kümmern und das Pflegepersonal entsprechend anzuweisen. Durch diese Zusage sei eine gesteigerte Betreuungs- und Sicherungspflicht begründet worden, aufgrund derer sie - die Klägerin - während der Mahlzeiten am Tisch nicht alleine und unbeaufsichtigt hätte gelassen werden dürfen. Dies begründe jedenfalls ein grobes Organisationsverschulden. Da man sie entlassen habe, ohne sie auf die Folgen des Sturzes hin zu untersuchen, habe man eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes billigend in Kauf genommen. Angesichts der bereits bei der Eingangsuntersuchung festgestellten Prellmarke sei schließlich auch das Unterlassen einer Röntgenuntersuchung zu diesem Zeitpunkt grob fehlerhaft gewesen; hierin liege zugleich eine fahrlässige Beweisvereitelung, so dass auch aus diesem Grund der Beklagte beweisen müsse, dass sie - die Klägerin - den Oberschenkelhalsbruch nicht bei dem Sturz am 07.04.2001 erlitten habe.

unter Abänderung des am 15.11.2004 verkündeten Urteils des Landgerichts Duisburg

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld von € 17.900 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 29.08.2002 zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an sie € 1.312,62 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (31.12.2002) zu zahlen,

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus der fehlerhaften Krankenhausbehandlung vom April 2001 im St. B.-H. D. zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Arztes für Neurologie Priv. Doz. Dr. D.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks vom 02.01.2006 (Bl. 457 ff. GA) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beklagte als Krankenhausträger haftet der Klägerin nicht gemäß §§ 611, 276, 278, 823, 31, 847 (a.F.) BGB auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Sturz am 07.04.2001 und die Körperverletzung auf eine ungenügende Betreuung und Beaufsichtigung der als Patientin aufgenommenen Klägerin zurückzuführen sind (1.). Das Unterlassen der gebotenen Röntgenuntersuchungen bei der Aufnahme und nach dem Sturz war zwar fehlerhaft, hat aber nicht zu einem Schaden der Klägerin geführt und rechtfertigt keine weitergehende Schmerzensgeldzahlung (2.).

1.

Der Beklagte haftet nicht für den Sturz am 07.04.2001, denn es kann nicht festgestellt werden, dass er seine Verpflichtung zur pflegerischen Betreuung der Klägerin, die ihm aufgrund des Vertrages über die stationäre Behandlung oblag (vgl. BGH, NJW 1991, 1540 f.), verletzt hat. Die - nicht näher begründete - Auffassung des Landgerichts, es stelle einen Behandlungs- bzw. einen Organisationsfehler dar, dass die Klägerin nicht fixiert war, findet in den erstinstanzlich eingeholten Gutachten keine Grundlage. Allein der chirurgische Sachverständige Dr. C. hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 13.05.2004 ausgeführt, eine eingeschränkte Fixierung am Rollstuhl - z.B. mit einem schmalen Bauchgurt - hätte eine weitere Sicherung möglich gemacht; aus dem Gutachten ergibt sich jedoch nicht, dass er das Unterlassen der Fixierung als Fehler angesehen hat. Nach der vom Senat durchgeführten ergänzenden Beweisaufnahme lässt sich nicht feststellen, dass dem ärztlichen oder nichtärztlichen (Pflege-)Personal des Beklagten in dieser Hinsicht Versäumnisse vorzuwerfen sind, die für den Sturz der Klägerin am 07.04.2001 ursächlich geworden sind. Wie der neurologische Sachverständige Dr. D. bei seiner Anhörung durch den Senat erläutert hat, bestand aufgrund des allgemeinen neurologischen Zustandes der Klägerin, wie er sich zuletzt vor dem Krankenhausaufenthalt nach dem Pflegegutachten vom 28.09.2000 darstellte, und dem in den Behandlungsunterlagen des Beklagten dokumentierten Zustand der Klägerin am Unfalltag kein Anlass, die Patientin dauerhaft - auch im Sitzen - zu fixieren oder lückenlos zu überwachen. Es war vielmehr legitim und entsprach dem im Jahre 2001 geübten Standard, eine teilweise Mobilisierung zu versuchen, indem man die Klägerin zum Kaffeetrinken im Rollstuhl bei angezogener Bremse an den Tisch setzte und im Übrigen seitlich jeweils einen Stuhl aufstellte, die Zimmertür offen hielt und in regelmäßigen Abständen nach der Klägerin sah.

