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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 17.09.2008
Aktenzeichen: VI-Kart 4/08 (V)
Rechtsgebiete: GWB, GlüStV, LGlüG RP


Vorschriften:

GWB § 41 Abs. 2
GlüStV § 25 Abs. 1
GlüStV § 25 Abs. 2
LGlüG RP § 5 Abs. 1
LGlüG RP § 5 Abs. 2
1. Zweck der Befreiung vom gesetzlichen Vollzugsverbot ist es, schwere Schäden für die Fusionsbeteiligten oder Dritte abzuwenden, die für die Dauer des fusionsrechtlichen Prüfverfahrens drohen und auf andere Weise nicht zu vermeiden sind. Nachteile, die sich üblicherweise aus dem Vollzugsverbot ergeben, rechtfertigen deshalb in keinem Fall, den Zusammenschlussbeteiligten die Durchführung der Fusion einstweilen zu gestatten.

2. Ebenso wenig ermöglicht die Rechtswidrigkeit der kartellbehördlichen Untersagungsentscheidung als solche eine Befreiung vom Vollzugsverbot nach § 41 Abs. 2 GWB.

3. Bei der Beurteilung, ob wichtige Gründe für eine Befreiung im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB vorliegen, können freilich die Erfolgsaussichten einer gegen die kartellbehördliche Untersagungsentscheidung eingelegten Beschwerde nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Führt bereits eine summerische Kontrolle zu durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des kartellbehördlich ausgesprochenen Fusionsverbots, sind tendenziell geringere Anforderungen an den wichtigen Grund und den schweren Schaden im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB zu stellen.


Tenor:

I. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1. und zu 2. gegen den Beschluss des Bundeskartellamtes vom 25. Februar 2008 (B 6 - 92763 - Fa - 158/07) werden zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten zu 1. und zu 2. haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit entstandenen notwendigen Kosten des Bundeskartellamts und der Beigeladenen zu 1. zu tragen.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 500.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin zu 2. (nachfolgend: Lotto GmbH) betreibt im Bereich der Gebietskörperschaft des Beschwerdeführers zu 1. (nachfolgend Land RP) als von diesem betrautes Unternehmen nach dem Landesglücksspielgesetz des Landes RP unter anderem verschiedene Glücksspiellotterien. Derzeit betreibt sie aufgrund staatlicher Konzessionsbescheide des Landes RP die Lotterien und Wettspiele GlücksSpirale, Zahlenlotterie 6 aus 49, Super 6, Spiel 77, Zahlenlotterie Keno, Plus 5, Losbrieflotterie (Rubbellose), Fußballtoto-Auswahlwette, Fußballtotoergebniswette und Oddset-Sportwette. Gesellschafter der Lotto GmbH sind die Beteiligten zu 3. bis 5.

Das Land RP beabsichtigt, von den Beteiligten zu 3. bis 5. insgesamt 51 % der Anteile der Lotto GmbH zu übernehmen, um darüber einen maßgeblichen Einfluss auf das Glücksspiel in Rheinland-Pfalz nehmen zu können.

Hintergrund für das Übernahmevorhaben sind Regelungen im Staatsvertrag der Bundesländer zum Glücksspielwesen in Deutschland aus dem Jahr 2007 (GlüStV) und des Ratifizierungsgesetzes des Landes RP zu diesem Vertrage (Landesglücksspielgesetz - LGlüG). Ziel des Glückspielstaatsvertrages sind gemäß seines § 1 unter anderem, "das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen" und "das Glücksspielangebot zu begrenzen und den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, insbesondere das Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern".

In § 10 GlüStV heißt es hierzu weiter:

"(1) Die Länder haben zur Erreichung der Ziele des § 1 die ordnungsrechtliche Aufgabe, ein ausreichendes Glücksspielangebot sicherzustellen.(...)

(2) Auf gesetzlicher Grundlage können die Länder diese öffentliche Aufgabe selbst, durch juristische Personen des öffentlichen Rechts oder durch privatrechtliche Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind, erfüllen."

