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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 19.12.2006
Aktenzeichen: IV-2 Ss (OWi) 180/06 - (OWi) 92/06 III
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 73 Abs. 2
OWiG § 74 Abs. 2
Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ist zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts, nämlich zu seiner Identifizierung, erforderlich, wenn er bei einem durch ein Lichtbild erfassten Verkehrsverstoß lediglich "nicht bestreitet", zum Tatzeitpunkt der Fahrer des Fahrzeugs gewesen zu sein.
Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss

IV-2 Ss (OWi) 180/06 - (OWi) 92/06 III

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht F. und den Richter am Landgericht S. am 19. Dezember 2006 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 2. August 2006 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Der mitunterzeichnende Einzelrichter überträgt die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern.

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Gegen den Betroffenen ist mit Bescheid vom 24. Februar 2006 wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h ein Bußgeld in Höhe von 70 Euro festgesetzt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt worden.

Nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und Bestimmung des Hauptverhandlungstermins hat der Betroffene beantragt, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Dazu hat sein Verteidiger schriftsätzlich vorgetragen, dass der Betroffene "nicht bestreitet", das Fahrzeug bei dem ihm zur Last gelegten Verkehrsverstoß geführt zu haben, jedoch sei die Geschwindigkeitsmessung fehlerhaft gewesen. Das Amtsgericht hat den Entbindungsantrag abgelehnt. Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, nachdem der Betroffene im Hauptverhandlungstermin ausgeblieben war. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt.

II.

Der mitunterzeichnende Einzelrichter überträgt die Sache gemäß § 80a Abs. 3 OWiG dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern, da es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen. Es bedarf der Klärung, ob die Anwesenheit des Betroffenen nach Maßgabe des § 73 Abs. 2 OWiG zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist, wenn er bei einem durch ein Lichtbild erfassten Verkehrsverstoß die Fahrereigenschaft lediglich "nicht bestreitet".

III.

1. Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Verletzung des § 73 Abs. 2 OWiG und die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht, entspricht den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Nach den genannten Vorschriften muss bei einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft.

Vorliegend ermöglicht die Begründungsschrift des Betroffenen eine Überprüfung durch den Senat, ob das Amtsgericht durch die Ablehnung des Antrags, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, gegen § 73 Abs. 2 OWiG und durch die Verwerfung des Einspruchs gegen § 74 Abs. 2 OWiG verstoßen hat. Der Betroffene hat den im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf und die Beweislage geschildert. Er hat ferner im einzelnen vorgetragen, wann und mit welcher Begründung der Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt worden ist und wie das Amtsgericht diesen Antrag beschieden hat. Die Begründungsschrift enthält weiterhin mit dem Vortrag, dass der Betroffene zu Unrecht nicht antragsgemäß von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden worden sei, Ausführungen zur Unzulässigkeit der Einspruchsverwerfung und schließlich eine Darstellung, wie er sich schriftsätzlich zur Sache eingelassen hat und was er in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger geltend gemacht hätte.

2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat es rechtsfehlerfrei abgelehnt, den Betroffenen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Da der Betroffene in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hatte das Amtsgericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen (§ 74 Abs. 2 OWiG).

Gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf dessen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage ist die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht (mehr) in das Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. OLG Hamm VRS 107, 120, 123 u. DAR 2004, 662, 663; BayObLG DAR 2001, 371, 372). Vielmehr hat das Gericht dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.

Dem Tatrichter ist jedoch bei der Beurteilung der Frage, ob die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts erforderlich ist, ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat sich auf eine rechtliche Kontrolle der tatrichterlichen Entscheidung zu beschränken. Nur schwerwiegende Mängel der tatrichterlichen Entscheidung bei der Ablehnung eines Entbindungsantrags können dazu führen, dass die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG als rechtsfehlerhaft zu bewerten ist. Es muss sich unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände aufdrängen, dass die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich war (vgl. KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 74 Rdn. 37). Davon ist etwa auszugehen, wenn der Betroffene bei einem durch ein Lichtbild erfassten Verkehrsverstoß seine Fahrereigenschaft eingeräumt hat und er lediglich die Korrektheit der Geschwindigkeitsmessung anzweifelt (vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1994, 372; OLG Frankfurt NStZ 1997, 39).

