Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 08.05.2006
Aktenzeichen: VI-W (Kart) 4/06
Rechtsgebiete: KHG NRW, GWB, SGG, SGB V, SGB XI, GVG


Vorschriften:

KHG NRW § 1
KHG NRW § 6
KHG NRW § 10
KHG NRW § 19
GWB § 19 Abs. 1
GWB § 20 Abs. 1
GWB § 87
SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2
SGG § 51 Abs. 2 Satz 1
SGG § 51 Abs. 2 Satz 3
SGB V § 12 Abs. 1
SGB XI § 8
SGB XI § 11
GVG § 17 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Kleve vom 9. November 2005 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist unzulässig. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Duisburg verwiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Beschwerdewert wird auf 43.000,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger ist ein ambulanter Pflegedienst, der mit der häuslichen ambulanten Pflege und Versorgung von Pflegebedürftigen befasst ist. Die Beklagte betreibt als gemeinnützige GmbH unter anderem das St.-W.-S. in E., das einzige Krankenhaus vor Ort. Im Krankenhaus befindet sich eine so genannte Pflegeüberleitungsstelle, die Patienten nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus bei der Wahl von Pflegedienstleistern berät.

Mit ihrer beim Landgericht Kleve erhobenen Klage begehrt der Kläger von der Beklagten eine Zusammenarbeit bei der Vermittlung von Patienten in die ambulante häusliche Pflege sowie im Wege der Teilklage Schadensersatz wegen entstandener Einnahmeausfälle in Höhe von 12.000 €, den er daraus herleitet, dass die Beklagte ihrer Zusammenarbeitsverpflichtung in der Vergangenheit nicht nachgekommen sei. Sein Klagebegehren stützt der Kläger zum einen auf sozialrechtliche Regelungen zur Zusammenarbeit der in der Pflege tätigen Organisationen (§§ 8, 11 SGB XI) und von Bestimmungen des Krankenhausgesetzes Nordrhein-Westfalen zur Kooperation der Krankenhäuser und des von ihm einzurichtenden sozialen Dienstes mit zugelassenen Pflegediensten, Pflegeeinrichtungen, Gemeinden und Gemeindeverbänden (§§ 1, 6, 10 und 19 KHG NW) sowie zum anderen auf kartell- und lauterkeitsrechtliche Ansprüche mit dem Sachvortrag, die Beklagte verfüge als Trägerin des einzigen Krankenhauses im Ort über eine Monopolstellung, die sie dadurch missbrauche, dass sie die Krankenhauspatienten bei ihrer Entlassung tendenziell in die häusliche Pflege der anderen Dienstleister vermittele.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, mit ihm bei der Vermittlung von Patienten in die ambulante häusliche Pflege nach § 6 KHG NRW eng zusammenzuarbeiten, namentlich in die ambulante Pflege zu entlassende Patienten und ihre Angehörigen umfassend über die Leistungsangebote des Klägers zu beraten und es zu unterlassen, die Wahlfreiheit dieser Patienten hinsichtlich eines ambulanten Pflegedienstes zu beeinflussen, auf Wunsch der Patienten und ihrer Angehörigen eine Kontaktaufnahme mit Mitarbeitern des Klägers noch am Krankenbett zu ermöglichen, die Einrichtung einer festen wöchentlichen Sprechstunde von zwei Stunden durch Mitarbeiter des Klägers in den Räumen der Beklagten ebenso wie das anbringen eines gut sichtbaren Hinweises auf diese Sprechstunde im Foyer des Krankenhauses zu gestatten, die ständige Auslage von Informationsmaterial über ihr Leistungsangebot im Foyer des Krankenhauses zu gestatten

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn Schadensersatz in Höhe von 12.000 € zu zahlen.

Die Beklagte hält die Klage für unzulässig, weil nicht der Zivilrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet sei. Darüber hinaus erhebt sie Widerklage auf Erstattung von Anwaltskosten in Höhe von 498,68 € nebst Zinsen sowie ferner mit dem Antrag festzustellen, dass dem Kläger Schadensersatz weder in der eingeklagten Höhe von 12.000 € noch in darüber hinausgehender Höhe, insbesondere keinen Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns in Höhe von 96.000 € für das Kalenderjahr 2004, zustehe.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten mit dem Antrag,

unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Rechtsstreit an das Sozialgericht in Duisburg zu verweisen,

hilfsweise

den Rechtsstreit nach § 87 GWB an das Landgericht Düsseldorf - Spezialkammer - zu verweisen.

Der Kläger verteidigt die landgerichtliche Entscheidung und bittet um Zurückweisung der Beschwerde. Hilfsweise beantragt er,

den Rechtsstreit an das Landgericht Düsseldorf - Kammer für Handelssachen/Kartellsachen - zu verweisen.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den angefochtenen Beschluss sowie auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

A. Die Streitigkeit fällt - entgegen der Ansicht des Landgerichts - nicht in die Entscheidungskompetenz der ordentlichen Gerichte. Über das Klagebegehren haben vielmehr aufgrund ihrer in § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 und 3 SGG normierten Sonderzuständigkeit die Sozialgerichte zu befinden. Nach der genannten Vorschrift entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (u.a.) über öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung. Das Klagebegehren unterfällt dieser Rechtsmaterie.

