Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 10.06.2005
Aktenzeichen: VI-2 Kart 12/04 (V)
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 4 Abs. 1
GWB § 70 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen wird die Widerspruchsverfügung des Bundeskartellamts vom 17. Juni 2004 (B 1 - 26611 - Kq - 25/04) aufgehoben.

Das Bundeskartellamt hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und den Beschwerdeführerinnen die ihnen zur zweckentsprechenden Erledigung notwendigen Kosten zu erstatten.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 100.000 EUR.

Gründe:

I. Die Beschwerdeführerin zu 1 (nachfolgend: V.) ist eine Tochtergesellschaft der V. T. B. GmbH und Co. KG, A. Beide Unternehmen gehören zur V.-Gruppe, die im Jahr 2002 einen Umsatz von 33 Mio. EUR erzielte. Die V. befasst sich in ihren Werken in O. mit der Herstellung von Filigranbetondecken und im Werk N. außerdem mit der Produktion von Doppelwandplatten und sonstigen Betonfertigteilen. Im Jahre 2003 erzielte sie mit ihren Werken O. und N. einen Umsatz von 11,5 Mio. EUR, wovon 2,5 Mio. EUR auf Umsätze in den Niederlanden entfielen. Die Beschwerdeführerin zu 2 (nachfolgend: D.) ist eine Beteiligungsgesellschaft der D. G. L. GmbH & Co. KG, die als Holding für mehrere Gesellschaften der Bauwirtschaft tätig ist. D. produziert als einzige Beteiligungsgesellschaft der D. G. L. GmbH & Co. KG in einem in Nordwestdeutschland gelegenen Werk in R.-N. verschiedene Betonfertigteile und erzielte im Jahre 2003 einen Umsatz von 5 Mio. EUR, davon 4,6 Mio. in Nordwestdeutschland. In die Niederlande liefert D. nur gelegentlich und mittelbar über deutsche Baustoffhändler. Zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit wollen V. und D. ihre Vertriebsaktivitäten im Rahmen einer "Innen-GbR" bündeln. In ihrem Haupt-Absatzgebiet in Nordwestdeutschland sollen für beide Unternehmen nur noch drei freie Mitarbeiter tätig sein. Kundenanfragen und -aufträge sollen in einem gemeinsamen EDV-Informations-System erfasst werden. Die eingehenden Aufträge sollen an dasjenige Kooperationswerk vergeben werden, das unter Berücksichtigung von Frachtentfernung und Auslastung im Einzelfall am kostengünstigsten produzieren und liefern kann. Ferner sollen Verkaufspreise und Lieferquoten festgelegt werden. Über- oder Unterlieferungen sollen im Rahmen monatlicher Auswertungen festgestellt und später ausgeglichen werden. Unter dem 2.2.2004 meldeten die Beschwerdeführerinnen ihr Kooperationsvorhaben als Mittelstandskartell gemäß § 4 Abs. 1 GWB an. Auf die Beanstandung des Bundeskartellamtes überreichten sie mit Schriftsatz vom 23.3.2004 einen am 22.3.2004 unterzeichneten Kooperationsvertrag betreffend die Werke O., N. und R.-N. für die Produktgruppen Filigrandecken, Doppelwandplatten und sonstige Betonfertigteile. Darin waren u.a. geregelt die Festlegung "einheitlicher Mindestpreise" und Lieferquoten, ein Informationsaustausch sowie ein Wettbewerbsverbot, das die vorherige schriftliche Zustimmung des anderen Vertragspartners im Falle der Errichtung weiterer Produktionsstätten für Kooperationsprodukte im räumlich relevanten Markt zum Gegenstand hatte. Das Kooperationsgebiet war als "Gebiet mit einem Radius von 150 km Luftlinie um O....gemäß Karte" bezeichnet. Mit Schreiben vom 22.4.2004 teilte das Bundeskartellamt mit, dass es beabsichtige, der Anmeldung zu widersprechen. Es handele sich um Vereinbarungen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG, die nicht die Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG erfüllten. Solche Vereinbarungen seien nach Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 verboten. Zum Vertragsgebiet gehörten bei einem Lieferradius von 150 km auch Teile der Niederlande. Damit beeinflussten