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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 17.08.2006
Aktenzeichen: III-5 Ss 92/06 - 85/06 IV
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 32
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Strafrichterin - hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt; die Vollstreckung der Strafe hat das Gericht zur Bewährung ausgesetzt. Die sichergestellte Waffe und die Munition wurden eingezogen. Gegen dieses Urteil richtet sich die (Sprung-) Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

Die Revision hat zumindest vorläufigen Erfolg.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts kannten die Angeklagte und der geschädigte Zeuge .... sich näher, da sie beide in Emmerich wohnten, kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens sind. Die Angeklagte zahlte an den Zeugen mindestens 35.000 €, wobei das Gericht zugunsten der Angeklagten davon ausgegangen ist, dass der Geschädigte sie unter Drohungen zur Zahlung veranlasst hat. Die genaue Motivlage für die Zahlungen konnte nicht festgestellt werden.

Am Vormittag des 18. April 2005 erschien der Geschädigte an der Haustür des Einfamilienhauses .............in Emmerich, wo die Angeklagte einer Tätigkeit als Reinigungskraft nachging. Aus Angst vor dem Zeugen hatte sie sich eine mit Munition geladene Selbstladepistole der Marke Browning (Kaliber 7,65 mm) besorgt, für die sie keine waffenrechtliche Erlaubnis besaß. Diese führte sie am Tattage bei sich. Die Angeklagte, die den Zeugen zunächst nicht erkannte, öffnete ihm die Tür, so dass er eintreten konnte. Der Zeuge lief einige Schritte durch den Flur in Richtung auf die nach oben führende Treppe des Hauses, während die Angeklagte in der Nähe der Haustür stand. Er erklärte in kurdischer Sprache: "Jetzt habe ich dich." Als der Zeuge Anstalten machte, auf die Angeklagte zuzulaufen, forderte sie ihn unter Vorhalt der Waffe zum Stehenbleiben auf. Da der Zeuge gleichwohl weiter mit offenen Armen auf sie zukam, gab sie aus einer Entfernung von 1-2 Metern mindestens drei Schüsse ab, wobei sie auf die Beine des Zeugen zielte. Ein Schuss durchschoss den rechten Oberschenkel des Zeugen. Die Angeklagte rief sodann telefonisch die Polizei zum Tatort. Dem dort eintreffenden Polizeibeamten ......... erklärte sie unter Tränen, der Zeuge habe sie vergewaltigen wollen. Da habe sie geschossen.

Die Angeklagte hat den festgestellten Sachverhalt "im Wesentlichen" eingeräumt. Sie hat angegeben, sie habe aus einer "diffusen Angst vor dem Zeugen geschossen, sie habe nicht gewusst, was er vorgehabt habe, sie habe jedoch Angst gehabt, dass er ihr etwas tue."

Das Amtsgericht hat die Tat als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe gewertet. Die Körperverletzung hat es nicht als durch Notwehr im Sinne des § 32 StGB für gerechtfertigt angesehen. Die Angeklagte habe nicht in Notwehr gehandelt, weil die Äußerung des Zeugen in Verbindung mit dem Umstand, dass er mit offenen Armen auf die Angeklagte zugekommen sei, noch keinen Angriff darstelle. Es sei nicht ersichtlich, dass der Zeuge ihr Gewalt habe antun wollen. Die Angeklagte hätte auch ohne weiteres das Haus verlassen können.

Darüber hinaus hat die Strafrichterin auch das Vorliegen von Putativnotwehr verneint, da die Angeklagte sich keinen Sachverhalt vorgestellt habe, der den Gebrauch einer Schusswaffe gerechtfertigt hätte.

III.

Die Begründung für den Ausschluss einer Notwehrlage und die Verneinung von Putativnotwehr begegnen durchgreifenden Bedenken.

Das objektive Bestehen einer Notwehrlage lässt sich nur aufgrund einer durchgängigen Bewertung der gesamten Vorgeschichte zwischen Täter und Opfer beurteilen. Das angefochtene Urteil lässt eine derartige umfassende Auseinandersetzung vermissen. So hat das Amtsgericht zwar zugunsten der Angeklagten festgestellt, sie sei von dem Zeugen im Vorfeld der Auseinandersetzung zur Zahlung von mindestens 35.000 € erpresst worden. Aus Angst vor dem Zeugen habe sie sich die Selbstladepistole besorgt. Bei der Bewertung, ob ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorliegt, hat das Amtsgericht aber dieses nicht berücksichtigt, sondern ausschließlich auf die Situation am Tatort abgestellt. Selbst wenn objektiv kein gegenwärtiger Angriff vorlag, hätte das Amtsgericht eingehender prüfen müssen, ob sich die Angeklagte eine Notwehrlage vorstellte und somit einem Erlaubnistatbestandsirrtum (Putativnotwehr) erlegen ist. Hierzu hätte es einer Gesamtwürdigung aller in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen bedurft. Diese Würdigung lässt das angefochtene Urteil ebenfalls vermissen. Dafür, dass die Angeklagte sich von dem Zeugen angegriffen glaubte, spricht ihre unmittelbar nach der Tat gegenüber dem Polizeibeamten .......... getätigte Äußerung, der Zeuge habe sie vergewaltigen wollen. Darüber hinaus hat die Angeklagte sich auch in der Hauptverhandlung eingelassen, sie habe aus einer diffusen Angst vor dem Zeugen geschossen, sie habe nicht gewusst, was er vorgehabt habe, sie habe jedoch Angst gehabt, dass er ihr etwa tue. Diese Äußerungen in Verbindung mit weiteren Anhaltspunkte, z.B. dass der Zeuge die Angeklagte zur Zahlung von 35.000 € erpresst, an ihrem Arbeitsplatz aufgespürt hat, mit den Worten "jetzt habe ich dich" auf sie zugegangen und auch auf Aufforderung unter Vorhalt einer Pistole nicht stehen geblieben ist, könnte aus subjektiver Sicht der Angeklagten eine Notwehrsituation begründen, selbst wenn das Zulaufen des Zeugen auf die Angeklagte mit offenen Armen und ohne Bewaffnung dagegen sprechen kann.

Die Schüsse wären auch zur Abwehr des - vermeintlichen - Angriffs geeignet und erforderlich. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts brauchte die Angeklagte bei bestehender objektiver/subjektiver Notwehrlage nicht fliehen, sondern durfte von dem ihr zur Verfügung stehenden Verteidigungsmittel Gebrauch machen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 32 Rn. 17 m.w.N.) . Dass der Angeklagten ein milderes Abwehrmittel zur Verfügung stand, ist vom Amtsgericht nicht festgestellt worden.

IV.

Da das Körperverletzungsdelikt mit dem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit steht, war das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen; §§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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