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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 16.07.2008
Aktenzeichen: VI-3 Kart 207/07 (V)
Rechtsgebiete: EnWG, GasGVV


Vorschriften:

EnWG § 36
EnWG § 38
GasGVV § 2 Abs. 2
Nach den Wertungen des EnWG und der GasGVV ist es nicht zu beanstanden, dass die Festlegung "Geschäftsprozesse Lieferantenwechsel Gas (GeLi Gas)" der Bundesnetzagentur vom 20.08.2007 (BK 7-06/067), ABl.Nr. 17/2007, sog. "verwaiste Entnahmestellen" dem Bilanzkreis des zuständigen Grundversorgers zuordnet und dem Grundversorger eine diesbezügliche Prüfpflicht aufgibt.
Tenor:

Die gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur - Beschlusskammer 7 - vom 20. August 2007 (BK7-06-067) gerichtete sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Bundesnetzagentur zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Wert der Beschwerde: 25.000 €

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin ist in ihrem Gasversorgungsgebiet der Grundversorger i. S. d. § 36 Abs. 2 S. 1 EnWG.

Mit Beschluss vom 11.07.2006 erließ die Bundesnetzagentur - Beschlusskammer 6 - mit Wirkung ab 01.08.2007 die Festlegung "Vorgaben der Geschäftsprozesse und Datenformate zur Abwicklung der Belieferung von Kunden mit Elektrizität" (BK6 - 06-009). Darin bestimmte sie die Einführung bundeseinheitlicher Geschäftsprozesse und Datenformate für alle Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen. Mit der verfahrensgegenständlichen Festlegung "Geschäftsprozesse Lieferantenwechsel Gas (GeLi Gas)" vom 20.08.2007 (BK 7-06/067), ABl. Nr. 17/2007, S. 3447 - 3532, sollen ab dem 01.08.2008 einheitliche Geschäftsprozesse und Datenformate zur Abwicklung von Lieferantenwechseln im Gasbereich eingeführt werden. Die GeLi Gas wurde der SWE Netz GmbH als Netzbetreiber am 25.08.2007 zugestellt. Eine förmliche Zustellung an die Beschwerdeführerin unterblieb. In ihrer Anlage enthält die GeLi Gas einen Abschnitt "C. Geschäftsprozesse beim Wechsel des Lieferanten aufgrund gesetzlicher Lieferbeziehungen ("Ersatz-/Grundversorgung"). Unterabschnitt C.1.3 beschreibt die Prozesse für Entnahmestellen, die keinem Lieferanten zugeordnet sind, wie folgt: Zunächst prüft der Netzbetreiber, ob sich die Entnahmestelle im Niederdruck befindet (Unterabschnitt 1.3.1). Ist dies der Fall, so meldet er die Entnahmestelle an den Grundversorger unter Miteilung des Zuordnungswechsels sowie der Namen und Adressen des Anschlussnehmers und des Anschlussnutzers, sofern diese ihm bekannt sind (Unterabschnitt 1.3.2). Unverzüglich nach Eingang der Meldung des Netzbetreibers prüft der Grundversorger u.a., ob es sich bei den Entnahmestellen um Grund- oder Ersatzversorgung handelt. Spätestens bis zum Ablauf des 5. Werktages nach Eingang der Meldung des Netzbetreibers meldet er dem Netzbetreiber, ob und ggf. für welchen Zeitraum die Entnahmestelle der Ersatz- oder Grundversorgung zuzuordnen ist (Unterabschnitt 1.3.4). Gemäß der Meldung ordnet der Netzbetreiber die Entnahmestelle unverzüglich zu. Die Zuordnung hat ggf. rückwirkend auf den mitgeteilten Termin zu erfolgen. Meldet sich der Grundversorger nicht fristgerecht, ordnet der Netzbetreiber die Entnahmestelle dem Grundversorger zu (Unterabschnitt 1.3.5).

Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer am 28.09.2007 bei der Bundesnetzagentur eingelegten sofortigen Beschwerde. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Eine Zuordnung sog. "verwaister", d. h. nicht mehr belegter Entnahmestellen zu einem Lieferanten werde erst dann notwendig, wenn eine neuerliche Gasentnahme erfolgt sei. Demgegenüber müsse der Grundversorger nach den Geschäftsprozessen der GeLi Gas den Anschlussnutzer vorab ermitteln. Sei kein Anschlussnutzer festzustellen, müsse der Grundversorger die Sperrung des Anschlusses betreiben. All dies sei Angelegenheit des Netzbetreibers. Er sei für den Netzbetrieb verantwortlich, habe einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Anschlussnehmer und könne die mit der Aufklärung der Anschlussnutzung entstehenden Kosten auf alle Gaslieferanten umlegen. Der Grundversorger habe regelmäßig kein Interesse daran, bezüglich nicht belegter Lieferstellen Ermittlungen anzustellen. Einen wirtschaftlichen Gegenwert erhalte er dafür nicht. Die GeLi Gas verpflichte ihn zu einer aufwendigen Vor-Ort-Präsenz, beeinträchtige seine Wettbewerbsfreiheit und verstoße gegen § 1 EnWG. Es schädige das Ansehen des Grundversorgers, wenn er einziehende Letztverbraucher ungefragt ansprechen müsse, obwohl diese sechs Wochen Zeit hätten, einen Gaslieferanten frei zu wählen.

Die Beschwerdeführerin beantragt,

die Festlegung GeLi Gas insoweit aufzuheben, als darin

- dem Grundversorger Lieferstellen zugeordnet werden sollen, welche nicht belegt sind (Abschnitt C.1, 1.3, Nr. 1 der Anlage zur GeLi Gas (Seite 51)),

- der Grundversorger verpflichtet wird, im Falle der Nichtkenntnis von Anschlussnehmer und Anschlussnutzer diese zu ermitteln und an den Netzbetreiber zu melden (Abschnitt C.1, 1.3, Nr. 2 der Anlage zur GeLi Gas (Seite 51)),

- den Grundversorger die (faktische) Verpflichtung auferlegt wird, im Falle der Nichtnutzung des Anschlusses die Sperrung zu beantragen.

Die Bundesnetzagentur beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Beschwerde für unzulässig und tritt dem Beschwerdevorbringen im Einzelnen entgegen. Sie macht insbesondere geltend, dass die Zuordnung einer nicht belegten Entnahmestelle beim Grundversorger der gesetzlichen Wertung der §§ 36, 38 EnWG entspreche und der Grundversorger entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin nicht verpflichtet sei, Anschlussnehmer und Anschlussnutzer zu ermitteln und die Sperrung des Anschlusses beantragen.

Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die eingereichten Schriftsätze und die zur Information beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

Entgegen der Ansicht der Bundesnetzagentur ist die Beschwerdeführerin als Grundversorger i. S. d. § 36 Abs. 2 S. 1 EnWG formell und materiell beschwert. Die angefochtenen Geschäftsprozesse legen nicht nur dem Netzbetreiber, sondern auch dem Grundversorger Handlungspflichten auf. Die Beschwerdeführerin hat ihre Beschwerde am 28.09.2007 auch rechtzeitig eingelegt. Gemäß § 78 Abs. 1 S. 2 EnWG beginnt die einmonatige Frist zur Beschwerdeeinreichung mit der Zustellung an den Betroffenen. Da die GeLi Gas der Beschwerdeführerin nicht förmlich zugestellt wurde (§ 73 Abs. 1 EnWG), gilt sie in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem sie ihr tatsächlich zuging (§ 8 VwZG i.d.F. vom 12.08.2005, BGBl. I S. 2354). Letzteres geschah nicht vor dem Tag der öffentlichen Bekanntgabe der GeLi Gas im Amtsblatt der Bundesnetzagentur am 29.08.2007. Die Beschwerdefrist lief für die Beschwerdeführerin somit frühestens am 29.09.2007 ab.

2. Die Beschwerderügen sind jedoch unbegründet.

a) Zu Unrecht begehrt die Beschwerdeführerin die Aufhebung der GeLi Gas insoweit, als dem Grundversorger nicht belegte Lieferstellen zugeordnet werden (vgl. Anlage zur GeLi Gas, Seite 51, Abschnitt C.1, 1.3, Nr. 1).