§ 25 GlüStV ergänzt diese Regelung wie folgt:

"(1) Die bis zum 1. Januar 2007 erteilten Konzessionen, Genehmigungen und Erlaubnisse der Veranstalter im Sinne des § 10 Abs. 2 und die ihnen nach Landesrecht gleichstehenden Befugnisse gelten - soweit nicht im Bescheid eine kürzere Frist festgelegt ist - bis zum 31. Dezember 2008 als Erlaubnis mit der Maßgabe fort, dass die Regelungen dieses Staatsvertrages (...) Anwendung finden. (...)

"(2) Abweichend von § 10 Abs. 2 kann das Land Rheinland-Pfalz seine Aufgabe nach § 10 Abs. 1 durch ein betrautes Unternehmen wahrnehmen."

In § 5 des Landesglücksspielgesetzes hat das Land RP zur Umsetzung vorgenannter Bestimmungen folgende Regelungen getroffen:

"(1) Die in Rheinland Pfalz zur Sicherstellung eines ausreichenden Glücksspielangebots im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erforderlichen öffentlichen Glücksspiele werden vom Land selbst unmittelbar oder mittelbar über die Süddeutsche Klassenlotterie veranstaltet. Die Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe obliegt dem für das Lotteriewesen zuständigen Ministerium; dieses kann sich zur Durchführung der unmittelbar vom Land veranstalteten öffentlichen Glücksspiele einer privatrechtlichen Gesellschaft bedienen, die vom Land beherrscht wird.

(2) Das Land wird ermächtigt, ... einen geeigneten Dritten mit der Durchführung der unmittelbar vom Land veranstalteten öffentlichen Glücksspiele hoheitlich zu beleihen.

(5) Bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 Halbsatz 2 werden die vom Land unmittelbar veranstalteten öffentlichen Glücksspiele von der Lotto Rheinland-Pfalz GmbH durchgeführt. § 25 GlüStV bleibt unberührt."

Das Bundeskartellamt hat die Übernahme der Anteile mit Beschluss vom 29.11.2007 untersagt, da durch sie eine marktbeherrschende Stellung der Lotto GmbH auf dem Markt für Lotterien in Rheinland-Pfalz verstärkt werde. Es stützt sich zur Begründung im Wesentlichen darauf, dass das Land RP an dem größten Wettbewerber der von der Lotto GmbH veranstalteten Lotterien, der Süddeutsche Klassenlotterie (nachfolgend SKL), beteiligt sei. Die SKL wird von den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen, Thüringen und Rheinland-Pfalz gemeinsam betrieben. Der Anteil des Landes RP an der SKL beträgt nominal 6 %, in dem für die SKL zuständigen Staatslotterieausschuss beträgt er nach dem Stimmverhältnis im Bundesrat gewichtete 13,8 %. Das Bundeskartellamt nimmt neben dem Anwachsen der Marktmacht der Lotto GmbH in Rheinland-Pfalz durch die Beteiligung des Landes RP als Anteilseigner der SKL des weiteren eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung deshalb an, weil mit dem Land RP die Aufsichts- und Genehmigungsbehörde für das Lotteriewesen sowie ein Gesellschafter mit großer Finanzkraft Mehrheitsgesellschafter der Lotto GmbH würde. Zudem erwartet das Amt, dass die Koordinierung der Tätigkeiten der Landeslottogesellschaften der an der SLK beteiligten Bundesländer über die SKL zunehmen werde, da nach dem Zusammenschluss auch die Lotto GmbH einbezogen werden könnte.

Das Land RP und die Lotto GmbH haben gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, die in dem Parallelverfahren, Az. VI - Kart 19/07, beim Senat anhängig ist. Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer beim Bundeskartellamt beantragt, ihnen gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB eine Befreiung vom gesetzlichen Vollzugsverbot zu erteilen. Das Amt hat die Erteilung eines solchen Dispenses mit Beschluss vom 25.02.2008 abgelehnt. Hiergegen wenden sich das Land Rheinland Pfalz und die Lotto GmbH mit ihren Beschwerden.

