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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 20.06.2007
Aktenzeichen: VI-Kart 21/06 (V)
Rechtsgebiete: GWB, VwVfG, BGB


Vorschriften:

GWB § 36
GWB § 36 Abs. 1
GWB § 41 Abs. 3
GWB § 42
GWB § 43 Abs. 3
GWB § 56 Abs. 1
GWB § 61
GWB § 63 Abs. 1
GWB § 63 Abs. 1 Satz 1
GWB § 74 Abs. 2
GWB § 78
VwVfG § 35
BGB § 133
BGB § 166 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1 und 2 und ihre Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerden werden zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Bundeskartellamt entstandenen notwendigen Auslagen werden den Beteiligten zu 1 und 2 auferlegt.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 26 Mio. € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 1 (nachfolgend: N. M.) ist die Obergesellschaft der N.-M.gruppe, die über die N.-Z. V. GmbH & Co. KG, O. im Großraum O. die regionale Abonnement-Tageszeitung "N.-Z." herausgibt. Die N.-M.gruppe ist darüber hinaus an verschiedenen anderen Zeitungen und Anzeigenblättern beteiligt.

Die Z. O. GmbH, L. (nachfolgend: Z.), ist Herausgeberin der regionalen Abonnement-Tageszeitung "O. Z.", die in den Landkreisen A., W., L. und der kreisfreien Stadt E. erscheint. Außerdem verlegt und verbreiten die Z. die lokale Abonnement-Tageszeitung "G.-A.". Die Z. ist die Betriebsgesellschaft der "O.-Z.". Die Besitzgesellschaft ist die A. o. Z. GbR, R. (nachfolgend: A.). Sie besitzt das Verlagsrecht der "O.-Z." und hat dieses an die Z. verpachtet.

Die Beteiligte zu 2 (nachfolgend: K. V.) erwarb von der N. M. Ende des Jahres 2001 einen Anteil von 19,3 % an der Z. und einen Anteil von 10,4 % an der A..

Seit Anfang 1999 erwarb die N. M. mehrere Anteile an der Z. und der A.. Zunächst erwarb sie an beiden Gesellschaften einen Anteil von jeweils 9 %. Zum 22. Dezember 2000 vollzog sie den Erwerb einer Beteiligung von mehr als 25 % an der Z. und zum 19. Februar 2001 den Erwerb einer Beteiligung von mehr als 25 % an der A.. Eine Anmeldung beim Bundeskartellamt erfolgte nicht. Nachdem das Amt von den Erwerbsvorgängen Kenntnis erlangt und Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt hatte, teilte es der N. M. und der Z. mit Schreiben vom 3. November 2006 mit, dass ein Entflechtungsverfahren nach § 41 Abs. 3 GWB eingeleitet worden sei.

Mit einem 51 Seiten umfassenden Schreiben vom 18. Dezember 2006 wandte sich der Vorsitzende der 8. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts u.a. an die N. M. und die K. V.. Er teilte darin mit, dass die "Beschlussabteilung auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenerkenntnisse und Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt" sei, dass die in Rede stehenden Anteilserwerbe der N. M. an der Z. und der A. die Untersagungsvoraussetzungen des § 36 Abs. 1 GWB erfüllen und deshalb nach § 41 Abs. 3 GWB aufzulösen seien, wenn nicht einen Ministererlaubnis nach § 42 GWB erteilt werde. Unter dem Gliederungspunkt A. (Seite 2-40) wird der zur Überprüfung stehende Sachverhalt im einzelnen dargestellt und unter die Untersagungsvoraussetzungen des § 36 Abs. 1 GWB subsumiert. Unter B. I. (Seite 40-44) werden sodann mehrere Verpflichtungen der N. M. zur Auflösung ihrer Beteiligung an der Z. und der A. formuliert. Die rechtliche Begründung der unter I. formulierten Maßnahmen folgt unter B. II. (Seite 44-51). Das Schreiben schließt mit dem Gliederungspunkt "C. Weiteres Verfahren". Dem Adressaten des Schreibens wird danach Gelegenheit gegeben, bis zum 12. Januar 2007 "zu den dargelegten Erwägungen der Beschlussabteilung Stellung zunehmen". Es folgt sodann die Unterschrift des Vorsitzenden der Beschlussabteilung. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens vom 18. Dezember 2006 (Bl. 6-56, 114-164 GA) Bezug genommen.

Gegen dieses Schreiben wenden sich die Beteiligten zu 1 und 2 mit der Beschwerde. Sie sind der Ansicht, das Schreiben vom 18. Dezember 2006 sei eine kartellbehördliche Verfügung im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 GWB. Aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers habe das Schreiben nur in diesem Sinne verstanden werden können, weil in den gewählten Formulierungen nicht zum Ausdruck komme, dass das Bundeskartellamt lediglich die Absicht habe, nach Anhörung der Beteiligten eine Verfügung mit entsprechendem Inhalt zu erlassen. Soweit das Schreiben in formaler Hinsicht nicht den Anforderungen behördlicher Verfügungen genüge, sei dies aus Sicht des juristischen Laien unerheblich, da er hiermit nicht vertraut sei.

