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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.01.2006
Aktenzeichen: I-9 U 45/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 138
BGB § 138 Abs. 1
BGB § 138 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf

9. Zivilsenat

Aktenzeichen: I-9 U 45/04

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (7 O 96/03) vom 27. Januar 2004 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Revisionsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß §§ 313 a, 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung der Kläger hat keinen Erfolg.

Die Klage ist unbegründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das Urteil des Senats vom 11.10.2004 Bezug genommen, soweit es vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 17.06.2005 gebilligt worden ist.

Der Aufteilungsvertrag vom 15.11.1994 und insbesondere die darin enthaltene Verpflichtung der Kläger zur Zahlung des Erbbauzinses ist auch nicht sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB.

Für das Vorliegen eines wucherischen Rechtsgeschäfts im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB gibt der klägerische Vortrag nichts her. Es liegt aber auch kein wucherähnliches Rechtsgeschäft vor.

Gegenseitige Verträge können nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem ein weiterer Umstand hinzu kommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, von dem bei Grundstücksgeschäften bereits dann auszugehen ist, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung rechtfertigen (siehe nur BGHZ 146, 298, 302 mit umfangreichen Nachweisen).

Der Wert der Gegenleistung besteht in der anteiligen Belastung des Grundstücks zugunsten der Kläger mit dem Recht, darauf ein Bauwerk zu haben. Der objektive Wert dieser Nutzungsüberlassung bestimmt sich nach der marktüblichen Verzinsung des dem Anteil der Kläger an dem gesamten Erbbaurecht entsprechenden Grundstückswerts am 15.11.1994 (Urteil des BGH vom 17.06.2005, S. 11).

Der Grundstückswert in Höhe von 996 DM/qm, der sich aus dem Gutachten des Sachverständigen H... ergibt (S. 14 des Gutachtens vom 28.10.2005, erstellt im Verfahren 3 O 3/03 III LG Darmstadt), ist zwischen den Parteien inzwischen unstreitig geworden. Die Kläger nehmen auf dieses Sachverständigengutachten im Schriftsatz vom 10.11.2005, Seite 2, ausdrücklich Bezug. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.11.2003, Seite 6, Bl. 235 a GA, einen Wert von 989,33 qm behauptet.

Streitig ist zwischen den Parteien nach wie vor die marktübliche Verzinsung. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens auf der Grundlage einer ausreichenden Zahl von geeigneten Vergleichsgeschäften bedarf es nach Auffassung des Senats jedoch nicht. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung bereits deutlich gemacht (S. 12 des Urteils), dass für die Feststellung eines besonders groben Äquivalenzmissverhältnisses der Wert des gesamten "Leistungspakets" unter Berücksichtigung der erzielbaren Steuervorteile maßgeblich ist (vgl. auch BGH WM 2004, 2349, 2351). Zu diesem Gesichtspunkt haben die Kläger jedoch nichts vorgetragen. Den Klägern musste auch keine Gelegenheit eingeräumt werden, ergänzend hierzu vorzutragen; die Frage des objektiven Missverhältnisses kann nämlich offen bleiben, da es jedenfalls am subjektiven Element der Sittenwidrigkeit fehlt. Auch auf der unterstellten Grundlage eines besonders groben objektiven Wertmissverhältnisses kann die Annahme einer verwerflichen Gesinnung ausgeschlossen werden (vgl. BGH MDR 1997, 630). Hinsichtlich des unterstellten Wertmissverhältnisses geht der Senat von einer Größenordnung von 165 % aus; dieser Wert ergibt sich aus dem bereits genannten Gutachten des Sachverständigen H..., das von den Klägern akzeptiert wird.

