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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.11.2007
Aktenzeichen: VII-Verg 23/07
Rechtsgebiete: VOL/A, GWB


Vorschriften:

VOL/A § 9 a Nr. 1 c)
VOL/A § 21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1
VOL/A § 25 Nr. 1 Abs. 2 a)
VOL/A § 25 a Nr. 1 Abs. 1 Satz 3
GWB § 107 Abs. 2
GWB § 107 Abs. 3 Satz 1
GWB § 114 Abs. 1
GWB § 128 Abs. 3
GWB § 128 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde der Beigeladenen der Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 20. Juni 2007, VK 3-52/07, aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei Fortbestehen der Vergabeabsicht das nicht offene Verfahren zur Vergabe des Auftrags "Scanner für Computeranwendungen", 2007/S 16-018436, in den Stand vor Aufforderung der im Teilnahmewettbewerb erfolgreichen Bieter zur Angebotsabgabe und Versendung der Verdingungsunterlagen zurückzuversetzen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene als Gesamtschuldner. Die der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zu 50%.

Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu je 50 %.

Der Gegenstandswert wird auf 51.643,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin schrieb die Vergabe eines Auftrags über die Beschaffung von 600 Fingerabdruckscannern für Pass- und Visaverfahren einschließlich Treibersoftware im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes europaweit im beschleunigten nicht offenen Verfahren aus.

Die Fingerabdruckscanner bedurften nach III.1.4. der Bekanntmachung und 3.1 der Verdingungsunterlagen der Zertifizierung nach der Technischen Richtlinie zur Personendatenübertragung durch das BSI. Nach 3.1 der Verdingungsunterlagen sollte das Zertifikat bis zum 16. April 2007 eingereicht werden.

Hinsichtlich der Zuschlagskriterien verwies die Bekanntmachung unter IV.2.1. (Sonstige Bedingungen an die Auftragsausführung) auf die Verdingungsunterlagen. In den Verdingungsunterlagen war Folgendes ausgeführt:

6.1 Zuschlagskriterien:

Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Folgende Kriterien sind dabei ausschlaggebend:

- Leistungsfähigkeit, bestehend aus:

- Qualität

- Technischer Wert

- Zweckmäßigkeit

- Preis

Qualität, technischer Wert und Zweckmäßigkeit des Angebots werden über die Bewertungskriterien ermittelt.

6.2 Bewertungskriterien:

Zur Wertung der Leistungsfähigkeit der eingegangenen Angebote sind in den Kapiteln 3, 4 und 5 Anforderungs- und Bewertungskriterien definiert. Grundsätzlich müssen mindestens alle Ausschlusskriterien erfüllt sein. Die Nichterfüllung eines Ausschlusskriteriums führt zum Ausschluss des Angebots. Die Bewertung erfolgt hier für Leistungen, die über die Mindestforderung hinausgehen.

Anforderungskriterien bestehen aus "A" und eindeutiger Nummerierung (Beispiel A.3.1.2).

Bewertungskriterien bestehen aus " B" und eindeutiger Nummerierung (Beispiel B 4.2.3).

Jedes Kriterium wird gemäß Tabelle mit einer Gewichtung versehen. Die Abschnitte 3 bis 4.1 und 5. werden getrennt von dem Abschnitt 4.1 aufgeführt und gewichtet. Die Kriterien des Abschnitts 4.2 fließen nur bei Beauftrag der optionalen Anwendungssoftware mit in die Bewertung ein.

Den Verdingungsunterlagen war in tabellarischer Form ein "Kriterienkatalog zur Ausschreibung Fingerabdruckscanner im Auswärtigen Amt" beigefügt. Einer Tabelle war die Gewichtung der Anforderungs- und Bewertungskriterien (durch Punktevergabe) zu entnehmen.

Die Antragstellerin, die Beigeladene und eine dritte Bieterin wurden zur Abgabe eines Angebots bis zum 2. April 2007 aufgefordert. Vor Ablauf der Angebotsfrist reichten die Antragstellerin, die Beigeladene und die dritte Bieterin Angebote ein. Die Antragstellerin bot einen Fingerprintsensor TouchPrint 4100 mit USB-2.0-Schnittstelle an, ebenso wie die dritte Bieterin, die dieses Gerät von der Antragstellerin als Vorlieferantin beziehen wollte.

