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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 24.05.2006
Aktenzeichen: III-5 Ss 67/06 - 55/06 IV
Rechtsgebiete: StGB, BGB


Vorschriften:

StGB § 20
StGB § 21
StPO § 353 Abs. 1
StPO § 353 Abs. 2
BGB § 1896 Abs. 1
BGB § 1903
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht - Strafrichter - Geldern hat die Angeklagte durch Urteil vom 19. Mai 2005 vom Vorwurf des Betruges freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und gegen die Aufgeklagte wegen Betruges in vier Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten erkannt. Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.

Das Rechtsmittel führt auf die Aufklärungsrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an die Vorinstanz.

Das Landgericht hätte unter den konkreten Umständen von Amts wegen die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens abklären müssen. Wie die Strafkammer zutreffend erkannt hat, gaben die tatsächlichen Umstände des vorliegenden Falles Anlass, die Schuldfähigkeit der Angeklagten zu prüfen. Das Urteil führt dazu aus:

"Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Angeklagte zur Tatzeit nicht an einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, Schwachsinn oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gelitten hat. Sie war in der Lage, das Unrecht ihrer Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§§ 20, 21 StGB).

Bei der Angeklagten liegt insbesondere keine andere seelische Abartigkeit in Form einer Spielsucht oder einer Kaufsucht vor, die den in §§ 20, 21 StGB vorausgesetzten Schweregrad erreicht.

Dafür spricht zunächst die Einlassung der Angeklagten. Sie hat angegeben, die Kaufsucht habe erst nach den Taten eingesetzt und dazu geführt, dass sie Bekleidungsgegenstände und andere Dinge des täglichen Lebens im Wert von 100 bis 200 € pro Einkauf erworben habe. In diesen Fällen habe sie auf das "EC"- Zeichen am Eingang des jeweiligen Geschäfts mit innerer Anspannung reagiert und sich dann gezwungen gefühlt, etwas zu kaufen. Die Angeklagte hat ferner angegeben, sie sei nicht spielsüchtig. Zur Zeit der Taten habe sie eher selten gespielt.

Die Kammer hält die Einlassung insoweit für plausibel, als die Angeklagte angibt, der von ihr als Kaufsucht empfundene Impuls sei bei dem Erwerb des Schmucks nicht aufgetreten.

Die Angeklagte hat keinen Anlass zur Dissimulation. Zwar werden psychische Ausnahmezustände von den Betroffenen häufig geleugnet; dies trifft aber auf die Angeklagte hinsichtlich der Kaufsucht nicht zu, weil sie diese Devianz - für andere Taten - eingeräumt. Hinsichtlich der Spielleidenschaft haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Angeklagte insoweit die Unwahrheit gesagt hat.

Die Kammer schließt das Vorliegen einer den Schweregrad der §§ 20, 21 StGB erreichenden psychischen Störung in Form einer Spielsucht oder einer Kaufsucht auch unabhängig von der Einlassung der Anklagten aus folgenden Gründen aus:

Allein das Vorhandensein stoffungebundener Neigungen, Leidenschaften oder Süchte, wie etwa die Kauf- oder Spielsucht, besagt über den Schweregrad der möglicherweise vorliegenden psychischen Devianz nichts. Maßgebend ist, inwieweit das Erscheinungsbild des Täters psychische Veränderungen der Persönlichkeit aufweist, die, wenn sie nicht pathologisch bedingt sind, als andere seelische Abartigkeit in ihrem Schweregrad den krankhaften seelischen Störungen gleichwertig sind (BGH NStZ 2005, 281 m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn die Sucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder wenn die Tat durch schwer wiegende Entzugserscheinungen veranlasst worden ist.

Das Vorliegen schwerster Persönlichkeitsveränderung oder schwerer, akuter Entzugserscheinungen schließt die Kammer aus.

