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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.10.2005
Aktenzeichen: VII-Verg 40/05
Rechtsgebiete: VOB/A, GWB


Vorschriften:

VOB/A § 3 a Nr. 5 lit. a)
VOB/A § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3
VOB/A § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b)
VOB/A § 25 Nr. 2 Abs. 1
VOB/A § 25 Nr. 3 Abs. 3
VOB/A § 26 Nr. 1 lit. a)
GWB § 97 Abs. 7
GWB § 128 Abs. 3 Satz 1
GWB § 128 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster vom 17. Juni 2005 (VK 12/05) aufgehoben.

Das Vergabeverfahren betreffend die Beschaffung der Gebäudeautomation und Gebäudeleittechnik beim Neubau des F...-Gymnasiums, M..., wird aufgehoben. Die Nachprüfungsanträge der Antragstellerinnen werden zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahrens sind von den Antragstellerinnen als Gesamtschuldner zu tragen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Antragsgegnerin in beiden Instanzen des Nachprüfungsverfahrens entstandenen Auslagen werden den Antragstellerinnen jeweils zur Hälfte auferlegt. Darüber hinaus haben die Verfahrensbeteiligten Auslagen und außergerichtliche Kosten selbst zu tragen.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 60.000 EUR

Streitwert für die Nachprüfungsanträge

der Antragstellerinnen: jeweils bis zu 30.000 EUR

Gründe:

A. Die Antragsgegnerin führt beim Neubauvorhaben eines Gymnasiums ein Vergabeverfahren nach VOB/A betreffend die Gebäudeautomation und Gebäudeleittechnik durch. Die Beschaffung ist im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben worden. Der Zuschlag sollte auf das von der Beigeladenen eingereichte Nebenangebot ergehen.

Auf die Nachprüfungsanträge der Antragstellerinnen gab die Vergabekammer der Antragsgegnerin auf, mit Ausnahme des Angebots der Beigeladenen die Angebote der im Vergabeverfahren verbliebenen Bieter (u.a. der Antragstellerinnen) erneut zu werten. Das Angebot der Beigeladenen sollte hingegen ausgeschlossen werden, weil es (u.a.) entgegen einer Vorgabe in der Angebotsaufforderung als isoliertes Nebenangebot (mithin ohne gleichzeitiges Hauptangebot) abgegeben worden war.

Dagegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin strebt eine Aufhebung des Vergabeverfahrens an. Sie sieht sich durch die Entscheidung der Vergabekammer bei der Auftragsvergabe und der das Bauvorhaben betreffenden Zeitplanung zu Unrecht behindert.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Ausschreibung aufzuheben.

Die Antragstellerinnen beantragen,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragstellerinnen halten das Rechtsmittel mit näherer Begründung für unzulässig und für unbegründet.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

B. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg.

I. Das Rechtsmittel ist zulässig.

Die Antragsgegnerin macht mit der Beschwerde geltend, dass - sofern, wie die Vergabekammer angeordnet hat, das Angebot der Beigeladenen nicht gewertet werden dürfe (sondern, wie außer Streit steht, als nicht zugelassenes isoliertes Nebenangebot gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d) VOB/A zwingend von der Wertung auszunehmen ist) - auch die Angebote der Antragstellerinnen (und eines weiteren in der Wertung verbliebenen Bieters) von der Wertung auszuschließen seien, da ihnen die mit der Angebotsaufforderung verlangten Eignungsnachweise unstreitig nicht vollständig beigefügt waren. Die Beschwerde bekämpft mithin die Entscheidung der Vergabekammer, wonach die Angebote der Antragstellerinnen und eines weiteren Bieters aus Gründen der Gleichbehandlung gemäß § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A zu werten sind. Die Antragsgegnerin sieht sich - gerade weil auch die Angebote der Antragstellerinnen (und eines weiteren Bieters) von der Wertung auszuschließen seien - vielmehr dazu ermächtigt, das Vergabeverfahren aufzuheben und ohne öffentliche Vergabebekanntmachung zu einem Verhandlungsverfahren überzugehen. § 26 Nr. 1 lit. a) VOB/A berechtigt den öffentlichen Auftraggeber, das Vergabeverfahren aufzuheben, wenn kein Angebot eingegangen ist, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht. Gemäß § 3 a Nr. 5 lit. a) VOB/A ist ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung u.a. dann zulässig, wenn in einem offenen Verfahren keine annehmbaren, m.a.W. wertbaren, Angebote abgegeben worden sind. Haben auch die Antragstellerinnen - so die Antragsgegnerin - nicht wertbare, sondern beide (nur) dem Ausschluss unterliegende Angebote abgegeben, wären ihre Nachprüfungsanträge von der Vergabekammer abzulehnen gewesen. Eine dahingehende Entscheidung hätte der Antragsgegnerin den mit der Beschwerde reklamierten Entscheidungsspielraum eröffnet, das Vergabeverfahren aufzuheben und (ohne Vergabebekanntmachung) ein Verhandlungsverfahren zu beginnen (womit nicht festzustellen ist, dass dieses Verfahren im Streitfall beschritten werden darf).

