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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 05.05.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 5/08
Rechtsgebiete: GWB, VOL/A


Vorschriften:

GWB § 70 Abs. 1
GWB § 97 Abs. 4
GWB § 120 Abs. 2
VOL/A § 25 Nr. 3
1. Sofern nicht auszuschließen ist, dass sie die Vorbereitung der Angebote beeinflussen können, darf der öffentliche Auftraggeber auch im Nachhinein aufgestellte Unterkriterien und Gewichtungsregeln bei der Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots nur anwenden, wenn sie den am Auftrag interessierten Unternehmen vorher zur Kenntnis gebracht worden sind.

2. Zur rechtlichen Behandlung von Tariftreueforderungen, wenn kein Bundes- oder Landesgesetz im Sinne von § 97 Abs. 4 S. 2 GWB besteht, ein Tarifvertrag nach § 5 TVG aber für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.

3. Zur Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien


Tenor:

Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 8. Januar 2008 (VK 3-148/07) aufgehoben.

Der Antragsgegnerin wird untersagt, im Vergabeverfahren betreffend Wach-, Sicherheits-, Pforten- und Empfangsdienste beim B., Los 1 - Dienstsitz in Bonn, einen Zuschlag zu erteilen, ohne die beteiligten Bieter unter Mitteilung in den Vergabeunterlagen genannter Zuschlagskriterien, Unterkriterien und Gewichtungskoeffizienten zuvor erneut zu einer Angebotsabgabe aufgefordert zu haben.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die in diesem Verfahren der Antragstellerin entstandenen notwendigen Aufwendungen hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen je zur Hälfte auferlegt.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 25.000 Euro

Gründe:

I. Die Vergabestelle schrieb für Dienstsitze in Bonn (Los 1) und Berlin (Los 2) Wach-, Sicherheits-, Pforten- und Empfangsdienste in einem offenen Verfahren europaweit aus. Angegriffen ist die das Los 1 betreffende Vergabeentscheidung.

In der Leistungsbeschreibung forderte die Vergabestelle:

Bei der Abgabe der Einheitspreise ist die tarifliche Eingruppierung gemäß dem Lohntarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 9.3.2007 vorzunehmen und die Erklärung zur tatsächlichen Erbringung der tariflichen Entgelte ... beizufügen.

Der Lohntarifvertrag ist nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt worden. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlichste Angebot ergehen. Als Zuschlagskriterien waren der Preis (.. %) sowie verschiedene qualitative Anforderungen genannt (Qualität des Wachpersonals, des Auftragsmanagements und der Auftragsinfrastruktur sowie Unternehmensleistungsstärke .. %). In Bezug auf die qualitativen Anforderungen legte die Vergabestelle Unterkriterien und Gewichtungsregeln fest, die den Bietern nicht bekanntgegeben wurden. Mit Schreiben vom 22.11.2007 unterrichtete sie die Antragstellerin, dass der Zuschlag beim Los 1 an die Beigeladene ergehen solle. Sie begründete dies mit preislichen Erwägungen sowie damit, die Darstellung der Qualität des Wachpersonals im Angebot der Antragstellerin sei weniger aussagekräftig und nicht zufriedenstellend gewesen. Die Antragstellerin will die Bieterinformation erst am 27.11.2007 erhalten haben. Unter dem 5.12.2007 rügte sie erfolglos, die Beigeladene habe unzulässigerweise mit einer zu niedrigen Tarifgruppe kalkuliert; außerdem sei die qualitative Angebotswertung nicht nachvollziehbar.

Auf den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin aufgegeben, dieser den Zuschlag zu erteilen. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag für zulässig, insbesondere eine Verletzung der Rügeobliegenheit für tatsächlich nicht nachgewiesen gehalten. In der Sache hat sie ausgeführt: Das Angebot der Beigeladenen dürfe mangels Eignung bei der Wertung nicht berücksichtigt werden. Gemessen an der Leistungsbeschreibung habe sie ihrer Kalkulation den Tariflohn einer unzutreffenden, nämlich zu niedrigen, Tarifgruppe des Lohntarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen zugrundegelegt. Infolgedessen habe sie gegen Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer verstoßen. Sie sei daher als unzuverlässig anzusehen.

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer haben die Antragsgegnerin und die Beigeladene sofortige Beschwerde erhoben.

