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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 22.03.2007
Aktenzeichen: VI-2 U (Kart) 17/04 (1)
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 315
BGB § 315 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

ergehen im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2006 in zusammenfassender Form folgende Hinweise an die Klägerin und die Beklagte:

I. Hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses bezüglich des Feststellungsantrags und der Leistungsantrags bestehen in Anbetracht des gleichzeitig erhobenen Gestaltungsantrags immer noch Bedenken. Zwar ist die Erhebung einer Feststellungsklage neben der Leistungsklage in Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes zulässig, wenn dem Kläger eine Bezifferung der Leistungsklage noch nicht möglich ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.5.2001, I ZR 189/99, - Feststellungsinteresse II). Diese Grundsätze sind auch auf den vorliegenden Rechtsstreit zu übertragen, da sich hier gleichfalls Probleme der Berechnung der Forderung stellen. § 315 Abs. 3 BGB gewährt aber nur einen Anspruch auf richterliche Gestaltung, nicht auf Feststellung. Der Kläger mag sich auch überlegen, ob er an dem Gestaltungsantrag festhält oder einen auf Rückzahlung gerichteten bezifferten Leistungsantrag stellt, in dessen Rahmen inzident eine Gestaltung des angemessenen Entgelts erfolgt (vgl. BGHZ 41, 271, 280).

II. Die Aktivlegitimation der Klägerin hinsichtlich der für den Zeitraum 1. März bis 31. August 2000 geltend gemachten Ansprüche aus der Rahmenvereinbarung vom 4./10. Februar 2000 (Anlage K 1) ist immer noch zweifelhaft. Nach Ziffer 7.3 des Auftrags zur Versorgung mit elektrischer Energie (Anlage K18) ist die Klägerin nur zum Abschluss eines Netzanschlussvertrages ermächtigt, nicht aber zur Geltendmachung von Rechten aus dem zwischen dem Kunde und dem Netzbetreiber gesondert geschlossenen Netznutzungsvertrag nach dem Muster Netznutzungsvertrag gemäß Anlage 5. Hierbei handelt es sich um das sog. Doppelvertragsmodell.

Nach den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 2005 (X ZR 99/04), vom 25. Oktober 2005 (KZR 36/04) und vom 7. Februar 2006 (KZR 8/05 und KZR 24/04) trägt bei Vereinbarung eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechtes des Netzbetreibers dieser in einem auf Gestaltung und Leistung gerichteten Prozess die Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die Billigkeit der Netznutzungsentgelte und der Mess- und Verrechnungspreise jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - die Leistungen unter Vorbehalt erbracht worden sind. Nach Auffassung des Senats sind der Beklagten Preisbestimmungsrechte zum Teil konkludent, zum Teil ausdrücklich eingeräumt worden.

Hinsichtlich der Rahmenvereinbarungen vom 4./10. Februar 2000 (Anlage K 1= Anlage B 17), 16./22. August 2000 (Anlage K 1) und vom Mai 2005 folgt die (konkludente) Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts aus dem Umstand, dass die Beklagte die Netznutzungsentgelte den Kunden (Verbrauchern) durch die in Bezug genommenen Preisblätter einseitig vorgegeben hat (vgl. Anlage K 1: Muster des Netznutzungsvertrages zwischen Kunde und Netzbetreiber nach Anlage 5 unter Ziffer 4.1 und 4.2; Doppelvertragsmodell). Zudem ist in § 2 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs. 3 der Rahmenvereinbarungen der Beklagten ein einseitiges jährliches Preisanpassungsrecht eingeräumt.

Der Klägerin wird aufgegeben, die derzeit gültige Rahmenvereinbarung vom Mai 2005 zu den Akten zu reichen.

Bei den Rahmenvereinbarungen vom 21. Juni 2001 (Anlage K 1) und 21. Dezember 2001 (Anlage B 18; "all inclusive") folgt die Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts des Netzbetreibers aus dem Verweis des § 2 Abs. 5 auf die "jeweils gültigen veröffentlichten Preisblätter des Netzbetreibers", nach denen der Lieferant die Netznutzungsentgelte an den Netzbetreiber zu zahlen hat.

