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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 07.09.2006
Aktenzeichen: VI-Kart 15/06 (V)
Rechtsgebiete: EG, EG, VwGO


Vorschriften:

GWB § 1
GWB § 21
GWB § 21 Abs. 1
GWB § 32
GWB § 65 Abs. 3
GWB § 73
EG Art. 10
EG Art. 81
EG Art. 82
VwGO § 80 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Im Wege der einstweiligen Anordnung wird die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Anordnungen des Beschwerdegegners im Beschluss vom 23.08.06 (B 10 - 92713 - Kc - 148/05) wiederhergestellt, soweit sie sich gegen die Untersagungsverfügungen unter A. richtet.

II. Diese Anordnung ist bis zum 01.11.06 befristet.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Das Bundeskartellamt hat die Verfahrensweise der Lottogesellschaften in drei Sachkomplexen auf ihre Vereinbarkeit mit den Regeln des deutschen und des europäischen Kartellrechts untersucht, erstens die Aufforderung, keine Spieleinsätze aus gewerblicher terrestrischer Spielvermittlung anzunehmen, zweitens die Vereinbarung der Lottogesellschaften im Blockvertrag, Lotterien und Sportwetten jeweils nur in dem Bundesland anzubieten, in dem sie eine Genehmigung haben (sog. Regionalitätsprinzip), und drittens die Information der Bundesländer über den von gewerblichen Spielvermittlern stammenden Anteil an der Summe der Spieleinsätze und der vereinnahmten Bearbeitungsgebühren sowie die darauf entfallende Gewinnausschüttung und das Bearbeitungsentgelt durch die Lottogesellschaften, um die Spieleinsätze unter den Bundesländern aufzuteilen. Im Ergebnis hat das Bundeskartellamt angenommen, dass alle drei Verhaltensweisen der Lottogesellschaften gegen europäisches und deutsches Kartellrecht verstoßen.

Im Beschluss vom 23.08.2006 hat es folgende Feststellungen getroffen:

A. Die am 25./26. April 2005 beschlossene Aufforderung des Rechtsausschusses des D. L.- und T. an alle Gesellschaften des D. L.- und T., durch terrestrische Vermittlung gewerblicher Spielvermittler erzielte Spielumsätze nicht anzunehmen, hat gegen Art. 81 EG und § 1 GWB sowie gegen § 21 Abs. 1 GWB und Art. 82 EG verstoßen.

B. § 2 des Blockvertrages der D. L.- und T.-unternehmen verstößt gegen Art. 81 EG soweit sich die Gesellschafter des D. darin geeinigt haben, Lotterien und Sportwetten, wie Lotto ..., S. .., S. .., F., O. und G., jeweils nur in dem Bundesland zu vertreiben, in dem sie eine Genehmigung haben. § 5 Abs. 3 Lotteriestaatsvertrag und die Landesgesetze zum Glücksspielwesen verstoßen gegen Art. 10 EG i.V.m. Art. 81 EG, soweit sie die Tätigkeit der Gesellschaften des D. L.- und T. auf das Gebiet des Bundeslandes beschränken, in dem sie über eine Genehmigung für die von ihnen angebotenen Glücksspiele verfügen.

C. Der Staatsvertrag über die Regionalisierung von Teilen der von den Unternehmen des D. L.- und T. erzielten Einnahmen verstößt gegen Art. 81 Abs. 1 EG i. V. m. Art. 10 EG.

Auf diese Feststellungen gestützt hat das Bundeskartellamt folgende Verfügungen getroffen:

A.

1. Den Beteiligten zu 1. bis zu 18. wird nach § 32 GWB untersagt, die Gesellschaften des D. L.- und T. aufzufordern, durch terrestrische Vermittlung gewerblicher Spielvermittler erzielte Spielumsätze generell nicht anzunehmen.

2. Den Beteiligten zu 2. bis zu 18. wird nach § 32 GWB untersagt, den unter 1. bezeichneten Beschluss des Rechtsausschusses des D. L.- und T. weiter umzusetzen und sich bei ihrer Geschäftstätigkeit daran zu halten.

3. Ferner werden den Beteiligten zu 2. bis zu 18. nach § 32 GWB alle gegen gewerbliche Spielvermittler gerichteten Maßnahmen, wie insbesondere Abmahnungen oder Vertragskündigungen, untersagt, die von den Beteiligten zu 2. bis zu 18. deshalb ergriffen werden, weil die gewerblichen Spielvermittler ordnungsbehördlich zugelassene Glücksspiele über terrestrische Vermittlungsstellen vermitteln, und die auf die Behauptung von Verstößen der gewerblichen Spielvermittler gegen das Ordnungsrecht gestützt werden, ohne dass eine Ordnungsbehörde diesen Verstoß zuvor bestandskräftig festgestellt hat, oder im Falle der Einlegung von Rechtsmitteln ein Gericht diesen Verstoß rechtskräftig festgestellt hat. Ferner wird den Beteiligten zu 2. bis zu 18. untersagt, gewerbliche Spielvermittler zu Zusagen zu veranlassen, die terrestrische Spielvermittlung in einer bestimmten Art und Weise zu unterlassen oder nicht aufzunehmen, deren Unvereinbarkeit mit ordnungsrechtlichen Vorschriften nicht in einem behördlichen Verfahren bestandskräftig festgestellt worden ist, oder im Falle der Einlegung von Rechtsmitteln von einem Gericht rechtskräftig festgestellt wurde.

4. Den Beteiligten zu 2. bis zu 18. wird außerdem nach § 32 GWB untersagt, sich im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit an alle staatlichen Maßnahmen, wie Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsakte und Weisungen zu halten, die dazu dienen, dem unter 1. bezeichneten Beschluss des Rechtsausschusses des D. L.- und T. weiter Wirksamkeit zu verschaffen.

B.

1. Den Verfahrensbeteiligten zu 2. bis zu 18. wird nach § 32 GWB untersagt, ihr jeweiliges Vertriebsgebiet für Lotterien und Sportwetten unter Beachtung von § 2 Blockvertrag und § 5 Abs. 3 Lotteriestaatsvertrag und den Landesgesetzen zum Glücksspielwesen auf das Gebiet des Bundeslandes zu beschränken, in dem sie über eine Genehmigung für die von ihnen angebotenen Glücksspiele verfügen.

2. Insbesondere wird den Verfahrensbeteiligten zu 2. bis zu 18. untersagt, ihren Internetvertrieb aus diesem Grund auf Spielteilnehmer des Bundeslandes zu beschränken, die ihren Wohnsitz im Land der Lottogesellschaft haben.

3. Ferner wird den Verfahrensbeteiligten zu 2. bis zu 18. untersagt, Maßnahmen gegen gewerbliche Spielvermittler zu ergreifen, die Spielverträge mit Spielinteressenten aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die Verfahrensbeteiligten zu 2. bis zu 18. vermitteln, soweit die Spielteilnahme und die Vermittlung nach dem Recht des Staates, in dem die Spielinteressenten ihren Spielschein abgeben, zulässig ist.

C. Den Beteiligten zu 2. bis 18. wird nach § 32 GWB untersagt, den Staatsvertrag über die Regionalisierung von Teilen der von den Unternehmen des D. L.- und T. erzielten Einnahmen durchzuführen, soweit sie

- den Bundesländern den von gewerblichen Spielvermittlern stammenden Anteil an der Summe der Spieleinsätze und der vereinnahmten Bearbeitungsgebühren getrennt für jede gemeinsame Veranstaltung von Glücksspielen des D. L.- und T. sowie die auf diesen Anteil entfallende Gewinnausschüttung und Bearbeitungsentgelt für die Zwecke der Regionalisierung nach § 3 des Staatsvertrages mitteilen,

- die Pauschalen gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 des Staatsvertrages über die Regionalisierung von Teilen der von den Unternehmen des D. L.- und T. erzielten Einnahmen bei den Provisionsverhandlungen mit gewerblichen Spielvermittlern berücksichtigen.

Das Bundeskartellamt hat die sofortige Vollziehung der Untersagungen nach A. 1. bis 4. angeordnet, soweit sie auf § 32 GWB i.V. mit § 21 Abs. 1 GWB gestützt sind. Im übrigen, soweit die Untersagungen mit § 1 GWB und Art. 81 und 82 EG gerechtfertigt werden, ist es davon ausgegangen, dass die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat. Insoweit hat es von einer Aussetzung der Vollziehung abgesehen.

Gegen den Beschluss vom 23.08.2006 haben die Beteiligten zu 1. bis 18. rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Eine Beschwerdebegründung liegt noch nicht vor.

Mit Antrag vom 01.09.2006 haben die Beschwerdeführer beantragt,

1. die aufschiebende Wirkung der am 28.08.2006 eingelegten Beschwerde gegen die nach §§ 32 i. V. m. 21 GWB zu Abschnitt A. Ziffer 5 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ergangenen Untersagungsverfügungen des Bundeskartellamts vom 23.08.2006 wiederherzustellen und

2. die aufschiebende Wirkung der am 28.08.2006 eingelegten Beschwerde gegen die nach § 32 i. V. m. Art. 10, 81 EG zu Abschnitt B. Ziffern 1 - 3 und zu Abschnitt C. ergangenen Untersagungsverfügungen des Bundeskartellamts vom 23.08.2006 anzuordnen.

Außerdem haben die Beschwerdeführer beantragt, diese Anordnungen bereits durch einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung über die Anträge gemäß § 65 Abs. 3 GWB zu treffen.

Der Beschwerdegegner hat mit Schriftsatz vom 04.09.06 erklärt, er werde von Vollstreckungsmaßnahmen bezüglich der unter B. und C. getroffenen Anordnungen bis zum 01.11.06 absehen. Daraufhin haben die Beschwerdeführer ihre Anträge auf einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung über die Anträge gemäß § 65 Abs. 3 GWB insoweit zurückgenommen.