Die Antragsgegnerin macht im Wesentlichen geltend: Die von der Vergabekammer ausgesprochene Verpflichtung, der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen, gehe zu weit. Damit werde unzulässig in die der Vergabestelle obliegende Ermessensausübung eingegriffen und ihr faktisch ein Kontrahierungszwang auferlegt. Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, da die Antragstellerin der Rügeobliegenheit nicht in der gebotenen Weise nachgekommen sei. Unter Zugrundelegung der Bestimmung über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten in § 41 Abs. 2 VwVfG sei davon auszugehen, dass die Bieterinformation vom 22.11.2007 der Antragstellerin deutlich vor dem 27.11.2007 zugegangen sei. Die unter dem 5.12.2007 ausgebrachte Rüge sei nicht mehr unverzüglich zu nennen. Abgesehen davon habe der Nachprüfungsantrag nicht den Anforderungen des § 108 GWB entsprochen. In der Sache selbst sei die tarifliche Eingruppierung im Angebot der Beigeladenen richtig. Dies begründet die Antragsgegnerin näher.

Die Beigeladene schließt sich den Beschwerdeangriffen der Antragsgegnerin an. Sie rechtfertigt die von ihr vorgenommene Eingruppierung in den Tarifvertrag. Beide Verfahrensbeteiligten ergänzen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Antragstellerin und die Beigeladene beantragen,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Nachprüfungsantrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortigen Beschwerden zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer und tritt den Beschwerden entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen, auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses sowie auf die zu Informationszwecken beigezogenen Vergabeakten und die Verfahrensakten der Vergabekammer Bezug genommen.

II. Die Beschwerden haben nur insoweit Erfolg, als die von der Vergabekammer ausgesprochene Verpflichtung, den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin zu erteilen, keinen Bestand haben kann. Auf der Grundlage der Rechtsauffassung der Vergabekammer konnte im Zeitpunkt, auf dem die Entscheidung beruht, freilich nur der Antragstellerin der Zuschlag erteilt werden. Ihr Angebot befand sich hinter dem der Beigeladenen, das ausgeschlossen werden sollte, auf dem zweiten Rang.

Davon unabhängig muss aufgrund des im Beschwerdeverfahren feststehenden Sachverhalts das begonnene Vergabeverfahren, sofern es von der Vergabestelle fortgesetzt werden soll, bis zum Stand vor einer Aufforderung zur Abgabe von Angeboten und Bekanntgabe aller Zuschlagskriterien einschließlich der Unterkriterien und Gewichtungsregeln zurückversetzt werden. Insofern hat der Nachprüfungsantrag Erfolg.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

a) Eine Verletzung der Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 S. 1 GWB kann der Antragstellerin nicht angelastet werden. Auch wenn, wie außer Streit steht, die Vergabestelle die Bieterinformation vom 22.11.2007 am selben Tag aufgegeben hat, kann, so zutreffend auch die Vergabekammer, nicht festgestellt werden, dass sie der Antragstellerin vor dem 27.11.2007 zugegangen ist. Einen Beweis hat die bei einer Verletzung der Rügeobliegenheit beweisbelastete Antragsgegnerin dafür nicht angetreten. Ob auf den Zeitpunkt des Zugangs eines Informationsschreibens nach § 13 S. 1 VgV die Fiktion in § 41 Abs. 2 VwVfG entsprechend angewendet werden darf, wonach ein Verwaltungsakt mit dem dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben gilt, kann auf sich beruhen. In Zweifelsfällen, so der letzte Halbsatz der Vorschrift, ist die Behörde nämlich gleichwohl des Nachweises eines Zugangs und des Zeitpunktes nicht enthoben. Im Streitfall sind solche Zweifel gegeben. Nach der Liberalisierung des Postmarktes ist, anders als noch bei der Schaffung des Absatzes 2 des § 41 VwVfG, eine durch die Lebenserfahrung begründete tatsächliche Vermutung, wonach einfache Briefsendungen einen im Inland ansässigen Empfänger innerhalb weniger Tage erreichen, in dieser Allgemeinheit nicht mehr gerechtfertigt (so auch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 41 Rn. 67, 67 a). Macht der Empfänger eines mit gewöhnlicher Post versandten Briefes geltend, den Brief nicht oder erst nach Ablauf der in § 41 Abs. 2 VwVfG angenommenen Frist erhalten zu haben, ist die Vermutung entkräftet (so OVG Münster NVwZ 1995, 1228, 1229; NVwZ-RR 1997, 77, 78). Daran ändert nichts, dass die Briefsendung am Sitz der Vergabestelle in Bonn zuzustellen war, und die in Berlin ansässige Beigeladene das an sie gerichtete Informationsschreiben bereits am 23.11.2007 erhalten haben will. Vor Zugang der Bieterinformation hatte die Antragstellerin keine Veranlassung zu rügen.