III. Der Einholung eines von der Beklagten angebotenen Sachverständigengutachtens und der Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugen zur Angemessenheit der Netznutzungsentgelte sowie der Mess- und Verrechnungspreise steht entgegen, dass die bisher von der Beklagten vorgetragene Tatsachengrundlage für die Zeit ab dem 1. September 2000 hierzu nicht ausreicht. Es fehlt an einer schlüssigen Darlegung der Kalkulationsgrundlagen. Die Beklagte hat keine in sich geschlossene und nachvollziehbare Darstellung der Kalkulation der Netznutzungsentgelte, Mess- und Verrechnungspreise vorgelegt sowie entsprechende Erläuterungen hierzu unterbreitet. Sie hat mit Schriftsatz vom 29. Juli 2005 und 31. März 2006 nur die Schritte der Verbändevereinbarung II plus auf der Grundlage von Kostenpositionen (Teilergebnissen) nachvollzogen und angewandte Schlüssel genannt. Am Schluss dieser Ausführungen steht die - von der Klägerin bestrittene - Behauptung, dass ein bestimmter Gesamtkostenaufwand auf den Netzbetrieb pro Jahr entfallen sei. Weder aus den Einzelsummen der Kosten noch aus den Kostengesamtsummen erschließt sich indes, wie die konkreten Grund-, Verrechnungs- und Arbeitspreise kalkuliert wurden und aus welchen Kostenanteilen die berechneten Grund-, Verrechnungs- und Arbeitspreise sich zusammensetzen. Die Beklagte hat auch darzustellen, warum z. B. die Preiskalkulation für 2005 sich nicht auf die tatsächlichen Vorjahreskosten stützt, sondern auf die Kosten des Jahres 2003.

Erforderlich ist die Offenlegung der eigenen Kalkulationen und ihrer Kostenelemente, aus denen sich auch die Gewinnmargen bzw. Gewinne ergeben müssen. Die Beklagte hat dabei darzulegen, welche Kosten, die als Umlage in die jeweiligen Preise einkalkuliert werden, über den Grundpreis (z.B. Abschreibungen, Zinsverluste, etc.) gedeckt und welche Kosten über den Arbeitspreis (z.B. Gemeinkosten, allgemeine Geschäftskosten etc.) oder den Verrechnungspreis hereingeholt werden (vgl. BGH NJW 1992, 174). Am Ende der Kalkulationen im Sinne von kaufmännischen Rechnungen müssen die konkret verlangten und von der Klägerin gezahlten Netznutzungsentgelte (das heißt die konkreten Grund-, Verrechnungspreise Eintarifzähler/Zweitarifzähler und Arbeitspreise; vgl. die Tabellen in den Schriftsätzen der Klägerin vom 14. August 2003 und 28. April 2003) stehen.

Gegebenenfalls ist dann in einem zweiten Schritt durch einen Sachverständigen zu prüfen, ob die anzusetzenden Kostenpositionen in der richtigen Höhe berücksichtigt und nach der Verbändevereinbarung II und II plus berücksichtigungsfähige und angemessene Kosten in die Berechnung der Grund-, Arbeits- und Verrechnungspreise einbezogen wurden. Erst diese Überprüfung erlaubt die Beurteilung, ob die Beklagte die durch die Preisfindungsprinzipien eröffneten Bewertungsspielräume so genutzt hat, dass den Zwecken des EnWG Rechnung getragen wurde.

Nicht erforderlich ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Vorlage von Belegen, die die Richtigkeit der Höhe der angesetzten Kostenpositionen bestätigen.

Die Darlegung der Kalkulation hat den Zeitraum ab dem 1. September 2000 zu erfassen. Die Klägerin begehrt die Festsetzung der angemessenen Entgelte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.

