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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 23.07.2003
Aktenzeichen: II-8 UF 2/03
Rechtsgebiete: BSHG, BGB


Vorschriften:

BSHG § 91 Abs. 2
BGB § 362
BGB § 1361
BGB §§ 1601 ff
1) Zahlt der Unterhaltsschuldner Unterhaltsbeträge, die zugunsten des Unterhaltsgläubigers tituliert sind, an den Träger der Sozialhilfe, der für den Unterhaltsgläubiger im streitbefangenen Zeitraum Leistungen nach dem BSHG erbracht hat, obwohl infolge Zurechnung fiktiven Einkommens ein Forderungsübergang gem. § 91 Abs. 2 BSHG nicht stattgefunden hat (BGH FamRZ 1998, 818; 1999, 843, 846; 2000, 1358 f), so kommt der Zahlung im Verhältnis zum Unterhaltsgläubiger jedenfalls dann keine Erfüllungswirkung gem. § 362 BGB zu, wenn im vorhergehenden Verfahren, in dem der Unterhalt tituliert wurde, die Aktivlegitimation des Unterhaltsgläubigers durch den Unterhaltsschuldner ausdrücklich bestritten wurde.

2) Es stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar, dass der Unterhaltsgläubiger zu seinen Gunsten titulierte Unterhaltsbeträge gegen den Unterhaltsschuldner vollstreckt, wenn dieser zuvor Zahlung an den nicht forderungsberechtigten Träger der Sozialhilfe geleistet hat.

3)Der Unterhaltsschuldner ist vor der drohenden Gefahr doppelter Inanspruchnahme nach Massgabe der §§ 812 ff BGB geschützt.


Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 03.12.2002 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich des Amtsgerichts Oberhausen vom 02.09.1999, 54 F 18/99, in Höhe eines Betrages von 5.456 DM = 2.789,61 EUR unzulässig ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 2/3, die Beklagten 1/3; von den Kosten der Nebenintervention tragen die Beklagten 1/3 und die Nebenintervenientin 2/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 7.669,38 EUR.

Der Kläger und die Beklagte zu 2) sind geschiedene Eheleute. Aus der Ehe ist die Beklagte zu 1) (geboren 20.09.1993) hervorgegangen.

Zwischen den Parteien fand im Jahre 1999 ein Verfahren betreffend Kindes- und Nachscheidungsunterhalt statt (54 F 18/99, AG Oberhausen). Die Beklagten haben ihre dortige Forderung ausdrücklich auf der Basis fiktiver Einkünfte des Klägers geltend gemacht. Die Beklagten haben zur damaligen Zeit Sozialhilfe, die Beklagte zu 1) auch Leistungen nach dem UVG bezogen. Schon in der Klageschrift wurde ausdrücklich auf die Entscheidung des BGH vom 11.03.1998 (FamRZ 1998, 818) hingewiesen, wonach es hinsichtlich der Sozialhilfeleistungen keiner Rückabtretung bedürfe, da bei Zugrundelegung fiktiver Einkünfte kein Forderungsübergang gemäß § 91 Abs.2 BSHG stattfinde. Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits hat der Kläger mehrfach die fehlende Aktivlegitimation gerügt. Die Beklagten haben daraufhin jeweils ihren Hinweis auf die genannte Entscheidung des BGH wiederholt. Durch Beschluss vom 14.07.1999 hat das Amtsgericht den Parteien mitgeteilt, dass es bezüglich der Aktivlegitimation die Auffassung der Beklagten teile.

Der Kläger hat sich im genannten Rechtsstreit ausdrücklich auf fehlende Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Unterhalt jedenfalls für die Jahre 1997 und 1998 berufen und für 1999 darauf hingewiesen, dass die entsprechenden Abrechnungen aus seiner selbständigen Tätigkeit noch nicht vorlägen.

Im amtsgerichtlichen Termin vom 02.09.1999 haben die Parteien die Sache zunächst streitig erörtert und dabei ihre bisher vertretenen Auffassungen bekräftigt. Im weiteren Verlauf der Verhandlung zeichnete sich vor dem Hintergrund einer notwendig werdenden Beweisaufnahme eine gütliche Einigung ab, wobei von Seiten des Klägers erklärt wurde, er sei zur Vermeidung weiterer Schwierigkeiten bereit, unabhängig von seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit einen nennenswerten Unterhaltsbeitrag zu leisten. Daraufhin wurde ein Vergleich abgeschlossen, in dem sich der Kläger verpflichtete, für die Zeit von November 1997 bis September 1999 einschließlich einen Gesamtrückstand auf den Ehegatten- und Kindesunterhalt von 15.000 DM an die Beklagte zu 2) und laufenden Unterhalt von insgesamt 1.000 DM ab Oktober 1999 zu zahlen; zur Grundlage des laufenden Unterhalts wurde ausdrücklich die Annahme eines fiktiven Nettoeinkommens des Klägers gemacht.