Daran erweist sich, dass die Antragsgegnerin durch die Entscheidung der Vergabekammer beschwert ist und an einer abändernden Entscheidung ein Rechtsschutzinteresse hat. Die Antragsgegnerin erstrebt mit dem Rechtsmittel auf einer der Aufhebung des Vergabeverfahrens vorgelagerten Stufe eine Zurückweisung der Nachprüfungsanträge. Dieses Ziel hat sie schon im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren verfolgt. Ihrem Abweisungsantrag hat die Vergabekammer nicht entsprochen.

II. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch begründet.

a.1. Die Nachprüfungsanträge der Antragstellerinnen haben keinen Erfolg. Ihre Angebote sind von der Wertung auszunehmen, weil ihnen die mit der Angebotsaufforderung geforderten Eignungsnachweise - Listen der in den letzten drei Jahren ausgeführten vergleichbaren Leistungen, Aufstellungen der zur Verfügung stehenden technischen Ausrüstung sowie von Fachpersonal und Nachweise über die Eintragung im Berufsregister - nicht beigefügt waren. Diese Nachweise waren gemäß der den Antragstellerinnen zugegangenen Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (dort unter Nr. 3.) mit dem Angebot vorzulegen. Die Unterlassung hat zur Folge, dass die Antragstellerinnen ihre fachliche Leistungsfähigkeit nicht nachgewiesen haben. Das führt gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOB/A zwingend zum Ausschluss ihrer Angebote von der Wertung. Der Ausschluss ist nicht gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b) in Verbindung mit § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 VOB/A vorzunehmen. Jene Vorschriften betreffen den Fall, dass ein Angebot nicht die in den Verdingungsunterlagen geforderten "Erklärungen" enthält. Die zum Nachweis der Eignung geforderten Belege unterfallen indes nicht dem Begriff der "Erklärungen" in § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 VOB/A (vgl. Beschluss des Senats vom 25.11.2002 - Verg 56/02, der zu der insoweit identischen Rechtslage nach der VOL/A ergangen ist). Dass den Angeboten der Antragstellerinnen geforderte Eignungsnachweise nicht beigefügt waren, ist von der Vergabekammer festgestellt worden. Dies steht im Beschwerdeverfahren außer Streit.

