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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 12.01.2006
Aktenzeichen: I-8 U 25/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 18. Januar 2005 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der am 26. Februar 1930 geborene Kläger unterzog sich nach der am 27. Februar 1996 erfolgten stationären Aufnahme am 1. März 1996 in der Urologischen Abteilung des Krankenhaus M. H. in M. einer Prostataoperation (transurethrale Resektion sowie Vasektomie beidseits). Präoperativ war wegen multipler Vorerkrankungen des Klägers - Adipositas, insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit diabetischer Polyneuropathie und Angiopathie, arterielle Hypertonie mit kompensierter Herzinsuffizienz, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Hyperuricämie, Schilddrüsenvergrößerung - eine konsiliarische internistische Begleitung erfolgt. Der Beklagte war zum damaligen Zeitpunkt Stationsarzt und mit der Behandlung des Klägers nach der Operation befasst. Postoperativ ergaben sich bei dem Kläger Symptome, die zunächst als Folge des operativen Eingriffs gewertet und wie folgt beschrieben wurden:

01.03. 16.00 Uhr: kaltschweißig, kurzatmig und nicht orientiert.

02.03.: Schwindelgefühl, Sehstörungen, das linke Bein schlägt nach innen weg.

03.03.: weiteres Schwindelgefühl und Gangunsicherheit.

04.03.: Schwindelgefühl, Sehstörungen, Funktionseinschränkungen des linken Beins.

Am 12. März 1996 wurde wegen der anhaltenden Symptomatik ein neurologisches Konsil angefordert, das am 14. März 1996 erfolgte. Der hinzugezogene Neurologe äußerte den Verdacht auf einen linksseitigen Kleinhirninfarkt. Diese Diagnose wurde nach der am 20. März 1996 erfolgten Entlassung des Klägers aus der stationären Behandlung durch ein am 30. April 1996 gefertigtes Computertomogramm des Schädels bestätigt: Umschriebener, nicht mehr frischer postischämischer Insult links cerebellär unmittelbar infratentoriell im Versorgungsgebiet der Arteria superior cerebelli.

Der Kläger ist pflegebedürftig und in Pflegestufe III eingestuft.

Der Kläger hat behauptet, die zu seiner Pflegebedürftigkeit führenden Beeinträchtigungen seien auf Versäumnisse im Zusammenhang mit der am 01.03.1996 durchgeführten Operation und der Nachbehandlung zurückzuführen. In erster Linie hat er geltend gemacht, man habe nicht rechtzeitig auf die sich bereits unmittelbar postoperativ ergebenden Zeichen eines Schlaganfalls reagiert. Die sofort erforderliche Basistherapie sei trotz des Verlangens seiner Ehefrau, ein CT zu fertigen, unterblieben. Die Hinzuziehung eines Neurologen am 14. März sei verspätet gewesen. Das Unterbleiben einer indizierten Schlaganfalltherapie habe dazu geführt, dass er jetzt schwer gehbehindert und auf den Rollstuhl angewiesen sei. Wegen der Beeinträchtigungen hat der Kläger die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 20.000 DM sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden verlangt.

Der Beklagte hat um Klageabweisung gebeten.

Er ist den Vorwürfen entgegengetreten und hat geltend gemacht, dass sowohl die Operation als auch die präoperative und die postoperative Behandlung standardgemäß erfolgt seien. Er hat sich darauf berufen, dass die postoperativen Beschwerden des Klägers, auf die man sachgemäß reagiert habe, auf seine zahlreichen Grunderkrankungen zurückzuführen waren. Im übrigen hat er auf die gutachterlichen Stellungnahmen der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler verwiesen, wonach Fehler bei der Behandlung des Klägers nicht festzustellen sind und vorgetragen, dass ein im Zusammenhang mit der Operation erlittener Schlaganfall des Klägers tatsächlich nicht erwiesen sei.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von zwei urologischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. (GA 165, 212) sowie durch Einholung von zwei neurologischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. (GA 215, 276). Durch das am 18. Januar 2005 verkündete Urteil hat die Kammer die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass Fehler bei der Operation und der präoperativen Vorbereitung des Patienten nicht feststellbar sind. Offen gelassen hat das Landgericht, ob es (grob) fehlerhaft war, dass nicht bereits früher durch die Einholung eines neurologischen Konsils auf die bei dem Kläger postoperativ aufgetretenen Symptome reagiert wurde. Unter Bezugnahme auf die eingeholten Sachverständigengutachten sei nämlich davon auszugehen, dass auch bei einem entsprechenden Vorgehen keine andere Behandlung als die tatsächlich durchgeführte eingeleitet worden wäre.