Die Hauptverhandlung hat keine Hinweise auf eine in diesem Sinne erhebliche psychische Normabweichung bei der Angeklagten ergeben. Die Angeklagte, die in der Zeit zwischen Anfang Februar 2005 und der Hauptverhandlung vor der Kammer nicht psychologisch oder psychiatrisch behandelt worden ist, war in der Hauptverhandlung allseits orientiert, von klarem, wachen Verstand, aufnahme- und schwingungsfähig. Sie hat alle Fragen erfasst und ohne längeres Zögern sinnentsprechend beantwortet. Das Leben der Angeklagten hat sich auch nicht dergestalt verändert, dass die Befriedigung der Spiel- oder Kaufleidenschaft mehr und mehr in den Mittelpunkt gerückt wäre, so dass andere wichtige Belange und Interessen beeinträchtigt worden wären. Die Angeklagte lebt in einer kleinen, einfachen, aber vollständig eingerichteten Wohnung, die sie stets sauber und ordentlich hält. Die Wohnungseinrichtung hat sie seit ihrer Haftentlassung am 16.02.2004 mehr und mehr vervollständigt. Sie verfügt u.a. über ein Videogerät und ein Fernsehgerät. Sie hält regelmäßig Kontakt zu ihrem Bewährungshelfer.

Die insoweit getroffenen Feststellungen zur Ausstattung und Sauberkeit der Wohnung der Angeklagten sowie zur Kontakthaltung mit dem Bewährungshelfer entsprechen der Einlassung der Angeklagten sowie der glaubhaften Aussage des Bewährungshelfers. Dieser ist ausdrücklich danach befragt worden, ob er bei seinen Hausbesuchen Anhaltspunkt für Verwahrlosung oder ähnliche Begleiterscheinungen zunehmenden Suchtverhaltens festgestellt hat. Dies hat der Zeuge glaubhaft verneint.

Auch die Taten selbst geben keinen Anlass, das Vorliegen schwerer Devianz im dargestellten Sinne zu besorgen. Die Angeklagte hat angegeben, sie habe die Ringe gekauft, weil sie habe heiraten wollen. Den weiteren Schmuck habe sie gekauft, um ihn zu tragen. Die späteren Verkäufe unter Wert seien aus Frustration darüber erfolgt, dass sich ihr Freund, den sie habe heiraten wollen, von ihr losgesagt habe. Die Einlassung ist nicht widerlegt worden. Sie zeigt, dass die Kaufentscheidungen nicht durch fehlende oder erheblich herabgesetzte Impulskontrolle charakterisiert sind, wie sie für eine suchtbedingte Kaufentscheidung charakteristisch wäre. Die Angeklagte hat weder spontan noch zwanghaft Gegenstände unabhängig von einem entsprechenden Bedarf gekauft; sie hat die Kaufentscheidungen vielmehr getroffen, um die Gegenstände bestimmungsgemäß bzw. nach eigenen Vorgaben zu verwenden.

Soweit die Angeklagte gegenüber dem Polizeibeamten angegeben hat, den übrigen Schmuck (mit Ausnahme der Ringe) habe sie gekauft, um ihn später wieder zu verkaufen, führt auch dies nicht zu der Besorgnis, die Angeklagte könne eine suchtbedingte Kaufentscheidung getroffen haben, denn auch die Verwendung der Kaufsache zur Beschaffung von Barmitteln ist eine mögliche, wenn auch unter normalen Maßstäben wirtschaftlich unsinnige Verwendungsmöglichkeit für erworbenen Schmuck. Die Unsinnigkeit verringert sich jedoch, wenn berücksichtigt wird, dass die Angeklagten einen aufgetretenen Geldbedarf auf andere Weise, insbesondere nicht durch Aufnahme eines Darlehens decken kann. Dass die Angeklagte sich in dieser Weise wirtschaftlich unsinnig verhalten haben mag, ist jedenfalls kein Hinweis auf kaufsüchtiges Verhalten. Es könnte auf spielsüchtiges Verhalten hinweisen, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Angeklagte das Geld nicht, wie von ihr behauptet, zur Bezahlung dringender Schulden, sondern zum Spielen verwendet hätte. Derartige Anhaltspunkte bestehen aber, wie ausgeführt, nicht.

Die vorstehend aufgeführten Indizien kann die Kammer aufgrund eigener Sachkunde bewerten. Der Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen bedurfte es nicht.