Die Rüge vom 5.12.2007 ist der Vergabestelle am achten Tag nach Empfangnahme der Bieterinformation zugegangen. Unter Berücksichtigung der dem Antragsteller einzuräumenden Prüfungs- und Überlegungsfrist (vgl. Senat, Beschl. v. 13.4.1999 - Verg 1/99, NJW 2000, 145, 147) hat dies noch als unverzüglich zu gelten. Dazu hat die Antragstellerin unwiderlegt vorgetragen, eine unzutreffende Eingruppierung der Wachleute in den zugrundezulegenden Lohntarifvertrag durch die Beigeladene sowie eine mögliche Preisspanne erst anhand verschiedener Berechnungen ermittelt und dazu Nachfragen vorgenommen zu haben. Die einzelnen Schritte waren mit dem Inhalt der Leistungsbeschreibung abzugleichen, und die anzustellenden Kalkulationen hingen von einer Beantwortung diffiziler rechtlicher Vorfragen ab. Dies alles geht auch einem Branchenkundigen wie der Antragstellerin nicht leicht und rasch von der Hand. Der Aufwand, den die Antragstellerin zur Erhärtung des Verdachts eines Rechtsverstoßes betrieben hat, ist nicht zu kritisieren; er war der Sache nicht unangemessen. Die zeitliche Obergrenze von zwei Wochen, innerhalb der eine Rüge noch als unverzüglich angesehen werden kann, ist nicht berührt.

b) Der Nachprüfungsantrag entsprach auch den in § 108 GWB genannten Zulässigkeitserfordernissen. Zumal die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer anwaltlich nicht vertreten war - aber auch sonst, dürfen, darin ist der Vergabekammer zuzustimmen, die Anforderungen an Form und Inhalt des Nachprüfungsantrags nicht überspannt werden. Es genügt, wenn der Antrag in tatsächlicher Hinsicht diejenigen Gesichtspunkte aufzeigt, aus denen sich ein Rechtsverstoß der Vergabestelle ergeben soll. Beweismittel müssen nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden, wenn sie, wie hier, jedenfalls aus dem Sachvortrag hervorgehen. So war im Streitfall ohne weiteres zu erkennen, dass als Beweismittel die Bieterinformation, die Leistungsbeschreibung, die Vergabeunterlagen, welche die Zuschlagskriterien enthielten, sowie der fragliche Lohntarifvertrag in Betracht kamen. Der Nachprüfungsantrag muss ebenso wenig zwingend ein konkretes Begehren (vgl. § 108 Abs. 1 GWB: "soll") und erst recht keinen bestimmten Antrag, aufweisen (so auch Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 108 GWB Rn. 998).

