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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 18.09.2006
Aktenzeichen: VII-Verg 45/06
Rechtsgebiete: SGB III, BGB


Vorschriften:

SGB III § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b
BGB § 116 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 24. August 2006 (VK 1-91/06) wird abgelehnt.

Der Antragstellerin wird aufgegeben, dem Beschwerdegericht bis zum 6. Oktober 2006 mitzuteilen, ob und mit gegebenenfalls welchen Anträgen das Rechtsmittel aufrechterhalten bleibt.

Gründe:

I. Die Antragstellerin bewarb sich für die Lose 31 und 32 der Ausschreibung von Ausbildungsmaßnahmen für behinderte Menschen mit Förderbedarf nach § 102 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b SGB III (integratives Modell - Vergabenr. 152-06-26893) der B... um den Zuschlag. Den Zuschlag sollten letztlich die Beigeladene zu 1 zu Los 31 und die Beigeladene zu 2 zu Los 32 erhalten. Auf erfolglose Rüge stellte die Antragstellerin dagegen einen Nachprüfungsantrag, der auf folgendem Sachverhalt beruht:

Die Verdingungsunterlagen gaben hinsichtlich des bei der Ausbildung vorzuhaltenden Personals vor (unter B.2.4):

... Zum erforderlichen Personal je Ausbildungsberuf gehören: Ausbilder, Lehrkraft und Sozialpädagoge. ... Ist aufgrund der Zielgruppe zusätzlich der Einsatz eines Psychologen erforderlich, ist dies dem Losblatt zu entnehmen.

Personalschlüssel:

Lehrkraft 1 : 24

Sozialpädagoge 1 : 20

Ausbilder je Ausbildungsberuf 1 : 10 ...

...

Der Personaleinsatz bemisst sich für die gesamte Ausbildung anhand der im Losblatt festgelegten Teilnehmerplatzzahl je Ausbildungsberuf. Soweit in den weiteren Ausbildungsjahren weniger Teilnehmer als ursprünglich im Losblatt genannt ihre Ausbildung absolvieren, kann das Personal ab dem 2. Ausbildungsjahr reduziert werden.

Zur Bemessung des Personaleinsatzes sind dann je Ausbildungsberuf im 2. Ausbildungsjahr mindestens 90 % der ursprünglich im Losblatt genannten Teilnehmerzahl heranzuziehen und im 3. und weiteren Ausbildungsjahren 80 % (Kursivdruck hinzugefügt).

...

Für den Ausbildungsbeginnjahrgang 2007 kann der Auftragnehmer im Fall der Option (vgl. § 20 Abs. 2 des Vertrages) den Personaleinsatz je Ausbildungsberuf anhand der Summe der Teilnehmerplatzzahlen der Ausbildungsbeginnjahrgänge 2006 und 2007 bemessen.

Für den Ausbildungsbeginnjahrgang 2008 kann der Auftragnehmer im Fall der Option (vgl. § 20 Abs. 3 des Vertrages) den Personaleinsatz je Ausbildungsberuf anhand der Summe der Teilnehmerplatzzahlen der Ausbildungsbeginnjahrgänge 2006 und 2007 und 2008 bemessen (Kursivdruck jeweils hinzugefügt).

Weiter war in den Verdingungsunterlagen geregelt (unter B.2.8):

Abrechnungsgrundlage ist der vereinbarte Monatspreis je Teilnehmerplatz und Ausbildungsberuf. ...

Die Teilnahmekosten umfassen alle mit der Durchführung der Ausbildung in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Kosten.

Zu den Teilnahmekosten gehören insbesondere:

- Lehrgangskosten ...

- Ggf. Kosten der auswärtigen Unterbringung einschließlich Verpflegung ...

Die Verdingungsunterlagen sollten gemäß § 2 des Vertragsentwurfs Vertragsbestandteil werden. Hinsichtlich der unter B.2.4 der Verdingungsunterlagen angesprochenen Optionen war in § 20 des Vertragsentwurfs vorgesehen:

2. Der Vertrag verlängert sich für einen neuen Ausbildungsbeginnjahrgang 2007, wenn der Auftraggeber die Verlängerung bis spätestens zum 1.3.2007 gegenüber dem Auftragnehmer erklärt. ...

3. Der Vertrag verlängert sich für einen neuen Ausbildungsbeginnjahrgang 2008, wenn der Auftraggeber die Verlängerung bis spätestens zum 1.3.2008 gegenüber dem Auftragnehmer erklärt. ...

Unter dem 31.3.2006 fragte die Antragstellerin bei der Vergabestelle an:

"Im Losblatt sind in den laufenden Nummern 1 bis 4 für jeweils 3 Teilnehmer 1,00 Ausbilder vorgesehen. Sind die Personalkosten für diese Mitarbeiter zwingend vollständig für das erste Jahr in die Kalkulation einzubeziehen oder können sie im ersten Jahr bei Einhaltung des maximalen Personalschlüssels in anderen Maßnahmen anteilig eingesetzt werden?"