Im vorliegenden Fall hat der Betroffene seine Fahrereigenschaft indes nicht eingeräumt. Er hat durch seinen Verteidiger in dem schriftlichen Entbindungsantrag lediglich vortragen lassen, dass er "nicht bestreitet", das Fahrzeug bei dem ihm zur Last gelegten Verkehrsverstoß geführt zu haben. Ein bloßes "Nichtbestreiten" stellt kein Geständnis dar und bietet keine hinreichende Tatsachengrundlage für die richterliche Überzeugungsbildung. Durch seine Einlassung hat der Betroffene lediglich nicht in Abrede gestellt, dass er das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt hat. Es handelt sich um eine neutrale Äußerung, die gerade kein positives Eingeständnis der Fahrereigenschaft enthält. Auf eine derart unklare Einlassung lässt sich nicht die Feststellung stützen, dass der Betroffene das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt tatsächlich geführt hat. Der Tatrichter hat keinesfalls ermessensfehlerhaft gehandelt, wenn er es bei dieser Sachlage für seine Überzeugungsbildung (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 261 StPO) für erforderlich gehalten hat, sich in der Hauptverhandlung durch Inaugenscheinnahme des Betroffenen und des bei der Geschwindigkeitsmessung aufgenommenen Lichtbildes selbst Gewissheit darüber zu verschaffen, ob der Betroffene der Fahrer war. Die Notwendigkeit, den Betroffenen als Fahrer zur Tatzeit zu identifizieren, war durch das bloße "Nichtbestreiten" der Fahrereigenschaft nicht entfallen. Es wäre vielmehr rechtsfehlerhaft gewesen, wenn sich der Tatrichter mit der unklaren schriftlichen Erklärung des Betroffenen begnügt und in der Beweiswürdigung eines Sachurteils ausgeführt hätte, dass die Feststellung der Fahrereigenschaft auf dem "Nichtbestreiten" des Betroffenen beruht.

Der Betroffene hatte die Möglichkeit, durch ein eindeutiges Eingestehen der Fahrereigenschaft die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 73 Abs. 2 OWiG nicht mehr erforderlich war. Ein schriftliches Geständnis hätte gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG durch Mitteilung des wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden können. Die weiteren Untersuchungen hätten sich sodann mit der Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung befassen können, ohne dass hierfür die Anwesenheit des Betroffenen erforderlich gewesen wäre. Es geht zu seinen Lasten, dass er sich mit dem bloßen "Nichtbestreiten" der Fahrereigenschaft auf eine unklare schriftsätzliche Äußerung beschränkt hat. Auch die weitere in dem Entbindungsantrag enthaltene Erklärung: "Die Beobachtung des Tachozählers des Fahrzeugs ergab, dass keine überhöhte Geschwindigkeit anlässlich des Messvorganges zu verzeichnen war" lässt offen, wer zu diesem Zeitpunkt der Fahrzeugführer war.

Soweit in einer mehr als 30 Jahre zurückliegenden Entscheidung eines anderen Senats (vgl. OLG Düsseldorf VRS 50, 131 = GA 1976, 27) das "Nichtbestreiten" der Fahrereigenschaft - bei gleichzeitiger Berufung auf Verfolgungsverjährung - ohne nähere Begründung und Differenzierung dahin gewertet worden ist, dass der Betroffene die Verkehrsordnungswidrigkeit eingeräumt habe, ist eine solche Beurteilung nicht überzeugend. Gleiches gilt für die im Anschluss an die vorgenannte Entscheidung im Schrifttum vertretene Auffassung (vgl. KK-Senge a.a.O. § 73 Rdn. 27), wonach die Ablehnung des Entbindungsantrags bereits dann unzulässig sein soll, wenn der Betroffene den im Bußgeldbescheid erhobenen Vorwurf "nicht bestreitet", sondern sich lediglich auf den Eintritt von Verfolgungsverjährung beruft. (Die zum Beleg dieser Auffassung ferner angeführte Entscheidung OLG Hamm VRS 52, 54 betrifft im übrigen einen anders gelagerten Fall mit gegenteiligem Ergebnis, in dem der Betroffene jede Einlassung zur Sache verweigert hatte.) Zwischen bloßem "Nichtbestreiten" und einem Geständnis, d.h. dem Zugestehen von Tatsachen, besteht ein fundamentaler Unterschied. Während ein bloßes "Nichtbestreiten" eher einem Schweigen gleichkommt und offen lässt, ob ein Sachverhalt tatsächlich zutrifft, erkennt ein Geständnis bestimmte Tatsachen aus eigenem Wissen als gegeben an und bietet (erst) dadurch eine hinreichende Grundlage für tatrichterliche Feststellungen. Der zivilprozessrechtliche Grundsatz, dass eine nicht bestrittene Tatsache als zugestanden anzusehen ist (§ 138 Abs. 3 ZPO), ist dem Bußgeldverfahren, in dem - wie im Strafprozess - die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen ist, fremd.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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