2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

Anlässlich der Überprüfung der unklaren bis diffusen Begründung der Vergabestelle für die qualitative Bewertung des Angebots der Antragstellerin (weniger aussagekräftige und nicht zufriedenstellende Darstellung der Qualität des Wachpersonals) anhand des Angebots, der in den Vergabeunterlagen genannten Zuschlagskriterien und des Vergabevermerks sowie der dadurch veranlassten Durchsicht der Vergabeakten fand sich, dass die Vergabestelle zu den genannten qualitativen Zuschlagskriterien (Qualität des Wachpersonals, des Auftragsmanagements, der Auftragsinfrastruktur und Unternehmensleistungsstärke) Unterkriterien festgelegt und diese - abhängig vom Inhalt des Angebots - mit Gewichtungsregeln versehen hatte. Beim Kriterium der Qualität des Wachpersonals waren solche Unterkriterien die allgemeine Ausbildung, Zusatzausbildungen, die Arbeitsbedingungen im Unternehmen, Fort- und Weiterbildung, Sprachkenntnisse sowie die Einstellungs- und Auswahlmethodik des Unternehmens bei der Personalbeschaffung. Jenen Unterkriterien waren wiederum Hilfskriterien nebst Bewertungspunkten zugeordnet. Die Unterkriterien und Gewichtungsregeln waren den Bietern nicht mitgeteilt worden. Der festgestellte Befund war in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Gegenstand der Erörterung im Senatstermin. Aufgrund dessen ist das Vergabeverfahren vom Stand ab der Aufforderung zur Angebotsabgabe unter gleichzeitiger Mitteilung aller Zuschlagskriterien, Unterkriterien und deren Gewichtungen zu wiederholen. Denn den am Auftrag interessierten Unternehmen müssen in Fällen der vorliegenden Art, in denen der Auftraggeber den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilen will, alle Kriterien und deren relative Bedeutung, die bei der Bestimmung dieses Angebots berücksichtigt werden, im Zeitpunkt der Vorbereitung der Angebote bekannt sein. Umgekehrt darf der Auftraggeber keine Unterkriterien oder Gewichtungsregeln anwenden, die er den am Auftrag interessierten Unternehmen nicht vorher zur Kenntnis gebracht hat (EuGH, Urt. v. 24.1.2008 - C-532/06, Lianakis, Rn. 36 - 38). Dies hat auch zu gelten, wenn der Auftraggeber solche Kriterien und Regeln erst im Nachhinein aufgestellt hat und, wie im Streitfall, nicht auszuschließen ist, dass, wären diese bei der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen, sie die Vorbereitung hätten beeinflussen können (EuGH a.a.O. Rn. 42 - 44; Urt. v. 24.11.2005 - C-331/04, ATI EAC e Viaggi di Maio, Slg. 2005, I-10109, Rn. 32 sowie ständige Rechtsprechung des Senats).

Da die Unterkriterien und Gewichtungsregeln nicht mitgeteilt worden sind, ist die Antragstellerin in Bieterrechten verletzt. Ihr Angebot hatte gerade auch deswegen, weil es in den Augen der Vergabestelle den Unterkriterien nicht auf bestmögliche Weise entsprach, bei der qualitativen Bewertung Abstriche hinzunehmen.

Der soeben nachgewiesene Vergaberechtsverstoß ist zwar von der Antragstellerin nicht erkannt und nicht geltend gemacht, sondern vom Senat gelegentlich der Überprüfung der Angebotswertung festgestellt worden. Der Rechtsverstoß ist nach zutreffender Auslegung des Untersuchungsgrundsatzes (§§ 70 Abs. 1, 120 Abs. 2 GWB) im Beschwerdeverfahren jedoch aufzugreifen. Solche Erkenntnisse, die sich aus Anlass der Prüfung behaupteter Rechtsverstöße aufdrängen, dürfen, sofern damit eine Rechtsverletzung des Antragstellers verbunden ist, die Vergabenachprüfungsinstanzen nicht unberücksichtigt lassen (so auch Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 120 GWB Rn. 1204). Das Beschwerdegericht kann in entsprechender Anwendung von § 114 Abs. 1 S. 2 GWB darauf unabhängig von den gestellten Anträgen diejenigen Maßnahmen ergreifen, die zur Beseitigung der Rechtsbeeinträchtigung erforderlich sind (vgl. Senat, Beschl. v. 13.6.2007 - VII-Verg 2/07, VergabeR 2007, 634, 643 f.).

3. Ob sich im vorliegenden Vergabeverfahren weitere Rechtsverstöße zugetragen haben, ist nicht (mehr) entscheidungsrelevant. Dies betrifft zum einen die Frage, ob die Vergabestelle von den Bietern zulässig die Einhaltung des Lohntarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe verlangt hat (und ob die Beigeladene das Personal insoweit richtig eingruppiert hat), zum anderen den aus der Auflistung der Zuschlagskriterien erkennbaren Umstand, dass die Vergabestelle bei der Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots ersichtlich Eignungsmerkmale verwenden will (Qualität des Wachpersonals, des Auftragsmanagements, der Auftragsinfrastruktur und Unternehmensleistungsstärke). Mit Blick auf die weitere Verfahrensweise der Vergabestelle weist der Senat insofern vorsorglich darauf hin:

a) Bei etwaigen Tariftreueforderungen des öffentlichen Auftraggebers handelt es sich weder um an die Bieter gestellte Eignungsanforderungen noch um Zuschlagskriterien. Sie stellen weitere Bedingungen für die Auftragsvergabe und die Auftragsausführung dar. Solche Bedingungen sind durch Art. 26 der Richtlinie 2004/18/EG zugelassen, sofern sie mit dem Gemeinschaftsrecht im Übrigen vereinbar und sie in der Vergabebekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen bekannt gegeben worden sind. Im nationalen Recht ist die Angabe weitergehender Anforderungen indes davon abhängig, dass dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist (§ 97 Abs. 4, 2. Hs. GWB). Die Einschränkung ist zulässig, da sie das Erreichen der mit der Richtlinie verfolgten Zwecke nicht gefährdet. Ein Bundesgesetz, wonach die Auftragsvergabe mit der Tariftreue des Auftragnehmers verknüpft werden darf, besteht allerdings nicht. Die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages nach § 5 TVG stellt lediglich einen Rechtsakt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales dar, der einem Bundesgesetz im Sinne des § 97 Abs. 4 GWB nicht gleichzuerachten ist. Infolgedessen bildet sie keine geeignete Grundlage für den öffentlichen Auftraggeber, die Einhaltung solcher Tarifverträge zu verlangen (so auch Gesterkamp/ Laumann, VergabeR 2007, 477, 479 f.). Erst recht ist der öffentliche Auftraggeber ohne eine Ermächtigung durch Bundes- oder Landesgesetz nicht berechtigt, die Einhaltung anderer, nicht für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge zu fordern. Infolgedessen dürfen Angebote nicht allein deswegen, weil den Preisen nicht der für allgemeinverbindlich erklärte oder ein sonstiger Tarif zugrunde gelegt worden ist oder Bieter eine dahingehende Zusicherung verweigert haben, von der Wertung ausgeschlossen werden.

Nichtsdestoweniger sind für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge, so auch der Lohntarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 9.3.2007, von den im sachlichen und räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages tätigen Unternehmen zu beachten. Sie sind Bestandteil der Arbeitsrechtsordnung. Fordert der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen, dass sich Bieter daran zu halten haben, ist das im Rechtssinn in der Regel allerdings nur als ein Hinweis darauf zu verstehen, dass Kontrollen und im Verletzungsfall rechtsgestaltende Erklärungen bei der Vertragsausführung nicht ausgeschlossen sind. Im Vergabeverfahren ist der öffentliche Auftraggeber hingegen nicht verpflichtet, die Angebote einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle, namentlich einer Kontrolle der Preise auf Einhaltung eines Tarifvertrags zu unterziehen (ebenso Gesterkamp/Laumann a.a.O., 480). Er hat lediglich den nach § 97 Abs. 7 GWB bestehenden Anspruch der Bieter darauf zu wahren, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden. Die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags hat als solche keinen vergaberechtlichen Bezug. Sie soll in arbeitsrechtlicher Hinsicht lediglich eine Gleichbehandlung von Arbeitnehmern sicherstellen. Freilich trifft den Auftraggeber gemäß § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A (im Ergebnis genauso: § 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A) vergaberechtlich die Verpflichtung, wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen zu bekämpfen. Zudem kann bei einer Unterschreitung bestehender Tarifbindungen die Zuverlässigkeit eines Bieters und/oder die Auskömmlichkeit seines Angebots in Frage stehen. Durch eine Unterschreitung von Tariflöhnen oder die Weigerung eines Bieters, sich an bestimmte Tariflöhne zu binden, werden indes keineswegs per se die wettbewerblichen Prinzipien des Vergaberechts oder Lauterkeitsregeln verletzt, die Zuverlässigkeit des Bieters aufgehoben oder die Annahme eines Missverhältnisses zwischen Preis und Leistung begründet. Dies ist immer eine Frage des Einzelfalls. Für dahingehende vergaberechtliche Schlussfolgerungen sind im Nachprüfungsverfahren bislang jedoch keine Anhaltspunkte hervorgetreten.

Spiegelbildlich zur Prüfungspflicht des Auftraggebers haben auch die Vergabenachprüfungsinstanzen in keine Prüfung außerhalb des Vergaberechts liegender Rechtsverstöße, m.a.W. in keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle, einzutreten. Nach § 104 Abs. 2 S. 1 GWB können nur die Rechte aus § 97 Abs. 7 sowie sonstige Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind, zum Anlass für ein Nachprüfungsbegehren genommen werden. Dabei bedürfen auch sonstige Ansprüche eines vergaberechtlichen Bezugs (vgl. dazu auch Gronstedt in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 104 GWB Rn. 823 ff.: Die dort erörterten Ansprüche haben im Rahmen der §§ 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A, 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A Relevanz). Auch ist die beim Nachprüfungsantrag vorauszusetzende Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB nur zu bejahen, wenn eine Verletzung von Rechten nach § 97 Abs. 7 durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht wird (vgl. auch Senat, Beschl. v. 22.5.2002 - Verg 6/02, VergabeR 2002, 668, 669 f.).