IV. Es ist Sache der Beklagten sicherzustellen, dass sie der ihr im Rahmen des § 315 BGB obliegenden Darlegungslast gegenüber der Klägerin nachkommen kann. Zu diesem Zweck wird sie auch eine Trennung der Buchführung zwischen Netzbetrieb und Vertrieb herbeiführen müssen, sollte eine solche seit dem 1. September 2000 nicht erfolgt sein.

Die Darlegungslast der Beklagten erstreckt sich auch auf die Darlegung der Angemessenheit der Netznutzungsentgelte der vorgelagerten Netzebenen (Mittelspannungs- und Hochspannungsebene, da die Klägerin bestritten hat, dass die weitergewälzten Netznutzungsentgelte der vorgelagerten Hochspannungs- und Mittelspannungsebenen, die einen Teil des gezahlten Entgelts ausmachen, angemessen sind. Diese Netznutzungsentgelte sind - unstreitig - als Kostenpositionen in die Berechnung der der Klägerin in Rechnung gestellten Netznutzungsentgelte im Wege der Kostenwälzung eingerechnet worden. Es obliegt daher der Beklagten im Rahmen dieses Prozesses darzulegen, dass die ihr in Rechnung gestellten und von ihr weitergewälzten jährlichen Netznutzungsentgelte für die vorgelagerten Netzebenen der Billigkeit entsprechen. Insoweit hat die Beklagte darzulegen, in welcher Höhe anteilig Netznutzungsentgelte für die Nutzung der vorgelagerten Netzebenen in das von der Klägerin gezahlte Netznutzungsentgelt eingeflossen sind und auf welche Netzebenen diese Kosten entfallen.

Soweit die Kalkulation der Netznutzungsentgelte vorgelagerter Netzebenen ihr nicht bekannt ist, entlastet dieser Umstand die Beklagte nicht von der Darlegungslast.

Die Klägerin selbst kann mangels Abschlusses von Netzzugangsverträgen keine eigenen Ansprüche aus § 315 Abs. 3 BGB gegenüber den Betreibern der vorgelagerten Netze geltend machen. Zwischen ihr und den Betreibern der vorgelagerten Netzebenen bestehen keine vertraglichen Beziehungen.

Die Beklagte verfügt aber über rechtliche Möglichkeiten, die von den vorgelagerten Netzbetreibern beanspruchten Entgelte auf ihre Angemessenheit zu überprüfen.

Die Beklagte wird im Ergebnis die Vertragslage zu den Betreibern vorgelagerter Netze im Einzelnen darzulegen haben. Die Beklagte hat ferner darzulegen, ob zugunsten der Betreiber der vorgelagerten Netzebenen Leistungsbestimmungsrechte im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB vereinbart worden sind. In diesem Fall stehen der Beklagten eigene Ansprüche auf richterliche Gestaltung nach § 315 Abs. 3 BGB gegen die Betreiber vorgelagerter Netze zu.

Die Beklagte ist auf Grund einer nach § 242 BGB bestehenden Schutz- und Rücksichtnahmepflicht für die Vermögensinteressen der Klägerin verpflichtet, die Netznutzungsentgelte vorgelagerter Netzebenen nur, soweit sie angemessen sind, der Klägerin in Rechnung zu stellen. Die gesteigerte Pflichtenbindung beruht darauf, dass mit dem Abschluss des Rahmenvertrags ein Dauerschuldverhältnis zwischen den Parteien begründet worden ist und die Klägerin die Angemessenheit der Vergütung mit Schreiben vom 31. Mai 2000, 17. August 2000 und 21. Juni 2001 - jedenfalls nicht haltlos - als unangemessen beanstandet hat. Aus der gesteigerten Pflichtenbindung folgt, dass die Beklagte unangemessen hohe Netznutzungsentgelte nicht - gewissermaßen automatisch - weiterzuwälzen darf, sondern eine Nebenpflicht besteht, die Netznutzungsentgelte - vor einer Weiterwälzung - auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Im Rahmen der Prüfungspflicht muss die Beklagte die Betreiber der vorgelagerten Netze um Offenlegung ihrer Kalkulationen ersuchen.