Sie machen geltend, wichtige Gründe für die Erteilung eines Dispenses nach § 41 Abs. 2 GWB lägen bereits darin, dass die Verfügung, mit der das Bundeskartellamt den Zusammenschluss untersagt habe, offensichtlich rechtswidrig sei. Die Übernahme der Anteile an der Lotto GmbH durch das Land RP sei hoheitlich, nämlich durch den zwischen allen Bundesländern geschlossenen Glücksspielstaatsvertrag und das Landesglücksspielgesetz des Landes RP vorgegeben. Die Regelungen des Staatsvertrages und des Landesgesetzes ihrerseits beruhten auf Vorgaben sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH). Diese hätten ein staatliches Glücksspielmonopol nur bei einer konsistenten und an den Zielen der Spielsuchtbekämpfung ausgerichteten Organisation für zulässig erachtet. Einzig in Rheinland-Pfalz sei mit der Lotto GmbH noch ein rein privatrechtliches Unternehmen mit der Ausrichtung von Glücksspielen betraut. Nur der vom Amt untersagte Anteilserwerb könne vor diesem Hintergrund eine einheitliche bundesweite Organisation sicher stellen, die den Anforderungen der Gerichte an ein Glücksspielmonopol genügten.

Auch habe die EU-Kommission § 25 Abs. 3 des Glücksspielstaatsvertrages der Länder, der dem Land RP zugestehe, die Aufgaben des Staatsvertrages (weiterhin) durch ein betrautes Unternehmen durchführen zu lassen, mehrfach, zuletzt mit Brief an die Bundesregierung vom 1. Februar 2008, als europarechtswidrig beanstandet, da diese Regelung einem privaten Unternehmen ohne Ausschreibung ein Monopol zuweise. Dieser Rüge könne ebenfalls allein durch eine Übernahme der Anteilsmehrheit an der Lotto GmbH durch das Land RP begegnet werden.

Neben der Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung liege - so meint die Beschwerde weiter - der für eine Befreiung vom Vollzugsverbot nach § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB erforderliche wichtige Grund darin, dass die der Lotto GmbH erteilten Konzessionen nach § 25 Abs. 1 des GlüStV am 31.12.2008 endeten. Dem Land RP sei es aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zumutbar, trotz der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung von dem landesgesetzlich angeordneten staatlichen Glücksspielmonopol einstweilen Abstand zu nehmen und die Veranstaltung und Durchführung der öffentlichen Glücksspiele übergangsweise in anderer Form auszugestalten, als sie das geltende rheinland-pfälzische Glücksspielrecht vorsehe. Zudem seien hierfür Gesetzesänderungen erforderlich, die bis zum Jahresende nicht durchzuführen seien.

Die gerichtliche Kontrolle der angefochtenen Entscheidung beschränke sich nicht auf eine bloße Prüfung der Ermessensausübung des Bundeskartellamtes beschränkt. Dem Beschwerdegericht obliege vielmehr eine vollständige Sachprüfung anhand der Kriterien des § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB, wozu auch eine - jedenfalls summarische - Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung gehöre.

Die Beschwerdeführer beantragen,

1. den Beschluss des Bundeskartellamtes vom 25. Februar 2008 aufzuheben und

2. ihnen und den Beteiligten zu 3. bis 5. zu gestatten, den mit Beschluss des Bundeskartellamtes vom 29. November 2007 untersagten Zusammenschluss zu vollziehen.

Das Bundeskartellamt und die Beigeladenen zu 1. und zu 2. beantragten,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Amt verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt den Ausführungen der Beschwerde im Einzelnen entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den angefochtenen Beschluss sowie auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.

1.

Der Beschwerde fehlt nicht bereits das Rechtsschutzbedürfnis, nachdem der Senat mit Beschluss vom selben Tag in dem Verfahren VI - U 19/07 (V) die Untersagung des Zusammenschlussvorhabens durch das Bundeskartellamt aufgehoben hat. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf eine Anfechtungsbeschwerde gegen eine kartellbehördliche Verfügung hin entspricht einem verwaltungsgerichtlichen Urteil (Kollmorgen in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Bd. 1, § 71, RdNr. 1 m.w.N.; Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 71, RdNr. 5). Sie erlangt deshalb ebenso wie ein verwaltungsgerichtliches Anfechtungsurteil Wirksamkeit erst mit formeller Rechtskraft, sodass die fusionskontrollrechtliche Untersagungsentscheidung erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. mit höchstgerichtlicher Letztentscheidung als aufgehoben gilt (Kopp, VwGO, § 121, Rdnr. 2).