b) Die von der Vergabestelle in den Vergabeunterlagen zur Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots genannten Kriterien beinhalten neben dem Preis, und zwar so, wie sie die gestellten Anforderungen ausweislich der festgelegten Unterkriterien verstanden wissen will, auch solche Merkmale, die der Ermittlung der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Auftragnehmers, mithin der Eignung zuzuordnen sind (Qualität des Wachpersonals, des Auftragsmanagements und der Auftragsinfrastruktur sowie Unternehmensleistungsstärke). Die (gegebenenfalls bessere) Eignung eines in die engere Wahl zu ziehenden Unternehmens (ein "Mehr an Eignung") darf beim Kriterium der Wirtschaftlichkeit indes grundsätzlich nicht zu Ungunsten eines preisgünstigeren Angebots berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urt. v. 8.9.1998 - X ZR 109/96, BauR 1998, 1246 = NJW 1998, 3644, 3646; Urt. v. 16.10.2001 - X ZR 100/00, NZBau 2002, 107 = ZfBR 2002, 145). Die Prüfung der Eignung und der Zuschlag unterliegen verschiedenen Regeln. Sie sind als unterschiedliche Vorgänge klar voneinander zu trennen. Bei der den Zuschlag betreffenden Entscheidung dürfen nur Kriterien zur Anwendung kommen, die der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots dienen. Dies bedeutet, dass prinzipiell nur Faktoren berücksichtigt werden dürfen, die mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, d.h. die sich auf die Leistung beziehen, die den Gegenstand des Auftrags bildet (vgl. EuGH, Urt. v. 24.1.2008 - C-532/06, Lianakis, Rn. 26 - 30 m.w.N., ständige Rechtsprechung des EuGH). Infolgedessen ist eine nochmalige Anwendung von Eignungskriterien (ein "Mehr an Eignung") im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung prinzipiell ausgeschlossen. Insoweit unterscheidet sich die EG-rechtliche nicht von der nationalen Rechtslage.

Unabhängig davon kann jedoch einem anzuerkennenden Bedürfnis entsprechen, den Auftrag nicht schon einem im Rahmen der Eignungsprüfung ermittelten, generell geeigneten, sondern mit Rücksicht auf die besonderen Anforderungen, die die Ausführung stellt, nur einem besonders erfahrenen, fachkundigen und/oder zuverlässigen Auftragnehmer zu erteilen. Die Eignungsprüfung hat indes nicht zum Gegenstand, solche qualitativen Unterschiede zwischen den sich um den Auftrag bewerbenden Unternehmen festzustellen. Dennoch lehrt die Vergabepraxis, dass es solche Unterschiede gibt, dass sich an Vergabeverfahren also Unternehmen beteiligen, die, was die Gewissheit für eine ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags anbelangt, durchaus unterschiedliche Eignungsgrade aufweisen, die mehr oder weniger eine problemfreie Ausführung erwarten lassen. Zu dem durch die Ausschreibung sowie durch die EG-rechtlichen und nationalen Bestimmungen über das Vergabeverfahren angestrebten Ergebnis verhielte es sich aber geradezu kontrapunktiv, müssten solche graduellen Eignungsunterschiede bei der Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots vom Auftraggeber in jedem Fall unberücksichtigt bleiben. Solches ist ungeachtet der Vergabegrundsätze, die der EuGH unlängst im Urteil vom 24.1.2008 (C-532/06, Rn. 25 ff.) wiederholt hat, auch von den EG-Vergaberichtlinien nicht gefordert. So hat der EuGH auch entschieden, dass die Vergabestelle berechtigt sei, beim Abschluss von Dauerverträgen (im damaligen Fall: Vertrag über die Lieferung von Suchtstoffen für medizinische Zwecke) die Fähigkeit der Bieter zu berücksichtigen, die Zuverlässigkeit und Kontinuität einer Versorgung sicherzustellen (vgl. EuGH, Urt. v. 28.3.1995 - C-324/93, Evans Medical, EuZW 1995, 369 = Slg. 1995, I-563, Rn. 44, 49). Dabei handelte es sich um ein Eignungskriterium, das bei der Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots verwendet werden sollte. Weder die in Art. 53 Abs. 1 a der Richtlinie 2004/18/EG noch die in den nationalen Verdingungsordnungen genannten Zuschlagskriterien sind insofern in einem abschließenden Sinn zu verstehen. Sie lassen bei einer an der Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Angebotswertung Abstufungen nach dem Grad der unternehmensindividuellen Eignung zu. An der damit übereinstimmenden nationalen Vorschrift des § 25 Nr. 3 Abs. 3 S. 1 und 2 VOB/A wird dies besonders deutlich. Danach sollen nur solche Angebote in die engere Wahl gelangen, die eine einwandfreie Ausführung erwarten lassen. Erst danach ist unter den Angeboten dasjenige zu bestimmen, das nach den festgelegten Zuschlagskriterien als das wirtschaftlichste erscheint. Unter den Verdingungsordnungen sind insofern keine Unterschiede vorzunehmen. So weist die im vorliegenden Fall maßgebende VOL/A in § 25 Nr. 3 zwar keine mit der VOB/A wortlautidentische Vorschrift auf. Doch lässt Absatz 2 der Erläuterungen zu § 25 Nr. 3 VOL/A im Sinn einer beim Normverständnis zu berücksichtigenden authentischen Interpretation des Verdingungsausschusses erkennen, dass die Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots mit jedem auftragsbezogenen Umstand verknüpft werden darf.