Die GeLi Gas ist auf der Grundlage des § 42 Abs. 1, 7 Nr. 4 GasNZV zur "Abwicklung des Lieferantenwechsels nach § 37" ergangen. Der Begriff ist in einem weiten Sinne zu verstehen. Er umfasst den Lieferantenwechsel im Rahmen der Ersatz- und Grundversorgung einschließlich des von den angefochtenen Geschäftsprozessen geregelten Sachverhalts, dass eine weiterhin aktive Entnahmestelle keinem Gaslieferanten zugeordnet werden kann.

Der Regulierungsbehörde steht für den Erlass einer Festlegung gemäß § 42 Abs. 7 Nr. 4 GasNZV ein weites, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares Ermessen zu. Die in der GeLi Gas geregelte Zuordnung einer unbelegten aktiven Entnahmestelle zum Bilanzkreis des Grundversorgers lässt keine Ermessensfehler erkennen.

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist eine möglichst durchgängige Zuordnung einer aktiven Entnahmestelle zum Bilanzkreis des Grundversorgers nach den Wertungen der §§ 36, 38 EnWG und der auf der Grundlage von § 39 Abs. 2 in Verbindung mit § 115 Abs. 2 S. 3 EnWG ergangenen Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz (Gasgrundversorgungsverordnung - GasGVV) angezeigt.

Gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG gilt die Energie als von dem Unternehmen geliefert, das nach § 36 Abs. 1 EnWG als Grundversorger berechtigt und verpflichtet ist, sofern Letztverbraucher über das Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in Niederdruck Energie beziehen, ohne dass dieser Bezug einer Lieferung oder einem bestimmten Liefervertrag zugeordnet werden kann. Entsprechend kommt gemäß § 2 Abs. 2, 1. HS GasGVV ein Grundversorgungsvertrag dadurch zustande, dass Gas aus dem Gasversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung entnommen wird, über das der Grundversorger die Grundversorgung durchführt. Der Grundversorger ist dann berechtigt, die nach § 38 Abs. 1 EnWG bezogene Energiemenge zu schätzen und dem Kunden den ermittelten Verbrauch in Rechnung zu stellen (§ 38 Abs. 2 S. 2 EnWG). EnWG und GasGVV bestimmen somit, dass der Grundversorger schon dann zur Gaslieferung verpflichtet sein soll, wenn ihm die Identität des Kunden noch unbekannt ist. Ungeachtet der Meldepflicht des Kunden, dem Grundversorger die Entnahme des Gases unverzüglich in Textform mitzuteilen (§ 2 Abs. 2, 2. HS GasGVV), ist der Grundversorger zunächst mit dem Vergütungsrisiko eines anonymen Gasbezugs belastet. Dem widersprechend kann es zu einer Belastung der Transportkunden kommen, solange die aktive Entnahmestelle keinem Lieferanten zugeordnet ist. Bleibt der entnehmende Kunde unbekannt, ergibt sich eine Fehlmenge im Ausspeisenetz, für die Regelenergie beschafft werden muss. Die Beschaffung der Regelenergie obliegt dem Bilanzkreisnetzbetreiber, der die Kosten auf die Transportkunden umlegen kann (§§ 22 Abs. 1, 20 Abs. 1b S. 7, 23 EnWG). Damit wird das Vergütungsrisiko eines anonymen Gasbezugs schlussendlich vom Grundversorger über den Netzbetreiber auf die Transportkunden abgewälzt. Zur Vermeidung dieses Effekts regelt die GeLi Gas eine möglichst zeitnahe Zuordnung der unbelegten Entnahmestelle zum Bilanzkreis des Grundversorgers. Eine übermäßige Belastung des Grundversorgers liegt darin nicht. Die Zuordnung ist für sich betrachtet ein nur buchhalterischer Vorgang. Die Risikozuweisung zum Grundversorger entspricht, wie ausgeführt, der Wertung der §§ 36, 38 EnWG. Schließlich hat der Grundversorger die Möglichkeit, die Zuordnung durch eine beim Netzbetreiber zu beantragende Anschlusssperrung zu beenden.