2.

In der Sache ist den Beschwerden allerdings der Erfolg versagt, weil das Bundeskartellamt die beantragte Befreiung vom Vollzugsverbot nach § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.

a)

Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB kann das Bundeskartellamt auf Antrag Befreiung vom gesetzlichen Vollzugsverbot erteilen, wenn die zusammenschlussbeteiligten Unternehmen hierfür wichtige Gründe geltend machen, insbesondere um schweren Schaden von einem beteiligten Unternehmen oder von Dritten abzuwenden.

Die Befreiung vom Vollzugsverbot stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der präventiven Fusionskontrolle dar und läuft überdies dem in § 41 Abs. 1 GWB zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers zuwider, auch eine nur zeitweilige Entstehung oder Verstärkung marktbeherrschender Stellungen zu verhindern sowie die Schwierigkeiten der Entflechtung vollzogener Zusammenschlüsse zu verhindern. Aus diesem Grund muss die Befreiungsmöglichkeit des § 41 Abs. 2 GWB nach der Rechtsprechung de Senats (Wuw/E DE-R 2069 - Phonak/ReSound; Beschluss vom 03.03.2008, VI - Kart 19/07 (V), Umdruck Seite 14) auf besondere Ausnahmesituationen beschränkt bleiben. Nachteile, die sich üblicherweise aus dem gesetzlichen Vollzugsverbot ergeben, rechtfertigen deshalb in keinem Fall die einstweilige Gestattung zum Vollzug des Zusammenschlusses. Ebenso wenig ermöglicht alleine die Rechtswidrigkeit der kartellbehördlichen Untersagungsentscheidung als solche eine Freistellung vom Vollzugsverbot. Anders als § 65 Abs. 3 Satz3, Satz 1 Nr. 2 GWB, der einstweiligen Rechtsschutz gegen kartellbehördliche Verfügungen auch dann vorsieht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen, enthält das Kartellgesetz für den Bereich der Zusammenschlusskontrolle keine vergleichbare Bestimmung. Insbesondere § 41 Abs. 2 GWB lässt es für eine Befreiung vom Vollzugsverbot nicht genügen, dass die Untersagungsentscheidung des Bundeskartellamtes begründeten rechtlichen Zweifeln begegnet. Zweck der Befreiung ist es vielmehr alleine, schwere Schäden für die Fusionsbeteiligten oder Dritte abzuwenden, die für die Dauer des fusionsrechtlichen Prüfverfahrens drohen und auf andere Weise nicht zu vermeiden sind (vgl. Mestmäcker/Veelken in Immenga/Mestmäcker, a.a.O., § 41, Rdnr. 27; Rieger in Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 41 Rdnr. 49; Ruppelt in Langen/Bunte, a.a.O., § 41, Rdnr. 4; Riesenkampff/Lehr in Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, Kartellrecht, Band 2, § 41 Rdnr. 7). Die Begründung zum Regierungsentwurf der 6. GWB-Novelle nennt als Beispiele einer die Befreiung vom Vollzugsverbot rechtfertigenden Ausnahmesituation zum einen die Sanierungsfusion - also den Fall, dass ohne die Befreiung vom Vollzugsverbot der Zusammenbruch eines Unternehmens und dessen Ausscheiden aus dem Markt droht - und zum anderen den Auslandszusammenschluss, bei dem die nach § 39 Abs. 3 GWB erforderlichen Angaben unvollständig sind und der Anmeldende bei der Anmeldung glaubhaft macht, dass er aufgrund der für die Fusion geltenden ausländischen Rechtsvorschriften oder sonstiger Umstände daran gehindert ist, die erforderlichen Angaben vor dem Vollzug des Zusammenschlusses zu machen (BT-Drucksache 13/9720, Abschnitt II zu § 41, abgedr. in WuW-Sonderheft 1998 Seite 105).

