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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.03.2005
Aktenzeichen: I-8 U 56/04
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847 a.F.
ZPO § 448
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 23.03.2004 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe: I. Der Kläger nimmt den Beklagten, einen Orthopäden, wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund einer vermeintlichen Schädigung bei einer Arthroskopie des linken Knies nach einem Joggingunfall im Jahre 1999 in Anspruch. Bei dem Eingriff hatte der Beklagte eine breite pneumatische Oberschenkelmanschette verwendet, um Einblutungen während der Operation zu vermeiden. Ausweislich des Operationsberichtes fanden sich intraoperativ ein Innenmeniskuskorbhenkelriss sowie eine Erweichung des Knorpelgewebes, die operativ versorgt wurden. Da sich in Höhe des medialen Arthroskopiezugangs Narbengewebe bildete und der Kläger Schmerzen beim Knien verspürte, wurde am 23.04.1999 eine Exzision des Narbenherdes durchgeführt. Der Kläger hat geltend gemacht, bei der vom Beklagten vorgenommenen Arthroskopie sei es zu einer Druckschädigung des Musculus quadrizeps infolge des fehlerhaften Anlegens oder einer Fehlfunktion der Druckmanschette gekommen. Das Anlegen der Blutsperre sei unnötig gewesen; über die damit verbundene Gefahr einer Muskelschädigung habe der Beklagte nicht aufgeklärt. Seit dem Eingriff leide er, der Kläger, unter einer Schwäche der Oberschenkelmuskulatur und einem ständigen Belastungsschmerz des linken Oberschenkels und sei zu 50 % schwerbehindert. Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens stehe fest, dass der Beklagte bei den Operationen entsprechend dem einzuhaltenden medizinischen Standard vorgegangen sei. Zwar stehe die Muskelrückbildung im Oberschenkel des Klägers im Zusammenhang mit der angelegten Blutsperrenmanschette, dies sei jedoch auf eine zufällige und schicksalhafte Störung zurückzuführen. Eine Operation ohne Blutsperre sei keine echte Behandlungsalternative; die Behauptung des Klägers, es seien noch andere, risikoärmere Methoden in Betracht gekommen, sei verspätet, da vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen zu dieser Frage nicht mehr möglich gewesen sei. Aufgrund des vom Kläger unterzeichneten Aufklärungsbogens stehe auch fest, dass der Beklagte ihn sowohl schriftlich als auch mündlich über mögliche Gefahren des Eingriffs aufgeklärt habe; seine erstmals nach der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, es habe überhaupt kein Aufklärungsgespräch stattgefunden, sei nicht plausibel und im übrigen nicht zu berücksichtigen, da sich die gewährte Schriftsatzfrist allein auf eine Erwiderung zu etwaigem neuen Vorbringen des Beklagten zu dessen in der mündlichen Verhandlung übergebenem Schriftsatz vom 19.02.2004 bezogen habe. Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner Berufung, die er vorrangig darauf stützt, dass das Landgericht seinen Sachvortrag zur mangelnden Aufklärung zu Unrecht zurückgewiesen habe. Darüber hinaus rügt der Kläger, dass das Landgericht sich nicht damit befasst habe, dass er in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 08.03.2004 die Frage aufgeworfen habe, ob es nicht sach- und fachgerecht gewesen wäre, von einer Blutsperre abzusehen, da er schon im Rahmen der ersten Operation über Taubheitsgefühle geklagt habe. Schließlich habe das Landgericht auch zu Unrecht eine Gutachtenergänzung, die er mit dem Ziel, die Zuverlässigkeit der ärztlichen Dokumentation anzuzweifeln, beantragt habe, abgelehnt. Zweifel an der Zuverlässigkeit der Dokumentation ergäben sich bereits daraus, dass diese zunächst im Prozess nicht habe vorgelegt können, weil sie angeblich nicht aufgefunden worden sei. Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und gemäß den Schlussanträgen der ersten Instanz in der mündlichen Verhandlung vom 24.2.2004 zu erkennen, mit der Maßgabe, dass ein angemessenes Schmerzensgeld ohne zeitliche Differenzierung geltend gemacht wird. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Leiters der Abteilung für Rheumatologie und Arthroskopische Chirurgie des M. K., Priv. Doz. Dr. N., sowie durch Parteivernehmung des Beklagten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Berichterstattervermerks vom 06.01.2005 verwiesen. II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger kann vom Beklagten weder gemäß den §§ 823 Abs. 1, 847 BGB (a.F.) die Zahlung eines Schmerzensgeldes, noch gemäß § 823 Abs. 1 BGB oder nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung Ersatz materieller Schäden verlangen; auch für die beantragte Feststellung ist kein Raum. 1.) Nach allgemeinen Grundsätzen hat ein Patient im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses darzulegen und zu beweisen, dass dem in Anspruch genommenen Arzt ein zumindest fahrlässiger Behandlungsfehler zur Last zu legen ist, der eine bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen hat. Diese tatsächlichen Voraussetzungen für eine Haftung lassen sich auch nach der vom Senat ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststellen: a) Wie der Sachverständige Dr. N. dargelegt hat, war die vom Beklagten durchgeführte Arthroskopie indiziert, weil es keine andere Möglichkeit gab, den beim Kläger vorliegenden Korbhenkelriss sinnvoll zu behandeln. Dabei entsprach die Verwendung einer Blutsperre dem ärztlichen Standard und war eindeutig kein Fehler. Ein solches Vorgehen bietet vielmehr dem Patienten den Vorteil, dass der Operateur eine bessere Sicht hat, weshalb das Risiko für den Patienten gemindert wird. Der Einwand des Klägers, das Landgericht habe der Frage nachgehen müssen, ob nicht der Verzicht auf eine Blutsperre wegen der beim ersten Eingriff beklagten Taubheitsgefühle fachgerecht gewesen wäre, greift nicht durch. Denn nach den vorliegenden Operationsberichten wurde das Tourniquet - was auch der Sachverständige bestätigt hat - lediglich bei der Arthroskopie am 04.01.1999 eingesetzt; bei der Narbenrevision, die im übrigen nicht arthroskopisch erfolgte, wurde eine Blutsperre nicht eingesetzt. Dass bereits vor dem ersten Eingriff Taubheitsgefühle am linken Bein vorhanden waren, ist nicht dargelegt. Hierfür ergibt sich auch aus den Behandlungsunterlagen kein Anhaltspunkt. b) Fehler bei der Anwendung der Blutsperre lassen sich ebenfalls nicht feststellen. Der Sachverständige hat weder die Dauer der Blutsperre mit 28 Minuten noch den dabei verwendeten Druck von 400 mm/Hg beanstandet. Er hat deutlich gemacht, dass der dokumentierte Druck zwar in der oberen Hälfte des Üblichen liegt, dass jedoch noch vor einigen Jahren in dem Krankenhaus, in dem der Sachverständige arbeitet, standardmäßig mit diesem Druck gearbeitet wurde. Dass der Kläger die dokumentierte Höhe des Drucks und dessen Dauer mit Nichtwissen bestreitet, ist rechtlich unerheblich, da er als Patient nachweisen muss, dass dem Beklagten bei der Verwendung der Blutsperre ein Fehler unterlaufen ist. Wie schon das Landgericht zutreffend dargelegt hat, bestehen keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der ärztlichen Dokumentation begründen können. Die Dokumentation ist äußerlich ordnungsgemäß; der Umstand, dass sie im Prozess nicht sogleich vorgelegt werden konnte, rechtfertigt nicht den Verdacht, dass sie manipuliert worden wäre. Der Beklagte hat für die späte Vorlage eine plausible Begründung gegeben, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass es sich um die Dokumentation des Belegkrankenhauses, und nicht um die eigene Dokumentation des Beklagten handelt. Im Übrigen hat der Sachverständige deutlich gemacht, dass das beim Kläger vorliegende Muskeldefizit nicht durch zu hohen oder zu lange ausgeübten Druck zu erklären ist; vielmehr wäre dann mit einer kompletten Nervenschädigung des gesamten Beins zu rechnen gewesen. Neuromuskuläre Defizite treten - was der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten anhand mehrerer Studien dargestellt hat - auch nach regelgerechter Verwendung einer Blutsperre häufig auf, sind jedoch normalerweise sämtlich reversibel. Nach Ansicht des Sachverständigen ist im Fall des Klägers eher anzunehmen, dass die Muskelzellen oder ein kleiner Ast des Nervus femoralis sich trotz regulär ausgeübtem Druck nicht mehr regeneriert haben, so dass letztlich von einem schicksalhaften Verlauf auszugehen ist. Entgegen der Auffassung des Klägers besteht insoweit kein weiterer Aufklärungsbedarf, denn dass es sich um einen atypischen Heilungsverlauf handelt, indiziert in Ermangelung einer anderweitig festgestellten Ursache nicht das Vorliegen eines Behandlungsfehlers. Ansatzpunkte für eine Beweislastumkehr bereits für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers sind erst recht nicht gegeben. 