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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 07.04.2006
Aktenzeichen: IV - 2 Ss (OWi) 170/04 - (OWi) 15/06 III
Rechtsgebiete: AÜG, OWiG, StPO


Vorschriften:

AÜG § 16 Abs. 1 Nr. 1a
OWiG § 66 Abs. 1 Nr. 3
StPO § 206a Abs. 1
1. Auch bei einer längerfristigen Zusammenarbeit zwischen Entleiher und Verleiher stellt das Tätigwerdenlassen von ohne Erlaubnis überlassenen Leiharbeitnehmern (§ 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG) kein Dauerdelikt des Entleihers dar. Vielmehr handelt es sich bei jedem Akt des Tätigwerdenlassens grundsätzlich um eine selbständige Tat. Für die Beurteilung von Tatmehrheit und Tateinheit ist auf den Entschluss des Entleihers abzustellen, der dem Einsatz der Leiharbeitnehmer jeweils zugrunde liegt.

2. Zur Erfüllung der Abgrenzungs- und Informationsfunktion des Bußgeldbescheides ist es erforderlich, die Einzelakte des Tätigwerdenlassens nach Zeit, Ort, Bauobjekt und der vom Verleiher in Rechnung gestellten Vergütung zu konkretisieren.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

IV - 2 Ss (OWi) 170/04 - (OWi) 15/06 III

In der Bußgeldsache

wegen Verstoßes gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht F. und den Richter am Oberlandesgericht R. am 7. April 2006 auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 16. April 2004 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Die Bundesanstalt für Arbeit, Arbeitsamt Wuppertal, hat gegen die Betroffene durch Bußgeldbescheid vom 18. September 2003 wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 16 Abs. 1 Nr. 1a des Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) eine Geldbuße von 6.000 Euro festgesetzt.

Auf den Einspruch der Betroffenen hat das Amtsgericht sie am 16. April 2004 ebenfalls wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG zu einer Geldbuße von 6.000 Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 206a Abs. 1 StPO). Es fehlt an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Bußgeldbescheides. Der Bußgeldbescheid vom 18. September 2003 genügt nicht den Anforderungen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG und bietet keine tragfähige Grundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung.

Der Bußgeldbescheid muss nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG u.a. "die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird" sowie "Zeit und Ort ihrer Begehung" enthalten. Er hat im Falle der Einspruchseinlegung wie die Anklageschrift (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) und der Strafbefehl (§ 409 Abs. 1 Satz 1 StPO), denen er nachgebildet ist, die Aufgabe, den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen und damit auch den Umfang der Rechtskraft zu bestimmen (vgl. BGHSt 23, 336, 338 ff.; BayObLG NZV 1995, 407; KK-Kurz, OWiG, 3. Aufl., § 66 Rdn. 10 m.w.N.). Diese Aufgabe erfüllt der Bußgeldbescheid in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Der Sachverhalt ist unter Anführung der Tatsachen, welche die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass nicht unklar bleiben kann, über welchen Sachverhalt das Gericht urteilen und gegen welchen Vorwurf sich der Betroffene verteidigen soll.

Diesen Anforderungen wird der Bußgeldbescheid im vorliegenden Fall nicht gerecht.

In dem Bußgeldbescheid werden die Fälle, in denen die Betroffene, ein Gerüstbauunternehmen, von der Fa. Z. & P. ohne Erlaubnis überlassene Leiharbeitnehmer beschäftigt haben soll, nicht konkret bezeichnet. Es wird dazu lediglich mitgeteilt, dass die Betroffene nach Abschluss des Rahmenvertrages vom 10. März 1998 in den Jahren 1998 bis 2001 mit der Fa. Z. & P. zusammengearbeitet habe und ihr von dieser Verleihfirma nach Feststellung der Steuerfahndung Wuppertal in diesem Zeitraum insgesamt 56.469 Euro für die Überlassung von Arbeitnehmern in Rechnung gestellt worden seien. Die erbrachten Leistungen werden über das genannte Gesamt-Nettovolumen hinaus nicht näher bezeichnet. Es fehlen konkrete Angaben zu den einzelnen Gerüstbauobjekten nach Zeit, Ort und jeweiligem Leistungsumfang.

Der Entleiher verwirklicht den Tatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG, wenn er einen ihm unerlaubt überlassenen Leiharbeitnehmer "tätig werden lässt". Anknüpfungspunkt der Sanktion ist spiegelbildlich zum jeweiligen Akt des Überlassens durch den Verleiher die Beschäftigung des Leiharbeitnehmers durch den Entleiher. Auch bei einer längeren Zusammenarbeit mit einem Verleiher handelt es sich hierbei nicht um ein Dauerdelikt (vgl. aus umgekehrter Sicht zum Tatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG: OLG Düsseldorf JMBl NW 1979, 64). Vielmehr ist für die Beurteilung von Tatmehrheit und Tateinheit auf den Entschluss des Entleihers abzustellen, der dem Einsatz der Leiharbeitnehmer jeweils zugrunde liegt (vgl. BayObLG wistra 1999, 476; Ambs in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand Juni 2005, § 16 AÜG Rdn. 10).

Danach stellt vorliegend grundsätzlich jeder Einsatz von Leiharbeitnehmern beim Aufbau bzw. Abbau der Gerüste bei einem einzelnen Bauobjekt eine selbständige Tat im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG dar. Dauern die Gerüstbauarbeiten bei demselben Bauobjekt über mehrere Tage an, kommt insoweit ein einheitliches Tätigwerdenlassen durch dieselbe Handlung (§ 19 Abs. 1 OWiG) in Betracht. Gleiches gilt, wenn durch den Entleiher an einem Tag mehrere Kolonnen desselben Verleihers an verschiedenen Baustellen beschäftigt werden. Ansonsten ist bei jedem Einsatz von Leiharbeitnehmern tages- und bauobjektbezogen von einer selbständigen Tat (§ 20 OWiG) auszugehen, sofern nicht bestimmte sonstige Anhaltspunkte einen umfassenderen Entschluss des Entleihers erkennen lassen. Jedenfalls ist der lediglich eine Vorbereitungshandlung darstellende Rahmenvertrag nicht geeignet, sämtliche der Betroffenen in der Folgezeit zur Last gelegten Verstöße zu einer natürlichen Handlungseinheit zu verbinden. Die Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung kann nach der Grundsatzentscheidung des GrSenBGH (BGHSt 40, 138 ff.) auch im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht mehr herangezogen werden. Ohnehin wäre es zur sachgerechten Erfassung der Tatvorwürfe auch bei der Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs unerlässlich gewesen, jeden Einzelakt konkret zu schildern (vgl. KK-Kurz a.a.O. § 66 Rdn. 11 m.w.N.).

Um die Verstöße gegen § 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG konkret zu umschreiben, ist es nicht unbedingt erforderlich, die Namen der Leiharbeitnehmer und die Zeiträume, in denen sie beim Entleiher tätig waren, zu bezeichnen (vgl. OLG Düsseldorf EzAÜG § 1 AÜG Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung Nr. 8). Eine solche Konkretisierung ist in der Regel auch nicht möglich, wenn die Arbeitnehmerüberlassung bei der Rechnungslegung durch Pauschalvergütungen oder Einheitspreise verschleiert wird. Es reicht zur Erfüllung der Abgrenzungs- und Informationsfunktion des Bußgeldbescheides aus, die Einzelakte nach Zeit, Ort, Bauobjekt und berechneter Vergütung zu konkretisieren (z.B. 22. Juni 2001, Bauobjekt Frechen Kirche St. Sebastianus, Aufbau Gerüst, 2.030 DM netto). In dieser Weise hätten die zahlreichen Einzelakte dargestellt werden müssen, um den Anforderungen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG Rechnung zu tragen. Stattdessen sind in dem Bußgeldbescheid ohne jegliche Aufschlüsselung lediglich der Tatzeitraum von 1998 bis 2001 und das Nettovolumen von insgesamt 56.469 Euro genannt worden.

Dass die Bezeichnung der Taten völlig unzureichend ist, zeigt auch die folgende Kontrollüberlegung: Vorliegend ist die dreijährige Verfolgungsverjährungsfrist (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) erstmals am 20. Mai 2003 durch die Bekanntgabe, dass gegen die Betroffene ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, unterbrochen worden (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Die Verfolgung der zeitlich vor dem 20. Mai 2000 beendeten Tathandlungen wäre danach ausgeschlossen. Anhand des Bußgeldbescheides können die verjährten Einzeltaten indes nicht abgegrenzt werden.

Das Verfahren ist nach alledem mangels eines wirksamen Bußgeldbescheides wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 206a Abs. 1 StPO einzustellen. Einer Aufhebung des angefochtenen Urteils bedarf es nicht, da das Urteil infolge der Einstellung des Verfahrens gegenstandslos geworden ist (vgl. BGH NJW 1971, 2272, 2274; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 206a Rdn. 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 467 Abs. 1 StPO. Ein Anlass, gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abzusehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, besteht nicht, da es bereits an der erforderlichen Konkretisierung der Tatvorwürfe fehlt.

Ende der Entscheidung

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