Die Beteiligten zu 1 und 2 beantragen,

1. auf ihre Beschwerden den Beschluss des Bundeskartellamtes vom 18. Dezember 2006, Az.: B 6-534/06, aufzuheben,

2. die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerden gegen den Beschluss des Bundeskartellamtes vom 18. Dezember 2006, Az.: B 6-534/06, anzuordnen.

Das Bundeskartellamt beantragt,

die Beschwerden der Beteiligten zu 1 und 2 gegen das Schreiben des Vorsitzenden der 6. Beschlussabteilung vom 18. Dezember 2006 sowie die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu verwerfen.

Das Bundeskartellamt macht geltend, das Schreiben vom 18. Dezember 2006 sei keine verfahrensabschließende Verfügung sondern ein Abmahnschreiben zur Gewährung rechtlichen Gehörs. Als solches sei es auch aus Empfängersicht auszulegen, da insbesondere eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt worden und das Schreiben nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen worden sei.

II.

Die Anfechtungsbeschwerden der Beteiligten zu 1 und 2 haben keinen Erfolg. Gleiches gilt für ihre Anträge, die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerden anzuordnen.

1.

Die Anfechtungsbeschwerden der Beteiligten zu 1 und 2 sind nicht statthaft und daher unzulässig.

Statthaft ist die Anfechtungsbeschwerde gemäß § 63 Abs. 1 GWB gegen Verfügungen der Kartellbehörden. Das Schreiben des Vorsitzenden der 6. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes vom 18. Dezember 2006, gegen das sich die Beteiligten zu 1 und 2 mit ihren Beschwerden wenden, stellt keine Verfügung in diesem Sinne dar.

Der Begriff der Verfügung entspricht dem des § 61 GWB und damit dem des Verwaltungsaktes nach § 35 VwVfG. Ein Verwaltungsakt ist danach jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die ein Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine Regelung ist dann anzunehmen, wenn die Maßnahme der Behörde ihrem objektiven Erklärungswert darauf gerichtet ist, eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen. Dies ist der Fall, wenn Rechte der Betroffenen unmittelbar begründet, geändert, aufgehoben, mit bindender Wirkung festgestellt oder verneint werden (BVerwGE 111, 246; Nds OVG NJW 2006, 391). Ob eine Maßnahme einer Behörde diese Merkmale erfüllt, ist durch Auslegung entsprechend § 133 BGB zu ermitteln. Dabei kommt es grundsätzlich auf den Empfängerhorizont des Adressaten an, d.h. wie der Bürger unter Berücksichtigung der äußeren Form, der Abfassung, der Begründung, der Beifügung einer Rechtsmittelbelehrung und aller sonstiger ihm bekannten oder erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben bei objektiver Auslegung der Erklärung oder des Verhaltens der Behörde verstehen durfte oder musste (BVerwG NJW 1996, 1073 f.; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 35 Rn. 43 m.w.Nachw.; Busche in MünchKomm, BGB, § 133 Rn. 43).

Nach der Gesamtheit aller maßgeblichen Umstände ist hier nicht von dem Vorliegen eines Verwaltungsakts im Sinne von § 35 VwVfG auszugehen. Zwar sprechen aus Sicht der Beteiligten zu 1 und 2 als Adressaten des ihnen zugestellten Schreibens insbesondere die Formulierungen in der Einleitung und die Ausführungen unter dem Gliederungspunkt B. für eine verfahrensabschließende Regelung des Bundeskartellamtes. So heißt es auf Seite 1 des Schreibens, dass die Beschlussabteilung "zu dem Ergebnis gelangt ist", dass die Untersagungsvoraussetzungen des § 36 GWB vorliegen und die vollzogenen Anteilserwerbe "nach § 43 Abs. 3 GWB aufzulösen" sind. Wird aber das Ergebnis von durchgeführten Ermittlungen oder Untersuchungen mitgeteilt, so handelt es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch in der Regel um die Mitteilung einer die Ermittlungen oder Untersuchungen abschließenden Beurteilung des zu prüfenden Sachverhalts. Die unter dem Gliederungspunkt B. formulierten Auflösungsverpflichtungen und Auflösungsanordnungen sind - ebenso wie die vorangegangenen Ausführungen zu § 36 GWB - im Stil einer verfahrensabschließenden Verfügung abgefasst. Der Beteiligten zu 1 sowie der Z. und der A. werden danach verschiedene Maßnahmen "aufgegeben". Unter Ziff. 6 c) werden der Beteiligten zu 1 Zwangsmaßnahmen für den Fall angedroht, dass sie ihren Pflichten nach Ziff. 3 nicht nachkommt. Ob unter diesen Umständen durch die am Ende des Schreibens vom 18. Dezember 2006 unter dem Gliederungspunkt C. eingeräumte Gelegenheit, zu den dargelegten Erwägungen der Beschlussabteilung Stellung nehmen zu können, aus Sicht der Beteiligten zu 1 und 2 hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird, dass es sich bei dem Schreiben nur um eine Abmahnung zur Gewährung rechtlichen Gehörs und nicht um eine verfahrensabschließende Verfügung handelt, mag bezweifelt werden, bedarf aber letztlich keiner Entscheidung. Neben der gewährten Stellungnahmefrist sprechen weitere zusätzliche Umstände gegen das Vorliegen einer verbindlichen verfahrensabschließenden Verfügung des Amtes. Das Schreiben genügt in formaler Hinsicht offensichtlich in mehrfacher Hinsicht nicht den Anforderungen, die kartellbehördliche Verfügungen üblicherweise erfüllen. Das Schreiben ist nicht mit "Beschluss" überschrieben. Es beginnt nicht mit dem üblichen Beschlussrubrum, in dem die Verfahrensbeteiligten, die den Beschluss fassende Beschlussabteilung und das Datum der Beschlussfassung genannt sind. Weder folgt der Beschlusstenor noch die mit "Gründe" überschriebenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Amtes. Darüber hinaus schließt das Schreiben nicht mit der Unterschrift der beschlussfassenden Mitglieder der Beschlussabteilung. Es fehlt eine Rechtsmittelbelehrung. Hinzu kommt, dass den Beteiligten zu 1 und 2 vor Zustellung des Schreibens vom 18. Dezember 2006 entgegen § 56 Abs. 1 GWB kein rechtliches Gehör gewährt worden war.

