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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 16.06.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 13/08 (1)
Rechtsgebiete: SGB V, VgV, GWB, VwGO, GVG, ZPO, GWB-E


Vorschriften:

SGB V § 130a Abs. 3
SGB V § 130a Abs. 8
VgV § 13
VgV § 13 S. 6
GWB § 97 Abs. 7
GWB § 98 Nr. 2
GWB § 100 Abs. 2
GWB § 104 Abs. 2
GWB § 104 Abs. 2 S. 1
GWB § 115 Abs. 1
GWB § 116
GWB § 118
GWB § 118 Abs. 1
GWB § 124 Abs. 2
VwGO § 40
VwGO § 50
VwGO § 104 Abs. 2
VwGO § 114 Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 3
SGG § 51
SGG § 86a
GVG § 13
GVG § 17a Abs. 2
GVG § 17a Abs. 4
ZPO § 148
ZPO § 256 Abs. 2
GWB-E § 101a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

Gründe:

Unter dem 03. August 2007 schrieben die Antragsgegnerinnen den Abschluss von Pharma-Rabattverträgen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V aus. Die Angebotsfrist endete am 03. September 2007; Wertungskriterien sollten Produktbreite und Ausmaß der Schwellenwertunterschreitung sein.

Die Antragstellerin gab fristgemäß ein Angebot für die Wirkstoffe Formoterol, Beclometason und Budesonid ab.

Unter dem 14. September 2007 teilten die Antragsgegnerinnen der Antragstellerin mit, ihr - der Antragstellerin - Angebot könne wegen unzureichender Produktbreite nicht berücksichtigt werden; den Namen des erfolgreichen Bieters enthielt das Schreiben nicht.

Die Antragstellerin rügte am 05. Oktober 2007 die Verletzung verschiedener vergaberechtlicher Vorschriften und verlangte die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung, aufgrund des bisherigen Verfahrens Rabattverträge abzuschließen. Daraufhin erklärten die Antragsgegnerinnen am 16. Oktober 2007, im Hinblick auf verschiedene Verfahren vor Vergabekammern könnten derzeit Vertragsabschlüsse nicht erfolgen, die geforderte Erklärung ginge daher ins Leere.

Unter dem 06. November 2007 stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Baden-Württemberg, die ihn mit Beschluss vom 07. November 2007 als offensichtlich unzulässig zurückwies. Mit Schreiben von diesem Tage teilten die Antragsgegnerinnen der Antragstellerin mit, dass sie bereits am 05. November 2007 Verträge hinsichtlich der Wirkstoffe Formoterol und Beclometason abgeschlossen habe. Die Antragstellerin legte gegen den Beschluss der Vergabekammer sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht Karlsruhe ein; nachdem dieses in einem Hinweisbeschluss zu erkennen gegeben hatte, dass sie die Rechtsauffassung der Vergabekammer teile, nahm sie den Nachprüfungsantrag zurück.

Unter dem 03. Dezember 2007 stellte die Antragstellerin daraufhin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf, die den Antrag zugestellt hat. Hinsichtlich des Wirkstoffs Budesonid haben die Antragsgegnerinnen das Auswahlverfahren mangels zuschlagsfähigen Angebots am 01. Februar 2008 aufgehoben, was die Antragstellerin nicht beanstandet hat. Am 11. Februar 2008 hat die Vergabekammer eine mündliche Verhandlung durchgeführt; die Antragstellerin hat dort beantragt,

1. festzustellen, dass das Ausschreibungsverfahren vom 03. August 2007 für Rabattvereinbarungen mit pharmazeutischen Unternehmen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V zum Wirkstoff Budesonid sie, die Antragstellerin, in ihren Rechten verletzt hat;

2. den Antragsgegnerinnen zu untersagen, für den Versorgungszeitraum 01.01.2008 bis 31.12.2009 Rabattverträge gemäß § 130a Abs. 3 SGB V zu den Wirkstoffen Formoterol und/oder Beclometason in der Form zu schließen, wie sie in dem Schreiben der AOK Baden-Württemberg vom 03.08.2007 angekündigt wurden;

3. die Nichtigkeit der mit den Beigeladenen geschlossenen Verträge zu den Wirkstoffen Beclometason und Formoterol festzustellen;

4. die Antragsgegnerinnen zu verpflichten, Rabattverträge gemäß § 130a Abs. 8 SGB V zu den Wirkstoffen Formoterol und/oder Beclometason und/oder Budesonid für alle oder einen Teil der deutschen AOKs künftig nur unter Berücksichtigung des Vergaberechts auszuschreiben und/oder abzuschließen.

