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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 03.11.2005
Aktenzeichen: III-2 Ss 105/05 - 80/05 II
Rechtsgebiete: StGB, BtMG


Vorschriften:

StGB § 20
StGB § 21
StGB § 64
BtMG § 35
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgendausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die (Sprung-)Revision des Angeklagten.

II.

Die von dem Beschwerdeführer erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts führt zu einer Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgensausspruch.

1. Zum Schuldspruch hat die Überprüfung des Urteils keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO). Dass ein Teilfreispruch erfolgt ist, obwohl das Amtsgericht die angeklagte Tat lediglich rechtlich anders gewürdigt hat, beschwert den Angeklagten nicht.

2. Dagegen begegnet der Rechtsfolgenausspruch durchgreifenden Bedenken.

Zur Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten wird in dem Urteil nicht ausdrücklich Stellung bezogen. Die Nichterörterung der §§ 20, 21 StGB stellt jedoch einen sachlichrechtlichen Fehler dar, wenn tatsächliche Umstände erkennbar geworden sind, die auch nur die Möglichkeit nahe legen, dass die Schuldfähigkeit des Täters ausgeschlossen oder vermindert gewesen sein könnte (vgl. OLG Köln MDR 1980, 245, 246).

Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Tat nach den Urteilsfeststellungen betäubungsmittelsüchtig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet zwar die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich allein noch nicht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Derartige Folgen sind bei einem Rauschgiftsüchtigen aber gegeben, wenn langjähriger Betäubungsmittelgenuss zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und dadurch dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er das Delikt im Zustand eines akuten Rausches verübt (BGH NStZ 2002, 31, 32; BGH NStZ 2001, 83, 84; BGH StV 1997, 517).

Im vorliegenden Fall drängten die Feststellungen zur Prüfung der Frage, ob die Schuldfähigkeit infolge einer Betäubungsmittelsucht zumindest beeinträchtigt war:

Das Amtsgericht geht davon aus, dass der Angeklagte bereits seit längerer Zeit betäubungsmittelabhängig ist und seit 1988 Haschisch, seit 1994 - wenn auch mit Unterbrechungen - Heroin konsumiert. Auch in der Vorstrafenliste finden sich Hinweise für eine langjährige Drogenabhängigkeit. Der Angeklagte ist am 7. Januar 1992 durch das Amtsgericht Duisburg zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten u.a. wegen fortgesetzten unerlaubten Erwerbs und Einfuhr von Heroin verurteilt worden. Diese Tat wurde aufgrund bestehender Betäubungsmittelabhängigkeit begangen. Es finden sich überdies weitere Verurteilungen wegen Delikten aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität, etwa das Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 22. Mai 1997, durch das gegen den Angeklagte u.a. wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten erkannt worden ist.

Weiter ist in dem angefochtenen Urteil festgestellt, dass der Angeklagte ins Methadonprogramm aufgenommen worden ist, dieses aber wegen Beikonsums hat beenden müssen. Nach seiner am 11. August 2004 - also weniger als drei Monate vor der hier in Rede stehenden Tat - in anderer Sache erfolgten Inhaftierung ist der Angeklagte die ersten zwei Wochen in der Justizvollzugsanstalt ebenfalls mit Methadon substituiert worden.

Die langjährige Einnahme von Heroin, die Aufnahme in das Methadonprogramm und die Behandlung des Angeklagten in der Haftanstalt deuten auf eine hochgradige Abhängigkeit hin.

Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Tat unter dem Druck begangen hat, sich Heroin verschaffen zu müssen. Hierfür spricht die Feststellung, dass der Angeklagte die am 25 Mai 2004 entwendeten Gegenstände verkaufen wollte, um seinen Betäubungsmittelkonsum finanzieren zu können. Auch bei der Strafzumessung findet der Umstand Berücksichtigung, dass der Angeklagte die Tat infolge seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, um seinen Betäubungsmittelkonsum finanzieren zu können.

Das Amtsgericht erklärt darüber hinaus sein Einverständnis mit der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, sofern der Angeklagte einen Therapieplatz nachweisen kann.

Die vorgenannten Umstände hätten in ihrer Gesamtschau Anlass gegeben, die Frage einer erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit zu erörtern. Dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat, ist auszuschließen.

2. Des Weiteren verhält sich das Urteil nicht darüber, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen ist. Die Nichtanordnung der Unterbringung ist vom Revisionsgericht - sofern nicht von dem Rechtsmittelangriff ausgenommen - auf die Sachrüge hin zu überprüfen (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 64 Rn. 19 m.w.N.). Die Feststellungen des angefochtenen Urteils legen nahe, dass bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne des § 64 StGB besteht. Hierunter ist nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit zu verstehen, sondern es genügt eine aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 4 und 5). Dass das Amtsgericht sein Einverständnis mit einer Vollstreckungsrückstellung gemäß § 35 BtMG bekundet, deutet darauf hin, dass es von einem Krankheitswert der bei dem Angeklagten möglicherweise bestehenden Betäubungsmittelsucht ausgeht. Eine Entwöhnungsbehandlung ist im konkreten Fall nicht von vornherein aussichtslos. Umstände, die eine Aussichtslosigkeit begründen könnten, ergeben sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit aus den Feststellungen. Dass zwischen der Tat und der Abhängigkeit der geforderte ursächliche und symptomatische Zusammenhang besteht, ergibt sich ebenfalls aus den Urteilsfeststellungen. Ob die Gefahr besteht, dass der Angeklagte infolge seiner Heroinproblematik erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, bleibt der Prüfung des Gerichts vorbehalten. Abschließend ist zu bemerken, dass die Frage der Unterbringung im Regelfall nur unter Einschaltung eines Sachverständigen getroffen werden kann.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die vorgenannten Mängel zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben. Das angefochtenen Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache insoweit an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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