a)

Der Senat folgt den nachvollziehbar und überzeugend begründeten Ausführungen des Sachverständigen, an dessen Fachkompetenz im Hinblick auf die Beurteilung der notwendigen Sicherungsmaßnahmen kein Zweifel besteht. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Frage ihrer Sicherung nicht in erster Linie eine pflegerische Frage, die durch Einholung eines pflegefachlichen Gutachtens zu klären wäre. Umfang und Ausmaß der dem Krankenhaus obliegenden Pflege und Betreuung richten sich nach dem Gesundheitszustand des jeweiligen Patienten, also in erster Linie nach den Beschwerden und Erkrankungen, die den stationären Aufenthalt und die Behandlung notwendig machen. Von Bedeutung sind ferner die körperliche, seelische und geistige Verfassung. Den durch Erkrankung und Konstitution geprägten Besonderheiten muss bei der Pflege und Betreuung individuell Rechnung getragen werden, damit das Ziel der stationären Heilbehandlung nicht in Frage gestellt wird. Ob und in welchem Umfang der Zustand eines Patienten besondere und zusätzliche pflegerische Maßnahmen und Vorkehrungen erfordert, ist vom behandelnden Arzt des Krankenhauses zu klären und zu entscheiden (vgl. Senat, VersR 1982, 775).

Der Sachverständige ist aufgrund einer sorgfältigen Auswertung der vorliegenden Behandlungsunterlagen sowie der zur Verfügung stehenden ärztlichen Berichte über den neurologischen Zustand der Klägerin vor dem Krankenhausaufenthalt zu dem Ergebnis gekommen, dass die getroffenen Maßnahmen aus der maßgeblichen Sicht vor dem Sturzereignis ausreichend waren. Dr. D. hat zwar bestätigt, dass bei der Klägerin aufgrund ihrer Demenzerkrankung mit völliger Hilflosigkeit und deutlicher Mobilitätseinbuße von einem erhöhten Sturzrisiko auszugehen war. Die Klägerin bedurfte der Aufsicht und Hilfe beim Gehen, weil sie - wie sich aus dem Pflegegutachten vom 28.09.2000 ergibt und auch ihr Betreuer in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2005 vor dem Senat erklärt hat - aufgrund ihrer Erkrankung zum eigenständigen Gehen nicht mehr in der Lage war. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Klägerin im Übrigen ständig fixiert oder durchgehend beaufsichtigt werden musste. Einerseits wird eine dauerhafte Fixierung von Patienten mit Demenz und Verwirrtheitszuständen oft nicht akzeptiert, da man ihnen den Sinn der Maßnahme nicht erklären kann; andererseits können bei einer dauerhaften Fixierung vermehrt Komplikationen wie Lungenentzündung, Harnwegsinfektion, Dekubitus oder Thrombosen auftreten, weshalb eine solche Maßnahme - wie der Sachverständige Dr. D. dargelegt hat - heute zunehmend umstritten ist. Dementsprechend geht auch der im Februar 2005 veröffentlichte "Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege" des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) davon aus, dass die Verwendung freiheitseinschränkender Maßnahmen zur Sturzprävention unbedingt vermieden werden sollten, zumal der Effekt und die Nützlichkeit von Maßnahmen wie der Fixierung an das Bett oder an Sitzmöbel unter Verwendung eines Bauchgurts bisher nicht nachgewiesen sind. Das schließt nicht aus, dass gleichwohl im Einzelfall eine Fixierung erforderlich wird, aber nicht als Dauermaßnahme, sondern nur bezogen auf eine konkrete Situation. Eine solche Situation, die eine weitergehende Fixierung erfordert hätte, lag hier indessen nicht vor:

Wie der Sachverständige Dr. D. ausgeführt hat, bestand nach Aktenlage bei der multimorbiden Klägerin die Gefahr nicht unerheblicher Komplikationen im Falle einer dauerhaften Fixierung. Deshalb war es nicht fehlerhaft, die Patientin in der Weise zu mobilisieren, dass sie zum Kaffeetrinken im Rollstuhl an den Tisch gesetzt wurde. Der Sachverständige hat deutlich gemacht, dass es zur Vermeidung der negativen Folgen einer dauerhaften Fixierung erforderlich war, sich explorativ an eine Situation anzunähern, die für die Patientin tolerabel war. Dabei bestand zwar eine potentielle Sturzgefahr im Falle einer Selbstmobilisation aus dem Sitzen heraus. Dieser Gefahr wurde jedoch aus der maßgeblichen Sicht ex ante hinreichend dadurch begegnet, dass die Bremsen des Rollstuhls angezogen waren und dass an beiden Seiten ein Stuhl zur Absicherung aufgestellt war. Maßgebend hierfür war zum einen, dass die Klägerin - anders als am Vortag, wo dies nach Auffassung von Dr. D. ohne weiteres noch mit der vorangegangenen Exsikkose zu erklären war - keine Anzeichen einer psychomotorischen Unruhe mehr zeigte; ausweislich der Behandlungsunterlagen war sie bei der Pflege am Morgen sehr ruhig und hatte den Vormittag bis zum Mittag außerhalb des Bettes verbracht, ohne dass es zu irgendwelchen Zwischenfällen gekommen war. Zum anderen stand aufgrund der stark eingeschränkten Motorik der Klägerin eine "Weglauftendenz" ohnehin nicht mehr im Vordergrund; der Betreuer hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt, dass die Klägerin sich zu Hause - entgegen ihrer schriftsätzlichen Darstellung - auch vor dem Sturz nur noch mit Hilfe fortbewegt hat. Auch lagen - abgesehen von den bei der Aufnahme festgestellten Prellmarken, die aber durchaus andere Ursachen haben konnten - keine Hinweise darauf vor, dass es in der Vergangenheit zu Sturzereignissen gekommen war; nach den Angaben des Betreuers in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2005 soll die Klägerin vor dem Krankenhausaufenthalt nie gestürzt sein. Von daher bestand nach den Ausführungen des Sachverständigen aus neurologischer Sicht kein konkreter Anlass für weitergehende Sicherungsmaßnahmen. Allein die Einordnung der Klägerin in die Pflegestufe III mit ständiger Betreuungsbedürftigkeit erforderte ohne Hinzutreten weiterer Umstände aus neurologischer Sicht ebenfalls keine reflektorische Fixierung. Hinzu kam, dass die von den Pflegekräften getroffenen Maßnahmen nach den Ausführungen von Dr. D. zur Sicherung der Klägerin durchaus geeignet erscheinen konnten, weil aufgrund der bei ihr bestehenden kognitiven Einschränkungen nicht zu erwarten war, dass sie das Arrangement durchschaut und sich daraus befreit. Unter diesen Umständen bedurfte die Klägerin auch nicht einer ständigen Überwachung; es war vielmehr ausreichend, dass sich das Pflegepersonal im Abstand von 15 bis 30 Minuten über die Situation im Zimmer vergewissert. Dazu ist es lediglich deshalb nicht mehr gekommen, weil die Klägerin bereits nach 10 Minuten unerwartet aufgestanden und gestürzt ist.

b)

Die hiergegen von der Klägerin erhobenen Einwände greifen nicht durch. Mit ihrem Bestreiten, überhaupt in einem Rollstuhl mit angezogenen Bremsen gesessen und mit jeweils einem Stuhl an der Seite abgesichert gewesen zu sein, kann sie in zweiter Instanz nicht mehr gehört werden (§ 531 Abs. 2 ZPO). In erster Instanz war sie dem entsprechenden Vorbringen des Beklagten nicht entgegen getreten, sondern hat lediglich bestritten, dass das Pflegepersonal die Zimmertür offen gelassen hatte und dass die getroffenen Maßnahmen ausreichend gewesen seien. Dass das Vorbringen in erster Instanz unstreitig war, ergibt sich auch aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils. Eine Tatbestandsberichtigung hat die Klägerin nicht beantragt. Soweit die Klägerin im Übrigen meint, der Sachverständige habe verkannt, dass die zur Sicherung aufgestellten Stühle das Sturzrisiko der Klägerin eher noch erhöht hätten, übersieht sie, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen in der konkreten Situation mit einer Selbstmobilisation der Klägerin nicht zu rechnen war. Da die Klägerin zwischen Tisch und Bett aufgefunden wurde, ist auch nicht davon auszugehen, dass sie bereits beim Aufstehen am Tisch gestürzt ist.