die vereinbarten Wettbewerbsbeschränkungen den Handel zwischen zwei Mitgliedsstaaten. Der Kartellvertrag beeinträchtigte sowohl die Wettbewerbsstruktur innerhalb der Gemeinschaft als auch die betroffenen Wirtschaftszweige. Die Eignung zur Beeinträchtigung scheitere nicht an der Spürbarkeitsgrenze. Die Voraussetzungen einer Befreiung gemäß Art. 81 Abs. 3 EG seien nicht erfüllt. Mit Schriftsatz vom 28.5.2004 legten die Beschwerdeführerinnen einen am 25.5.2004 unterzeichneten, den Vertrag vom 22.3.2004 ersetzenden Vertrag vor, nach dessen Vorbemerkung das Kooperationsgebiet ausdrücklich nur den Teil von Deutschland umfasst, der sich in einem Gebiet mit einem Radius von 150 km Luftlinie um O. befindet. Mit dem Beschluss vom 17.6.2004 hat das Bundeskartellamt dem beabsichtigten Mittelstandskartell - wie angekündigt - widersprochen. Dagegen haben die Beschwerdeführerinnen Beschwerde eingelegt. Sie vertreten die Auffassung, dass ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 1 Nr. 1 VO 1/2003 EG nicht gegeben sei. Die beabsichtigte Zusammenarbeit führe weder unmittelbar noch mittelbar zu einer Beschränkung des zwischenstaatlichen Handels. Jedenfalls sei die Bestimmung des Art. 81 Abs. 1 EG nach Abs. 3 der Vorschrift für nicht anwendbar zu erklären. Die Antragstellerinnen beantragen, die angefochtene Widerspruchsverfügung aufzuheben. Das Bundeskartellamt beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen. Das Bundeskartellamt tritt den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen entgegen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den angefochtenen Beschluss, die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakte Bezug genommen. II. Die zulässigen Beschwerden der Beschwerdeführerinnen haben Erfolg. Die angefochtene Widerspruchsverfügung ist aufzuheben. Gemäß Art. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 i.V.m. Art. 81 Abs. 1 EG sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen verboten, wenn sie (u. a.) geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des EuGH bedeutet die Formulierung "zu beeinträchtigen geeignet", dass sich anhand objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die Vereinbarungen oder Verhaltensweisen den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell beeinflussen können (vgl. u. a. Urteil vom 14.12.1983, Rs. 319/82, Kerpen und Kerpen, Slg. 4173). Darüber hinaus muss die beeinträchtigende Wirkung auch "spürbar" sein. Letzteres ist im Streitfall nicht feststellbar. 1. Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels a) Sachlich betroffen ist - wovon das Bundeskartellamt und die Antragstellerinnen übereinstimmend ausgehen - der Markt des Absatzes von Filigranbetondecken und Doppelwandplatten, wobei die Beschwerdeführerinnen als Anbieter und auf der Marktgegenseite Baumärkte, Bauunternehmen und Endverbraucher als Abnehmer agieren. Nicht näher aufgeklärt, aber auch nicht entscheidungserheblich ist, ob und ggfls. welche Substitutionswaren den Abnehmern zur Verfügung stehen und in den sachlichen Markt einzubeziehen wären. b) Räumlich ist der Markt begrenzt auf das Gebiet in einem Lieferradius von 150 km um O.. Dazu gehört - flächenmäßig etwa zu 1/6 - auch ein Teil der Niederlande. c) Der von der streitgegenständlichen Vereinbarung der Beschwerdeführerinnen umfasste "Kooperationsmarkt" ist innerhalb des 150 km-Radius um O. auf das Gebiet Deutschlands begrenzt. Die Niederlande gehören nicht dazu. Auszugehen ist vom Wortlaut des Kooperationsvertrages vom 25.5.2004, wo die Begrenzung ausdrücklich festgelegt ist. Es ist gibt keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerinnen diese Begrenzung nicht ernstlich umsetzen wollten. Dass im Anmeldeverfahren der Kooperationsvertrag zunächst nicht