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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 03.05.2006
Aktenzeichen: VI-W (Kart) 6/06
Rechtsgebiete: ZPO, GWB


Vorschriften:

ZPO § 148
ZPO § 149
GWB § 33 Abs. 4 n.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Die sofortigen Beschwerden der Beklagten zu 3., zu 5. und zu 6. gegen den Beschluss der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 9. März 2006 werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

III. Der Beschwerdewert wird auf bis 22.797.577 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus abgetretenem Recht von insgesamt 29 Zementabnehmern auf Schadensersatz wegen verbotener Kartellabsprachen in Anspruch. Zur Rechtfertigung ihrer Klageforderung stützt sie sich dabei maßgeblich auf die Ermittlungsergebnisse des Bundeskartellamts, das gegen sämtliche Beklagten Bußgeldbescheide erlassen hat. Während der Bußgeldbescheid gegen die Beklagte zu 1. mittlerweile bestandskräftig ist, haben die Beklagten zu 2. bis zu 5. Einspruch eingelegt. Wegen ergänzender Ermittlungen zum kartellbedingt entstandenen Mehrerlös und zu erneuten Kartellabsprachen im Herbst 2003 hat das Bundeskartellamt das gegen die Beklagten zu 2. bis zu 6. geführte Verfahren noch nicht an die zuständige Generalstaatsanwaltschaft abgegeben.

Die Beklagten haben unter Hinweis auf das anhängige Bußgeldverfahren die Aussetzung des Klageverfahrens beantragt, bis rechtskräftig über die Einsprüche gegen die Bußgeldbescheide entschieden ist. Das Landgericht hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss (GA 727 ff.) abgelehnt. Eine Aussetzung nach § 149 ZPO hat es abgelehnt, weil der aus dem weiteren Bußgeldverfahren zu erwartende Erkenntnisgewinn gering sei. Vor diesem Hintergrund - so hat das Landgericht ausgeführt - sei die bei einer Verfahrensaussetzung eintretende Verfahrensverzögerung nicht zu rechtfertigen. Vielmehr gebühre dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch der Klägerin auf effektiven Rechtsschutz und ein zügig durchgeführtes Klageverfahren der Vorrang vor dem Interesse der Beklagten, vor einer Entscheidung im Zivilprozess zunächst das Ergebnis des Bußgeldverfahrens abzuwarten. Das Risiko, sich im Klageverfahren bei Beachtung der zivilprozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO) mit faktischen Auswirkungen für das Bußgeldverfahren selbst belasten zu müssen, stelle keinen Aussetzungsgrund dar. Aus der Wertung des § 149 Abs. ZPO hat das Landgericht überdies entnommen, dass eine Aussetzung regelmäßig dann abzulehnen sei, wenn - wie im Entscheidungsfall - mit einer Verfahrensverzögerung von mehr als einem Jahr zu rechnen sei. Eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 148 ZPO hat das Landgericht mangels Vorgreiflichkeit der im Bußgeldverfahren ergehenden Entscheidung für den Zivilprozess abgelehnt.

Dagegen wenden sich die Beklagten zu 3., zu 5. und zu 6. mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie verfolgen ihr Aussetzungsbegehren weiter und wiederholen und vertiefen ihr diesbezügliches Vorbringen. Inbesondere verweisen sie erneut auf § 33 Abs. 4 GWB n.F., wonach das Zivilgericht dann, wenn Schadensersatz wegen Zuwiderhandlungen gegen das kartellrechtliche Verbot der Art. 81 oder 82 EG verlangt wird, an die Feststellung des Kartellverstoßes gebunden ist, die entweder in einer bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde oder in einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung, die im Rahmen der Anfechtung der kartellbehördlichen Entscheidung ergangen ist.

Die Beklagte zu 6. beantragt hilfsweise, das gegen sie geführte Klageverfahren zumindest so lange auszusetzen, bis das Oberlandesgericht Düsseldorf über ihren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Amtes entschieden hat.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. In seiner Nichtabhilfeentscheidung (GA 1044 ff.) hat es zum Einwand des § 33 Abs. 4 GWB n.F. die Auffassung vertreten, dass die angeordnete Bindungswirkung bestandskräftiger kartellbehördlicher Entscheidungen lediglich dem Zweck diene, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu erleichtern. Vor diesem Hintergrund könne der Vorschrift nicht die Verpflichtung des Zivilrichters entnommen werden, vor einer Entscheidung über das Schadensersatzbegehren den Ausgang des betreffenden Bußgeldverfahrens abzuwarten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung und den Nichtabhilfebeschluss sowie auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässigen Beschwerden haben keinen Erfolg.