Falls die Klägerin mit ihrem Vortrag, sie sei nach dem Essen schlicht vergessen worden, behaupten will, sie habe länger als 10 Minuten am Tisch gesessen, steht auch das im Widerspruch zu dem nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils unstreitigen Parteivorbringen in erster Instanz und kann deshalb gemäß § 531 Abs. 2 ZPO keine Berücksichtigung finden. Auf die weitere Behauptung der Klägerin, sie sei am 07.04. lediglich zum Essen an den Tisch gesetzt worden und habe sich ansonsten stets im Bett befunden, kommt es nicht entscheidend an, denn auch nach ihrem eigenen Vorbringen kann nicht davon ausgegangen werden, dass Anzeichen einer psychomotorischen Unruhe bestanden, die nach den Ausführungen des Sachverständigen zusätzliche Sicherungen erfordert hätte. Insoweit unterscheidet sich der Fall auch von dem von der Klägerin angeführten (den Träger eines Pflegeheims betreffenden) Fall des 15. Zivilsenats des OLG Düsseldorf (Urt. v. 19.11.2003 - 15 U 31/03), denn dort begründete eine durch die Demenzerkrankung hervorgerufene außergewöhnliche nächtliche Unruhe der Heimbewohnerin in der konkreten Situation die Notwendigkeit weitergehender Sicherungsmaßnahmen. Das ebenfalls von der Klägerin zitierte Urteil des OLG Dresden hat der BGH in seiner Entscheidung vom 14.07.2005 (NJW 2005, 2613) aufgehoben; auch in jenem Fall lagen besondere Umstände vor (mehrere vorangegangene Stürze), die aufgrund einer akuten Sturzgefährdung entsprechende Maßnahmen erforderten. Soweit die Klägerin im Übrigen bestritten hat, dass das Unterlassen einer dauerhaften Fixierung dem Standard des Jahres 2001 entsprochen habe, steht das Gegenteil aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. fest, der ausdrücklich erklärt hat, dass das Vorgehen im Krankenhaus des Beklagten dem Standard entsprach. Die Klägerin zeigt insoweit keine Aspekte auf, die eine ergänzende Begutachtung erforderlich machen.

Die Klägerin macht schließlich ohne Erfolg geltend, der Sachverständige habe bei der Frage der notwendigen Sicherung die Faktoren falsch gewichtet, da er die Virulenz ihres Weglaufdranges verkannt und nicht berücksichtigt habe, dass ihr Selbstbestimmungsrecht, wie es durch den Betreuer ausgeübt worden sei, Vorrang vor anderen zur Auswahl stehenden Maßnahmen gehabt habe. In Bezug auf die Virulenz des Weglaufdranges hat der Sachverständige mit Recht berücksichtigt, dass Anzeichen für eine psychomotorische Unruhe vor dem Sturz nicht bestanden und dass die eingeschränkte Motorik ein Weglaufen nicht erwarten ließ. Auch im Verlauf des weiteren stationären Aufenthaltes hat sich gezeigt, dass die Klägerin sowohl zu den Mahlzeiten als auch sonst längere Zeit ohne Fixierung außerhalb des Bettes sitzen konnte, ohne dass es zu Zwischenfällen gekommen ist.

Ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin liegt nicht vor: Die Klägerin selbst hat unstreitig keine Wünsche in Bezug auf eine dauerhafte Fixierung geäußert und war hierzu aufgrund ihres geistigen Zustandes auch nicht in der Lage. Ihr Sohn, der nach der vorgelegten Bestellungsurkunde des AG Duisburg-Hamborn (4 XVII 42/02) erst im April 2002 zum Betreuer bestellt worden ist, hat ausweislich des von ihm unterzeichneten Fixierungsprotokolls, das sich in den Behandlungsunterlagen des Beklagten befindet, lediglich den Wunsch geäußert, die Klägerin mit Bettgittern zu sichern. Dafür, dass er eine weitergehende und dauerhafte Fixierung verlangt hat, besteht kein Anhaltspunkt. Anlass, den Sohn der Klägerin hierzu zu vernehmen, besteht nicht, denn da er die Klägerin als Betreuer vertritt, wäre er als Partei zu vernehmen (§§ 52, 53, 455 Abs. 1 ZPO), und eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO setzt zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der zu beweisenden Tatsache voraus, die hier nicht festgestellt werden kann. Zudem wäre eine ohne konkreten Anlass vorgenommene dauerhafte Fixierung als freiheitsentziehende Maßnahme auch nur mit vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung (§ 1906 Abs. 4 BGB) zulässig gewesen. Der Beklagte hatte aber nach den Ausführungen des Sachverständigen keinen hinreichenden Anlass, von sich aus auf eine derartige Entscheidung des Vormundschaftsgerichts hinzuwirken.

Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf den im Februar 2005 veröffentlichten "Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege" erhobene Rüge der Klägerin, es sei keine Aufklärung über Sicherungsmaßnahmen erfolgt, verhilft der Klage ebenfalls nicht zum Ziel. Dabei kann dahinstehen, ob das Regelwerk aus dem Jahre 2005 bereits für das Jahr 2001 die anzuwendende fachgerechte Sorgfalt beschreibt. Denn die dahinter stehende Vorstellung der Klägerin, man habe ihren Sohn von sich aus darauf hinweisen müssen, dass eine ständige Fixierung und dauerhafte Beaufsichtigung nicht erfolge, ist nicht zutreffend. Eine ständige Fixierung war - wie bereits ausgeführt - aus neurologischer Sicht nicht erforderlich und der Sohn der Klägerin konnte auch nicht davon ausgehen dass eine solche Maßnahme erfolgt, da er selbst nur den Wunsch geäußert hatte, Bettgitter anbringen zu lassen. Davon, dass ohne medizinische Notwendigkeit eine ständige Beaufsichtigung der Klägerin erfolgen würde, konnte ihr Sohn ebenfalls nicht ausgehen, ohne dass dies besonders hervorgehoben werden musste. Im Übrigen hat der Sachverständige Dr. D. ausdrücklich erklärt, dass das Vorgehen im Krankenhaus des Beklagten dem im Jahre 2001 herrschenden Standard entsprach. Die Ausführungen der Klägerin zur unterlassenen Pflegeplanung im Schriftsatz vom 28.02.2006 rechtfertigen deshalb keine andere Beurteilung und geben keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

Die erstmals in zweiter Instanz und nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist aufgestellte Behauptung, der Chefarzt Dr. R. habe ihrem Sohn zugesagt, sich in besonderer Weise um die Klägerin und ihre Sicherheit zu kümmern, ist nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen, denn es ist nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin die angebliche Zusage nicht bereits in erster Instanz vortragen konnte. Der Vorwurf, das Landgericht habe diesbezüglich seine Hinweispflicht verletzt, trifft nicht zu, denn der erstinstanzliche Sachvortrag war nicht offensichtlich unvollständig und ergänzungsbedürftig.

Soweit die Klägerin schließlich meint, als geeignete Sturzprävention wären bei ihr Hüftprotektoren in Betracht gekommen, so mag es zwar zutreffend sein, dass deren Einsatz im Falle eines Sturzes generell geeignet ist, vor hüftgelenksnahen Frakturen zu schützen. Das Unterlassen einer solchen Maßnahme war aber nicht fehlerhaft, denn eine akute Sturzgefährdung, bei der nach dem "Expertenstandard" des Jahres 2005 der Einsatz eines Hüftprotektors erwogen werden muss (S. 23), lag nach den Feststellungen des Sachverständigen gerade nicht vor.

c)