Zwar mag unterstellt werden, dass die Beteiligten zu 1 und 2 als juristische Laien keine Kenntnis davon haben, in welcher Form (kartell-)behördliche Verfügungen üblicherweise erlassen werden und sie auch nicht darüber informiert sind, dass das Bundeskartellamt den Beteiligten vor Erlass einer Verfügung regelmäßig ein Abmahnschreiben zur Gewährung rechtlichen Gehörs zustellt. Jedoch haben ihre Verfahrensbevollmächtigte als im Kartellrecht erfahrene Rechtsanwälte die erforderliche Kenntnis, die den Beteiligten zu 1 und 2 entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen ist. Grundsätzlich kommt die Zurechnung von Wissen eines Dritten nur in Betracht, wenn der Dritte bei der Abgabe oder dem Empfang einer Willenserklärung als Stellvertreter tätig geworden ist. Für diesen Fall sieht § 166 Abs. 1 BGB vor, dass auf die Person des Vertreter abzustellen ist. Allerdings gilt der in § 166 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke nach ständiger Rechtsprechung auch für den sog. Wissensvertreter. Wissensvertreter ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie ggflls. weiterzuleiten (BGH NJW 1992, 1099, 1100). Demzufolge ist derjenige Rechtsanwalt Wissensvertreter, den die Partei damit beauftragt hat, die Ermittlung von Tatsachen zur Aufklärung oder Durchsetzung eines Anspruchs vorzunehmen (BGH NJW 1997, 2049, 2050; BGH NJW 1994, 1150; BGH NJW 1989, 2323; BGH VersR 1968, 453). Eine solche Situation liegt hier vor. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben sich nach Zustellung des Schreibens vom 18. Dezember 2006 an ihre jetzigen Verfahrensbevollmächtigten gewandt und sie zur Wahrnehmung ihrer Rechte damit beauftragt, in tatsächlicher Hinsicht zu ermitteln, ob es sich bei dem Schreiben um eine kartellbehördliche Verfügung handelt oder nicht, und welche rechtlichen Konsequenzen hieraus zu ziehen sind. Sie haben ihre Verfahrensbevollmächtigten mit der Auslegung des Schreibens und damit gleichzeitig beauftragt, die bei ihnen aufgrund der juristischen Erfahrung vorhandenen Kenntnis, wie behördliche Verfügungen in formaler Hinsicht üblicherweise abgefasst sind, mit zu berücksichtigen, sie also in ihrem Wissen zu vertreten. Da die Verfahrensbevollmächtigten aber aufgrund ihrer juristischen Erfahrung Kenntnis von den formalen Anforderungen haben, die die Verfügungen des Bundeskartellamtes in der Regel erfüllen, konnte aus ihrer Sicht das Schreiben des Bundeskartellamts nur als Abmahnschreiben zur Gewährung rechtlichen Gehörs und nicht als verfahrensabschließende Verfügung verstanden werden.

2.

Da die Beschwerden der Beteiligten zu 1 und 2 unzulässig sind, waren auch ihre Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerden zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 GWB. Danach haben die Beteiligten zu 1 und 2 als im Beschwerdeverfahren unterlegenen Parteien nach billigem Ermessen die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Bundeskartellamts zu tragen.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 74 Abs. 2 GWB besteht kein Anlass.

Ende der Entscheidung

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