Sollten die Entgelte zwischen der Beklagten und den Betreibern der vorgelagerten Netze indes ausgehandelt und einvernehmlich vereinbart worden seien, so entlastet dies die Beklagte ebenfalls nicht von ihrer Darlegungspflicht. Denn der Beklagten ist darüber hinaus die rechtliche Möglichkeit eröffnet, die Angemessenheit der ihr von den Betreibern vorgelagerter Netze berechneten Entgelte inzident in einem kartellrechtlichen Schadensersatzprozess gemäß § 19 Abs. 1 GWB notfalls gerichtlich überprüfen zu lassen. Zwischen der Beklagten und den vorgelagerten Netzbetreibern kann ein gesetzliches Schuldverhältnis gemäß §§ 19 Abs. 1, 33 Abs. 3 GWB (§ 33 Satz 1 a.F.) bestehen. Die Betreiber vorgelagerter Netze sind marktbeherrschende Unternehmen auf dem jeweiligen räumlich nach Netzgebieten abzugrenzenden Markt der Durchleitung von Strom. Zwar liegt die Darlegungs- und Beweislast bei einem auf § 19 Abs. 1 GWB gestützten Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch gegen die Betreiber der Netze grundsätzlich bei demjenigen, der Rechte aus § 19 Abs. 1, 33 GWB geltend macht, also bei der Klägerin. Dies gilt grundsätzlich auch für die Behauptung, der vorgelagerte Netzbetreiber habe durch das Verlangen einer unangemessen hohen Vergütung seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt. Die Betreiber der Netze sind als marktbeherrschende Unternehmen jedoch ihrerseits zur Darlegung und Auskunft über die in ihrem Unternehmensbereich vorliegenden kalkulationsrelevanten Umstände, also insbesondere zur Darlegung ihrer Kosten und ihrer Kalkulation verpflichtet (sekundäre Darlegungslast). Den Leistungsverhältnissen liegen vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse zu Grunde (vgl. BGH, Beschl. v. 22.10.1996 WuW/E BGH 3079, 3084 - Stromeinspeisung II). Ein solches gesetzliches Schuldverhältnis kann auch zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehen, denn auch die Beklagte verfügt nach den gegebenen Umständen über eine markbeherrschende Stellung in ihrem Netzgebiet.

Aus der vertraglichen Schutz- und Rücksichtnahmepflicht gegenüber den Vermögensinteressen der Klägerin und der Verpflichtung, Verstöße gegen das Verbotsgesetz des § 19 Abs. 1 GWB zu unterlassen, folgt die Obliegenheit der Beklagten zur - notfalls - gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche aus § 315 BGB oder §§ 19, 33 GWB gegen die Betreiber vorgelagerter Netze.

Die aufgezeigten rechtlichen Möglichkeiten erlauben es der Beklagten, im Rahmen des vorliegenden Gestaltungsprozesses (Klageantrag zu 1) ihrer Darlegungslast nachzukommen.

V. Den Parteien wird aufgegeben, bis zum 15. Mai 2007 dem Senat mitzuteilen, ob ihnen eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreites möglich ist. Dabei könnten die vom Vertreter der Klägerin im Schriftsatz vom 11. September 2006, Bl. 39 ff. genannten und von der Bundesnetzagentur angewandten Ermäßigungssätze von 15% bis 30% einen Rahmen für die Vergleichsüberlegungen bilden. Der Senat schlägt den Parteien vor, sich auf eine Kürzung der Entgelte um 22,5 % zu einigen.

VI. Der Beklagten wird bis zum 4. Juni 2007 Gelegenheit gegeben, ihrer Darlegungslast in dem unter Ziffer III. und IV. des Beschlusses dargestellten Umfang nachzukommen.

Ende der Entscheidung

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