Die Antragsgegnerinnen sind dem entgegen getreten.

Bereits unter dem 06. Februar 2008 hatten die Antragsgegnerinnen vor dem Sozialgericht Stuttgart Klage gegen die Bezirksregierung Düsseldorf erhoben, wonach dieser u.a. untersagt werden sollte, im Nachprüfungsverfahren ein Zuschlagsverbot zu verhängen oder sonstige für sie nachteilige Entscheidungen zu treffen; außerdem hatten sie den Erlass entsprechender einstweiliger Anordnungen beantragt. Mit Beschluss vom 11. Februar 2008 untersagte das Sozialgericht der Bezirksregierung Düsseldorf, in diesem (sowie in einem weiteren) Nachprüfungsverfahren nachteilige Anordnungen gegenüber den hiesigen Antragsgegnerinnen zu treffen sowie etwaige weitere Nachprüfungsanträge von Pharmaunternehmen wegen der erfolgten Ausschreibung von Rabattverträgen den hiesigen Antragsgegnerinnen zuzustellen. Am 14. Februar 2008 haben die hiesigen Antragsgegnerinnen gegen die hiesige Antragstellerin vor dem Sozialgericht Stuttgart Klage auf Feststellung der Wirksamkeit der Verträge hinsichtlich der Wirkstoffe Beclometason und Formoterol eingereicht.

Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf verkürzte die - bereits verlängerte - Entscheidungsfrist auf den 14. Februar 2008 und erließ an diesem Tage - wie angekündigt - keine Entscheidung.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie die vor der Vergabekammer gestellten Anträge weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung, die anderweitigen Verfahren stünden dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer sowie dem Beschwerdeverfahren nicht entgegen. Das ursprünglich bei der Vergabekammer Baden-Württemberg anhängig gemachte Nachprüfungsverfahren sei durch Rücknahme des Nachprüfungsantrages beendet. In dem Verfahren vor dem Sozialgericht sie sie bloß Beigeladene, was sie an der Einleitung eines eigenständigen Verfahrens von vornherein nicht hindere, im Übrigen sei das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer bereits Anfang Dezember 2007 rechtshängig geworden. Die von den Antragsgegnerinnen am 05. November 2007 seien gemäß § 13 VgV nichtig; die Mitteilung vom 14. September 2007 reiche zum Beginn der Frist nicht aus, weil sie den Namen des erfolgreichen Bieters nicht enthalte. Im Übrigen beruft sie sich auf die Entscheidung des Senats vom 19. Dezember 2007 (VergabeR 2008, 73).

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie sind - zusätzlich zu den Punkten, die sie bereits in den Parallelverfahren vor dem Senat vorgetragen haben (vgl. näher Senat VergabeR 2008, 73) - der Auffassung, der Beschwerde stehe die Klage vor dem Sozialgericht entgegen. Des Weiteren seien die Verträge hinsichtlich der Wirkstoffe Beclometason und Formoterol wirksam abgeschlossen worden, die fehlende Mitteilung der Namen der erfolgreichen Bieter sie insoweit irrelevant.

Die Beigeladene zu 3. beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie meint, das Beschwerdeverfahren sei durch das vor dem Sozialgericht Stuttgart anhängig gemachte Verfahren ausgeschlossen. Die bereits abgeschlossenen Verträge seien trotz der Nichtbenennung des erfolgreichen Bieters in dem Informationsschreiben nicht gemäß § 13 VgV nichtig. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sei verwirkt, Rügen nicht rechtzeitig vorgebracht worden.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten verwiesen.