Das Landgericht hat es mit zutreffenden Erwägungen abgelehnt, das Klageverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bußgeldverfahrens - sowie in Bezug auf die Beklagte zu 6. zumindest bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf über deren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid - auszusetzen. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei seiner Ermessensentscheidung über das Aussetzungsbegehren das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen und zügigen Entscheidung über ihre Schadensersatzklage höher bewertet hat als das Interesse der Beklagten zu 3., zu 5. und zu 6., zunächst den Ausgang des Bußgeldverfahrens abzuwarten, bevor über die Klage verhandelt und entschieden wird. Das Landgericht durfte dabei insbesondere berücksichtigen, dass das Bußgeldverfahren - in dem es um den Vorwurf von Kartellabsprachen zwischen 1997 und 2001 geht - nur einen Teil des Klagezeitraums - der die Jahre zwischen 1993 und 2002 umfasst - abdeckt, und dass ferner aus heutiger Sicht nicht damit zu rechnen ist, dass das Bußgeldverfahren zumindest in der ersten Instanz beim Oberlandesgericht Düsseldorf innerhalb der nächsten 12 Monate abgeschlossen werden kann.

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

A. Die Beklagten zu 5. und zu 6. sind der Ansicht, das Landgericht habe die besondere Bedeutung, die dem Ausgang des Bußgeldverfahrens für die Berechtigung der gegen sie erhobenen Ersatzansprüche zukomme, verkannt. Im Bußgeldverfahren bestreite man den Tatvorwurf in wesentlichen Teilen. Die Beklagte zu 5. stelle das behauptete süddeutsche Quotenkartell in Abrede und räume lediglich ihre Teilnahme an Gesprächen mit Wettbewerbern in der Zeit zwischen 1998 und 2001 ein. Diese Gespräche hätten indes weder zu Quotenabsprachen noch zu Preisabreden geführt. Bestritten werde von der Beklagten zu 5. darüber hinaus die Teilnahme an einem ostdeutschen Quotenkartell. Die Beklagte zu 6. stelle im Bußgeldverfahren ebenfalls die Existenz eines Preiskartells, ferner die Zuständigkeit eines sog. "oberen Tisches" für Problemlösungen besonderer Größenordnungen und überregionale Fragen sowie schließlich die Praktizierung eines institutionalisierten Abrechnungsmodells (sog. Money-Karussell) in Abrede. Bei dieser Sachlage stehe und falle die gegen sie (die Beklagten zu 5. und zu 6.) erhobene Schadensersatzklage mit dem Ausgang des Bußgeldverfahrens. Die Einschätzung des Landgerichts, dass den noch andauernden Ermittlungen des Bundeskartellamtes eine nur geringe Bedeutung für das Klageverfahren zukomme, sei deshalb unzutreffend.

Dieser Vorwurf ist unberechtigt. Das Landgericht hat nicht - wie die Beklagten zu 5. und zu 6. meinen - die Einschätzung vertreten, der Ausgang des Bußgeldverfahrens als solcher sei für das Klageverfahren nur von geringer Bedeutung. Es hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die Erkenntnisse, die von den ergänzenden Ermittlungen des Amtes zur Höhe des kartellbedingten Mehrerlöses und zu möglichen neuen Kartellabsprachen im Herbst 2003 zu erwarten seien, für die Schadensersatzklage der Klägerin unerheblich oder allenfalls von einem bloß geringen Erkenntniswert seien. Schon aus diesem Grund geht der Beschwerdeangriff fehl. Im Übrigen teilt der Senat die geschilderte Beurteilung des Landgerichts. Ob es im Herbst 2003 zu erneuten Kartellabsprachen der Zementhersteller gekommen ist, spielt für das vorliegende Klageverfahren, in dem es ausschließlich um Ersatzansprüche für den Zeitraum bis zum Jahr 2002 geht, ersichtlich keine Rolle. Die ergänzenden Ermittlungen des Bundeskartellamtes zum kartellbedingten Mehrerlös - und zwar konkret zum Wettbewerbspreis, der sich ohne die Kartellabsprachen gebildet hätte - können zwar für die Schadensberechnung im vorliegenden Klageverfahren von Bedeutung sein. Da indes die Ermittlungen andauern und auch die Beklagten zum Ergebnis der ergänzenden Nachforschungen des Amtes nichts vortragen, kann ein die Aussetzung des Klageverfahrens rechtfertigender Erkenntnisgewinn aus dem Bußgeldverfahren derzeit weder festgestellt noch hinreichend sicher prognostiziert werden. Unter diesen Umständen ist die Entscheidung des Landgerichts, die beantragte Verfahrensaussetzung abzulehnen und das Klageverfahren im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes der Klägerin fortzusetzen, rechtsfehlerfrei.

B. Die Aussetzung des Klageverfahrens kann ebenso wenig mit dem Argument verlangt werden, dass sich die Klägerin zum Nachweis ihres klagebegründenden Sachvortrags auf rechtswidrig erlangte "Kooperationsbeiträge" der Beklagten gegenüber dem Bundeskartellamt sowie auf unzulässig erlangte Dokumente aus den Ermittlungsakten des Amtes stütze. Sollten Bedenken gegen die Verwertbarkeit angebotener Beweise bestehen, hat der Zivilrichter dies im Klageverfahren autonom zu prüfen und unverwertbare Beweismittel bei der Entscheidungsfindung außer Betracht zu lassen. Eine Pflicht zur Aussetzung des Zivilverfahrens kann daraus nicht hergeleitet werden.