Die Nichterweislichkeit der Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers gehen zu Lasten der als Anspruchstellerin beweispflichtigen Klägerin. Eine Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten kommt nicht schon deshalb in Betracht, weil die Klägerin im Organisationsbereich des Beklagten gestürzt ist. Aus der Rechtsprechung des BGH, wonach ein Sturz des Patienten bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme oder sonstigen Pflegemaßnahme, an der Pflegepersonal unmittelbar beteiligt ist, ausgeschlossen werden muss (BGH, NJW 1991, 1540 f., NJW 1991, 2960 f.), folgt nichts anderes. Denn hier befand sich die Klägerin gerade nicht in einer konkreten Gefahrensituation, die gesteigerte Obhutspflichten auslöste und deren Beherrschung einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut worden war (vgl. BGH, NJW 2005, 1937, 1938). Insofern unterscheidet sich der Fall auch von dem im Urteil des KG vom 20.01.2005 (NJOZ 2005, 4004 ff.) entschiedenen Fall: dort bestand aufgrund verstärkter Unruhezustände eine besondere Gefährdung der Patientin, die es gerade nicht zuließ, sie ohne dauernde Aufsicht allein im Rollstuhl sitzen zu lassen. Ein solcher Zustand lag bei der Klägerin gerade nicht vor, wie sich aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. ergibt.

2.

Mit dem Landgericht ist zwar davon auszugehen, dass in Anbetracht des Aufnahmebefundes das Unterlassen einer Röntgenkontrolle bei der Aufnahme ein Behandlungsfehler war. Dr. C. hat in seinem Ergänzungsgutachten vom 13.05.2004 darauf hingewiesen, dass bei alten Menschen ein Sturz auf eine Körperseite häufig einen Schenkelhalsbruch nach sich zieht und bei Verdacht auf einen Schenkelhalsbruch eine Röntgenkontrolle unerlässlich ist. Das Unterlassen einer Röntgenkontrolle nach dem Sturz am 07.04.2001 beruht auf einem Organisationsfehler, weil ein Arzt gar nicht benachrichtigt wurde. Die Frage, ob bei einer dieser Untersuchungen überhaupt ein Oberschenkelhalsbruch festgestellt worden wäre, kann indessen dahin stehen, weil der Klägerin durch die Verzögerung der ohnehin notwendigen Anschlussbehandlung um 5 bis 7 Tage kein materieller oder (weitergehender) immaterieller Schaden entstanden ist.

Die Kosten für die Anschaffung einer Dekubitusmatratze, einer Schaumstoffauflage und eines Rollstuhls kann die Klägerin nicht ersetzt verlangen, weil nach dem Inhalt der erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten die geklagte Immobilität eher Folge der schweren und fortschreitenden neurologischen Grunderkrankung als des Oberschenkelhalsbruchs ist; jedenfalls besteht ersichtlich kein ursächlicher Zusammenhang mit der Verzögerung der Behandlung um wenige Tage. Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche hinsichtlich der Eigenanteile für Heilbehandlung, Schuherhöhung und Transportkosten wären in gleicher Weise auch bei einer früheren Feststellung der Fraktur angefallen.

Auch die Zahlung eines (weiteren) Schmerzensgeldes kommt nicht in Betracht. Wie der Sachverständige Dr. C. in erster Instanz dargelegt hat, wäre die Klägerin ohnehin nicht sofort operiert worden, weil die Prothesenimplantation im Allgemeinen nicht als Notfalleingriff durchgeführt wird, sondern je nach Lebensalter und Allgemeinzustand des Patienten eine Vorbereitungsphase erfordert. In der Regel erfolgt bei unverschobenen Abduktionsbrüchen - wie hier - beim alten Menschen die schmerzabhängige sofortige Mobilisation unter Vollbelastung. Soweit die Klägerin nunmehr behauptet, ein bereits am 05.04. bestehender unverschobener Oberschenkelhalsbruch könne durch den Sturz vom 07.04. verschoben worden sein und damit zu einer wesentlichen Verschlimmerung des Gesundheitsschadens geführt haben, steht dies im Widerspruch zu den Feststellungen der Röntgenuntersuchung vom 12.04., wonach der Bruch unverschoben war. Da die Klägerin zwischen dem 05. bzw. 07.04. und dem 12.04. ausweislich der Behandlungsunterlagen keine Beschwerden gehabt hat, kommt jedenfalls die Zuerkennung eines über den vorprozessual gezahlten Betrag von € 500 hinausgehenden Schmerzensgeldes allein wegen der Verzögerung der Behandlung nicht in Betracht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Beschwer der Klägerin liegt über € 20.000.

Ende der Entscheidung

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