2. Die Antragsgegnerin ist an die von ihr selbst aufgestellte Forderung, dass Eignungsnachweise mit dem Angebot vorzulegen waren, gebunden. Sie ist nicht berechtigt, diese Forderung bei der Wertung der Angebote aufzugeben. Die Bemerkung des von der Antragsgegnerin mit der Vorprüfung der Angebote befassten Ingenieurbüros in der Anlage zum Vergabevermerk vom 31.3.2005, die Antragstellerinnen seien "bekannt" und es könne deshalb auf eine "weitergehende Aufklärung zum Nachweis der Leistungsfähigkeit" verzichtet werden, ist daher ungeeignet, die Eignungsprüfung anhand der geforderten und mit dem Angebot vorzulegenden Nachweise zu ersetzen. Sofern kraft ausdrücklicher Anordnung des Auftraggebers in den Verdingungsunterlagen (namentlich - wie hier - in der Angebotsaufforderung) Eignungsnachweise mit dem Angebot vorgelegt werden sollen und die Eignungsprüfung aufgrund der mit dem Angebot vorzulegenden Nachweise erfolgen soll, darf der Auftraggeber eigene (oder bei seinen Beauftragten vorhandene) Kenntnisse und Erfahrungen betreffend die Eignung eines Bieterunternehmens im Rahmen der Wertung nur ergänzend heranziehen, um Erkenntnislücken bei den vorgelegten Nachweisen zu schließen.

3. Der Ausschluss ihrer Angebote von der Wertung bewirkt, dass der weitere Fortgang des Vergabeverfahrens weder die Interessen der Antragstellerinnen berühren, noch sie durch eine etwaige Nichtbeachtung vergaberechtlicher Bestimmungen in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt sein können (vgl. BGH, Beschluss vom 18.2.2003 - X ZB 43/02 = VergabeR 2003, 313, 318 = NZBau 2003, 293 - Jugendstrafanstalt). Die Nachprüfungsanträge der Antragstellerinnen sind deshalb unbegründet (vgl. auch BGH, Beschluss vom 18.5.2004 - X ZB 7/04, VergabeR 2004, 473, 475 f. - Mischkalkulationen). Im rechtlichen Ausgangspunkt kommt es dabei nicht darauf an, ob die Mitbieter ihrerseits wertungs- und zuschlagsfähige Angebote abgegeben haben.

b.1. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz lässt der Senat nur in dem Fall zu, in welchem der öffentliche Auftraggeber bei gebührender Beachtung des (als verletzt gerügten) Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht nur das Angebot des Antragstellers, sondern gleichermaßen auch das allein in der Wertung verbliebene Angebot des Beigeladenen oder alle anderen tatsächlich in die Wertung gelangten Angebote hätte ausschließen und (zum Beispiel) ein neues Vergabeverfahren hätte durchführen müssen. Das Gebot, die Bieter gleich zu behandeln (§ 97 Abs. 2 GWB), verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber, solche Angebote, die vergaberechtlich an demselben (gleichartigen) Mangel leiden, vergaberechtlich gleich zu behandeln, d.h. aus dem übereinstimmend vorliegenden Mangel jener Angebote vergaberechtlich dieselben Konsequenzen zu ziehen (vgl. Beschl. des Senats v. 30.6.2004, Az. VII - Verg 22/04, Beschlussabdruck S. 14; Beschl. v. 16.9.2003, Az. Verg 52/03 = VergabeR 2003, 690, 692 f.; Beschl. v. 30.7.2003, Az. Verg 20/03, Beschlussabdruck S. 8 f.; Beschl. v. 29.4.2003, Az. Verg 22/03, Beschlussabdruck S. 4 f.; Beschl. v. 8.5.2002, Az. Verg 4/02, Beschlussabdruck S. 4 f., 8). Unter dem Gebot der Gleichbehandlung kann nach der Rechtsprechung des Senats insbesondere nicht das Angebot des Antragstellers einem Ausschluss unterliegen, zugleich aber gutgeheißen werden, dass der Antragsgegner die ausgeschriebenen Leistungen auf das Angebot eines Mitbieters vergibt, das im selben oder in einem gleichartigen Punkt, weswegen das Angebot des Antragstellers auszuschließen ist, Mängel aufweist (vgl. auch OLG Düsseldorf NZBau 2004, 400, 401). An dem bei Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erforderlich werdenden neuen Vergabeverfahren kann der Antragsteller sich beteiligen und ein neues Angebot abgeben, das seine Chance auf einen Zuschlag wahrt. Diese Chance wird dem Antragsteller durch den Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot genommen, mit der Folge, dass sein Nachprüfungsantrag, sofern der behauptete Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung feststeht, in der Sache Erfolg hat.