in schriftlicher Form vorlag und seine erste Fassung vom 22.3.2004 nach Hinweisen des Bundeskartellamtes durch die Fassung vom 25.5.2004 ersetzt worden ist, ändert an dieser Annahme nichts. Im Gegenteil: Es ist durchaus Sinn der Erörterungen im Anmeldeverfahren, die Zulässigkeit einer beabsichtigten wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung in der Diskussion mit der Kartellbehörde abzustecken. Im Übrigen war die Begrenzung der Kooperation auf das Gebiet Deutschlands schon der ersten (wenn auch unvollständigen) Anmeldung der Beschwerdeführerinnen vom 2.2.2004 zu entnehmen. Dort war auf Seite 2 ausgeführt, dass die Beschwerdeführerinnen ihre Vertriebsaktivitäten dahin bündeln wollten, dass im Haupt-Absatzgebiet von V. und D. in "Nordwestdeutschland" für beide Unternehmen drei freie Mitarbeiter tätig werden sollten. Das Amt selbst hatte die räumliche Begrenzung primär auch so - begrenzt auf das Gebiet Deutschlands - verstanden. So heißt es in auf Seite 3 seines Schreibens vom 4.2.2004 (VA 53) wie folgt: "Bei vorstehender Bewertung wurde unterstellt, dass durch die geplanten Vereinbarungen die Lieferungen nach den Niederlanden und Südschweden nicht erfasst werden." (Unterstreichung durch den Senat) d) Die gewollte räumliche Begrenzung der Kooperation schließt indessen nicht aus, dass die in Deutschland realisierten wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen mittelbar auf den zwischenstaatlichen Handel mit den Niederlanden abstrahlen können. Wie auch sonst genügt für diese Annahme eine Wahrscheinlichkeit, dass sich der Handel zwischen den beiden Mitgliedstaaten aufgrund der Vereinbarungen und den damit zusammenhängende Verhaltensweisen anders entwickelt, als dies ohne die Vereinbarungen oder Verhaltensweisen anzunehmen wäre (vgl. hierzu EuGH Urteil vom 15.5.1975, Rs 71/74, Frubo, Slg 563, Rn. 38). Die Leitlinien der Kommission über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages (nachfolgend: "Leitlinien") zeigen hierzu Beurteilungskriterien auf, die auch im Streitfall einschlägig sind: aa) Die Art der von der Vereinbarung erfassten Waren spricht auch im Streitfall für eine Beeinflussung des zwischenstaatlichen Warenverkehrs (vgl. Ziffer 30 der Leitlinien). Die Kooperationswaren (Filigranbetondecken und Doppelwandplatten) sind im Lieferradius vom 150 km um das Werk O. und damit auch in die Niederlande mit LKW frei transportabel und daher problemlos grenzüberschreitend handelbar. bb) Auch die Marktstellung und der Umsatz der beteiligten Unternehmen können hier für den zwischenstaatlichen Handel von Bedeutung sein (vgl. Ziffer 31 der Leitlinien). V. liefert bereits Filigranbetondecken und Doppelwandplatten in nicht unerheblichem Umfang in die Niederlande. Im Jahre 2003 machten die V.-Lieferungen in die Niederlande bezogen auf die zur Kooperation gehörenden V.-Werke in O. und N., die einen Umsatz von insgesamt 11,5 Mio. EUR erbrachten, 2,5 Mio. EUR aus. Die Beschwerdeführerinnen verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass V. in den Niederlanden frei disponieren könne. Dessen ungeachtet bleibt aber möglich, dass die Mindestpreise der Kooperationsvereinbarung, auch wenn sie nur in Deutschland Gültigkeit haben sollen, zugleich Maßstab für die V.-Preise in den Niederlanden sein werden, zum Beispiel um Re-Importe nach Deutschland zu vermeiden, oder weil aus Gründen der Vereinfachung oder Marktstrategie zwei verschiedene Verkaufspreise im Grenzgebiet nicht opportun erscheinen. Ohnehin können deutsche Baustoffhändler, für welche die deutschen Mindestpreise gelten, niederländische Abnehmer beliefern. Auch dann ist nicht auszuschließen, dass der deutsche Mindestpreis für niederländische Abnehmer maßgebend sein wird. Dies kann den zwischenstaatlichen Warenverkehr in einer Weise beeinflussen, wie es bei einer innerdeutschen Wettbewerbssituation V./D. jedenfalls so nicht geschehen würde. cc) Rechtliches und tatsächliches Umfeld (Ziffer 32 der Leitlinien): Durch das Verbot, Kooperationsprodukte aus nicht in die Kooperation einbezogenen Werken in das Vertragsgebiet einzuliefern, werden die bisherigen Liefermöglichkeiten der Beschwerdeführerinnen begrenzt. Auch dies kann Folgen für niederländische Abnehmer haben, und zwar hinsichtlich der ihnen zur Wahl stehenden deutschen Bezugsquellen. Sind die Kapazitäten der drei Kooperationswerke der Beschwerdeführerinnen ausgelastet, könnte der vertraglich verbotene Nachschub von Werken außerhalb des Kooperationsgebietes den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen, dass eine Vollauslastung der Kooperationswerke nicht zu erwarten sei, fußt nur auf einer aktuellen Einschätzung der Wirtschaftslage und ist deshalb nicht stichhaltig. Auch das Zustimmungserfordernis für Kapazitätsausweitungen im grenznahen Bereich kann auf den Handel mit den Niederlanden abstrahlen. Erweiterungswünsche der Beschwerdeführerinnen mögen derzeit nicht bestehen, sind aber für die Zukunft nicht völlig auszuschließen. dd) Nicht einschlägig ist allerdings die Wertung in Ziffer 29 der Leitlinien, wonach schon die Art der Vereinbarung einen qualitativen Hinweis darauf liefern soll, ob die Vereinbarung geeignet ist, den Handeln zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen. Insbesondere grenzüberschreitende Kartelle können danach eine wesensmäßig beeinträchtigende Vereinbarung sein, während dies umgekehrt bei einem auf das Gebiet eines einzelnen Mitgliedsstaates begrenzten Gemeinschaftsunternehmens nicht anzunehmen sein soll. Um eine auf das Gebiet eines Mitgliedsstaates (Deutschland) begrenzte Kooperation handelt es sich indes im vorliegenden Fall. 2. Spürbarkeit der Beeinträchtigung Die hiernach durchaus mögliche Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels entbindet jedoch nicht von dem Nachweis der Spürbarkeit, denn nur im Falle der Spürbarkeit ist eine kartellrechtlich relevante Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels gegeben und zu unterbinden (vgl. EuGH, Urteil vom 25.11.1971, Rs. 22/71, Béguelin, Slg. 949, Rdn. 16). Die Beweislast für das Vorliegen der Spürbarkeit obliegt gemäß Art. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 1/2003 der Partei oder Behörde, die den Vorwurf einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Abs. 1 EG erhebt. Das Merkmal der "Spürbarkeit" betrifft die "Quantität" der Beeinträchtigung. Sie ist vorrangig (aber nicht ausschließlich) an den Marktanteilen und den Umsatzzahlen der beteiligten Unternehmen ablesbar. Diesbezügliche, auf Erfahrungen beruhende tatsächliche Vermutungen können die Annahme der Spürbarkeit tragen oder zumindest stützen. Hinweise zur Handhabung der Spürbarkeitskriterien einschließlich bestimmter Vermutungsregeln enthalten auch die Leitlinien der Kommission. a) Die Aussagen der Leitlinien binden die nationalen Gerichte allerdings nicht. Dies stellen die Leitlinien in ihrer Einleitung selbst klar. Ihr erklärtes Ziel ist es, die Methodik zur Anwendung des Begriffs der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels darzustellen und eine Anleitung und Orientierung für seine Anwendung zu bieten. Nur mit dieser Maßgabe wenden sie sich an die Gerichte und Behörden der Mitgliedstaaten. Hierzu werten sie die bisherige Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte zur Auslegung des in den Artikeln 81 und 82 enthaltenen Begriffs der "Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels" aus und sind in diesem Sinne eine Kommentierung der Kommission. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben sie ausdrücklich nicht. Aus der Masterfoods-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 14.12.2000 - Rs C-344/98, WuW/EU-R 389) ergibt sich eine weitergehende Bindungswirkung der Leitlinien nicht. Zwar ist in Tz. 51 des EuGH-Urteils ausgeführt, dass die nationalen Gerichte, wenn sie über Praktiken oder Vereinbarungen befinden, zu denen noch eine Entscheidung der Kommission ergehen kann, es vermeiden müssen, Entscheidungen zu erlassen, die Entscheidungen zuwiderlaufen, die die Kommission zur Anwendung der Art. 85 Abs. 1, 86 EG (a.F.) zu treffen beabsichtigt. Diese Formulierung ist jedoch in einem einschränkenden Sinne zu verstehen. Eine rechtliche Bindung ergibt sich mit Blick auf eine Kommissionsentscheidung nur dann, wenn die Kommission ein konkretes Verfahren eingeleitet hat (woran es im Streitfall fehlt). Sie gilt hingegen nicht für Meinungsäußerungen der Kommission ohne Bezug auf einen konkreten Fall, also auch nicht für die allgemeinen Aussagen der Leitlinien. Mit dieser Maßgabe ist die durch die Masterfoods-Entscheidung geschaffene Rechtslage auch in die neue Kartellverfahrensverordnung umgesetzt worden (vgl. hierzu Bornkamm, ZWeR 2003, 74 ff). So ordnet Artikel 16 Abs. 1 Satz 1 VO (EL) Nr. 1/2003 eine Bindung nationaler Gerichte nur in Bezug auf Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweise an, die "bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind". Und Satz 2 der Vorschrift gibt den nationalen Gerichten auf, es zu vermeiden, Entscheidungen zu erlassen, die einer Entscheidung zuwiderlaufen, die die Kommission "in einem von ihr eingeleiteten Verfahren" zu erlassen beabsichtigt. b) Im Streitfall stützt sich das Bundeskartellamt im Wesentlichen auf die in den Leitlinien wiedergegebenen Vermutungsregeln und Erfahrungssätze, um die Spürbarkeit der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Niederlanden und Deutschland zu begründen. Hierzu sind die Leitlinien zwar nach dem oben Ausgeführten prinzipiell als Orientierungshilfe geeignet, im Streitfall reicht ihre Heranziehung jedoch nicht aus. Den Vereinbarungen, die einen einzigen Mitgliedsstaat oder einen Teil eines Mitgliedsstaates betreffen, ist in den Leitlinien ein besonderer Abschnitt gewidmet (Ziffern 77 ff). Für Vereinbarungen über eine horizontale Zusammenarbeit in einem einzigen Mitgliedsstaat, die, wie hier, nicht direkt Einfuhren und Ausfuhren betreffen, ist ausgeführt, dass sie gerade nicht zu der Kategorie von Vereinbarungen zählen, die ihrem Wesen nach geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen (Ziffer 83). Vielmehr ist eine sorgfältige Prüfung notwenig, ob und inwieweit eine solche Vereinbarung geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen. Als Beispiele nennen die Leitlinien die Wirkung einer Marktabschottung oder den Fall, dass Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten durch ein Gemeinschaftsunternehmen von einem wichtigen Vertriebsweg oder Nachfragemarkt abgeschnitten werden. Eine Marktabschottung oder ein Abschneiden eines Vertriebsweges oder Nachfragemarktes sind hier jedoch weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Auch andere zu erwartende spürbare Beeinträchtigungen sind nicht durch geeignete Tatsachen unterlegt. Voraussetzung hierfür wäre eine Analyse der relevanten Handelsströme zwischen den Niederlanden und Deutschland, die das Amt jedoch aus verschiedenen Gründen nicht vorgenommen hat. Das Amt hat hierzu in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, die Feststellung mittelbarer Handelseffekte stoße auf grundsätzliche Schwierigkeiten. Da im Streitfall kein tätiges Kartell vorliege, sei eine Prognose besonders unsicher. Entsprechend schwierig sei die geforderte Quantifizierung der