Soweit der Verteidiger ein von der Fachärztin für Psychiatrie im Rahmen des Betreuungsverfahrens vor dem Amtsgericht Geldern erstattetes psychiatrisches Gutachten vom 03.08.2005 vorgelegt hat, in dem eine "nach traumatischer Trennungserfahrung früh entstandene Persönlichkeitsstörung mit delinquentem Verhalten" diagnostiziert wird, steht dies den gefundenen Ergebnissen nicht entgegen. Auch die Kammer geht vom Vorliegen einer Kaufleidenschaft oder -neigung aus, die aus den aufgezeigten Gründen jedoch nicht den in §§ 20, 21 StGB vorausgesetzten Schweregrad erreicht und die im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sein wird. Gegenteiliges ergibt sich aus dem Gutachten nicht. Soweit das Gutachten die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts "wegen der mangelnden Steuerungsfähigkeit der Betroffenen" vorschlägt, geht das Gutachten ausdrücklich nicht vom strafrechtlichen Begriff der Steuerungsfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) aus. Das Gutachten ist "ausschließlich für die Frage einer Betreuung bestimmt" und zielt hinsichtlich der Steuerungsfähigkeit auf § 1903 BGB ab. Danach kann der Einwilligungsvorbehalt auch bei psychischen Störungen unterhalb der Schwelle einer schweren Persönlichkeitsstörung angeordnet werden, wenn dies zur Abwendung einer Gefahr für das Vermögen des Betreuten erforderlich ist."

Zwar hat die Strafkammer ausführlich unter Berufung auf die eigene Sachkunde zur Schuldfähigkeit aufgrund der vorliegenden Indizien Stellung genommen. In der angefochtenen Entscheidung sind aber eine Vielzahl von Besonderheiten dargestellt, die zu der Einholung eines ärztlichen Gutachtens drängten, weil die erforderlichen Kenntnisse selbst bei einem erfahrenen Strafrichter regelmäßig nicht vorausgesetzt werden können. Rechtsfehlerhaft war es insbesondere, diejenigen Kriterien, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Krankheitswert von "Spielsucht" entwickelt wurden (vgl. BGH Urteil vom 12. 01.05 2 StR 138/04 und vom 25.11.04 5 Str 411/04, BGH NStZ 2004, 31 m.w.N.) ohne sachverständige Abklärung durch einen Psychiater auf die festgestellte "Kaufsucht" zu übertragen. Denn Kaufsucht mag auch ein Anzeichen für das Vorliegen einer anderen psychiatrischen Krankheit sein. Um den pathologischen Wert der Kaufsucht zu beurteilen, bedarf das Gericht deshalb sachverständiger Beratung. Hierin nötigte insbesondere der Umstand, dass die in dem Betreuungsverfahren vor dem Amtsgericht Geldern bestellte psychiatrische Sachverständige in ihrem Gutachten vom 3. August 2005 die "mangelnde Steuerungsfähigkeit" der Angeklagten anspricht. Dass die Sachverständige nicht vom strafrechtlichen Begriff der Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist, sondern - wie das Landgericht meint - lediglich auf die Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 1903 StGB abzielt, liegt nicht ohne weiteres auf der Hand. Zwar ist das Gutachten ausschließlich für das Betreuungsverfahren gefertigt worden, die Verwendung des im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht verwendeten Begriffes "Steuerungsfähigkeit" hätte aber zumindest eine Rückfrage bei der Sachverständigen erforderlich gemacht, um Zweifel auszuschließen. Im Übrigen wird eine Betreuung gem. § 1896 Abs. 1 BGB auch nur bei Vorliegen einer psychiatrischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung angeordnet; bloße soziale Behinderungen - etwa Neigung zu Straftaten oder unangepasstes Verhalten +, - reichen nicht aus (Palandt, BGB, § 1896 Rn. 6).

Die Ausführungen des Urteils sind überdies insoweit widersprüchlich, als dass die Strafkammer feststellt, sämtliche Schmuckkäufe der Beschwerdeführerin seien auf deren Kaufleidenschaft zurückzuführen gewesen (UA S. 5 ff.), andererseits der Einlassung der Angeklagten soweit folgt, als diese erklärt hat, der von ihr als Kaufsucht empfundene Impuls sei bei dem Schmuckerwerb nicht aufgetreten (UA S. 16 ff).

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die aufgezeigten Rechtsfehler die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB bejaht hätte und das angefochtene Urteil deshalb auf dem Verfahrensfehler beruhen kann. Um dem neu erkennenden Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hat der Senat das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen gem. §§ 353 Abs. 1 und 2 StPO aufgehoben.

Ende der Entscheidung

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