2. Der Streitfall unterfällt der dargestellten Ausnahme. Denn auch dem Angebot der Beigeladenen, die nach dem Willen der Antragsgegnerin den Zuschlag erhalten sollte, waren die ausweislich der Angebotsaufforderung verlangten Eignungsnachweise nicht beigefügt. Das Angebot der Beigeladenen war demnach aus demselben Grund wie die Angebote der Antragstellerinnen von der Wertung auszunehmen. Die Frage, ob das Angebot der Beigeladenen daneben aus anderen (auch nicht gleichartigen) Gründen auszuschließen war (namentlich deswegen, weil sie - was in Angebotsaufforderung der Antragsgegnerin ausgeschlossen worden in isoliertes Nebenangebot ohne ein Hauptangebot eingereicht hatte, vgl. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d) VOB/A) spielt für die Entscheidung keine Rolle und kann daher unbeantwortet bleiben. Auf das Angebot der Beigeladenen durfte der Zuschlag jedenfalls nicht ergehen.

3. Eine der Antragsgegnerin von der Vergabekammer aufgegebene erneute Angebotswertung ist unter den vorliegenden Umständen dennoch nicht zu rechtfertigen. Denn nach den im Beschwerdeverfahren von keiner Seite angegriffenen und zutreffenden Feststellungen der Vergabekammer weisen alle in der Wertung verbliebenen (und nicht zuvor bereits ausgeschlossenen) Angebote den Mangel auf, dass die in der Angebotsaufforderung verlangten Eignungsnachweise mit dem Angebot nicht (vollständig) vorgelegt worden sind. Es ist demnach kein Angebot fähig, den Zuschlag zu erhalten.

c. Gemäß Vorstehendem bleibt festzuhalten, dass die Nachprüfungsanträge der Antragstellerinnen abzulehnen sind. Ihre Angebote sind nach § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOB/A wegen nicht nachgewiesener Leistungsfähigkeit von der Wertung auszunehmen. Da die in der Wertung gebliebenen Angebote der anderen Bieter (einschließlich der Beigeladenen) aus demselben Grund auszuschließen sind, ist eine Sachlage gegeben, bei der der öffentliche Auftraggeber das Vergabeverfahren gemäß § 26 Nr. 1 lit. a) VOB/A aufheben kann. Die Entscheidung unterliegt seinem Ermessen. Die Vergabenachprüfungsinstanzen sind in Fällen dieser Art grundsätzlich nicht dazu ermächtigt, die Ermessensentscheidung des Auftraggebers durch eine eigene Wertung und eine entsprechende Anordnung zu ersetzen. Indes lässt die vorliegende Fallgestaltung eine Ausnahme von diesem Regelsatz zu. Die Antragsgegnerin hat nämlich vorbehaltlos zu erkennen gegeben, dass sie das Vergabeverfahren aufheben will. Die Beschwerde strebt ausweislich der Antragstellung einen dahingehenden Ausspruch ausdrücklich an. Dies hat die Antragsgegnerin mit dem nach den Umständen zwingenden Ausschluss der verbliebenen Angebote von der Wertung begründet. Bei dieser Sachlage kann der Senat die Aufhebung des Vergabeverfahrens ausnahmsweise mit unmittelbarer Wirkung selbst anordnen.

Da die Nachprüfungsanträge der Antragstellerinnen im Ergebnis abzulehnen sind, tritt im Streitfall eine Entscheidungsdivergenz zu den oben genannten Beschlüssen des Bundesgerichtshofs oder anderer Vergabesenate nicht auf.

Die Kostenentscheidung beruht in Bezug auf das erstinstanzliche Nachprüfungsverfahren auf § 128 Abs. 3 Satz 1 und 2 GWB, hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 91 und 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Auslagen der Antragsgegnerin folgt aus § 128 Abs. 4 GWB und analog aus den §§ 91 und 100 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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