II.

1.

Nach Ansicht des Senats ist allein er zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die - fingierte - Entscheidung der Vergabekammer zuständig. An seiner Auffassung, die er im Beschluss vom 19. Dezember 2007 (VergabeR 2008, 73) näher dargelegt hat, hält der Senat auch angesichts der Ausführungen des Sozialgerichts Stuttgart, des Landessozialgerichts Baden-Württemberg sowie insbesondere des Bundessozialgerichts in seinem Beschluss vom 22. April 2008 fest. Es sei lediglich Folgendes angemerkt:

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geht davon aus, dass bereits die Anhängigmachung des Nachprüfungsantrages bei der Vergabekammer zur Rechtshängigkeit dieses Antrages führt, wenn er diesen Vorgang mit der Klageerhebung bei einem Verwaltungsgericht gleichsetzt (NZBau 2004, 229, 230). Das hat u.a. zur Folge, das bereits aus diesem Grunde der vergaberechtliche Rechtsweg einzuhalten ist, der nach § 104 Abs. 2 GWB von der Vergabekammer ausschließlich zum Vergabesenat führt. Zwar betrifft - insoweit ist dem BSG beizupflichten - diese Entscheidung zunächst nur die Frage, wann der Antrag rechtshängig wird. Dennoch geht aber die Bedeutung der Entscheidung weiter. Der Bundesgerichtshof sieht das Verfahren vor der Vergabekammer nämlich als gerichtsähnliches Verfahren an, das einen bestimmten Rechtsweg (Vergabekammer - Vergabesenat) eröffnet. Dieser besondere Rechtsweg wird bereits in der Begründung zum Vergaberechtsänderungsgesetz (BT-Drs. 13/9340) angesprochen, wenn es zum jetzigen § 104 Abs. 2 GWB heißt:

Abs. 2 S. 1 stellt klar, dass das Recht auf Einhaltung der Vergabevorschriften nur hier und in diesem Verfahren geltend gemacht werden kann. Für den Primärrechtsschutz in Vergabesachen wird hiermit ein eigenständiger ausschließlicher Rechtsweg begründet.

Daraus lässt sich schließen, dass der Rechtsweg - entgegen der Auffassung des Bundessozialgerichts - bereits mit der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer beginnt.

Soweit die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit daran anzuknüpfen scheinen, dass die Vergabekammer durch Verwaltungsakt entschieden hat, übersehen sie die besondere Vorschrift des § 116 GWB, wonach zur Entscheidung über die Anfechtung der Verwaltungsakte der Vergabekammer die Oberlandesgerichte zuständig sind. Dass trotz der Qualifizierung der Beschlüsse der Vergabekammern als Verwaltungsakte nicht die Verwaltungsgerichte - und mithin ebenso wenig die Sozialgerichte als besondere Verwaltungsgerichte - zuständig sind, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zum Vergaberechtsänderungsgesetz (BT-Drs. 13/9340); dort heißt es zu § 124 Abs. 3 (jetzt § 114 Abs. 3):

Die Vergabekammer ist kein Gericht. ... Um dennoch die EG-rechtlich (Artikel 2 Abs. 1 Nachprüfungsrichtlinie) geforderte Durchsetzbarkeit der Entscheidung sicherzustellen, ergeht sie als vollsteckbarer Verwaltungsakt. Die Vollstreckungsmöglichkeit ist damit sichergestellt. Eine Klage gegen diese Entscheidungen vor den Verwaltungsgerichten ist ausgeschlossen. Als Rechtsmittel steht gemäß § 114 Abs. 2 (jetzt § 104 Abs. 2) nur die sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht zur Verfügung (§ 126 [jetzt § 116]).

Dass der Einstufung des Beschlusses als Verwaltungsakt nur diese Bedeutung zukommt, beachtet auch das BSG in seinem Beschluss vom 22. April 2008 nicht.

Entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg im Beschluss vom 06. Februar 2008 ist eine Bestimmung über die Spezialzuständigkeit eines Gerichts für Rechtsmittel gegen Entscheidungen bestimmter Behörden (hier: die alleinige Zuständigkeit des Vergabesenats des Oberlandesgerichts für Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Vergabekammern nach § 104 Abs. 2, § 116 Abs. 3 GWB) auch dann zu beachten, wenn die Vergabekammer unter Überschreitung ihres Aufgabenbereichs entschieden haben sollte; die allein formal anknüpfende Zuständigkeit des Vergabesenats ist unabhängig davon, welcher Mangel in der Entscheidung der Vergabekammer besteht oder geltend gemacht wird (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.02.2008, Verg W 18/07, juris). So gilt z.B. die alleinige Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für die Anfechtung von Entscheidungen der in § 50 VwGO angesprochenen Behörden auch dann, wenn die Behörde unter Verkennung ihres Aufgabenbereichs entschieden haben sollte; in derartigen Fällen kann sich der Betroffene nicht an das für die an sich zuständige Behörde zuständige Gericht wenden. Auch ist allgemein anerkannt, dass der Vergabesenat selbst dann für die Entscheidung über Beschwerden gegen Entscheidungen der Vergabekammer zuständig ist, wenn die Vergabekammer ihren Aufgabenbereich insoweit verkannt hat, als sie Entscheidungen bei Unter-Schwellenwert-Vergaben getroffen hat.

Die gegenteilige Auffassung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, welches eine rein materiell-rechtliche Betrachtungsweise befürwortet, führt auch zu einer erheblichen Unklarheit darüber, welches Gericht für die Entscheidung über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Vergabekammern zuständig ist, wie gerade die vielfältigen Verfahren um den Abschluss von Pharma-Rabattverträgen durch die Antragsgegnerinnen zeigen.

Den gleichen Bedenken zu den Unklarheiten im Rechtsmittelzuge begegnet der Beschluss des Bundessozialgerichts vom 22. April 2008 (B 1 SF 1/08 R), wenn er zwar die Zuständigkeit der Vergabekammern für Vergabenachprüfungsverfahren (für den Fall, dass das Vergaberecht anzuwenden sein sollte) anerkennt, die Anfechtung ihrer Entscheidungen jedoch der Sozialgerichtsbarkeit zuweist; die Begründung überzeugt auch im Übrigen nicht. Dies löst - wie der Senat bereits in seinem zitierten Beschluss vom 19. Dezember 2007 (a.a.O.) nachgewiesen hat - den vom Gesetzgeber untrennbar aufeinander abgestimmten Regelungszusammenhang des 4. Teils des GWB auf. Insbesondere bleibt unklar, wie die - wohl auch vom Bundessozialgericht im Hinblick auf die zukünftig geltende Rechtsmittelrichtlinie akzeptierte - mit Zustellung des Nachprüfungsantrages eintretende Zuschlagssperre des § 115 Abs. 1 GWB beendet werden kann. Die Vorschrift des § 118 GWB kann nicht gelten, da diese Vorschrift nur für das Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat gilt. § 86a SGG ist nicht einschlägig, weil diese Vorschrift nur für vollziehbare Verwaltungsakte, nicht aber für kraft Gesetzes geltende, nicht an Verwaltungsakte anknüpfende Rechtswirkungen gilt. Das würde dazu führen, dass selbst bei Ablehnung eines Nachprüfungsantrages die Zuschlagssperre des § 115 Abs. 1 GWB - anders als es § 118 Abs. 1 GWB vorsieht - bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt.