C. Mit Recht hat das Landgericht bei seiner Entscheidung über den Aussetzungsantrag der Beklagten nach § 149 ZPO dem Gesichtspunkt der Selbstbezichtigungsgefahr keine Bedeutung beigemessen. Es entspricht - soweit ersichtlich - der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung, dass die genannte Vorschrift dem Zivilrichter die Möglichkeit eröffnen will, sich die besseren Erkenntnismöglichkeiten eines Strafverfahrens zunutze zu machen, wenn sich eine schwierige Beweislage im Zivilverfahren voraussichtlich nicht oder nicht so gut wie im Ermitlungsverfahren wird klären lassen. In einem solchen Fall ist das Sachaufklärungsinteresse gegen das berechtigte Interesse der klagenden Partei an einer alsbaldigen Entscheidung über ihren Anspruch abzuwägen. Weitere Gesichtspunkte sind nicht in die Abwägung einzustellen. Insbesondere ist es - entgegen der Ansicht der Beschwerde - ohne Belang, ob die beklagte Partei Gefahr läuft, durch einen wahrheitsgemäßen Sachvortrag im Zivilprozess Tatsachen zu offenbaren, die auch im Strafverfahren von rechtlicher Bedeutung sind. Liegt ein strafrechtlich relevantes Verhalten vor, ist es alleine Sache des Täters, den Konflikt zwischen der zivilprozessualen Erklärungs- und Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO) auf der einen Seite und seinem strafprozessualen Recht, Angaben zur Sache zu verweigern (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) oder unwahre Angaben zu machen, zu lösen (vgl. OLG Köln, JMBl. NW 2004, 246; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23.4.2002 - 11 W 58/02; LAG Düsseldorf, MDR 2002, 54; OLG Frankfurt, NJW-RR 2001, 1649; OLGR 1992, 192; OLG Hamm, ZfS 2000, 91; ebenso: Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 149 Rdnr. 2; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 149 Rdnr. 3; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 149 Rdnr. 6 a.E.; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., Band 3, § 149 Rdnr. 8). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Wendet man - wie dies rechtlich geboten ist - die Vorschrift des § 149 ZPO analog auf Bußgeldverfahren an, kann in Bezug auf die Selbstbezichtigungsgefahr nichts anderes gelten.

D. Das Landgericht war schließlich nicht - wie die Beschwerde meint - aufgrund der Regelung des § 33 Abs. 4 GWB n.F. gehalten, das Klageverfahren bis zum (rechtskräftigen) Abschluss des Bußgeldverfahrens auszusetzen. Selbst wenn - was auf sich beruhen kann - die zum 1. Juli 2005 in Kraft getretene Vorschrift des § 33 Abs. 4 GWB n.F. im Streitfall anwendbar ist, bestand für das Landgericht keine Pflicht, das Klageverfahren bis zur Erledigung der bußgeldrechtlichen Vorwürfe zurückzustellen. Schon der Wortlaut der Norm gibt für die von der Beschwerde befürwortete Priorität des Bußgeldverfahrens nichts her. Die Vorschrift ordnet lediglich die Bindung des Zivilrichters an bestands- oder rechtskräftig festgestellte Kartellverstöße nach Art. 81 und 82 EG an. Darüber hinausgehende Regelungen zum Verhältnis zwischen einem noch anhängigen Bußgeldverfahren und der Schadensersatzklage trifft § 33 Abs. 4 GWB n.F. demgegenüber nicht. Insoweit verbleibt es vielmehr bei der bisherigen Rechtslage, wie sie in dem §§ 148, 149 ZPO normiert ist. Das entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. § 33 Abs. 4 GWB n.F. will die Durchsetzung von Ersatzansprüchen wegen kartellwidrigen Verhaltens erleichtern, indem ein bestands- oder rechtskräftig festgestellter Verstoß der beklagten Partei gegen Art. 81 oder Art. 82 EG den Zivilrichter im Schadensersatzprozess bindet. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/3640 S. 35, 54) dient die Vorschrift dabei ausschließlich dem Schutz des Geschädigten und soll einen wirksamen Schadensausgleich bei Kartellverstößen sicherstellen. Dieser Gesetzeszweck schließt es aus anzunehmen, § 33 Abs. 4 GWB n.F. zwinge den Zivilrichter zur Aussetzung des Schadensersatzprozesses, solange das betreffende Bußgeldverfahren noch nicht bestands- oder rechtskräftige abgeschlossen ist.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ( § 574 Abs. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

Den Beschwerdewert hat der Senat auf 20 % des Hauptsachestreitwerts festgesetzt (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 7.1.2003 - 20 W 31/02 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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