Ein hinreichend sicherer Rückschluss aus einem objektiven Ungleichgewicht auf das subjektive Element setzt voraus, dass sich der Begünstigte nach der allgemeinen Lebenserfahrung zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, es liege ein krasses Missverhältnis vor. Davon kann man jedenfalls dann ausgehen, wenn der Marktwert der Leistung für ihn in etwa erkennbar war (vgl. BGH NJW 2000, 55 ff.). Begegnet die Bewertung der Leistung hingegen außergewöhnlichen Schwierigkeiten, kann dies einen die beweiserleichternde Vermutung erschütternden Umstand darstellen (vgl. BGH NJW 2000, 1487 f.). Eine kritische tatrichterliche Würdigung ist jedenfalls erforderlich, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei Abschluss des Vertrages aufgrund besonderer Umstände Wertungsschwierigkeiten bestanden, aufgrund derer der Begünstigte das krasse Missverhältnis möglicherweise nicht erkannt haben könnte (vgl. BGH NJW 2000, 55 ff.). Insoweit ist allerdings zweifelhaft, ob allein der Umstand, dass der Wert nur schwer einschätzbar ist, ausreicht, um die Annahme einer verwerflichen Gesinnung auszuschließen (vgl. offenlassend BGH MDR 1997, 630). Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2002, 3165 ff.) ist der Schluss auf das subjektive Merkmal der verwerflichen Gesinnung nämlich auch dann zulässig, wenn der Begünstigte keine Kenntnis von den Wertverhältnissen hatte. Eine verwerfliche Gesinnung liegt schon dann vor, wenn sich der Begünstigte leichtfertig der Einsicht verschließt, dass der Vertragspartner sich nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag eingelassen hat. Der Kenntnis der misslichen Lage des anderen Teils kann man sich aber nicht nur dadurch verschließen, dass man bei erkannt krassem Missverhältnis die Zwangslage des anderen oder einen anderen ihn hemmenden Umstand nicht zur Kenntnis nimmt, sondern auch dadurch, dass man schon das objektiv grobe Missverhältnis nicht zur Kenntnis nimmt (Hagen/Brambring/Krüger/Hertl, Der Grundstückskauf, 8. Aufl., Rdnr. 56).

Die im Streitfall bestehenden Besonderheiten rechtfertigen jedoch nicht den Schluss vom unterstellten krassen Missverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung.

Dass erhebliche Bewertungsschwierigkeiten auf Seiten der Firma C... bestanden, liegt auf der Hand und wird schon dadurch dokumentiert, dass die in den Parallelverfahren tätig gewordenen Sachverständigen zu unterschiedlichen Ergebnissen sowohl hinsichtlich des Verkehrswertes des Grundstücks als auch bezüglich des angemessenen Zinssatzes gelangt sind. Schon geringfügige Veränderungen dieser Ausgangsparameter führen aber dazu, dass ein nach § 138 BGB relevantes objektives grobes Missverhältnis nicht mehr festzustellen ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass im hier maßgeblichen Zeitraum 1993/94 ein "marktgerechter" Erbbauzins für Kapitalanlageobjekte vergleichbarer Lage und Zuschnitts in der Region Darmstadt, an dem die seinerzeitige Grundstückseigentümerin C... die Höhe ihrer Forderung hätte orientieren können und ggf. müssen, um der Vermutung einer verwerflichen Gesinnung zu entgehen, mangels vergleichbarer Vorhaben nicht vorhanden war. Die Erbbauzinsen, welche die Stadt Darmstadt, die 1994 Ausgeberin von Erbbaurechten war, mit Erwerbern vereinbart hat, waren schon deshalb nicht vergleichbar, weil die Stadt vor dem Hintergrund einer Sozialpflichtigkeit mit der Ausgabe völlig andere Ziele verfolgte als die Firma C.... Die Ermittlung eines marktüblichen Erbbauzinses im geografischen Umfeld von Darmstadt konnte der damaligen Grundstückseigentümerin keine verlässlichen Angaben zu den angemessenen Wertverhältnissen verschaffen, da es im Streitfall um die Vergabe von Erbbaurechten an Kapitalanleger durch einen privaten Investor gegangen ist, die auch an einer Steuerersparnis interessiert waren. Dass es im Streitfall jedenfalls auch um den Gesichtspunkt der Steuerersparnis gegangen ist, hat der Kläger vor dem Senat eingeräumt. Die zu erwartenden Steuervorteile sind aber nicht nur, wie oben ausgeführt, bei den objektiven Wertverhältnissen zu berücksichtigen; der steuerliche Aspekt spielt auch für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit im Rahmen der Ermittlung des Marktwertes eine entscheidende Rolle. Der Senat ist mit dem Saarländischen Oberlandesgericht (Urteil vom 16.10.2005, 1 U 181/04-31-) der Auffassung, dass der Firma C... als Grundstückseigentümerin deshalb ein gestaltender Spielraum bei der Bemessung des Erbbauzinses zustand, der zumindest bis zur Grenze des damals bei ca. 7 % liegenden Kapitalmarktzinses ausgeschöpft werden durfte, ohne deshalb rückschließen zu können, die Firma C... habe sich der auf der Hand liegenden Erkenntnis eines gegebenenfalls anzunehmenden objektiven groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung leichtfertig verschlossen. Bei einem derartigen Zinssatz ist die Grenze zur Sittenwidrigkeit aber unstreitig nicht erreicht.