2.) Der Beklagte haftet auch nicht wegen einer unzureichenden Eingriffsaufklärung. Das Landgericht durfte allerdings nicht allein aufgrund der Dokumentation davon ausgegangen, dass der Kläger auch mündlich aufgeklärt worden ist. Der Kläger hatte bereits in seinem Schriftsatz vom 06.02.2002 eine mündliche Aufklärung über eine mögliche Druckschädigung bestritten. Seinen Vortrag zur unterbliebenen Risikoaufklärung im nachgelassenen Schriftsatz vom 08.03.2004 durfte das Landgericht nicht als verspätet zurückweisen, denn dieses Vorbringen stellte eine Erwiderung auf die erstmals vom Beklagten im Schriftsatz vom 19.02.2004 behauptete mündliche Aufklärung dar. Es war danach Sache des insoweit beweisbelasteten Beklagten, eine ausreichende Risikoaufklärung des Klägers zu beweisen. Zwar hatte der Beklagte hierzu keinen Beweis angetreten. Es bestand aber Anlass, eine Parteivernehmung des Beklagten von Amts wegen gemäß § 448 ZPO in Erwägung zu ziehen, denn der Kläger hat einen Perimend-Aufklärungsbogen unterzeichnet, in dem sich der handschriftliche Hinweis "Nervenstörungen an Narben und Blutsperre (Druck)" befindet. Dies begründet zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass hierüber auch ausdrücklich mit dem Patienten gesprochen worden ist. Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Parteivernehmung des Beklagten steht fest, dass dieser den Kläger vor dem Eingriff vom 04.01.1999 hinreichend aufgeklärt hat. Nach seiner Schilderung hat er bereits im November 1998 und dann noch einmal unmittelbar vor dem Eingriff mit dem Kläger über dessen Durchführung und Erfolgsaussichten sowie mögliche Komplikationen gesprochen; dabei wurde ausdrücklich auch über das Risiko einer Muskelquetschung und Nervverletzung durch den Druck infolge der Blutsperre gesprochen und darüber, dass eine solche Schädigung in der Regel reversibel ist. Der Senat folgt dieser Darstellung. Der Beklagte hat nachvollziehbar angegeben, dass und warum er eine konkrete Erinnerung an das Gespräch mit dem Kläger hat. Seine Darstellung wird durch die Eintragungen in dem vom Kläger unterzeichneten Perimed-Bogen gestützt. Dass ein Aufklärungsgespräch überhaupt nicht stattgefunden hat und dieser Aufklärungsbogen dem Kläger - wie er behauptet - bereits vollständig ausgefüllt lediglich kommentarlos zur Unterschrift vorgelegt wurde, ist bereits deshalb nicht glaubhaft, weil der Bogen auf Seite 3 Angaben zu Vorerkrankungen und Medikamenten enthält, die nur vom Kläger selbst stammen können, und die augenscheinlich mit einem anderen Stift eingetragen worden sind, als die Angaben zum Inhalt des Aufklärungsgesprächs. Es ist auch nicht plausibel, dass der Kläger seine Unterschrift geleistet haben will, obwohl auf Seite 4 des Bogens nähere Angaben zu einem Aufklärungsgespräch enthalten sind, das nach seiner Darstellung gar nicht stattgefunden haben soll. Diese vom Beklagten geschilderte Aufklärung war nach den Ausführungen des Sachverständigen zutreffend und auch als Hinweis auf das konkret beim Kläger eingetretene Risiko ausreichend, denn daraus ergab sich, dass mit einer dauerhaften Schädigung zwar nicht zu rechnen ist, dass sie aber auch nicht ausgeschlossen werden konnte. Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen war nicht erforderlich. Wie Dr. N. ausgeführt hat, gab es zur Durchführung der Arthroskopie keine echte Alternative. Zwar hätte man den Eingriff auch ohne Blutsperre ausführen können; auch dies stellte wegen des erhöhten Risikos für den Patienten jedoch keine echte Alternative dar. Auf die Frage der Risikoaufklärung vor dem Revisionseingriff vom 23.04.1999 kommt es nicht an, da die Beschwerden des Klägers - wie der Sachverständige deutlich gemacht hat - keinesfalls auf diesen Eingriff zurückzuführen sind. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revisionszulassung ist nicht veranlasst. Die Beschwer des Klägers liegt über EUR 20.000.

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