Nach der Technischen Richtlinie zur Produktionsdatenerfassung, Qualitätsprüfung und Übermittlung für Pässe vom 12. Februar 2007 (Anlage BG 4) bearbeitet das BSI die Anträge auf Zertifizierung in der Reihenfolge ihres Eingangs.

Ausweislich des ihr erteilten Konformitätsbescheides stellte die Antragstellerin am 6. März 2007 beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) einen Antrag auf Konformitätsbestätigung. Am 7. März 2007 lieferte die Antragstellerin an das Fraunhofer Institut (IOF), das im Auftrag des BSI die Prüfung vornimmt, einen Fingerprintsensor TouchPrint 4100 ohne USB-2.0-Anschluss ein (Anlage Ast18). Am 21. März 2007 schloss das Fraunhofer Institut (IOF) die Prüfung des Testgeräts der Beigeladenen ab (Anlage BG1). Die Antragstellerin reichte ein zweites Testgerät beim Fraunhofer Institut (IOF) am 29. März 2007 ein, an dem sie technische Änderungen vorgenommen hatte.

Mit einer E-Mail vom 12. April 2007 (Anlage BG1) stellte die Antragstellerin beim Antragsgegner einen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Einreichung des BSI-Zertifikates. Am 13. April 2007 wandte sich das BSI mit folgender E-Mail (Anlage BG2) an das Auswärtige Amt und bat um Verlängerung der Frist:

Gegenwärtig befindet sich bei unserer Prüfstelle - dem Fraunhofer IOF - ein zweiter 4-Finger-Scanner (der Firma L1 ID) in der Prüfung. Diese ist nahezu abgeschlossen. Bei den finalen Testes traten jedoch einige kleine Probleme auf, die zur Zeit behoben werden, so dass der Scanner voraussichtlich nächste Woche die Konformitätsprüfung erfolgreich absolvieren wird und ein Zertifikat nach der Technischen Richtlinie erteilt werden kann.

Bei bisherigen Konformitätsverfahren wurde jedem Hersteller die Gelegenheit gegeben, bei Problemen eine kurzfristige Lösung anzubieten. Im Falle von L1 sind die Verhältnisse durch die Zeitverschiebung zu den Hardware-Entwicklern in den USA etwas erschwert. Die Fehlerursachen wurden dort jedoch identifiziert und es wird an einer Lösung gearbeitet.

Im Sinne der Gleichbehandlung der Hersteller bitte ich Sie daher - sofern möglich - die Frist für die Ausschreibung um eine Woche zu verschieben. Da hier erheblicher Zeitdruck besteht (Stichtag 16.4.) würde ich Sie um eine baldige Rückmeldung diesbezüglich bitten.

Die Antragsgegnerin gewährte der Antragstellerin die beantragte Fristverlängerung für die Einreichung des Zertifikats bis zum 27. April 2007. Die Antragstellerin und die dritte Bieterin reichten das Zertifikat rechtzeitig innerhalb der verlängerten Frist nach.

Nach der Bewertung der Angebote anhand der von den Bietern mit dem Angebot vorgelegten Mustergeräte nahm die Beigeladene ausweislich des Vergabevermerks vom 2./3.Mai 2007 den ersten Rang vor dem Angebot der D... und der an letzter Stelle platzierten Antragstellerin ein. Mit Schreiben vom 8. Mai 2007 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, die Beigeladene solle den Zuschlag auf ihr Angebot erhalten.

Am 11. Mai 2007 rügte die Antragstellerin eine unterlassene Bekanntgabe der Gewichtung von Wertungskriterien als vergaberechtsfehlerhaft. Nach erfolgloser Rüge ließ sie einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes einreichen.