Die vom Bundessozialgericht herangezogenen Besonderheiten der Beschaffung von Heil- und Hilfsmitteln sind als solche nicht anzuerkennen. Das Vergaberecht befasst sich nicht lediglich mit "gewöhnlichen fiskalischen Hilfsgeschäften der öffentlichen Hand", die "nur mittelbar deren Funktions- und Arbeitsfähigkeit erhalten sollen", während Verträge zur unmittelbaren Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben eine Besonderheit darstellen sollen. Derartige Abgrenzungen sind dem Vergaberecht fremd. So unterfallen z.B. die Beschaffungen von Ausrüstungsgegenständen für die Bundeswehr - soweit nicht nach § 100 Abs. 2 GWB eine Ausnahme eingreift - dem Vergaberecht und letztlich der Nachprüfung durch den Vergabesenat. Dies kann nicht mit dem Argument in Frage gestellt werden, die Beschaffung betreffe nicht unmittelbar den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr. Auch soweit das Bundessozialgericht darauf hinweist, dass vergaberechtliche Aspekte nur einen Teil der zu beachtenden Gesichtspunkte darstellten, stellt dies keine Besonderheit dar. Auch die Vergabesenate müssen - soweit dies notwendig ist - das Umfeld der Beschaffung - sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht berücksichtigen. Im Übrigen beschränkt sich die Überprüfung der Vergabeentscheidung nach § 97 Abs. 7, § 104 Abs. 2 GWB darauf, ob der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten hat. Weitere Gesichtspunkte sind nicht Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens. Dies gilt sowohl für die Vergabekammer als auch für den Vergabesenat, so dass die vom Bundessozialgericht vorgenommene Differenzierung zwischen Vergabekammer und Vergabesenat schon im Ansatz nicht überzeugen kann.

Soweit das Bundessozialgericht in seinem Beschluss vom 22. April 2008 (Rdnr. 49) meint, die Gerichtsbarkeit, die für Rechtsstreitigkeiten aus einem abgeschlossenen Vertrag zuständig sei, sei auch zuständig für Streitigkeiten darüber, ob Vergaberecht anzuwenden sei, trifft dies nicht zu. Der Vergabesenat ist nicht deswegen zuständig, weil es sich bei den abzuschließenden Verträgen "in der großen Mehrzahl" um bürgerlich-rechtliche Verträge handele, so dass § 13 GVG einschlägig wäre. Der Vergabesenat ist allein deswegen - als eine Art besonderes Verwaltungsgericht - zuständig, weil dies in § 104 Abs. 2, § 116 GWB angeordnet ist. Es ist irrelevant, ob die Vergabestelle privat-rechtlich oder öffentlich-rechtlich handelt, damit auch, ob sie (krankenversicherungsrechtlich) nach dem SGB V handelt. Die Ausführungen der Sozialgerichte dazu, dass die Vergabestellen öffentlich-rechtliche Verträge, genauer gesagt, krankenversicherungsrechtliche Verträge, abzuschließen gedächten, treffen damit nicht den Kern. Durch die Rechtsprechung des EuGH (zuletzt Urteil vom 18.01.2007 - C-220/05, Rdnr. 40 m.w.N., NZBau 2007, 185) ist geklärt, dass es für die Anwendung des Vergaberechts unerheblich ist, ob der vorgesehene Vertrag nach nationalem Recht öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist. Daraus hat bisher noch niemand den Schluss gezogen, dass bei einem in Aussicht genommenen öffentlich-rechtlichen Vertrag statt des Vergabesenats die (allgemeinen oder besonderen) Verwaltungsgerichte zuständig sind. Es ist vielmehr als völlig selbstverständlich angesehen worden, dass auch in derartigen Fällen - wenn es sich um dem Vergaberecht unterfallende Vergaben handelt - die Vergabekammern und -senate zuständig sind (vgl. nur Burgi, NVwZ 2007, 383). Lediglich hinsichtlich der Sozialgerichtsbarkeit soll dies anders sein, obwohl nicht zu erkennen ist, weshalb das Verhältnis von § 40 VwGO zu § 104 Abs. 2, § 116 GWB ein anderes sein soll als das von § 51 SGG zu den genannten GWB-Vorschriften. Folgte man der Auffassung des Bundessozialgerichts, müssten folgerichtig für die Nachprüfung der Vergabe von öffentlich-rechtlichen Verträgen nicht die Vergabekammern, sondern die (allgemeinen oder besonderen) Verwaltungsgerichte zuständig sein, eine Auffassung, die dem Zweck der besonderen Zuständigkeit von Vergabekammern und -senaten völlig entgegen stünde (vgl. Kus, NJW 2000, 504, 505).

