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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.01.2009
Aktenzeichen: VI-3 Kart 44/08 (V)
Rechtsgebiete: StromNEV, EnWG, VwGO


Vorschriften:

StromNEV § 19
StromNEV § 19 Abs. 2
StromNEV § 19 Abs. 2 Satz 1
StromNEV § 19 Abs. 2 Satz 2
StromNEV § 19 Abs. 2 Satz 8
StromNEV § 19 Abs. 2 Satz 10
EnWG § 24 Abs. 1
EnWG § 75 Abs. 2
EnWG § 83 Abs. 4
VwGO § 113 Abs. 5 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss der Beschlusskammer 4 der Bundesnetzagentur vom 18. August 2008 (BK 4-08-021) wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur zu tragen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 500.000,00 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

A.

Die Beteiligte begehrt die Genehmigung eines zwischen ihr und der A, der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens, individuell vereinbarten Netzentgelts.

Die Beteiligte betreibt die Raffinerie B, . . .

Im einzelnen hat die Beschwerdeführerin im folgenden Umfang elektrische Energie aus dem Netz der Antragstellerin bezogen:

. . .

Die Antragstellerin und die Beteiligte schlossen unter dem 17./20. Dezember 2007 eine Vereinbarung, in der sie für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2008 ein individuelles Netzentgelt in Höhe von 66 Prozent auf der Basis des zum 1. August 2006 genehmigten allgemeinen Netzentgelts vereinbarten. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2007, eingegangen am 21. Dezember 2007, beantragte die Antragstellerin die Genehmigung dieses individuellen Netzentgelts.

Mit Beschluss vom 18. August 2008 lehnte die Bundesnetzagentur den Antrag auf Genehmigung mit der Begründung ab, die gesetzliche Voraussetzung von mindestens 7.500 Betriebsstunden im letzten Kalenderjahr sei nicht erfüllt. Unter dem letzten Kalenderjahr sei das letzte abgeschlossene Jahr vor dem Genehmigungszeitraum zu verstehen, also vorliegend das Jahr 2007, in dem die Betriebsstundenzahl nur 6.870 Stunden betragen habe. Der Beschluss ist der A als Antragstellerin und der Beschwerdeführerin als Beteiligter zugestellt worden.

Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die gesetzlichen Voraussetzungen seien zu Unrecht verneint worden. Letztes Kalenderjahr i.S.v. § 19 Abs. 2 StromNEV sei das letzte abgeschlossene Kalenderjahr vor dem Angebot zum Abschluss einer Vereinbarung für ein individuelles Netzentgelt, also 2006. In diesem Sinne habe die Bundesnetzagentur selbst - Beschlusskammer 8 - in einer Parallelsache den Terminus "letztes Kalenderjahr" gewürdigt. Andernfalls werde sie für den wartungsbedingten Großstillstand in 2007 doppelt bestraft, mit Verweis auf diese Unterschreitung sei bereits die Genehmigung eines individuellen Netzentgelts für 2007 abgelehnt worden. Ein solches Ergebnis sei aber sachlich unangemessen und widerspreche ersichtlich dem Ansatz von § 19 StromNEV. Vermieden werden könne eine Doppelbestrafung nur durch das Abstellen auf den Zeitpunkt des Angebots, da nur dieser von den Vertragsparteien zu beeinflussen sei.

Die Beschwerdeführerin beantragt,

den Beschluss der Beschlusskammer 4 - BK4-08-021 - vom 18. August 2008 aufzuheben und die Antragstellerin antragsgemäß zu bescheiden.

Die Bundesnetzagentur beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, Sinn und Zweck der Regelung in § 19 Abs. 2 Satz 2 sei es, ein verstetigtes Abnahmeverhalten zu belohnen. Es widerspreche der Zielsetzung der Regelung, Nutzer zu begünstigen, die die Voraussetzungen nur einmalig oder nur in jedem zweiten Jahr erfüllten. Deswegen trete zu der Erfüllung der Voraussetzungen im letzten Kalenderjahr das Erfordernis einer Erfüllung auch im Genehmigungszeitraum. Diese zusätzliche Bedingung liefe aber leer, wenn zur Definition des Terminus letztes Kalenderjahr auf den Zeitpunkt des Angebots oder der Antragstellung abgestellt werde. Welches Jahr das letzte Kalenderjahr sei, könne nicht im Belieben der Vertragsparteien stehen. Angebot und Antragstellung könnten im Übrigen auch rückwirkend, nach Ablauf des Genehmigungszeitraums erfolgen, bei Zugrundelegung der Auffassung der Beteiligten fielen dann letztes Kalenderjahr und Genehmigungszeitraum zusammen, was der mit der Norm verfolgten Intention des Gesetzgebers widerspreche.

Wegen den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien mit Anlagen und das Sitzungsprotokoll verwiesen.