Mit Beschluss vom 20. Juni 2007 gab die Vergabekammer des Bundes dem Nachprüfungsantrag statt und verpflichtete die Antragsgegnerin, die Wertung der Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beigeladenen, mit der diese die Aufhebung des Beschlusses und die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags begehrt.

Die Beigeladene wendet sich gegen die Anordnung, die Angebotswertung zu wiederholen. Die Vergabekammer habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, indem sie es unterlassen habe aufzuklären, ob es sich bei dem vom BSI testierten Gerät tatsächlich um ein Gerät mit einer USB-2.0-Schnittstelle gehandelt habe. Bei dem zertifizierten Gerät habe es sich um ein Gerät mit einer Fire-Wire-Schnittstelle gehandelt. Angeboten habe die Antragstellerin jedoch ein Gerät mit einer USB-2.0-Schnittstelle. Zudem sei das Zertifikat von der Antragstellerin verspätet eingereicht worden, weshalb ihr Angebot vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen sei. Eine Fristverlängerung für die Einreichung des Zertifikats diskriminiere sie, die Beigeladene, die das geforderte Zertifikat rechtzeitig eingereicht habe. Die Antragstellerin habe auch nicht auf die ihr gewährte Fristverlängerung vertrauen dürfen.

Das Angebot der Antragstellerin sei ferner wegen einer wettbewerbswidrigen Absprache mit D... zwingend von der Wertung auszunehmen. Davon abgesehen habe die Antragsgegnerin eine Gewichtung erst in dem Zeitpunkt vorgenommen, zu dem ihr das haushaltsrechtlich möglich gewesen sei. Dies sei nach § 9 a Nr. 1 c) i.V.m. § 25 a Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 VOL/A zulässig. Insbesondere sei die Auffassung der Vergabekammer, die Zuschlagskriterien Leistungsfähigkeit und Preis seien in einem Verhältnis von 1:1 zu werten, fehlerhaft.

Im Übrigen sei die Rüge der fehlenden Angabe einer Gewichtung in den Verdingungsunterlagen präkludiert. Das Unterlassen einer Gewichtung der Zuschlagskriterien habe die Antragstellerin bereits anhand der Verdingungsunterlagen erkennen können.

Die Wertung der Angebote sei fehlerfrei erfolgt. Die Antragsgegnerin habe noch vor Öffnung der Angebote detailliert in Form einer Punktskala festgelegt, bei Erfüllung welcher Anforderungen ein Bieter welche Punktzahl erhalten solle. Die Beigeladene verteidigt die Wertung der Antragsgegnerin im Einzelnen.

Die Beigeladene beantragt,

den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde der Beigeladenen zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt den Beschluss der Vergabekammer.

Die Antragsgegnerin verteidigt ihr Vorgehen, stellt aber keinen Antrag.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Vergabeakte und die Verfahrensakte der Vergabekammer verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

Auf den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist in entsprechender Anwendung des § 114 Abs. 1 GWB das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Verdingungsunterlagen und Aufforderung der im Teilnahmewettbewerb erfolgreichen Bieter zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen, da die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Davon sind als ein Weniger die im Verfahren vor der Vergabekammer angebrachten Anträge der Antragstellerin auf Untersagung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen (ohne dieses Angebot auszuschließen) und Wiederholung der Angebotswertung umfasst.

1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig.

a) Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB. Ihr droht durch die von ihr schlüssig behauptete Verletzung von Vergaberechtsvorschriften, nämlich der unterlassenen Bekanntgabe der Gewichtung der Zuschlagskriterien, ein Schaden zu entstehen. Sie hat auch Aussichten auf Erteilung des Zuschlags. Sie hat ein Angebot abgegeben, das zwar ausweislich des Vergabevermerks vom 2./3. Mai 2007 nur an dritter Stelle der Bieterrangliste lag. Tatsächlich belegte sie aber mit ihrem Angebot den zweiten Platz. Der Vergabevermerk wies einen Additionsfehler zu Lasten der Antragstellerin auf. Sie lag nach der Punktvergabe tatsächlich an zweiter Stelle und zwar noch vor dem Angebot des Bieters D....