Bei der Beurteilung, ob wichtige Gründe für eine Befreiung im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB vorliegen, können freilich die Erfolgsaussichten einer gegen die kartellbehördliche Untersagungsentscheidung eingelegten Beschwerde nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Führt bereits eine summerische Kontrolle zu durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des vom Bundeskartellamt ausgesprochenen Fusionsverbots, sind tendenziell geringere Anforderungen an den wichtigen Grund und dem schweren Schaden im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB zu stellen.

b)

Das Gesetz räumt der Kartellbehörde in § 41 Abs. 2 GWB bei der Entscheidung, ob die von ihr festgestellten gewichtigen Gründe zu einem Dispens vom Vollzugsverbot führen oder nicht, überdies Ermessen ein. Unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat die Behörde die von den Fusionsbeteiligten geltend gemachten Individualinteressen mit dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung des gesetzlichen Vollzugsverbots gegeneinander abzuwägen (Mestmäcker/Veelken, a.a.O. Rdnr. 27 m.w.N.). Das Beschwerdegericht ist in diesem Zusammenhang gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 GWB auf die Überprüfung beschränkt, ob die Kartellbehörde ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, d.h. die Behörde von dem ihr zustehenden Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht (sog. Ermessensnichtgebrauch) und die gesetzlichen Zielvorstellungen beachtet sowie alle für die Ermessensausübung maßgebenden Gesichtspunkte hinreichend in ihre Erwägungen einbezogen hat (sog. Ermessensfehlgebrauch). Stellt es Ermessensfehler fest, hat es die Sache zur Neubescheidung an die Kartellbehörde zurückzugeben; eine eigene Ermessensentscheidung ist dem Beschwerdegericht verwehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn aufgrund der besonderen Umstände des Falles alleine eine Entscheidung ermessensfehlerfrei ist. Ausschließlich bei einer solchen Ermessensreduzierung auf Null darf das Beschwerdegericht die Kartellbehörde zum Erlass dieser - rechtlich einzig fehlerfreien - Entscheidung verpflichten (Senat, a.a.O.; Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, a.a.O., § 71, Rdnr. 19 m.w.N.; vgl. allgemein auch: Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 114 Rdnr. 4 bis 6 m.w.N.) oder selbst die Befreiung aussprechen.

3.

Das Bundeskartellamt hat vorliegend fehlerfrei wichtige Gründe im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB verneint und daher zu Recht einen Dispens verweigert.

a)

Die Beschwerde beruft sich zur Begründung ihres Begehrens zum einen auf einen Zwang zur Fusion, den es aus den Bestimmungen des rheinland-pfälzischen Glücksspielrechts sowie aus bundesdeutschem Verfassungsrecht und Europarecht herleitet. Zum anderen - so meint sie - sei eine interimsweise Umgestaltung des Glücksspielwesens, die ohne eine Befreiung vom Vollzugsverbot erforderlich wurde, nicht zumutbar. Diese würde insbesondere die Rechtssicherheit bei den betroffenen Personenkreisen - namentlich den Spielern - erheblich beeinträchtigen.

b)

Keiner dieser vorgebrachten Gründe ist stichhaltig und trägt die Annahme eines wichtigen Grundes gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 GWB.

(1)

Nachteile rechtlicher Art bestehen nicht. Weder aus bundesdeutschem Verfassungsrecht noch aus Europarecht oder rheinland-pfälzischem Glücksspielrecht ergibt sich ein Zwang zur Umsetzung der streitbefangenen Fusion. Das hat der Senat bereits mit Beschluss vom 03.03.2008 (Umdruck Seite 16 ff.) im Einzelnen dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen. Kurz zusammengefasst gilt, dass keine der drei vorgenannten Rechtsmaterien für das Land RP die unabdingbare Notwendigkeit begründet, sich zur Durchführung der von ihm veranstalteten öffentlichen Glücksspiele der Lotte GmbH zu bedienen, nachdem dort ein beherrschender Einfluss erlangt worden ist. Es besteht daneben - insbesondere für eine Übergangszeit - auch die Möglichkeit, die Lotto GmbH als betrautes Unternehmen im Sinne von § 25 Abs. 2 GlüStV oder als Beliehene im Sinne von § 5 Abs. 2 LGlüG mit der Durchführung der öffentlichen Glücksspiele zu beauftragen, wobei durch entsprechende gesetzliche Rahmenbestimmungen oder Auflagen die wirksame Durchsetzung der Gemeinwohlbelange, denen ein staatliches Glücksspielmonopol dienen muss, gewährleistet werden kann.