Hinsichtlich des Anordnung unter A. hat der Beschwerdegegner eine gleiche Verhaltensweise davon abhängig gemacht, dass die Beschwerdeführer während des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz sämtliche von gewerblichen Spielvermittlern vermittelten Spielumsätze annehmen. Im Hinblick auf diese Einschränkung halten die Beschwerdeführer ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Anträge gemäß § 65 Abs. 3 GWB aufrecht.

B.

Der noch aufrechterhaltene Antrag auf einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung über die Anträge gemäß § 65 Abs. 3 GWB ist zulässig und begründet.

I.

Es ist für das verwaltungsgerichtliche Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO anerkannt, dass es zulässig ist, Zwischenverfügungen zu erlassen, wenn dies das in Art. 19 Abs. 4 GG enthaltene Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes erfordert (Hamburgisches OVG NVwZ 2004, 1135; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Rn. 170 zu § 80 m.w.N.). Für das kartellrechtliche Verwaltungsverfahren, in dem ungeachtet des Wortlautes des § 73 GWB ergänzend auf Vorschriften der VwGO zurückzugreifen ist, wo diese der Natur der Sache angemessener sind als diejenigen der ZPO (Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., Rn. 1 zu § 73), kann nichts anderes gelten. Dass Zwischenverfügungen der hier zu treffenden Art im kartellrechtlichen Verwaltungsverfahren bisher keine praktische Rolle gespielt haben, lag daran, dass das Bundeskartellamt bisher dem Senat durch sog. Stillhalteerklärungen - wie hier auch zu den Verfügungen unter B. und C. - stets die Zeit gegeben hat, die er benötigte, um die für Entscheidungen gemäß § 65 Abs. 3 GWB notwendigen Prüfungen vornehmen zu können.

II.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer Zwischenverfügung liegen vor.

Für den Senat ist es unmöglich, binnen weniger Tage die Prüfung gemäß § 65 Abs. 3 GWB durchzuführen. Hier ist eine komplexe Rechtslage zu beurteilen, in die sich der Senat erst einarbeiten muss. Der angefochtene Beschluss hat immerhin 198 Seiten benötigt, um die komplizierte Sach- und Rechtslage darzustellen. Dass die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist und deshalb näherer Prüfung nicht bedarf, lässt sich aufgrund der Antragsbegründungsschrift der Beschwerdeführer nicht feststellen.

Unter diesen Umständen kann nur aufgrund einer Interessenabwägung entschieden werden, ob eine Zwischenverfügung nötig ist. Hierbei sind die Folgen, die einträten, wenn die Beschwerdeführer sofort sämtliche von gewerblichen Spielvermittlern vermittelten Spieleinsätze annehmen müssten und der Antrag gemäß § 65 Abs. 3 GWB später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die Vollziehung ausgesetzt und der Eilantrag später abgelehnt würde.

Diese Abwägung geht zugunsten der Beschwerdeführer aus.

Mit dem angefochtenen Beschluss will der Beschwerdeführer ein langjährig bestehendes System der Abwicklung von Lottowetten aufbrechen. Wenn dieses System noch bis zum 01.11.06 weiterläuft und der - unterstellt - kartellrechtswidrige Zustand bis dahin noch andauert, ist das auf dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer dieses System selbst jahrelang hingenommen hat, nicht als schwerwiegender Nachteil anzusehen. Demgegenüber wäre es ein schwerwiegender Nachteil für die Beschwerdeführer, wenn sie jetzt für möglicherweise nur knapp 2 Monate die für die Annahme der Spielumsätze nötigen tatsächlichen und rechtlichen Vorkehrungen treffen müssten. Auch das Interesse der Beigeladenen zu 1., ihre möglicherweise im Vertrauen auf Zusagen des Bundeskartellamtes finanzierten Investitionen möglichst bald - konkret schon jetzt statt ab November - durch höhere Einnahmen aus der Vermittlung von Lotterien amortisieren und die durch Werbung oder Vertragsschlüsse erweckten Erwartungen ihrer Kunden erfüllen zu können, überwiegt nicht. Der Beigeladenen zu 1. musste klar sein, dass die Beschwerdeführer die Entscheidung des Beschwerdegegners nicht hinnehmen und einstweiligen Rechtsschutz suchen würden. Wenn sie dennoch auf der bisher erkennbar ungesicherten Rechtslage, die durch Auflagen an den Gesetzgeber in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.06 noch zusätzlich in Bewegung gekommen ist, Investitionen tätigt, ohne zumindest eine vorläufige Entscheidung des Senats abzuwarten, war das ihr eigenes Risiko und kann nicht als Argument dafür dienen, den Rechtsschutz der Beschwerdeführer zu verkürzen.

C.

Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird entgegen der Anregung des Beschwerdegegners nicht zugelassen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde widerspräche dem Sinn des hier vorliegenden besonderen Eilverfahrens, zumal eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts voraussichtlich ohnehin nicht vor dem 01.11.06 möglich sein wird.

Ende der Entscheidung

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