b) Die Antragstellerin hat ihre Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB erfüllt. Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und nicht gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich gerügt hat. Kenntnis in diesem Sinne verlangt nicht nur eine Tatsachen-, sondern auch eine Rechtskenntnis. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin über eine Rechts- und Tatsachenkenntnis von einem Vergaberechtsverstoß zu einem früheren Zeitpunkt verfügte, die ihre Rügeobliegenheit schon vor Angebotsabgabe ausgelöst hätte. Zwar kann der Antragstellerin nicht verborgen geblieben sein, dass den Verdingungsunterlagen unter 6.1 Zuschlagskriterien nichts über eine konkrete Gewichtung der Zuschlagskriterien zu entnehmen war. Dies belegt aber nicht die erforderliche Tatsachen- und Rechtskenntnis der Antragstellerin um einen Vergabeverstoß vor Angebotsabgabe. Die Antragstellerin glaubte irrtümlich und unwiderlegt zu diesem Zeitpunkt noch daran, die Antragsgegnerin werde eine Gewichtung der Zuschlagskriterien im Verhältnis von 1:1 vornehmen. Von der tatsächlich erfolgten Gewichtung der Vergabekriterien "Preis und Leistung" im Verhältnis von 2:1 ohne eine Bekanntgabe gegenüber den Bietern hat die Antragstellerin nach ihrem eigenem, unwiderlegtem Vorbringen erst aufgrund der Bieterinformation vom 8. Mai 2007 erfahren. Erst ab dem Zeitpunkt der anwaltlichen Beratung, die ausweislich des Rügeschreibens vom 11. Mai 2007 eingeholt wurde, lag bei ihr die erforderliche Rechtskenntnis vor. Dies ist der Antragstellerin nicht zu widerlegen. Sie hat mit Schreiben vom 11. Mai 2007 den Vergaberechtsverstoß auch unverzüglich nach Erhalt der Bieterinformation vom 8. Mai 2007, nämlich innerhalb von wenigen Tagen nach Absendung der Bieterinformation gerügt.

Die Rüge, die Punkteverteilung zwischen den Unterkriterien B 3.2.2. "Zugentlastung" und B 3.2.3 "Größe der Wanddurchführung" sei nicht sachgerecht und willkürlich, ist nicht präkludiert. Es reicht für die Eröffnung des Vergaberechtsweges aus, dass jedenfalls eine einzige Rüge zulässig erhoben worden ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.7.2006, Verg 27/06; a.A. OLG Bremen, Beschl. v. 18.5.2006, Verg 3/05, VergabeR 2006, 502, 507).

2. Der Nachprüfungsantrag hat Erfolg. Das Vergabeverfahren ist in den Stand vor Versendung der Verdingungsunterlagen und Abgabe der Angebote durch die im Teilnahmewettbewerb erfolgreichen Bieter zurückzuversetzen. Die Antragsgegnerin hat die Grundsätze der Transparenz und Chancengleichheit des Vergabeverfahrens verletzt.

a) Nach Art. 53 Abs. 2 Unterabsatz (UA) 1, Art. 40 Abs. 5 e, der Richtlinie 2004/18/EG und § 9 a Nr. 1 c) i.V.m. § 25 a Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 VOL/A sind die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung entweder in der Bekanntmachung des Auftrags oder in den Verdingungsunterlagen (Angebotsaufforderung) bekannt zu geben. Sollte nach Ansicht des öffentlichen Auftraggebers die Bekanntgabe der Gewichtung aus nachvollziehbaren Gründen nicht möglich sein, so sind die Zuschlagskriterien in absteigender Reihenfolge der ihnen zugemessenen Bedeutung in den Verdingungsunterlagen anzugeben, damit die Bieter in der Lage sind, von diesen Kriterien und ihrer Bedeutung Kenntnis zu nehmen (Art. 53 Abs. 2 UA 3 Richtlinie 2004/18/EG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (vgl. Urt. v. 24. November 2005, VergabeR 2006, 202 - ATI/La Linea) hat der öffentliche Auftraggeber nicht nur die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen bekannt zu geben, sondern die zur Ausfüllung eines Zuschlagskriteriums aufgestellten Unterkriterien und deren konkrete Gewichtung auch dann noch zu einem späteren Zeitpunkt nach Versendung der Verdingungsunterlagen den Bietern bekannt zu geben, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Bekanntgabe der Unterkriterien und ihrer Gewichtung Einfluss auf den Inhalt der Angebote haben kann. Ist der Auftraggeber erst kurz vor oder nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe in der Lage, die Unterkriterien und/oder ihre Gewichtung festzulegen, so muss er den Bietern die Unterkriterien und deren Gewichtung nachträglich bekannt geben, sofern ihre Kenntnis die Angebotsgestaltung der Bieter beeinflussen kann. Darüber hinaus hat er den Bietern Gelegenheit zu einer Änderung und Anpassung der Angebote zu geben.

Diese Grundsätze gelten erst recht und entsprechend für den Fall, dass der Auftraggeber zur Ausfüllung eines bekannt gegebenen Unterkriteriums weitere neue (zusätzliche) oder differenzierende Unterkriterien aufstellt, die das auf das bekannte Unterkriterium entfallende Gewicht auf diese Unterkriterien (durch Aufteilung der Gesamtpunktzahl) verteilt, und nicht auszuschließen ist, dass diese Unterkriterien objektiv geeignet sind, den Inhalt der Angebote zu beeinflussen. Auch diese differenzierenden und zusätzlichen Unterkriterien, die ein bekannt gegebenes Unterkriterium ausfüllen, und ihre Untergewichtung sind den Bietern bekannt zu geben.

(1) Ein Verstoß der Antragsgegnerin gegen die so zu verstehenden Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung ist in der Unterlassung einer Bekanntgabe der Gewichtung der Zuschlagskriterien zu sehen. Die Antragsgegnerin hat in einem Vermerk vom 27. März 2007 die Gewichtung der Zuschlagskriterien Leistungsfähigkeit und Preis im Verhältnis von 2:1 und die auf den Preis entfallenden Gesamtpunktwerte festgelegt. Sie hat es aber unterlassen, die Bieter über die konkrete Gewichtung der Zuschlagskriterien vor Ablauf der Angebotsfrist zu unterrichten. Die Antragsgegnerin musste die Gewichtung der Zuschlagskriterien im Verhältnis von 2:1 den Bietern bekannt und ihnen Gelegenheit zur Anpassung ihrer Angebote geben. Notfalls hätte die Frist zur Abgabe der Angebote verlängert werden müssen.

(2) Die Antragsgegnerin hat ferner gegen den Grundsatz der Transparenz verstoßen, indem sie es unterlassen hat, zu den in den Verdingungsunterlagen enthaltenen Unterkriterien zusätzlich (neu) aufgestellte Unterkriterien und ihre Gewichtung bekannt zu geben.

In der Anlage zum Vergabevermerk vom 27. März 2007 waren zusätzliche Anforderungen (Unterkriterien) zu den in den Verdingungsunterlagen genannten Unterkriterien aufgestellt worden. Bezüglich des Unterkriteriums "A 3.2.5 Staub und Spritzwasserschutz" stellte die Antragsgegnerin das zusätzliche Unterkriterium "Vorlage von Zertifikaten anerkannter Prüfinstitute" auf. Dieses zusätzliche Kriterium war geeignet, den Inhalt der Angebote zu beeinflussen. Die Vorlage eines Zertifikats gewichtete die Antragsgegnerin mit zwei Wertungspunkten. Dies geschah, ohne den Bietern zuvor bekannt zu geben, dass die Vorlage eines Zertifikats zu einer besseren Bewertung führen sollte.