Soweit die Kläger im Senatstermin vorgebracht haben, dass die Firma C... in anderen Regionen Deutschlands mit geringeren Erbbauzinsen gearbeitet habe, ist dieser Einwand nicht durchgreifend. Es kommt immer auf das konkrete Objekt und seine Lage an, da diese Gesichtspunkte entscheidenden Einfluss auf die Wertverhältnisse haben.

Gegen die beweiserleichternde Vermutung streitet ferner der Umstand, dass sich die Firma C... ursprünglich selbst zur Zahlung des Erbbauzinses in der von den Klägern beanstandeten Höhe verpflichtet hatte. Die Kläger weisen zwar zu Recht darauf hin, dass dies vor dem Hintergrund des Gesamtkonzepts zu sehen ist, wonach eine anteilige Weitergabe der Zahlungsverpflichtung an die Erwerber erfolgen sollte. Dennoch war die Firma C... der Gefahr ausgesetzt, bei nicht vollständigem Absatz aller 232 Wohneinheiten selbst mit einem Teil des Aufwandes belastet zu bleiben. Die Gefahr, dass sich nicht genügend Erwerbsinteressenten finden, wäre umso naheliegender gewesen, wenn die Firma C... den zu zahlenden Erbbauzins, wie die Kläger behaupten, bewusst in völlig realitäts- bzw. marktferner Höhe festgesetzt hätte.

Schließlich kann, wenn auch nicht für die Frage des objektiven Missverhältnisses (so der BGH im Urteil vom 17.06.2005), so doch für das subjektive Element der Sittenwidrigkeit nicht außer Betracht bleiben, dass sich 232 Käufer gefunden haben, die im Rahmen eines steuersparenden Erwerbsmodells bereit gewesen sind, einen Erbbauzins in Höhe von 8,75 DM/qm Wohnfläche (inkl. 1/2 Balkon-/Terrassenfläche) pro Monat zu zahlen (vgl. S. 2 des Prospekts). Der Investor durfte davon ausgehen, dass er die Marktsituation zutreffend eingeschätzt hat.

Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ist daher der Schluss aus einem unterstellten krassen Missverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung der Firma C... nicht gerechtfertigt. Es kann daher nicht mit der erforderlich Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Firma C... das objektiv grobe Missverhältnis bewusst nicht zur Kenntnis genommen und deshalb sittenwidrig gehandelt hat.

Soweit der Bundesgerichtshof die Aktivlegitimation der Beklagten problematisiert hat, ist diese zwischenzeitlich nachgewiesen worden und erneut zwischen den Parteien unstreitig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Berufungsstreitwert: 6.063,43 EUR.



Ende der Entscheidung

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