Die Festlegung der auftragsbezogenen Kriterien für die Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots unterliegt einem weiten Spielraum des Auftraggebers. Bei der Bestimmung der Kriterien für das wirtschaftlichste Angebot ist er weitgehend ungebunden, bestimmten Faktoren eine Bedeutung zuzumessen. Die Kontrolle der Vergabenachprüfungsinstanzen hat sich dabei auf die Frage zu beschränken, ob ein Ermessensmissbrauch oder ein sonstiger Ermessensfehler zu beanstanden ist (so auch EuGH, Urt. v. 23.11.1978, Slg. 1978, 2215, Rn. 20; EuG, Urt. v. 26.2.2002, Slg. 2002, II-609, Rn. 95).

Anders gewendet sollte daraus zu folgern sein, dass eine graduell verschiedene Eignung der Bieter bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots vom öffentlichen Auftraggeber berücksichtigt werden darf, sofern es um die auftragsbezogene Umsetzung bestimmter Eignungsmerkmale geht, die im Angebot selbst dokumentiert werden soll. Der Auftraggeber darf bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots danach auch solche, an und für sich als Eignungsmerkmale einzustufende Faktoren berücksichtigen, die nach den von ihm ermessensfehlerfrei aufgestellten Prüfungsmaßstäben einen spezifischen Bezug zur Auftragsausführung aufweisen, eine ordnungsgemäße Erfüllung der gestellten Anforderungen erwarten lassen und die sich nach seinem Verlangen im Angebot ausdrücklich niederschlagen sollen (im Ergebnis ebenso: Senat, Beschl. v. 25.2.2004 - VII-Verg 77/03, VergabeR 2004, 537; OLG Dresden, Beschl. v. 6.4.2004 - WVerg 1/04, VergabeR 2004, 609, 614; Dreher, EWir 1999, 139; Gröning, NZBau 2003, 86, 91; Egger, NZBau 2004, 582, 586; Frenz in Willenbruch/Bischoff, Kompaktkommentar Vergaberecht, S. 9 Rn. 33). Unter solchen Voraussetzungen darf der Auftraggeber Eignungsmerkmale auch als Kriterien zur Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots formulieren. Aus Gründen der Gleichbehandlung und der Transparenz sind die insoweit bei der Vergabeentscheidung für maßgebend erachteten Kriterien vom Auftraggeber freilich in der Vergabebekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen klar und unmissverständlich zu benennen. Nach Lage der Dinge sind bei der Festlegung von Eignungsmerkmalen für die Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots im Streitfall indes auch solche Faktoren berücksichtigt worden, die nur im Rahmen einer Eignungsbewertung geprüft werden dürfen und bei denen ein spezifischer Auftragsbezug bislang nicht zu erkennen ist. Dies im Einzelnen aufzuführen und zu bezeichnen führte zu weit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 128 Abs. 3, 4 GWB sowie auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO. Am gestellten Antrag gemessen ist kein Unterliegen der Antragstellerin festzustellen.

Ende der Entscheidung

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