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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.04.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 19/08 (1)
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB §§ 97 ff.
GWB § 118 Abs. 1 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 22. Februar 2008 (VK VOF 29/2007) wird bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängert.

Gründe:

I. Die Antragsgegnerin, ein regional tätiges Energieversorgungsunternehmen, führt aus Anlass von Neu- und Umbauvorhaben bei Verwaltungs- und Sozialgebäuden nach einem Teilnahmewettbewerb ein Verhandlungsverfahren zur Vergabe von Ingenieurleistungen bei der technischen Gebäudeausrüstung durch. Die Antragstellerin wurde zur Abgabe eines Angebots zugelassen. Sie rügte eine unklare Leistungsbeschreibung, der HOAI widersprechende Vergütungsvorgaben sowie unzulässige Zuschlagskriterien und im Nachprüfungsverfahren darüber hinaus das Unterbleiben einer Bekanntgabe der nachträglich aufgestellten Bewertungsmatrix. Die Antragstellerin legte innerhalb der dafür festgelegten Frist kein Angebot vor, sondern reichte ein solches nach. Die Antragsgegnerin schloss das Angebot deswegen von der Bewertung aus.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Sie hat der Antragstellerin für nicht antragsbefugt gehalten, da sie ohne zureichenden Grund innerhalb der Angebotsfrist kein Angebot vorgelegt habe.

Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie beantragt, die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels zu verlängern. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten dem Antrag entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze sowie auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

II. Der Eilantrag der Antragstellerin ist begründet.

1. Die sofortige Beschwerde hat bei der im Verfahren nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB gebotenen vorläufigen Bewertung des Sach- und Streitstandes Aussicht auf Erfolg (§ 118 Abs. 2 S. 1 GWB).

Die Antragsbefugnis der Antragstellerin unterliegt keinen Bedenken. Nach Lage der Dinge ist der Nachprüfungsantrag auch in der Sache begründet.

a) Hinsichtlich des materiellrechtlichen Überprüfungsmaßstabs ist, ohne dass der Senat in der Kürze der Zeit bereits Gelegenheit zu einer abschließenden Prüfung und Beurteilung hatte, der Entscheidung im Eilverfahren vorläufig (sowie möglicherweise auch abschließend) eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften der Sektorenrichtlinie 2004/17/EG in Verbindung mit den §§ 97 ff. GWB zugrundezulegen (so auch Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 16.1.2007 - Verg W 7/06, sowie Kulartz in Müller-Wrede, Kommentar zur VOF 3. Aufl., § 1 Rn. 5). In Fällen der vorliegenden Art - die Vergabeverordnung befiehlt bei freiberuflichen Leistungen im Sektorenbereich keine Anwendung der VOF - kann im Eilverfahren nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB die genaue Beurteilungsgrundlage vorläufig offen bleiben, sofern dies, wie im Streitfall, auf die rechtliche Bewertung im Ergebnis jedenfalls keinen Einfluss hat.

b) Bei der zugrundezulegenden Rechtslage kann das Angebot der Antragstellerin vom 20.11.2007 wegen des formalen Mangels, nicht innerhalb der von der Antragsgegnerin festgelegten Frist zur Abgabe von Angeboten eingereicht worden zu sein, nicht wirksam von der Wertung ausgeschlossen werden. Dies scheidet aus folgenden Erwägungen aus:

Die Antragsgegnerin hat als Zuschlagskriterien eignungsbezogene Merkmale genannt, nämlich Unternehmenskennwerte und Fachkunde, was grundsätzlich nicht nur nach nationalem, sondern auch nach EG-Richtlinienrecht unstatthaft ist (vgl. EuGH, Urteil vom 24.1.2008 - C-532/06, Rn. 30). Das darüber hinaus festgelegte Zuschlagskriterium der Wirtschaftlichkeit ist außerdem inhaltlich völlig unbestimmt und intransparent. Es ist ungeeignet, eine dem Gleichbehandlungsgebot (und zugleich einer Vermeidung von Willkür) auch nur einigermaßen genügende Angebotswertung sicherzustellen.

Ferner hat die Antragsgegnerin gegen EG-Vergaberechtsvorschriften verstoßen, indem sie den Bietern eine nachträglich aufgestellte Bewertungsmatrix nebst Unterkriterien und Gewichtungskoeffizienten nicht offenbart hat. Unterkriterien und Gewichtungen sind den Bietern aus Sicht des nationalen und des europäischen Vergaberechts ohne Wenn und Aber rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist mitzuteilen, damit die Angebote darauf eingestellt werden können (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 36). Die diesbezüglichen Rechtsbestimmungen haben bieterschützenden Charakter.

c) Derzeit ist nicht zu verneinen, dass die genannten Vergaberechtsverstöße Einfluss auf die Vorbereitung sowie auf den Inhalt der Angebote gehabt haben und die Antragstellerin dadurch in Bieterrechten verletzt worden ist. In tatsächlicher Hinsicht Widersprechendes haben die Antragsgegnerin und die Beigeladene im Eilverfahren nicht vorgetragen.