B.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beschwerdeführerin steht als Beteiligter am Verwaltungsverfahren gemäß § 75 Abs. 2 EnWG die Beschwerde zu. Sie ist im Übrigen auch formell und materiell beschwert. Das Genehmigungsverfahren nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV bezieht sich auf ein konkretes Vertragsverhältnis. Eine Ablehnung der Genehmigung greift dabei stets in die Rechte beider Vertragsparteien ein. Der Gesetzgeber hat beiden Vertragsparteien, dem Netzbetreiber und dem Letztverbraucher, das Recht gegeben, die Genehmigung zu beantragen. Von daher ist es geboten, auch beiden ein eigenständiges Beschwerderecht zuzubilligen. Der Antrag auf Neubescheidung ist nach § 83 Abs. 4 EnWG in Verbindung mit § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO statthaft, weil der Bundesnetzagentur im Hinblick auf die Höhe des individuellen Netzentgelts ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 42 Rn. 8). Der Senat kann das individuelle Netzentgelt nicht konkret berechnen.

In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Die Versagung der Genehmigung eines individuellen Netzentgelts für das Jahr 2008 durch Beschluss vom 18. August 2008 ist rechtmäßig.

Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV ist ein individuelles Netzentgelt anzubieten, wenn die Stromabnahme aus dem Netz der allgemeinen Versorgung für den eigenen Verbrauch an einer Abnahmestelle im letzten Kalenderjahr sowohl die Benutzungsstundenzahl von mindestens 7.500 Stunden erreicht als auch der Stromverbrauch zehn Gigawattstunden überschritten hat. Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdeführerin nicht. Unter dem letzten Kalenderjahr ist das Jahr vor dem Genehmigungszeitraum zu verstehen. Im Jahr 2007 betrug die von der Beschwerdeführerin erreichte Benutzungsstundenzahl nur 6.870 Stunden.

Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzugeben, dass die Formulierung in § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV nicht eindeutig ist. Der Terminus "im letzten Kalenderjahr" könnte sowohl das letzte abgeschlossene Kalenderjahr vor dem Angebot des individuellen Netzentgelts, als auch das vor dem Genehmigungszeitraum bezeichnen. Die Gesetzesbegründung gibt insoweit nichts her. Die Vorlage an den Bundesrat geht nur auf den in § 19 Abs. 2 Satz 1 geregelten Fall ein (Bundesratsdrucksache 245/05 vom 14. April 2005, S. 40). Der Bundesrat hat der Verordnung nach Maßgabe der Empfehlung des Wirtschaftsausschusses zugestimmt, der zu § 19 nur festhält, dass dieser neu gefasst worden sei und die Sonderformen der Netznutzung nunmehr präziser abgrenze (Bundesratsdrucksache 245/1/05, S. 38). Die von der Beschlusskammer 8 der Bundesnetzagentur für ihre abweichende Rechtsauffassung angeführte Drucksache des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit 15[9]1813 trägt als Begründung schon deshalb nicht, weil es sich um einen Bundestagsausschuss handelt. Die StromNEV ist von der Bundesregierung entsprechend der gesetzlichen Ermächtigung in § 24 Abs. 1 EnWG mit Zustimmung des Bundesrates erlassen worden. Einer Mitwirkung des Bundestages bedurfte es nicht.

Der Terminus "im letzten Kalenderjahr" bezeichnet das letzte abgeschlossene Kalenderjahr; dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen in § 19 Abs. 2 StromNEV. Bei der Entscheidung über die Genehmigung eines individuellen Netzentgelts handelt es sich um eine Prognoseentscheidung. So muss nach § 19 Abs. 2 Satz 1 StromNEV der auf Grund vorliegender oder prognostizierter Verbrauchsdaten zu erwartende Höchstlastbetrag vorhersehbar erheblich von der Jahreshöchstlast aller Entnahmen abweichen. Bei einer auf Verbrauchsdaten aus der Vergangenheit fußenden Prognose muss der erfasste Zeitraum möglichst dicht bei dem Prognosezeitraum liegen.

Dass der Verordnungsgeber bei § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV von einem unmittelbar vor dem Genehmigungszeitraum liegenden Referenzzeitraum ausgegangen ist, zeigt auch § 19 Abs. 2 Satz 8 StromNEV. Darin wird der Regulierungsbehörde die Bescheidung des Antrags binnen vier Wochen aufgegeben. Die Bestimmung einer derart kurzen Bearbeitungszeit lässt den Rückschluss zu, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, Netzbetreiber und Letztverbraucher hätten überhaupt nicht die Möglichkeit, den Antrag lange vor Beginn des Genehmigungszeitraums zu stellen. Wäre mit "im letzten Kalenderjahr" das letzte abgeschlossene Kalenderjahr vor dem Angebot des Netzbetreibers oder dem Abschluss der Vereinbarung gemeint, dann könnte der Antrag auf Genehmigung kurz nach Abschluss dieses Kalenderjahres, also im Januar, für das nächstfolgende Kalenderjahr gestellt werden, mithin mit einem Vorlauf von etwa 11 Monaten. Weshalb die Regulierungsbehörde gleichwohl binnen vier Wochen zu entscheiden hätte, wäre dann nicht einzusehen. Dies würde auch für später gestellte Anträge gelten, da die Verzögerung dann von den Vertragsparteien zu vertreten wäre. Sinn macht die Bestimmung nur, wenn die Vertragsparteien auf eine zügige Entscheidung angewiesen sind, weil sie den Antrag erst nach Beginn des Genehmigungszeitraums stellen beziehungsweise erst dann die Antragsunterlagen vervollständigen können. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn das letzte Kalenderjahr i.S.d. § 19 Abs. 2 s. 2 StromNEV das Kalenderjahr vor dem Genehmigungszeitraum ist.

Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen für ein auf das Kalenderjahr vor dem Genehmigungszeitraum bezogenes Verständnis. Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 10 StromNEV ist die Genehmigung unter dem Vorbehalt zu erteilen, dass die normierten Voraussetzungen auch tatsächlich eintreten. Eine Unsicherheit, ob Voraussetzungen "eintreten", kann nur in einem nicht ohnehin bereits abgeschlossenen Zeitraum bestehen. Der in § 19 Abs. 2 Satz 10 StromNEV normierte Vorbehalt muss sich folglich auf einen vom letzten Kalenderjahr zu unterscheidenden Zeitraum beziehen. Die Voraussetzungen hinsichtlich Betriebsstundenzahl und Abnahmemenge müssen demnach in mindestens zwei Jahren gegeben sein, um in den Genuss eines individuellen Netzentgeltes zu kommen. Dabei kann es sich nur um zwei aufeinander folgende Jahre handeln. Ein überjähriger Zeitraum entspricht der Intention des Verordnungsgebers, einen Beitrag des Letztverbrauchers zu einer Senkung oder einer Vermeidung der Netzkosten der jeweiligen Netzebene und aller vorgelagerten Netz- und Umspannebenen zu leisten. Dies ist nur bei einer Verstetigung des Abnahmeverhaltens gerechtfertigt. Nur bei einer kontinuierlich hohen Entnahme lohnt sich ein Direktleitungsbau, der durch die Zulassung eines individuellen Netzentgelts vermieden werden kann. Nur dann ist die durch die Gewährung eines individuellen Netzentgelts verursachte Erhöhung der Netzentgelte der übrigen Netznutzer legitim. Würde hingegen auf den Zeitpunkt des Angebots oder der Antragstellung abgestellt, dann hätten es die Vertragsparteien in der Hand, auch Letztverbrauchern, die die Voraussetzungen nur in einzelnen Jahren erfüllen, eine Reduktion des Netzentgelts zu ermöglichen.

Für ein auf das Kalenderjahr vor dem Angebot bezogenes Verständnis kann demgegenüber nicht angeführt werden, dass nur so für den Letztverbraucher Planungssicherheit zu gewährleisten sei; er müsse vor Beginn des Versorgungszeitraums wissen, welches Entgelt er zu tragen habe. Eine solche Planungssicherheit hat der Letztverbraucher ohnehin nicht, da die Genehmigung unter dem Vorbehalt steht, dass die normierten Voraussetzungen im Genehmigungszeitraum auch tatsächlich eintreten.

Der Senat verkennt nicht, dass die Beschwerdeführerin die gesetzlichen Voraussetzungen in fünf von sechs Jahren erfüllt. Bei einer mehrjährigen Betrachtung liegt die durchschnittliche jährliche Betriebsstundenzahl über 7.500 Stunden. Dass sie im sechsten Jahr die vorgegebene Benutzungsstundenzahl unterschreitet, ist Folge der gesetzlichen Vorgaben der Dampfkesselverordnung. Folge der einmaligen "Unterschreitung" ist eine zweimalige Versagung der Genehmigung. Dies ist jedoch unvermeidliche Folge der gesetzlichen Vorgaben. Der Verordnungsgeber hat der Bundesnetzagentur im Hinblick auf das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, also dem "Ob" der Genehmigung, kein Ermessen eingeräumt (sogenannte gebundene Entscheidung). Sie "hat" zu genehmigen, soweit die Voraussetzungen erfüllt sind, § 19 Abs. 2 Satz 8. Bei einer Unterschreitung im Genehmigungszeitraum "erfolgt" die Abrechnung nach dem allgemein gültigen Tarif. Ein Spielraum besteht lediglich bei der zweiten Stufe der Entscheidung, bei Bemessung des individuellen Entgelts, also dem "Wie" der Genehmigung, auf die es vorliegend nicht ankommt. Durch eine flexible Handhabung des Terminus "im letzten Kalenderjahr" kann diese Härte nicht vermieden werden. Der Begriff muss einheitlich gehandhabt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 50 Abs. 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die streitgegenständliche Frage grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG hat. Im Hinblick auf die divergierende Entscheidung der Beschlusskammer 8 der Bundesnetzagentur ist eine höchstrichterliche Entscheidung auch zur Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis geboten.

Ende der Entscheidung

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