1. Die Frage, ob eine Streitigkeit von der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder von den Sozialgerichten zu entscheiden ist, beurteilt sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Entscheidend ist dabei die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des Klägers darstellt (vgl. nur: Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, 4. Aufl., § 13 Rdnr. 16 m.w.N.). Dementsprechend hat beispielsweise das Bundessozialgericht für die Klage eines privaten Pflegeversicherungsunternehmens gegen einen Pflegeheimbetreiber auf Rückzahlung von Zahlungen, die der Versicherer für eine pflegeversicherte Heimbewohnerin geleistet hatte, den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für eröffnet erachtet, weil sich der Klageanspruch in erster Linie aus zivilrechtlichen Normen (§§ 823, 812 BGB) ergebe (BSG, Beschl. v. 9.2.2006 - B 3 SF 1/05 R). Umgekehrt hat der Bundesgerichtshof die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit für ein einstweiliges Verfügungsverfahren bejaht, in dem ein Wettbewerbsverein eine Ersatzkasse wegen eines Rundschreibens, mit dem diese ihren Mitglieder Unterlagen zum Bezug von Arzneimitteln über eine niederländische Internetapotheke übersandt hatte, lauterkeitsrechtlich auf Unterlassung in Anspruch genommen hatte (BGH, NJW 2003, 1194). Die in Anspruch genommene Ersatzkasse hatte zu ihrer Rechtsverteidigung geltend gemacht, dass sie aufgrund des in § 12 Abs. 1 SGB V niedergelegten Wirtschaftlichkeitsgebots zu dem beanstandeten Vorgehen berechtigt gewesen sei. Begründet hat der Bundesgerichtshof die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten mit der Erwägung, dass das Schwergewicht des Rechtsstreits bei solchen Aufgaben anzusiedeln sei, deren Erfüllung den Krankenkassen aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen des SGB V obliege. Denn die Wettbewerbswidrigkeit des streitbefangenen Rundschreibens beurteile sich maßgebend danach, ob der verklagten Ersatzkasse das angegriffene Verhalten nach sozialrechtlichen Vorschriften gestattet gewesen sei oder nicht.

2. Nach diesen Grundsätzen haben im Streitfall die Sozialgerichte über das Rechtsschutzbegehren des Klägers zu befinden. Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagte in seiner Eigenschaft als zugelassener ambulanter Pflegedienst (§ 72 SGB XI, §§ 132, 132 a SGB V) in Anspruch. Sein Rechtsschutzbegehren begründet er in erster Linie mit dem Vorwurf, die Beklagte missachte ihre - wie er meint - sich insbesondere aus §§ 8, 11 SGB XI, §§ 1, 6, 10 und 19 KHG NW ergebende Verpflichtung zur Zusammenarbeit aller in der häuslichen Pflege tätigen Organisationen, indem der von ihr betriebene soziale Dienst des St.-W.-S. den Krankenhauspatienten bevorzugt die konkurrierenden Pflegeeinrichtungen empfehle und nicht oder nur unzureichend auf seinen (des Klägers) Pflegedienst aufmerksam mache. Der Klageerfolg entscheidet sich damit maßgebend anhand von öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Sozialversicherungs- und Krankenhausrechts und damit auf der Grundlage einer Rechtsmaterie, deren Prüfung und Beurteilung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 und 3 SGG den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen ist. Das gilt sowohl für den Klageantrag zu 1., mit dem der Kläger die Verpflichtung der Beklagten erstrebt, mit ihm bei der Vermittlung von Patienten in die ambulante häusliche Pflege eng zusammenzuarbeiten, als auch für das - auf die Verletzung dieser Pflicht gestützten - Ersatzanspruch. Für das gesamte Klageverfahren ist folglich der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Dass der Kläger seine Klage auch auf kartellrechtliche und lauterkeitsrechtliche Ansprüche stützt, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten (vgl. BGH, NJW 2003, 1194 m.w.N.). Im Übrigen dürfte die Rechtslage nach den sozialrechtlichen Bestimmungen auch Einfluss auf die Beurteilung der Frage haben, ob das Verhalten der Beklagten lauterkeitsrechtlich zu beanstanden ist oder der Beklagten - ihre marktbeherrschende Position unterstellt - vorzuwerfen ist, ihre Marktmacht im Sinne von §§ 19 Abs. 1, 20 Abs. 1 GWB zu missbrauchen.

B. Örtlich zuständig ist in erster Instanz das Sozialgericht Duisburg. An dieses Gericht ist der Rechtsstreit kraft Gesetzes (§ 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG) zu verweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Den Beschwerdewert hat der Senat auf 1/4 des Hauptsachestreitwerts in Höhe von 172.000 € veranschlagt.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück