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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 17.09.2007
Aktenzeichen: III-3 Ws 349/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
StPO § 112 Abs. 1 Satz 1
StPO § 268b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte befindet sich seit dem 26. September 2005 in Untersuchungshaft. Durch Urteil vom 22. August 2006 hat das Landgericht Wuppertal gegen ihn wegen Körperverletzung mit Todesfolge unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 20. Dezember 2004 (13 Ls 45 Js 13/03) und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verhängt und gemäß § 268b StPO die Haftfortdauer angeordnet.

Auf die Revision des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gegen die am 22. August 2006 ergangene Haftfortdauerentscheidung richtet sich - wie der Verteidiger inzwischen klargestellt hat - die Beschwerde des Angeklagten.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft gemäß § 112 StPO liegen weiterhin vor.

1. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist der Angeklagte der ihm in dem angefochtenen Haftfortdauerbeschluss in Verbindung mit dem Haftbefehl des Amtsgerichts Wuppertal vom 11. März 2005 zur Last gelegten Tat im Sinne von § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO nach wie vor dringend verdächtig.

Der gegen den Angeklagten sprechende dringende Tatverdacht, am 1. August 2002 in El Arenal auf Mallorca die 15-jährige ......... aus Rache für erlittene Demütigungen mit Chloroform betäubt zu haben, wodurch das Opfer entweder an der toxischen Wirkung der Chloroformisierung oder an einem Verschluss der Atemwege durch Aspiration von Erbrochenem verstarb, stützt sich auf eine Gesamtschau der bislang zutage getretenen Indizien.

a) Aufgrund eines identischen Tatmotivs verletzte der Angeklagte nur kurze Zeit nach der Verursachung des Todes der .......... die Zeugin ..........., die er im März 2001 auf Mallorca kennen gelernt hatte, indem er ihr mit einem Elektroschockgerät mehrere Stromstöße zufügte. Der Angeklagte beabsichtigte mit dieser Tat, wegen der er rechtskräftig verurteilt worden ist, sich an der Zeugin zu rächen, weil er auch ihr Verhalten als kränkend empfand und deren Demütigungen nicht verwinden konnte. Das Versetzen von Stromstößen legt nahe, dass der Angeklagte den erwarteten Widerstand der Zeugin ...... - ähnlich wie bei ....... mittels Chloroform - gewaltsam überwinden wollte, was ihm nur aufgrund der heftigen Gegenwehr der Zeugin misslang.

Zudem bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass der Angeklagte im Dezember 2002/Januar 2003 weitere Überfälle auf Frauen plante. Er gab die Verdunkelung von Scheiben eines von ihm genutzten VW Bulli mit undurchsichtiger schwarzer Klebefolie in Auftrag und besaß eine Tasche, deren Inhalt den Schluss zulässt, dass er sich für einen - erneuten - gewaltsamen Übergriff auf Frauen präpariert hatte. In der bei seiner Festnahme im Januar 2003 sichergestellten Tasche befanden sich mehrere Kabelbinder, ein Strick, Snaptüten mit einer pulverigen Substanz, die in aufgelöstem Zustand auch als "KO-Tropfen" verwendet werden, Einweghandschuhe, Damenslips, ein Vibrator, zwei Tuben Gleitcreme sowie zwei Flaschen mit Chloroform, die der Angeklagte zuvor am 22. August 2002 in Spanien erworben hatte.

Nach den bisherigen Erkenntnissen war Ursache für den Tod von ..........., dass ihr zu Lebzeiten von außen Chloroform beigebracht und sie hierdurch betäubt wurde. Auch insoweit bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass sich der Angeklagte vor der Tatbegehung am 1. August 2002 Chloroform beschaffte und es schließlich zur Betäubung von ...................... missbrauchte.

Der Angeklagte war bereits vor seiner Rückkehr nach El Arenal dadurch aufgefallen, dass er versucht hatte, Chloroform in einer Wuppertaler Apotheke zu beschaffen. Jedenfalls in Spanien war es ihm auch tatsächlich möglich, in den Besitz von Chloroform zu gelangen. Er erwarb dort - wie bereits erwähnt - am 22. August 2002 in einer Apotheke zwei Flaschen mit Chloroform, die er im Dezember 2002/Januar 2003 nach derzeitiger Bewertung der Beweislage zum Zwecke weiterer Überfälle auf Frauen einsetzen wollte.

In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage des Zeugen .......... von Bedeutung, wonach sich der Angeklagte bei ihm in dem Zeitraum vor der Verursachung des Todes von ............... nach Möglichkeiten zur Betäubung von anderen Personen und nach der Wirkung von Drogen erkundigt habe. Insbesondere hätten den Angeklagte solche Drogen interessiert, die sich rasch in Flüssigkeit auflösen und einen "Filmriss" bei dem Einnehmenden bewirken.

Nach der Aussage des Zeugen ........ kündigte der Angeklagte darüber hinaus auch an, sich an .......... rächen zu wollen. Danach habe der Angeklagte als Reaktion auf eine erneute Geringschätzung der ........... geäußert, dass diese "die nächste auf seiner Liste" sei und auf Nachfrage des Zeugen ........ erläutert, dass es sich dabei um eine Liste von Personen handele, an denen er sich rächen wolle.

b) Des Weiteren besteht nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen zwischen dem Angeklagten und der Tatbegehung eine enge räumliche und zeitliche Nähe, die eine Täterschaft des Angeklagten sehr wahrscheinlich macht.

Nach den derzeitigen Erkenntnissen wurde die Tat in der Wohnung, in der ...... zur Tatzeit lebte, begangen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass der Täter aus dem persönlichen Umfeld des Opfers stammt. Der Angeklagte wohnte als Untermieter mit ......... und deren Mutter in einem Haushalt. In der Tatnacht musste .......... in der unteren der beiden Wohnungen, in welcher der Angeklagte wohnte, schlafen, weil die Schlafgelegenheiten in der oberen Wohnung belegt waren. Der Angeklagte räumte gegenüber Bediensteten der Justizvollzugsanstalt auch ein, das Opfer in der Tatnacht gesehen zu haben, wobei seine Schilderung, ............. habe sich "mit einem Küsschen" von ihm verabschiedet und sei anschließend in eine Diskothek gegangen, angesichts der Aversion, die das Opfer dem Angeklagten gegenüber empfand, fern liegt. Zudem offenbarte der Angeklagte, in dessen Zimmer der unteren Wohnung die Leichenspürhunde am unteren Matratzenteil des Bettes anschlugen, gegenüber dem Zeugen .......... Täterwissen, indem er ihm mitteilte, dass sich ............... am Tatabend übergeben musste. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen kommt als Todesursache ein Verschluss der Atemwege durch Aspiration von Erbrochenem infolge der Betäubung mit Chloroform in Betracht.

c) Der gegen den Angeklagten bestehende dringende Tatverdacht wird weiter verstärkt durch die Umstände, unter denen er Ende September 2002 nach dem Tod von ........... die Insel Mallorca verließ. Nach den bisherigen Erkenntnissen verheimlichte er gegenüber Dritten seine Abreiseabsichten. Er verabschiedete sich nicht von der ............, der Mutter des Tatopfers. Ein solches Verhalten ist angesichts der Tatsache, dass er Untermieter der Zeugin .... war, sehr ungewöhnlich. Auch gegenüber der Zeugin ... leugnete er sein Vorhaben, Mallorca zu verlassen, sondern gab fälschlicherweise vor, weiter nach der vermissten ........ suchen zu wollen.

Dass die Beweggründe für dieses Verhalten des Angeklagten, seine Abreisepläne zu verheimlichen, im Zusammenhang mit der Verursachung des Todes von ........ stehen, liegt angesichts der Gesamtumstände bereits nahe. Überdies äußerte sich der Angeklagte nach den bisherigen Erkenntnissen in entsprechender Weise gegenüber dem Zeugen ....., einem Mitgefangenen. Nach dessen Bekundungen berichtete der Angeklagte nach einem Suizidversuch im März 2003 dem Zeugen, auf Mallorca gewesen zu sein und dort "Scheiße gebaut" zu haben. Er - der Angeklagte - habe dort bei einer Frau und deren Tochter gewohnt, mit der etwas vorgefallen sei, weswegen er Mallorca fluchtartig verlassen habe.

d) Der dringende Tatverdacht hat sich ferner durch die Nachvernehmung des Zeugen ..... vom 21. August 2007 weiter verdichtet. Nach dessen Aussage reagierte der Angeklagte auf Nachfrage zu seinem Gemütszustand mit einer Gegenfrage und fragte den Zeugen sinngemäß, wie dieser sich fühlen würde, wenn ein Mensch tot sei und er hierfür die Verantwortung trage. Eine solche Äußerung ist schwerlich mit der Annahme einer fehlenden Schuld am Tod von .......... zu vereinbaren.

Entsprechendes gilt für die Aussage des Zeugen ..., einem Mitgefangenen, in seiner Vernehmung vom gleichen Tage. Der Zeuge hat angegeben, dass der Angeklagte im Hinblick auf das gegen ihn gerichtete Strafverfahren gelacht und gemeint habe, dass man ihn nie wegen Mordes, sondern höchstens wegen Totschlags belangen könne und er dann nach acht Jahren wieder frei sei.

e) Schließlich bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass der Angeklagte am 11. Januar 2005 seine Täterschaft gegenüber den Kriminalbeamten ... und ... auch ausdrücklich einräumte, indem er bekräftigte, dass "die Sache mit Stefanie" ein Unfallgeschehen gewesen sei.