b) Ohne Erfolg rügt die Beschwerdeführerin, sie werde rechtswidrig zu einer Ermittlung der Verhältnisse an der Entnahmestelle verpflichtet. Vorab ist zu bemerken, dass die GeLi Gas dem Grundversorger keine Ermittlungspflicht aufgibt. Vielmehr wird von ihm nur eine Prüfung verlangt. Wie intensiv diese ausfällt, bleibt ihm überlassen, einschließlich der Entscheidung für eine besondere Vor-Ort-Präsenz. Im Übrigen kommt es nach der GeLi Gas zu einer Arbeitsteilung zwischen Grundversorger und Netzbetreiber. Die Feststellung und Meldung einer nicht belegten Lieferstelle im Niederdruckbereich obliegt dem Netzbetreiber; erst nach der Meldung des Netzbetreibers an den Grundversorger schließt sich die Prüfung des Grundversorgers an. Die Beschwerdeführerin wendet ein, dass der Netzbetreiber die besseren Prüfmöglichkeiten habe, weil ihm aus dem Anschlussverhältnis ein Auskunftsanspruch gegen den Anschlussnehmer zustehe. Ob ein solcher Auskunftsanspruch im Einzelfall zum Erfolg führt, ist indessen ungewiss; möglicherweise ist auch der Anschlussnehmer über die Nutzungsverhältnisse nicht informiert. Entscheidend ist jedoch, dass dem Netzbetreiber und in der Folge den Transportkunden durch die Prüfung ein Aufwand entsteht, den diese nach der Wertung des EnWG nicht zu tragen haben. Vielmehr soll der Grundversorger für einen ungeklärten Gasbezug an einer unbelegten Entnahmestelle einstehen. Dies impliziert, dass er richtigerweise auch mit den Prüfkosten zu belasten ist. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist daher nicht zu beanstanden, dass der Grundversorger für die Prüfung keinen "wirtschaftlichen Wert" erhält.

Dass der Grundversorger das Ergebnis der Prüfung unverzüglich, jedoch spätestens bis zum Ablauf des 5. Werktages nach Eingang der Meldung des Netzbetreibers mitzuteilen hat, begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Eine kurzfristige Klärung der Verhältnisse ist angezeigt. Denn die fehlende Zuordnung der Entnahmestelle kann jederzeit zu Lasten der Transportkunden gehen (s.o.). Die Prüffrist von 5 Werktagen erscheint nicht unangemessen kurz.

Die Beschwerdeführerin meint, es schade dem Image des Grundversorgers, wenn er sich zu Prüfzwecken ungefragt bei dem einziehenden Kunden melde, obwohl dieser sechs Wochen Zeit habe, einen Lieferanten zu wählen. Die Besorgnis ist unbegründet. Hat der einziehende Kunde Gas ohne vertraglich bestimmten Lieferanten bezogen, ist er gemäß § 2 Abs. 2 GasGVV ohnehin zur Kontaktaufnahme mit dem Grundversorger verpflichtet. Im Übrigen sind Imageschäden des Grundversorgers bei angemessener Erläuterung der Sach- und Rechtslage kundenseitig nicht zu erwarten.

Nach alledem kann ebenso wenig davon gesprochen werden, dass die Prüfpflicht des Grundversorgers den unverfälschten Wettbewerb nach § 1 Abs. 2 EnWG beeinträchtige. Die Prüfpflicht des Grundversorgers entspricht den Wertungen des EnWG.

c) Die Beschwerdeführerin rügt, dass sie nach der GeLi Gas zur Herbeiführung einer Anschlusssperrung verpflichtet sei. Auch diese Kritik ist nicht berechtigt. Die GeLi Gas verpflichtet den Grundversorger insoweit nicht. Vielmehr handelt es sich bei der Anschlusssperrung um eine Option des Grundversorgers, um die Zuordnung der "verwaisten" Entnahmestelle zu seinem Bilanzkreis zu beenden. Dass er hierzu aktiv werden und einen Antrag beim Netzbetreiber stellen muss, entspricht der o. a. Wertung des EnWG, wonach anonyme Gasentnahmen im Ausgangspunkt zur Risikosphäre des Grundversorgers gehören.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 EnWG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die streitgegenständlichen Fragen grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG haben.

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