(2)

Ebenso wenig ist festzustellen, dass es zu schweren Nachteilen führen würde, wenn die Lotto GmbH in der Übergangszeit bis zur rechtkräftigen Klärung der fusionskontrollrechtlichen Lage beispielsweise im Rahmen einer Beleihung mit der Durchführung der vom Land RP veranstalteten öffentlichen Glücksspiele befasst würde. Die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang reklamierte Gefahr einer erheblichen Rechtsunsicherheit und Verunsicherung der Spielteilnehmer liegt fern, weil die hinter dem Glücksspielbetrieb stehende rechtliche Konstruktion für die Teilnahme an der Lotterie aus Spielersicht ohne Bedeutung ist.

(3)

Einen Zwang zur Übernahme einer beherrschenden Mehrheit an der Lotto GmbH lässt sich weder den Bestimmungen des GlüStV noch den landesrechtlichen Vorschriften des LGlüG entnehmen.

Zwar tritt entgegen der Konzeption in § 5 Abs. 1 LGlüG derzeit nicht das Land RP als Veranstalter der staatlichen Glücksspiele auf. Die der Lotto GmbH insoweit erteilte Konzession besteht nämlich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 GlüStV noch fort und erlischt erst zum 31.12.2008. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kann das Land RP die Veranstaltungshoheit - und damit die rechtliche Verantwortung - über die Lotterien übernehmen. Dass das Land RP aber für diesen Konflikt zwischen Gesetzes- und Konzessionslage keine Regelung getroffen hat, kann nicht dazu führen, dass ihm ein vorzeitige Befreiung vom Vollzugsverbot zuzubilligen ist. Insbesondere war zum Zeitpunkt der Ausfertigung des Gesetzes durch den Ministerpräsidenten am 03.12.2007 die Untersagungsverfügung bereits erlassen (Beschlussdatum: 29.11.2007). Das Land RP durfte daher bereits während der Gesetzgebung nicht davon ausgehen, dass es bis zum Inkrafttreten des LGlüG am 01.01.2008 eine beherrschende Stellung über die Lotto GmbH erlangt haben würde. Es hätte für diesen Fall durch die Reglung von Übergangsvorschriften Vorsorge treffen müssen, um den Anforderungen des GlüStV Rechnung zu tragen. Dass solche Vorkehrungen mit schweren, nicht zumutbaren Nachteilen verbunden gewesen wären, ist weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst ersichtlich.

(4)

Ein Zwang zur Übernahme einer beherrschenden Anteilsmehrheit an der Lotto GmbH ergibt sich auch nicht aus den europäischen Vergabevorschriften. Es bedarf an dieser Stelle keiner Prüfung, ob die Übertragung der Durchführung der staatlichen Lotterien in Rheinland-Pfalz auf die Lotto GmbH den einschlägigen Bestimmungen zuwiderläuft und wie sich die Übernahme der Anteilsmehrheit durch das Land RP hierauf auswirken würde. Denn selbst wenn nur die weitere Durchführung der Lotterien durch eine nicht staatlich beherrschte private Gesellschaft der Ausschreibung bedürfte, fehlt es an jeglichen Darlegungen, welche schweren Schäden sich aus einer solchen Ausschreibung für die Zusammenschlussbeteiligten oder Dritte ergeben sollten. So ist es ohne Weiteres denkbar, den ausgeschriebenen Leistungsumfang dergestalt zu begrenzen, dass er zunächst nur bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Untersagungsverfügung reicht.

c)

Fehlt es nach alledem schon an einem wichtigen Grund im Sinne von § 41 Abs. 2 GWB, kommt es auf die Rechtmäßigkeit der kartellbehördlichen Untersagungsentscheidung nicht mehr an.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf 78 GWB. Eine Kostenerstattungspflicht zugunsten der Beigeladenen zu 2. entspricht nicht der Billigkeit (§ 78 Satz 1 GWB), weil diese das Verfahren weder durch schriftlichen Vortrag noch in der mündlichen Verhandlung des Senats wesentlich gefördert hat.

5.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, bestand nicht, § 74 Abs. 2 GWB.

Ende der Entscheidung

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