Zum Unterkriterium 3.3.6 "Erfassungsleistung" des Scannergeräts, das sich zunächst nur auf eine Erfassungsleistung in Abhängigkeit von der Feuchtigkeit der Finger, der Hautfarbe und dem Alter der Personen bezog, sollte nach der Anlage zum Vergabevermerk vom 27. März 2007 neben diesem Unterkriterium die Erfassungsleistung auch nach der Dauer des Scanvorgangs bewertet werden. Auf das zusätzliche Kriterium "Scangeschwindigkeit" sollten nach näherer Unterscheidung bis zu fünf Wertungspunkte entfallen. Darin liegt die Aufstellung eines zusätzlichen Unterkriteriums und eine Untergewichtung, welche ebenfalls geeignet war, den Inhalt der Angebote zu beeinflussen, ohne dass die Antragsgegnerin dies vor Ablauf der Angebotsfrist bekannt gegeben hat.

(3) Die Antragsgegnerin hat auch dadurch gegen die Gebote der Transparenz und Gleichbehandlung der Bieter verstoßen, indem sie es unterlassen hat, weitere, differenzierende Unterkriterien zu den in den Verdingungsunterlagen enthaltenen Unterkriterien bekannt zu geben. Mit einer Anlage zum Vermerk vom 27. März 2007 hat die Antragsgegnerin in Bezug auf den Kriterienkatalog zur Ausschreibung von Fingerabdruckscanner eine Übersicht erstellt, der zu entnehmen ist, dass zu einzelnen Unterkriterien weitere Unterkriterien entwickelt worden sind. Aus der Aufstellung ergibt sich ferner, wie die in den Verdingungsunterlagen bekannt gegebenen Punktzahlen bei Unterkriterien auf die nachrangigen Unterkriterien zu verteilen sind. Dies betrifft die Unterkriterien A 3.1.1., A 3.2.1., B 3.2.2., B 3.2.3, A 3.2.4., A 3.2.5. (über eine Zertifizierung hinaus), A 3.2.6., B 3.2.7 und die Unterkriterien B 3.3.1, B 3.3.2., A 3.3.1/2, B 3.3.4, A 3.3.5., B 3.3.6. (Differenzierung zwischen Erfassung und Scangeschwindigkeit) sowie schließlich die Unterkriterien B 4.1.3. und A 5.1.

Zum Beispiel sind zu dem Unterkriterium A 3.2.1 "Größe des Geräts" (Raummaß) weitere Unterkriterien gebildet worden, die nach angebotsindividueller Größe der Geräte differenzierten. Die maximal erreichbare Punktzahl (zehn Wertungspunkte) wurde nach dem Raummaß gestaffelt verteilt. Dies war geeignet, den Inhalt der Angebote zu beeinflussen. Infolge der unterlassenen Bekantgabe der zusätzlich aufgestellten Unterkriterien und ihrer Gewichtungen konnten Bieter sich bei der Abfassung des Angebots nicht danach richten, dass nur das kleinste angebotene Gerät die höchste Punktzahl erhielt.

In der Anlage zum Vergabevermerk wurden ferner zum Unterkriterium A 3.2.4. "Fixierung des Geräts auf der Abstellfläche" differenzierende Unterkriterien aufgestellt, die nach der Art der Anbringung unterschieden: verdeckt verschraubt, verschraubt und geklebt. Jeder Art der Anbringung wurden abgestuft Wertungspunkte zugewiesen. Auch dies konnte den Inhalt der Angebote bestimmen. Die Nichtbekanntgabe der das Unterkriterium ausfüllenden differenzierenden Unterkriterien und der Wertungspunkte beeinträchtigte auch die Transparenz der Bewertung und damit die Chancengleichheit der Bieter. Diese Anlage war den Bietern rechtzeitig vor Angebotsabgabe bekannt zu geben.

b) Ob die Antragstellerin die Nichteinhaltung der ursprünglichen Frist bis zum 16. April 2007 für die Einreichung des BSI-Zertifikates zu vertreten hat, kann unbeantwortet bleiben. Da das Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe und Versendung der Verdingungsunterlagen zurückzuversetzen ist, erhält sie Gelegenheit, ein neues Angebot - gegebenenfalls nebst Zertifikat - einzureichen.