2.

Der Senat würde damit von den rechtskräftigen Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 22. April 2008 (B 1 SF 1/08R) und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Februar 2008 (L 5 KR 508/08 W-A = L5 KR 507/08 ER-B) abweichen. Auch wenn beide Gerichte unterschiedlicher Auffassung dazu sind, ob die Vergabekammern für Nachprüfungsbegehren gegen gesetzliche Krankenkassen zuständig sind (sollten sie als öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB anzusehen sein), stimmen sie jedoch darin überein, dass für Rechtsbehelfe gegen Beschlüsse der Vergabekammern in derartigen Angelegenheiten alleine die Sozialgerichte zuständig sind.

Folgte der Senat diesen - ersichtlich tragenden - Erwägungen der beiden Sozialgerichte, dürfte er keine Entscheidung in der Sache treffen, sondern müsste gemäß § 17a Abs. 2 GVG den zu ihm beschrittenen Rechtsweg unzulässig erklären und das Verfahren an ein zuständiges Sozialgericht verweisen.

Infolge dieser Divergenz hält der Senat eine Vorlage an den Bundesgerichtshof in entsprechender Anwendung des § 124 Abs. 2 GWB für angezeigt.

Der Vorlage steht zunächst nicht entgegen, dass es sich bei dem Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg nicht um ein Oberlandesgericht im Sinne des § 124 Abs. 2 GWB handelt.

Nach Auffassung des Senats ist diese Vorschrift in Fallgestaltungen der vorliegenden Art jedoch analog anzuwenden. Insoweit besteht eine außerplanmäßige Gesetzeslücke.

Mit der Regelung des § 124 Abs. 2 GWB soll eine bundeseinheitliche Rechtsprechung in Vergabesachen erreicht werden. Da die Vergabesenate beim Oberlandesgericht in der Sache als letzte Instanz entscheiden und gegen ihre Entscheidungen grundsätzlich (eine Ausnahme stellt lediglich § 17a Abs. 4 S. 4 ff. GVG dar, vgl. Beschluss des Senats vom 17. Januar 2008) nicht mit Rechtsmitteln zu einem obersten Bundesgericht anfechtbar sind, kann es in Vergabesachen zu divergierenden Entscheidungen kommen, wenn nicht anderweit Abhilfe geschaffen wird. Diese Abhilfe hat nach dem Gesetz durch eine Vorlage des Vergabesenats, welcher abweichen will, an den Bundesgerichtshof zu erfolgen.

Eine derartige Situation, der die Vorschrift des § 124 Abs. 2 GWB abhelfen will, kommt aber nicht nur vor, wenn ein anderes Oberlandesgericht in einer vergaberechtlichen Frage tragend eine andere Auffassung vertreten hat. Sie tritt vielmehr auch - und dann sogar verschärft - auf, wenn ein Gericht einer anderen Gerichtsbarkeit eine vergaberechtliche Streitigkeit entscheidet. Da auch in derartigen Fallgestaltungen ein Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Vergabesenats nicht statthaft ist, bliebe die Divergenz ungelöst, ließe man eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nicht zu, der dann - gegebenenfalls durch weitere Vorlage an den gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte - eine einheitliche Rechtsprechung herbeiführen kann.

Auf die streitige Frage, ob die Abweichung von einer Entscheidung über vergaberechtliche Schadensersatzansprüche eine Divergenzvorlage nach § 124 Abs. 2 GWB notwendig macht (vgl. Jaeger, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 124 GWB Rdnr. 1244), kommt es dabei nicht an. Denn das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat in einem Vergabenachprüfungsverfahren, in dem lediglich Primäransprüche des unterlegenen Bieters geltend gemacht wurden, entschieden. Es hat damit faktisch als Vergabesenat - nach Ansicht des Senats zu Unrecht - , dazu noch in einem Rechtsmittelverfahren gegen die Entscheidung einer Vergabekammer, entschieden. Die durch die divergierende Rechtsprechung entstehende Rechtsunsicherheit, die Anlass für die Einführung des § 124 Abs. 2 GWB war, lässt sich in diesem Falle nur durch eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof beheben.