Gegen die Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Er wendet sich gegen die Annahme, dass auch bei einer zeitlich früheren Diagnose eines Schlaganfalls eine andersartige - rekanalisierende - Behandlung nicht in Betracht gekommen wäre. Er macht hierzu geltend, dass entgegen der Beurteilung der Gutachter eine Kontraindikation zu einer Lysebehandlung nicht bestanden habe. Hinsichtlich der Frage, ob diese rechtzeitig - innerhalb der ersten drei Stunden nach dem Schlaganfall - hätte erfolgen können, seien ihm im Hinblick auf grobe Versäumnisse des Beklagten Beweiserleichterungen zuzubilligen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1.

den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, das in das Ermessen des Senates gestellt wird, mindestens aber 10.000 EUR, nebst 4 % Zinsen ab Zustellung der Klageschrift zu zahlen;

2.

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm auch allen weiteren immateriellen und materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus fehlerhafter Behandlung des Beklagten aus Anlass seines Schlaganfalls im März 1996 entstanden ist und noch entsteht, soweit Ansprüche nicht kraft Gesetzes übergegangen sind.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Sachvortrages.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger stehen gegen den Beklagten wegen der beanstandeten Behandlung nach der am 1. März 1996 erfolgten Prostataoperation keine - mangels vertraglicher Beziehung alleine aufgrund deliktsrechtlicher Normen in Betracht kommende - Ansprüche auf Ersatz materieller Schäden (§ 823 BGB) oder auf Zahlung von Schmerzensgeld (§ 847 BGB a.F.) zu.

1. Das Landgericht lässt offen, ob es angesichts der bei dem Kläger postoperativ aufgetretenen neurologischen Auffälligkeiten (grob) fehlerhaft war, nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein neurologisches Konsil einzuholen. Die Kammer geht - sachverständig beraten - davon aus, dass dieses Unterlassen auf die gesundheitliche Entwicklung des Klägers letztlich keine Auswirkungen hatte. An diese Feststellung ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten:

Die in erster Instanz sowohl aus urologischer als auch neurologischer Sicht erfolgte umfassende Begutachtung hat deutlich gemacht, dass auch dann, wenn man bereits nach den ersten am Nachmittag des Operationstages aufgetretenen neurologischen Auffälligkeiten einen akuten Schlaganfall diagnostiziert hätte, keine andere Behandlung des Klägers als die tatsächlich erfolgte einzuleiten gewesen wäre, weshalb sich ein mögliches Diagnoseversäumnis nicht ausgewirkt hat.

a) Prof. Dr. B. hat in seinem urologischen Gutachten keinen Zweifel daran gelassen, dass die von dem Kläger für notwendig und für erfolgversprechend erachtete gerinnselauflösende Lysetherapie wegen der nach der Prostataoperation stark erhöhten Blutungsgefahr im Bereich der Wundhöhle streng kontraindiziert und deshalb abzulehnen war. Er hat darauf hingewiesen, dass die Vornahme einer Lysetherapie unter diesen Umständen unweigerlich zu nicht beherrschbaren Blutungen und damit der Gefahr des Todes des Patienten geführt hätte.