Das Aufstellen unzulässiger Zuschlagskriterien und die Nicht-Bekanntgabe in der Form einer Bewertungsmatrix nachträglich festgelegter Unterkriterien und Gewichtungskoeffizienten sind ihrer Art nach geeignet, die Leistungs- und die Angebotsmöglichkeiten der Bieter nachteilig zu beeinflussen. Die Bieter können das Angebot dann nicht an den Erwartungen des Auftraggebers hinsichtlich der ausgeschriebenen Lieferung oder Leistung sowie ebenso wenig an genau formulierten Bewertungsvorstellungen ausrichten. Sie werden bei der vom Auftraggeber sicherzustellenden Gleichbehandlung dadurch darin behindert, ein unter allen Umständen vergleichbares und das annehmbarste Angebot abzugeben (vgl. EuGH, Urteil vom 12.2.2004 - C-230/02, NVwZ 2004, 460, 461, Senat, Beschluss vom 28.2.2002 -Verg 40/01, NZBau 2003, 173, 174; Beschluss vom 8.4.2004 - Verg 38/04, NZBau 2004, 688). Betroffene Bieter, im Streitfall die Antragstellerin, müssen auf eine derartige Ausschreibung - allein um ihre Rechte mit Blick auf eine mögliche Nachprüfung zu wahren - kein fiktives Angebot abgeben. Der Umstand, dass die Antragstellerin dies trotzdem, aber erst nach Ablauf der Angebotsfrist, getan hat, ist unschädlich und rechtfertigt nicht den Ausschluss ihres Angebots.

d) Aufgrund der wahrscheinlichen Vergaberechtsverstöße muss das Vergabeverfahren voraussichtlich bis zum Stand ab Übersendung der Verdingungsunterlagen einschließlich einer Bekanntgabe zulässiger Zuschlagskriterien, Unterkriterien und deren Gewichtung aufgehoben, d.h. zurückversetzt werden. In einem solchen Fall ist die verspätete Einreichung eines Angebots durch den Antragsteller ohnedies unschädlich. Denn der aus formalen Gründen, wie (auch) einer Überschreitung der Angebotsfrist, an sich gebotene Ausschluss eines Angebots ist rechtlich unerheblich, wenn der betroffene Antragsteller nach (teilweiser) Aufhebung des Vergabeverfahrens Gelegenheit hat und erhalten muss, ein neues Angebot einzureichen und dabei den geltendgemachten Ausschlussgrund zu vermeiden (vgl. Senat, Beschluss vom 24.3.2004 - Verg 7/04; VergabeR 2004, 517, 518; KG; Beschluss vom 15.4.2004 - 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762, 764 f. und, soweit ersichtlich, einhellige Rechtsprechung der Vergabesenate).

e) Eine Entscheidung darüber, ob die Antragsgegnerin Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung zugelassen oder hervorgerufen und/oder - vergaberechtserheblich - dem mit den Verdingungsunterlagen übersandten Vertragsentwurf eine in rechtlicher Hinsicht zwingenden Vorgaben der HOAI widersprechende Vergütung zugrundegelegt hat, kann im Eilverfahren unterbleiben. Dies ist für die Entscheidung im Eilverfahren unbedeutend und kann, so denn eine Aussage darüber zweckmäßig erscheint, der Beschwerdeentscheidung vorbehalten bleiben.

2. Die im Fall eines voraussichtlichen Erfolgs des Rechtsmittels gebotene Interessenabwägung rechtfertigt nicht, der Antragstellerin eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsmittels zu versagen (§ 118 Abs. 2 S. 2 GWB).

Der diesbezügliche Vortrag der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ist wertungsbesetzt. Er enthält keine konkreten Tatsachenangaben dazu, dass und aus welchen Gründen ein Interesse der Allgemeinheit an einem möglichst raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde und die damit durch die Gewährleistung eines effektiven Bieterrechtsschutzes verbundenen Vorteile überwiegt, sondern beschränkt sich insoweit auf bloße Rechtsbehauptungen. Der Vortrag zeigt ebenso wenig konkrete Gesichtspunkte dafür auf, weshalb die Antragsgegnerin infolge der vergleichsweise kurzen (weiteren) Verzögerung der Auftragsvergabe durch das Beschwerdeverfahren an einer wirtschaftlichen Erfüllung von ihr wahrgenommener Aufgaben gehindert ist und infolgedessen bei wertender Gesamtbetrachtung das Interesse an einer raschen Auftragsvergabe den Vorzug vor einer Gewährleistung des den Bietern gesetzlich garantierten Primärrechtsschutzes verdient. Bei dieser Sachlage ist die Antragsgegnerin mit Rücksicht auf die Baulichkeiten, über die sie nach den Umständen gegenwärtig verfügt, im Eilverfahren als so eingerichtet anzusehen, dass sie vom noch andauernden Nachprüfungsverfahren auch ohne eine sofortige Auftragsvergabe von Ingenieurleistungen, die der Vorbereitung eines Bauantrags dienen, an einer zweckentsprechenden Erfüllung ihrer Aufgaben vorläufig nicht entscheidend gehindert ist.

Eine Kostenentscheidung ist erst mit der Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu treffen.

Ende der Entscheidung

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