Mit der vorliegenden Vollstreckungsabwehrklage wendet sich der Kläger gegen die Vollstreckung betreffend den vereinbarten Unterhaltsrückstand von 15.000 DM durch die Beklagten.

Die Streithelferin hat dem Kläger durch Überleitungsanzeige vom 13.01.1997 die Sozialhilfeleistung an beide Beklagte angezeigt. Tatsächlich hat die Streithelferin für den Zeitraum von November 1997 bis September 1999 insgesamt über 30.000 DM an Sozialhilfe an die Beklagten gezahlt, dazu weitere 5.456 DM nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) an die Beklagte zu 1).

Am 27.02.2001 hat der Kläger den Betrag von 15.000 DM an die Streithelferin gezahlt. Er hat dazu vorgetragen, dass das Sozialamt ihm auf Rückfrage erklärt habe, dass die Zahlung an die Streithelferin erfolgen müsse.

Das Amtsgericht hat in erster Instanz den auf Klageabweisung gerichteten Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten zurückgewiesen. Auf ihre Beschwerde hat der Senat abändernd den Beklagten unter Berufung auf die oben genannte Entscheidung des BGH Prozesskostenhilfe bewilligt (Beschluss vom 15.08.2002, 8 WF 132/02); dabei wurde ausdrücklich der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten, ob dem Kläger für den Rückstandszeitraum vom 01.11.1997 bis 30.09.1999 konkrete oder fiktive Einkünfte zuzurechnen sind. Ein Vorbringen zu den tatsächlichen Einkommensverhältnissen des Klägers für den genannten Zeitraum ist im weiteren Verlauf des Rechtsstreits nicht erfolgt.

Das Amtsgericht hat die Klage in Anlehnung an den Senatsbeschluss vom 15.08.2002 abgewiesen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Vollstreckungsabwehrklage weiter. Er macht geltend, dass bei Vergleichsabschluss weder der Bedarf der Beklagten noch seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit zur Diskussion gestanden hätten; es sei vielmehr darum gegangen, sich von der Unterhaltsbelastung für die Vergangenheit "freizukaufen" (für den Kläger) bzw. statt einer "Taube auf dem Dach" den "Spatz in der Hand" zu akzeptieren (für die Beklagten). Zudem sei der vorliegende Fall mit dem vom BGH entschiedenen Fall nicht vergleichbar. Auch spreche gegen die Zugrundelegung eines fiktiven Einkommens für den rückständigen Unterhalt, dass ein solches ausdrücklich nur der Berechnung des laufenden Unterhalts zugrunde gelegt worden sei.

Der Kläger beantragt,

abändernd festzustellen, dass die Zwangsvollstreckung aus dem vor dem Amtsgericht Oberhausen am 02.09.1999 protokollierten Prozessvergleich (54 F 18/99) zu Ziff. 3 unzulässig ist.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Streithelferin ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers nach dessen Streitverkündung als Nebenintervenientin beigetreten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat teilweise Erfolg.

Durch die - anteilige - Zahlung in Höhe von 5.456 DM vom 27.02.2001 an die Streithelferin hat der Kläger seine Verpflichtung aus Ziffer 3 des Vergleichs vom 02.09.1999 im Verfahren 54 F 18/99 anteilig erfüllt. Die Streithelferin hat an die Beklagte zu 1) für die Zeit von November 1997 bis September 1999 Leistungen nach dem UVG in dieser Höhe DM erbracht. Damit ist die Streithelferin - Unterhaltsvorschusskasse in Auftragsverwaltung für das Land NRW- gemäß § 7 UVG Forderungsinhaberin geworden; demgemäß hatte die Klägerin zu 2) der Streithelferin i.ü. auch die vollstreckbare Ausfertigung des Unterhaltsvergleichs ausgehändigt. Auf die Frage, ob die der Unterhaltszahlung zugrunde liegenden Einkünfte des Klägers auf einer Fiktion beruhten, kommt es im Zusammenhang mit Leistungen nach dem UVG - anders als bei der Sozialhilfe - nicht an (BGH in FamRZ 2001, 619, 621). Der Kläger hat daher insoweit mit befreiender Wirkung gemäß § 362 BGB die ihm obliegende Leistung erfüllt.