Die Vergabestelle erteilte der Antragstellerin darauf die Auskunft:

"Der im Losblatt je Ausbildungsberuf angegebene Personalschlüssel ist zwingend einzuhalten. Der Einsatz des Personals in anderen Maßnahmen bzw. anderen Verträgen und umgekehrt ist nicht zulässig. Lediglich für den Fall der Option kann der Auftragnehmer den Personaleinsatz je Ausbildungsberuf anhand der Summe der Teilnehmerplatzzahlen aus dem/n vergangenen Ausbildungsbeginnjahrgang/en und dem aktuellen Ausbildungsbeginnjahrgang bemessen (vgl. B.2.4. der Verdingungsunterlagen)."

Die Beigeladenen boten preisgünstiger an als die Antragstellerin. Sie hatten ihrer Kalkulation nach Maßgabe der Verdingungsunterlagen bei den Personalkosten (Lehrgangskosten) und den Unterbringungskosten zugrundegelegt, dass sich die Zahl der Teilnehmer an den Ausbildungsmaßnahmen im zweiten und dritten Ausbildungsjahr reduziere. Die Antragstellerin hatte davon keinen Gebrauch gemacht.

Die Antragstellerin beanstandete die Wertung und begehrte einen Ausschluss der Angebote der Beigeladenen unter den Gesichtspunkten einer Änderung der Verdingungsunterlagen sowie ungewöhnlich niedriger Preisangebote.

Die Vergabekammer lehnte den Nachprüfungsantrag ab und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen: Weder die Verdingungsunterlagen noch die der Antragstellerin zuteil gewordene Auskunft enthielten verbindliche Kalkulationsvorgaben. Jedoch hätten die Beigeladenen ihrer Preiskalkulation kraft der in den Verdingungsunterlagen angegebenen Hilfen in zulässiger Weise zugrundegelegt, dass sich erfahrungsgemäß die Zahl der Teilnehmer an den Ausbildungslehrgängen im zweiten und dritten Jahr ermäßige. Eine Änderung der Verdingungsunterlagen sei damit nicht verbunden. Abstriche an der den Verdingungsunterlagen zu entnehmenden Verpflichtung, insbesondere das Personal gemäß vorgegebenem Personalschlüssel während der gesamten Vertragsdauer vorzuhalten, hätten die Beigeladenen nicht vorgenommen. Demgegenüber seien sie nicht gehalten gewesen, die dafür anfallenden Kosten vollumfänglich zum Gegenstand ihrer Kalkulation werden zu lassen.

Die Angebote der Beigeladenen seien ebensowenig wegen eines offenbaren Missverhältnisses zwischen Preis und Leistung vom Zuschlag ausgeschlossen.

Die Antragstellerin hat gegen die Entscheidung der Vergabekammer sofortige Beschwerde erhoben, die sie mit einem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels verbunden hat. Im Wesentlichen wiederholt und vertieft sie die im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren vorgebrachten Beanstandungen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze, die beigezogenen Akten der Vergabekammer und die Vergabeakten Bezug genommen.

II. Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde ist abzulehnen, weil das Rechtsmittel voraussichtlich keinen Erfolg hat (vgl. § 118 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1 GWB). Der Nachprüfungsantrag ist von der Vergabekammer nach Lage der Dinge mit Recht abgelehnt worden.

Die Angebote der Beigeladenen sind aus keinem von der Antragstellerin geltendgemachten oder sonst erkennbaren Grund von der Wertung oder von der Zuschlagserteilung auszunehmen. Insbesondere sind die Verdingungsunterlagen in den Angeboten der Beigeladenen nicht geändert worden (§ 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. d), § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A). Die Beigeladenen haben bei der Preisbildung vielmehr von der in den Verdingungsunterlagen (unter B.2.4, s.o.) ausdrücklich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, im zweiten und dritten Ausbildungsjahr einen ermäßigten Personalbedarf zu kalkulieren. Dies beruhte auf der - durch die Verdingungsunterlagen nahegelegten - Erwartung, dass nach Ablauf des ersten Ausbildungsjahrs die Zahl der Teilnehmer in den Ausbildungslehrgängen abnimmt. Denn erfahrungsgemäß werden aus den Lehrgängen heraus nach und nach Lehrgangsteilnehmer in Ausbildungsverhältnisse vermittelt.