Die fraglichen Entscheidungen des Bundessozialgerichts und des Landessozialgerichts sind auch insoweit mit der Entscheidung eines Vergabesenates vergleichbar, als sie rechtskräftig und unanfechtbar sind.

Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass Vergabenachprüfungsverfahren nur von den Vergabekammern und -senaten (§ 104 Abs. 2 GWB) entschieden werden. In Ergänzung zu den Ausführungen unter II.1. ist auf die Gesetzesbegründung zum jetzigen § 104 Abs. 2 GWB verwiesen:

Abs. 2 S. 1 stellt klar, dass das Recht auf Einhaltung der Vergabevorschriften nur hier und in diesem Verfahren geltend gemacht werden kann. Für den Primärrechtsschutz in Vergabesachen wir hiermit ein eigenständiger ausschließlicher Rechtsweg begründet.

Einer Vorlage steht nicht entgegen, dass eine Auflösung der Divergenz in diesem Punkte auch auf anderem Wege möglich wäre. Der Senat könnte sich mit Beschluss für zuständig erklären und die Rechtsbeschwerde gemäß § 17a Abs. 4 GVG zulassen (vgl. zur Möglichkeit der Zulassung der Rechtsbeschwerde im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG vgl. BGH NStZ 2001, 389). So ist er auch in Parallelverfahren verfahren. Unabhängig davon, wie das Verhältnis zwischen Divergenzvorlage und Zulassung der Rechtsbeschwerde im Allgemeinen zu beurteilen ist (vgl. Katholnigg NStZ 2001, 390), ist damit zu rechnen, dass sich auf dem letztgenannten Wege die Divergenz nicht beseitigen lässt; die Antragsgegnerinnen haben in den Parallelverfahren keine Rechtsbeschwerde eingelegt. Eine Vorlage ist zudem aus prozessökonomischen Gründen deshalb angezeigt, weil auch in anderen Fragen vorlagepflichtige Divergenzen vorliegen (vgl. III.2.).

III.

Abgesehen von der bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlage des Senats noch nicht endgültig geklärten Frage, ob die Antragsgegnerinnen öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB sind, ist der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet. Mit dieser Beurteilung würde der Senat aber teilweise von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abweichen (vgl. unter 2.).

1.

Dass die angerufene Vergabekammer zuständig war und der Antrag auch nicht verwirkt ist, hat der Senat bereits mit Beschluss vom 19. März 2008 ausgesprochen.

Dem Nachprüfungsantrag hinsichtlich der Wirkstoffe Formoterol und Beclometason steht auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerinnen bereits am 05. November 2007 Verträge mit den Beigeladenen geschlossen haben. Wie der Senat mit Beschluss vom 19. März 2008 ausgesprochen hat, sind die Verträge gemäß § 13 S. 6 VgV nichtig.

An dieser Feststellung ist der Senat nicht durch die von den Antragsgegnerinnen vor dem Sozialgericht erhobene Klage auf Feststellung der Wirksamkeit der Verträge gehindert. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen ist damit nicht der Streitgegenstand der Beschwerde vor dem Sozialgericht anhängig. Bei der Frage der Wirksamkeit der Verträge handelt es sich vielmehr lediglich um eine Vorfrage für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages, was allenfalls Anlass für eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO sein könnte.

Dass Bieterinformationen, die nicht den gesetzlich vorgesehenen Inhalt aufweisen, nicht die Wartefrist auslösen können, ergibt sich aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung eines Vergaberechts. In der Begründung zu § 101a GWB-E, welcher § 13 VgV ablösen soll, wird ausdrücklich von weiteren Pflichtangaben abgesehen, weil deren Fehlen dazu führe, dass die Wartefrist nicht zu laufen beginne.