Dass auch diese Äußerung des Angeklagten einem Beweisverwertungsverbot unterliegt, geht aus der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 26. Juli 2007 nicht hervor und ist auch sonst nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass sich das vorliegende Verbot der Verwertung des Geständnisses des Angeklagten gegenüber dem Verdeckten Ermittler sowie in seiner anschließenden polizeilichen Vernehmung vom 7. Januar 2005 auch auf seine Äußerung am 11. Januar 2005 erstreckt, sind nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht gegeben. Der Verwertbarkeit dieser Äußerung des Angeklagten steht insbesondere nicht entgegen, dass sie ohne die vorherige unzulässige Vernehmung nicht entstanden wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 136a Rn. 30). Die Äußerung des Angeklagten vom 11. Januar 2005 erfolgte außerdem erst vier Tage nach seiner polizeilichen Vernehmung und stand mit dieser folglich in keinem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang. Überdies übten die Kriminalbeamten ... und ... am 11. Januar 2005 keinen unzulässigen Druck auf den Angeklagten aus. Sie suchten ihn in der Justizvollzugsanstalt nicht zum Zwecke einer weiteren Vernehmung, sondern deshalb auf, weil der Angeklagte an sie mit dem Wunsch einer psychologischen Betreuung in der Haft herangetreten war. Die Äußerung des Angeklagten, dass "die Sache mit ......" ein Unfallgeschehen gewesen sei, erfolgte nach den bisherigen Erkenntnissen ohne eine entsprechende Nachfrage der Polizeibeamten aus freien Stücken in Kenntnis seines Schweigerechts spontan und motiviert durch den zuvor gefassten Entschluss, einen Neuanfang zu versuchen.

2. Auch ist in der Person des Angeklagten der Haftgrund der Fluchtgefahr gegeben (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

Der Angeklagte hat weiterhin mit der Verhängung einer empfindlich hohen Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten zu rechnen.

Überdies setzte sich der Angeklagte bereits im März 2001 in Erwartung einer drohenden Strafvollstreckung nach Mallorca ab. Am 22. Juni 2002 entwich er während eines Hafturlaubes aus der Strafhaft und flüchtete wiederum nach Spanien auf die Insel Mallorca, um der weiteren Strafvollstreckung zu entgehen.

Zudem ist der Angeklagte aufgrund seiner defizitären Persönlichkeitsstruktur, die sich auch in seinem Suizidversuch im März 2003 widerspiegelt, charakterlich labil. Nach den bisherigen Erkenntnissen leidet er in einem hohen Ausprägungsgrad unter einer dissozialen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen sowie an Minderwertigkeitsgefühlen. Aufgrund seiner defizitären Persönlichkeitsstruktur bestehen erhebliche Zweifel, dass der Angeklagte imstande ist, nachhaltige und fluchthindernde soziale Kontakte aufzubauen.

Schließlich bemühte sich der Angeklagte nach der Aussage des Zeugen ....vom 21. August 2007 zum Zwecke der Flucht um die Beschaffung falscher Personalpapiere.

Demgegenüber verfügt der Angeklagte nicht über gefestigte, dem Fluchtanreiz entgegenwirkende familiäre oder berufliche Bindungen. Er ist ledig und war vor seiner Inhaftierung arbeits- und wohnungslos. Seine Familienangehörigen haben sich von ihm abgewandt. Bezeichnenderweise war der Verdeckte Ermittler während seines Einsatzes die einzige Kontaktperson des Angeklagten außerhalb der Justizvollzugsanstalt.

Bei einer Gesamtwürdigung dieser Umstände besteht die konkrete Gefahr, dass sich der Angeklagte ohne die sichernde Maßnahme der Untersuchungshaft dem weiteren Verfahren und der etwaigen Strafvollstreckung zumindest vorübergehend durch Flucht oder Untertauchen entziehen wird.

3. Die Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der verhängten Strafe (§§ 112 Abs. 1 Satz 2, 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die Verhältnismäßigkeit ist auch nach Abwägung des Freiheitsgrundrechts des Angeklagten gegen das staatliche Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung gewahrt. Ein deutliches Übergewicht der mit dem Freiheitsentzug verbundenen Nachteile gegenüber den Belangen der Strafrechtspflege, das zum Haftausschließungsgrund der Unverhältnismäßigkeit führen könnte, besteht nicht.

Bei der gebotenen Abwägung hat der Senat die Dauer der Untersuchungshaft von inzwischen rund zwei Jahren nicht verkannt. Angesichts der dem Angeklagten drohenden Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten und des Umstandes, dass es in diesem Strafverfahren um die gerichtliche Klärung geht, unter welchen Umständen ein Mensch gewaltsam zu Tode kam, steht die Fortdauer der Untersuchungshaft jedoch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Strafsache und der Rechtsfolgenerwartung.

Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft ist vorliegend auch nicht im Hinblick auf die Verfahrensdauer unverhältnismäßig. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das erstinstanzliche Verfahren bei dem Landgericht Wuppertal trotz umfangreicher Beweisaufnahme nur etwa vier Monate in Anspruch genommen hat und das Revisionsverfahren, nachdem die Revisionsbegründungen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft Mitte Dezember 2006 vorlagen, durch das am 26. Juli 2007 verkündete Urteil des Bundesgerichtshofes abgeschlossen worden ist.

4. Der Zweck der Untersuchungshaft kann durch weniger einschneidende Maßnahmen (§ 116 Abs. 1 StPO) nicht erreicht werden. Auch bei Anordnung von Sicherheitsauflagen ist weiterhin zu befürchten, dass sich der Angeklagte, käme er auf freien Fuß, dem weiteren Verfahren und der etwaigen Strafvollstreckung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entziehen wird.

Ende der Entscheidung

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