Gegen Kalkulationsvorgaben der vorliegenden Art ist vergaberechtlich nichts einzuwenden. Sie beschränkten im Streitfall nicht den Preiswettbewerb, sondern eröffneten den Bietern weitere Handlungsspielräume bei der Preisgestaltung - womit im Übrigen nicht ausgesagt sein soll, Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers, welche die Kalkulationsmöglichkeiten der Bieter einschränken, seien unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbsprinzips stets zu beanstanden. Nach den im tatbestandlichen Teil dieses Beschlusses wiedergegebenen Vorgaben in den Verdingungsunterlagen durften Bieter ihrer Preiskalkulation im zweiten und dritten Ausbildungsjahr demnach abnehmende Teilnehmerzahlen zugrundelegen ("kann"). Dies betraf das Ausbildungspersonal und die für die Teilnehmer vorzusehenden Unterbringungsmöglichkeiten. Dass die Beigeladenen dabei über die Vorgaben der Vergabestelle hinausgegangen seien, behauptet die Antragstellerin nicht.

Da die Beigeladenen mithin zutreffend von einer den Bietern zugestandenen Kalkulationsmöglichkeit Gebrauch gemacht haben, kann ihnen ebensowenig entgegengehalten werden, ihre Angebote widersprächen der Maßgabe in den Verdingungsunterlagen, wonach der Personaleinsatz sich "für die gesamte Ausbildung anhand der im Losblatt festgelegten Teilnehmerplatzzahl je Ausbildungsberuf" bemesse. Soweit dieser Angabe zu entnehmen ist, dass Teilnehmerplätze, Unterbringungsmöglichkeiten und Ausbildungspersonal entsprechend der im Losblatt genannten Teilnehmerzahl für die gesamte Dauer der Verträge - also ohne die Möglichkeit einer Reduktion - vom Auftragnehmer zu gewährleisten sind, treten die Angebote der Beigeladenen dazu in keinen Widerspruch. Denn nach dem Inhalt ihrer Angebote in Verbindung mit den Verdingungsunterlagen, welche Gegenstand des Vertrages werden, stehen die Beigeladenen verbindlich dafür ein, dass die tatsächlich gebrauchten Unterbringungsplätze und das nach Maßgabe des Personalschlüssels tatsächlich gebrauchte Ausbildungspersonal während der gesamten Dauer der Verträge verfügbar sind.

Die Antragstellerin überzieht demgegenüber die Bedeutung des Vortrags der Beigeladenen in den Schriftsätzen vom 15. und 16.8.2006 an die Vergabekammer, wonach Ausbildungspersonal und Unterbringungsmöglichkeiten gemäß den Angaben im Losblatt nicht für die gesamte Vertragsdauer vorzuhalten seien. Diese im Nachprüfungsverfahren angebrachte Äußerung der Beigeladenen war rechtlich schon ungeeignet, den verbindlichen Inhalt der Angebote einzuschränken. Sie ist aus dem Zusammenhang, in dem sie stand, von der Antragstellerin außerdem herausgelöst worden, denn in der Sache kann nicht davon gesprochen werden, die Beigeladenen gewährleisteten nicht das erforderliche Personal und die Unterbringungsplätze, wenn sich die Zahl der Teilnehmer entgegen einer der Preiskalkulation zugrundeliegenden Prognose nicht reduziere. Dieser - willkürlichen - Deutung ihrer Angebote sind die Beigeladenen nicht nur im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren, sondern auch in einem Aufklärungsgespräch mit der Vergabestelle ausdrücklich entgegengetreten. Ihr widerspricht auch der objektive Erklärungsgehalt der Angebote. Entgegen der Meinung der Antragstellerin sind die Angebote der Beigeladenen ebensowenig gemäß § 116 S. 2 BGB nichtig. Danach ist eine Willenserklärung, bei der der Erklärende sich vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen, nichtig, wenn die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben ist, und jener den Vorbehalt kennt. Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor, da die Angebote der Beigeladenen keine Vorbehalte aufweisen.

Bei dieser Sachlage - die Beigeladenen haben bei ihren Preisangaben von einer durch die Verdingungsunterlagen zugelassenen Kalkulationsmöglichkeit Gebrauch gemacht - sind ihre Angebote auch nicht wegen unvollständiger Preisangaben von der Wertung auszuschließen (vgl. § 25 Nr. 1 Abs. 1 Buchst. a), § 21 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 VOL/A). Dies bedarf keiner weiteren Begründung.

Ein Zuschlagsverbot wegen eines offenbaren Missverhältnisses zwischen Preis und Leistung scheidet aus (vgl. § 25 Nr. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 VOL/A). Die Beigeladenen haben keine sog. Unterkostenangebote abgegeben, wie aus der diesbezüglichen Prüfung der Vergabestelle hervorgegangen ist. Die Vergabestelle hat das Ergebnis dieser Prüfung - fehlerhaft - lediglich zum Anlass genommen, die Angebote der Beigeladenen aus einem anderen Grund (wegen einer Änderung der Verdingungsunterlagen) von der Wertung auszuschließen.

Eine Kostenentscheidung ist erst im Zusammenhang mit der Hauptsacheentscheidung zu treffen.

Ende der Entscheidung

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