Dieser Auffassung - die auch der Beurteilung der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler in ihren von dem Kläger erwirkten Bescheiden entspricht - hat sich aus neurologischer Sicht der Sachverständige Prof. Dr. B. angeschlossen, der in seinem Gutachten ausführt, dass im Falle des Klägers die durchgeführte transurethrale Resektion der Prostata eine absolute Kontraindikation zu einer rekanalisierenden Lysetherapie darstellte und eine entsprechende Behandlung kunstfehlerhaft gewesen wäre.

Die mit der Berufungsbegründung hiergegen vorgetragenen Einwände des Klägers sind nicht geeignet, die fundierte Beurteilung der Gutachter in Frage zu stellen. Die Behauptung des Klägers, der bei ihm erfolgte Eingriff habe weder eine größere Operation noch ein schweres Trauma dargestellt, weshalb eine gerinnselauflösende Behandlung nicht kontraindiziert war, ist aufgrund der umfassenden erstinstanzlichen Begutachtung, die keinerlei Fragen offen lässt, überzeugend widerlegt. Die Überlegung, dass eine erhöhte Blutungsgefahr im Wundbereich durch die intraoperativ erfolgte Koagulation der Gefäße nicht anzunehmen sei, entspricht ersichtlich einer laienhaften Vorstellung von der Entwicklung von Blutungsquellen und bedarf angesichts der schon vorliegenden unmissverständlichen Äußerungen der Sachverständigen keiner weitergehenden gutachterlichen Klärung.

b) Weil danach bereits aufgrund der besonderen Verhältnisse nach der erfolgten Prostataoperation eine Lysebehandlung des Klägers nicht kontraindiziert war, braucht der Frage nicht weiter nachgegangen zu werden, ob eine solche Behandlung zur akuten Schlaganfallbehandlung überhaupt dem zu beachtenden medizinischen Standard im Jahr 1996 entsprach. Der Senat hat - selbst sachverständig beraten - in einem ähnlich gelagerten Rechtsstreit (I-8 U 120/02) rechtskräftig entschieden, dass es sich bei der Thrombolyse (Lysetherapie) um ein noch im Jahre 1998 zur Behandlung von Schlaganfallpatienten in Deutschland nicht anerkanntes und wegen seiner Komplikationsgefahr sogar als kontraindiziert bewertetes - in der Erforschung befindliches - Verfahren handelte, das lediglich in Schlaganfallzentren bereits zu medizinischen Zwecken eingesetzt wurde.

c) Weil aufgrund der dargestellten Umstände bei dem Kläger eine gerinnselauflösende Lysetherapie nicht in Betracht kam, waren - auch wenn die bei dem Kläger aufgetretenen neurologischen Auffälligkeiten von den behandelnden Ärzten zunächst nicht auf ein Schlaganfallereignis zurückgeführt wurden - die eingeleiteten Behandlungsmaßnahmen ausreichend, um die nach einem akuten Schlaganfall erforderliche sog. Basistherapie zu gewährleisten. Prof. Dr. B. hat hierzu erläutert, dass die bei einem Schlaganfall anzuwendende allgemeinmedizinische Therapie mit einer Senkung des Blutzuckers, der Behandlung des Blutdruckes und der

Überwachung von Herzfrequenz, Temperatur sowie Flüssigkeits- und Elektrolytehaushalt im Falle des Klägers in einer nicht zu beanstandeten Weise durchgeführt worden ist. Der Gutachter hat dabei deutlich gemacht, dass auch eine weitergehende Diagnostik zum Nachweis eines Hirninfarktes in der frühen postoperativen Phase zu keinen weiteren Konsequenzen in der Behandlung geführt hätte.

2.

Aufgrund der dargestellten Umstände bedarf es keiner näheren Befassung mit der Frage, ob der Kläger ausreichend substantiiert vorgetragen hat, dass die seines Erachtens anzunehmenden Versäumnisse bei seiner postoperativen Behandlung überhaupt dem Beklagten als damaligem Stationsarzt vorzuwerfen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.

Die Beschwer des Klägers liegt unter 20.000 EUR.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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