c) In Anbetracht der Zurückversetzung des Verfahrens kann ebenso ungeklärt bleiben, ob das BSI-Zertifikat für den von der Antragstellerin angebotenen Fingerprintsensor TouchPrint 4100 zu Unrecht erteilt worden ist. Der Senat weist jedoch auf folgendes hin: Wie der vorgelegten Technischen Richtlinie des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik vom 12. Februar 2007 zu entnehmen ist, wird mittels der Technischen Richtlinie die Erfüllung von Vorgaben für die Erfassung, Qualitätsprüfung und Übermittlung von Passantragsdaten geprüft, insbesondere soweit es die Übermittlung biometrischer Daten, also Fingerabdrücke betrifft. Gegenstand der Konformitätsbescheinigung ist nicht die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Schnittstelle oder die Frage, ob ein störungsfreier Anschluss des Fingerabdruckscanner TouchPrint 4100 mittels einer USB-2.0-Schnittstelle möglich ist. Dies bestätigt der Inhalt des vorgelegten Konformitätsreports (Anlage zum Konformitätsbescheid BSI-K-TR-0008-2007 vom 23.04.2007), soweit es darin heißt: "Der Fingerprintsensor TouchPrint 4100 ist entweder mit einer FireWire-... oder mit einer USB/2.0-Schnittstelle ausgerüstet. Unabhängig von der jeweiligen Variante des Scanners sind Aufbau und Funktionalität sowie die verwendete Firm- und Software identisch."

d) Da die Antragstellerin bei einer Zurückversetzung des Vergabeverfahrens ein neues Angebot einreichen kann, bindet sie ihr ursprüngliches Angebot nicht mehr. Deshalb ist den von der Antragsgegnerin vor dem Senatstermin getätigten Probekäufen keine Aussagekraft dafür zuzumessen, ob die Antragstellerin den Fingerprintsensor TouchPrint 4100 ausschreibungskonform angeboten hat. Von der Leistungsfähigkeit des im Wege des Probekaufs erworbenen Fingerprintsensors lässt sich im Übrigen nicht auf die Leistungsfähigkeit des Fingerprintsensors TouchPrint 4100 schließen.

e) Die von den Verfahrensbeteiligten noch erörterte Problemstellung, ob die Antragstellerin und die Bieterin D... gegen den aus dem Wettbewerbsgebot abzuleitenden Grundsatz der Wahrung des Geheimwettbewerbs verstoßen haben, da die Antragstellerin als Vorlieferantin des von D... angebotenen Fingerprintsensors TouchPrint 4100 aufgetreten ist, bedarf keiner Beantwortung. Ein etwaiger Verstoß betrifft Angebote, die mit der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Versendung der Verdingungsunterlagen gegenstandslos werden.

f) In entsprechender Anwendung des § 114 Abs. 1 GWB ist die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Versendung der Verdingungsunterlagen und nicht nur eine Wiederholung der Angebotswertung, wie von der Antragstellerin in erster Instanz beantragt worden ist, erforderlich (vgl. hierzu im einzelnen Senat, Beschl. v. 13.6.2007, VergabeR 2007, 635, 643). Das Unterlassen der Bekanntgabe der Gewichtung von Zuschlagskriterien verletzt die Antragstellerin in Bieterrechten. Dem steht nicht entgegen, dass der Senat damit über den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin hinausgeht. Eine Bindung des Senats an die Anträge der Antragstellerin besteht nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 13.06.2007 - VII-Verg 2/07, VergabeR 2007, 635, 643).