Dagegen ist dies im Hinblick auf die restliche titulierte Forderung von (15.000 DM - 5.456 DM =) 9.544 DM = 4.879,77 EUR nicht der Fall, wie das Amtsgericht unter Zugrundelegung des Senatsbeschlusses vom 15.8.2002 zutreffend erkannt hat. Ergänzend wird auf die weiteren Entscheidungen des BGH (FamRZ 1999, 843, 846; FamRZ 2000, 1358 f) verwiesen, wonach grundsätzlich bei Zurechnung fiktiver Einkünfte ein Forderungsübergang auf den Träger der Sozialhilfe gemäß § 91 Abs. 2 S. 1 BSHG nicht stattfindet.

Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Nach wie vor ist trotz der klaren Vorgabe im Senatsbeschluss vom 15.08.2002 nichts zu konkreten Einkünften des Klägers im streitigen Unterhaltszeitraum von November 1997 bis September 1999 vorgetragen, die zur Annahme einer Leistungsfähigkeit des Klägers führen könnten. Auch der gesamte Ablauf des Vorverfahrens deutet zweifelsfrei darauf hin, dass solche konkreten Einkünfte eben nicht bestanden, da der Kläger seine Leistungsfähigkeit jedenfalls für die Jahre 1997 und 1998 ausdrücklich bestritten hatte und für die Zeit ab 10/99 betr. den laufenden Unterhalt fiktive Einkünfte im Vergleich festgeschrieben wurden. Zudem ist der Kläger offensichtlich bei Vergleichsabschluss auch selbst von der Zugrundelegung fiktiver Einkünfte ausgegangen, da sonst angesichts seines vorherigen Bestreitens der Aktivlegitimation nicht erklärbar ist, wieso er sich zur Zahlung des Unterhalts an die Beklagte zu 2) und nicht die - nach seiner vorherigen Ansicht aktivlegitimierte - Streithelferin verpflichtet hat. Dies hat der Kläger auch in der Berufungsbegründung noch bekräftigt, indem er als Motivation für den Vergleichsabschluss auf Seiten der Beklagten angegeben hat, dass diese ein Interesse an dem "Spatz in der Hand" gehabt hätten; der Kläger stellte und stellt damit offenkundig auf ein eigenes Interesse der Beklagten und nicht ein solches der Streithelferin ab. Dass der Kläger in der Folgezeit die Zahlung gleichwohl an die Streithelferin geleistet hat, obwohl ein wirksamer Forderungsübergang auf diese nicht stattgefunden hatte, ändert nichts an der genannten Sach-, Rechts- und Interessenlage.

Dass betreffend den rückständigen Unterhalt im Vergleich vom 02.09.1999 keine Grundlagen festgeschrieben wurden, hat keinerlei eigenen Erklärungswert; es ist - wegen fehlender Abänderungsmöglichkeit - weder notwendig noch üblich, für Unterhaltsrückstände Vergleichsgrundlagen festzulegen.

Der Auffassung der Streithelferin, dass den Beklagten wegen der Nichtanerkennung der Zahlung des Klägers an die Streithelferin eine unzulässige Rechtsausübung vorzuwerfen sei, folgt der Senat nicht. Die Beklagten waren und sind, soweit nicht ein wirksamer Forderungsübergang auf einen Sozialleistungsträger stattgefunden hat, Inhaber der Forderungen aus dem Vergleich vom 02.09.1999 und können daher die Vollstreckung betreiben. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass den Beklagten nach der unterhaltsrechtlich vorzunehmenden Einkommensfiktion Unterhaltsbeträge zustanden, die über den Rahmen der an sie geflossenen Zahlungen nach dem BSHG und dem UVG hinausgingen und schon daher keinem Forderungsübergang unterliegen konnten.

Diesen Erwägungen steht Ziff. 2.10 der Leitlinien zum Unterhalt des OLG Düsseldorf (Stand 1.7.2003) nicht entgegen, denn diese Regelung betrifft die Geltendmachung von Unterhalt, nicht jedoch die Vollstreckung bereits titulierter Unterhaltsbeträge; dabei ist - nochmals - darauf hinzuweisen, dass die Titulierung zugunsten der Beklagten im vollen Bewusstsein der für den fraglichen Zeitraum bezogenen Sozialhilfe erfolgt ist.

Der Senat verkennt nicht, dass in Fällen wie dem vorliegenden die Situation eintreten kann, dass der Unterhaltsberechtigte bei Zahlungen des fiktiv zum Einkommen veranlagten Unterhaltspflichtigen neben empfangener Sozialhilfe begünstigt sein kann. Der BGH hat bei seiner zitierten Rechtsprechung diesen Fall jedoch gesehen und ausdrücklich gebilligt; der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Der Kläger ist i.ü. vor der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme nach Massgabe der §§ 812 ff BGB geschützt, denn er hat in Höhe von 9.544 DM = 4.879,77 EUR ohne Rechtsgrund an die Streithelferin geleistet und kann daher von dieser die Herausgabe verlangen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 101,708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Grund zur Zulassung der Revision besteht nicht, § 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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