Die Tatsache, dass in dem Informationsschreiben der Antragsgegnerinnen vom 14. September 2007 auf eine vierzehntätige Wartefrist bis zum geplanten Abschluss von Verträgen hingewiesen wurde und für die Antragstellerin damit klar war, dass eine weitere Information nicht erfolgen werde, ändert nichts an dem Mangel, der in dem Fehlen des Namens des vorgesehenen Bieters liegt. Der Senat sieht aus Gründen der Rechtsklarheit keine Möglichkeit einer teleologischen Reduktion des § 13 VgV in diesem Punkt.

Der Senat weicht damit auch nicht von der Entscheidung des OLG Naumburg (OLGR 2004, 380) ab, wie die Antragsgegnerinnen meinen (kritisch zu dieser Entscheidung Krist, VergabeR 2005, 343). Das Argument, der Name des Bieters sei im konkreten Fall unerheblich gewesen, ist nämlich nicht tragend gewesen, vielmehr hat das OLG Naumburg seine Entscheidung auch darauf gestützt, dass dem Antragsteller der Name des Bieters anderweit bekannt gewesen sei.

2.

Einer näheren Erörterung bedarf die Zulässigkeit des Antrages auf Feststellung der Unwirksamkeit der von den Antragsgegnerinnen mit den Beigeladenen geschlossenen Verträge vom 05. November 2007.

Ein derartiger Antrag ist in entsprechender Anwendung des § 256 Abs. 2 ZPO im Rahmen eines Nachprüfungsantrages grundsätzlich statthaft (vgl. Senat, VergabeR 2008, 229). Die Antragsgegnerinnen machen jedoch geltend, diesem Antrag stünde die Rechtshängigkeit der von ihnen vor dem Sozialgericht Stuttgart erhobenen Klage auf Feststellung der Wirksamkeit der Verträge entgegen. Dies trifft nach Auffassung des Senats jedoch nicht zu. Die Rechtshängigkeit dieses Antrages im Vergaberechtszuge ist bereits dadurch eingetreten, dass die Antragstellerin ihn mit Schriftsatz vom 08. Februar 2008 an die Vergabekammer anhängig gemacht und im Termin vom 11. Februar 2008 auch verhandelt hat. Dass damit eine Rechtshängigkeit eingetreten sei, stellen die Antragsgegnerinnen zwar in Abrede, diese Auffassung trifft jedoch nach dem unter II. Gesagten nicht zu.

Allerdings würde der Senat damit von der zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22. April 2008 abweichen; nach seiner Auffassung müsste der Senat (bzw. das Sozialgericht) den Antrag wegen vorrangiger Rechtshängigkeit bei einem (anderen) Sozialgericht als unzulässig zurückweisen.

3.

Unzulässig ist im Vergaberechtszug allerdings der Antrag zu 4. Nach § 104 Abs. 2 S. 1 GWB besteht eine Zuständigkeit von Vergabekammer und -Senat nur für Anträge in einem konkreten Vergabeverfahren. Anträge auf Unterlassung von Vergaberechtsverstößen in etwaigen zukünftigen Vergabeverfahren können in diesem Verfahren nicht gestellt werden (vgl. Gronstedt, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 104 GWB Rdnr. 832; Byok, a.a.aO., § 107 GWB Rdnr. 966; Reidt, in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl., § 107 GWB Rdnr. 13b; Sura, in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 10. Aufl., § 104 Rdnr. 8e; Otting, in Bechtold, GWB, 4. Aufl., § 104 Rdnr. 3, 4).

4.

Im Übrigen wird auf den Senatsbeschluss vom 19. März 2008 verwiesen.

IV.

Da der Senat teilweise von rechtskräftigen Entscheidungen des Landessozialgerichts und des Bundessozialgerichts in Vergaberechtsfragen abweichen möchte und die maßgeblichen Fragen entscheidungserheblich sind, ist eine Vorlage an den Bundesgerichtshof notwendig.

Der Senat geht davon aus, dass der Bundesgerichtshof gegebenenfalls - wie dies im Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts ausdrücklich vorgesehen ist - lediglich bestimmte Rechtsfragen beantwortet und dem Senat die Entscheidung in der Hauptsache überträgt.

Ende der Entscheidung

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