drohenden Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels. Eine differenzierte Handelsstatistik der Niederlande und Deutschland existiere nicht. Auch sei die Kooperationsbereitschaft ausländischer Wettbewerbsbehörden in weniger bedeutsamen Fällen (wie dem vorliegenden) gering. Indes handelt es sich bei den genannten Gesichtpunkten um Ermittlungs- und Prognoseschwierigkeiten, die die Kartellbehörde zu bewältigen hat, und die nicht zu Lasten der betroffenen Unternehmen gehen können. Die Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden in den Mitgliedsstaaten (2004/C 101/03) hält für die Kartellbehörden geeignete Kooperationsinstrumente bereit. Im Streitfall sind die niederländischen Behörden nicht hinzugezogen worden. Soweit mit ausländischen Wettbewerbsbehörden im Einzelfall Schwierigkeiten auftreten, die in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht überwunden werden können, kann die Kartellbehörde auslandsbezogene Feststellungen notfalls auf einer schwächeren Tatsachengrundlage treffen und auch - wenn nicht anders möglich - mit Schätzungen arbeiten (BGH WuW DE-R 1355, 1360 - Staubsaugerbeutelmarkt). Zu fordern ist aber stets, dass die Kartellbehörde die erreichbaren Anknüpfungstatsachen ermittelt und ihre diesbezüglichen Möglichkeiten ausschöpft. Hierüber hilft im Streitfall auch die in Ziffer 53 der Leitlinien enthaltene Vermutung nicht hinweg, wonach die Beeinträchtigung des Handels spürbar ist, sofern der gemäß den Ziffern 52 und 54 errechnete Umsatz der Unternehmen mit den von der Vereinbarung erfassten Waren 40 Mio. EUR überschreitet. Diese Vermutung greift schon im Ansatz nicht durch. Sie gilt nämlich nur dann, wenn eine Vereinbarung ihrem Wesen nach geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beinträchtigen, da sie beispielsweise Einfuhren und Ausfuhren betrifft oder sich auf mehrere Mitgliedsstaaten erstreckt. An Letzterem fehlt es hier. Gleiches gilt für die ebenfalls in Ziffer 53 enthaltene Vermutung, wonach "häufig davon ausgegangen werden kann", dass die Auswirkungen spürbar sind, wenn der Marktanteil der Parteien einen bestimmten Schwellenwert übertrifft. Denn auch dies gilt ausdrücklich nicht, wenn sich die Vereinbarung nur auf einen Teil des Mitgliedstaates erstreckt. Der Senat ist nicht gemäß § 70 Abs. 1 GWB gehalten, amtswegig auf eine Aufklärung über die Spürbarkeit einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels mit den Niederlanden hinzuwirken. Der Sachverhalt ist bislang vollständig unaufgeklärt. Es sind nicht lediglich ergänzende Ermittlungen anzustellen. In derartigen Fällen gebietet der Untersuchungsgrundsatz dem Beschwerdegericht nicht, die erste Sachaufklärung durchzuführen oder diese durch geeignete Auflagen gegenüber der Kartellbehörde zu veranlassen. 3. Bleiben Zweifel an der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Warenverkehrs, fehlt es insgesamt am Merkmal der Beeinträchtigung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG. Der streitgegenständlich Kooperationsvertrag der Beschwerdeführerinnen ist daher nicht als gemeinschaftswidrig anzusehen. Die angefochtene Widerspruchsverfügung ist allein auf einen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG gestützt und daher aufzuheben. Die Beschwerdeführerinnen haben im Senatstermin unwidersprochen vorgetragen, dass das von ihnen angemeldete Mittelstandskartell die Freistellungsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 GWB erfüllt. Eine Aufrechterhaltung der Widerspruchsverfügung kommt daher auch nach nationalem Kartellrecht schon im Ausgangspunkt nicht in Betracht. III. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 78 Satz 1 und 2 GWB. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 74 Abs. 2 GWB.

Ende der Entscheidung

Zurück