3. Bei einer nach Lage der Dinge ebenfalls zu wiederholenden Angebotswertung wird die Antragsgegnerin zu beachten haben:

a) An der bisherigen Wertung war vergaberechtsfehlerhaft, dass Abweichungen der von den Bietern vorgelegten Muster vom Angebot, und zwar negativ, bewertet worden sind. Muster stellen in entsprechender Anwendung der §§ 21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1, 25 Nr. 1 Abs. 2 a) VOL/A im Rechtssinn Bietererklärungen dar. Sind verlangte Muster nicht oder unvollständig vorgelegt worden, kann das betreffende Angebot auszuschließen sein (BGH, Beschl. v. 26.9.2006, X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, Tz. 49). Den Verdingungsunterlagen war unter 2.3. "Angebotsunterlagen" zu entnehmen, dass mit dem Angebot ein Mustergerät einzureichen war. Ausweislich einer Antwort der Antragsgegnerin auf eine Bieterfrage vom 13.3.2007 sollte ein Mustergerät vorgelegt werden, das dem ausgeschriebenen Gerät entspricht. Das Muster musste dem angebotenen Gerät aber nicht entsprechen. Mit der Antwort war insoweit ausgeführt worden: Sollten Abweichungen zwischen dem Muster und dem angebotenen Gerät vorhanden sein, so sind diese aufzuzeigen und zu erläutern. Das Muster musste mit dem angebotenen Gerät folglich nicht identisch sein.

Die Antragstellerin hatte bezüglich ihres mit dem Angebot vorgelegten Mustergerätes gemäß 3.2.2. der Verdingungsunterlagen in Beilage 9 zu ihrem Angebot ausgeführt, das Vertragsgerät werde mit einer Kabellänge von fünf Metern geliefert. Dies durfte bei der Wertung ihres Angebots nicht unberücksichtigt bleiben. Die abweichende Kabellänge des Musters durfte nicht bewertet werden. Die Antragstellerin hatte - nur weil das Muster ein anderes Kabel aufwies - nichts von den Verdingungsunterlagen Abweichendes angeboten. Aus diesem Grund kam ein Ausschluss ihres Angebots nicht in Betracht. Dies schloss es aber auch aus, Abweichungen des Musters vom angebotenen Gerät nachteilig zu bewerten. Die Antragsgegnerin hat in den Verdingungsunterlagen nicht gefordert, das Angebotsmuster habe mit dem angebotenen Gerät übereinzustimmen.

b) Die Rüge der Antragstellerin, die Punkteverteilung zwischen den Kriterien B.3.2.2. Zugentlastung (10 Wertungspunkte) und B 3.2.3. Größe der Wanddurchführungsöffnung (30 Wertungspunkte) sei nicht sachgerecht und willkürlich, ist nach gegenwärtigem Stand der Dinge unbegründet. Bei der Aufteilung der Wertungspunkte auf Unterkriterien steht dem öffentlichen Auftraggeber ein Ermessen zu. Die unterschiedliche Gewichtung von Zuschlagskriterien darf in einer entsprechenden Verteilung von Wertungspunkten zum Ausdruck gebracht werden. Ermessenfehler sind der Antragsgegnerin nicht unterlaufen. Ihre Vorgaben sind vertretbar. So hat die Antragsgegnerin ausweislich des Vergabevermerks vom 2. Mai 2007 auf Seite 7 die Bewertung des Unterkriteriums B 3.2.3. Größe der Wanddurchführungsöffnung beanstandungsfrei damit gerechtfertigt, dass die Geräte vor einer durchschussfesten Schalterkonstruktion der Visastellen aufgestellt werden und der Durchmesser der Kabelöffnung aus Sicherheitsgründen in Fußbodennähe nicht größer als 16 mm sein darf. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Antragsgegnerin Wert auf eine einfache Installation der Geräte (plug and play) legte und kein Fachpersonal hierzu eingesetzt wissen wollte, weil die Geräte in ausländischen Visastellen installiert werden sollen. Mit dem bisher von der Antragstellerin angebotenen Gerät TouchPrint 4100 ist zur Installation entweder eine Demontage der Stecker oder des Geräts selbst vom Anschlusskabel erforderlich. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, das Gerät sei ausschließlich von ausgewiesenem Fachpersonal zu installieren und deinstallieren, lässt Beurteilungsfehler nicht erkennen. Die Antragstellerin hat solche auch nicht aufgezeigt.

III.

Die Entscheidung über die Kosten und Aufwendungen im Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf § 128 Abs. 3, Abs. 4 GWB. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO analog. Ein Teilunterliegen der Antragstellerin liegt nicht vor. Der Antrag auf Wiederholung der Angebotswertung ist als Minus von der Anordnung der Rückversetzung des Vergabeverfahrens umfasst.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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