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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 17.11.2008
Aktenzeichen: VII-Verg 53/08
Rechtsgebiete: ZPO, VgV, GWB


Vorschriften:

ZPO § 116 Satz 1 Nr. 2
ZPO § 121 Abs. 2
ZPO § 121 Abs. 2 1. Alt.
VgV § 13
GWB §§ 97 ff.
GWB § 99 Abs. 1
GWB § 99 Abs. 4
GWB § 107 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Arnsberg vom 15. August 2008 (VK 04/08) aufgehoben.

Der Antragstellerin wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B... in H. bewilligt.

Gründe:

I.

Wegen des Sachverhalts wird auf den Beschluss des Senats vom 28. Mai 2008 (VII-Verg 31/08) verwiesen.

Die Vergabekammer hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, die besonderen Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO, unter denen juristischen Personen Prozesskostenhilfe gewährt werden könne, lägen nicht vor; das Unterlassen der Rechtsverfolgung laufe allgemeinen Interessen nicht zuwider. Im Übrigen habe der beabsichtigte Nachprüfungsantrag keine Aussicht auf Erfolg; der mit dem Ev. Kirchenkreis B. geschlossene Vertrag sei wirksam, weil die Antragstellerin mangels rechtzeitiger Interessensbekundung nicht nach § 13 VgV habe informiert werden müssen.

Gegen diese Würdigung richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.

1.

Dass auch für das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 28. Mai 2008 (VII-Verg 31/08) ausgeführt. An dieser Auffassung hält der Senat fest.

2.

Entgegen der Auffassung der Vergabekammer scheitert die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch nicht an den besonderen Voraussetzungen des § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO. Die Unterlassung der Rechtsverfolgung würde nämlich allgemeinen Interessen zuwiderlaufen.

Die Auffassung der Vergabekammer, den allgemeinen Interessen würde dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass der Öffentlichkeit das Beratungsangebot des Ev. Kirchenkreises B. zur Verfügung stehe, trifft nicht zu. Zwar wird vordergründig das - nach Einschätzung der Antragsgegnerin vorhandene - Bedürfnis nach einer Beratung für einen bestimmten Personenkreis befriedigt. Mit einer derartigen Beurteilung wird aber den Zwecken des Vergaberechts nicht hinreichend Rechnung getragen.

Die Pflichten des öffentlichen Auftraggebers nach §§ 97 ff. GWB dienen mehreren Zwecken. Sie sollen es zum einen dem öffentlichen Auftraggeber ermöglichen, seinen Bedarf möglichst wirtschaftlich (§ 97 Abs. 4 GWB) zu befriedigen und dadurch unnötige Haushaltsbelastungen zu vermeiden. Sie sollen des Weiteren ein "Hoflieferantentum" verhindern und einen möglichst weitgehenden Wettbewerb um den öffentlichen Auftrag ermöglichen, wobei die Entscheidung der Vergabestelle aufgrund transparenter Kriterien zu erfolgen hat (§ 97 Abs. 1 GWB). Dies alles ist bei einem ungeregelten Verfahren, wie es die Antragsgegnerin unternommen hat (hier unterstellt, dass das Vergaberecht Anwendung findet), nicht gewährleistet. Zudem besteht auch ein öffentliches Interesse daran, dass die Vergabestelle qualitativ zwischen mehreren Angeboten entscheidet, was hier - jedenfalls in transparenter Form - nicht geschehen ist.

2.

Des Weiteren fehlt einem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin entgegen der Auffassung der Vergabekammer nicht von vornherein deswegen jede Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO), weil der Vertrag der Antragsgegnerin mit dem Ev. Kirchenkreis B. wirksam ist. Vielmehr war die Antragstellerin nach § 13 VgV (die Anwendbarkeit des Vergaberechts unterstellt) von der Entscheidung der Antragsgegnerin in Textform zu unterrichten; dies ist - soweit aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlich - nicht geschehen. Anders als die Vergabekammer meint, war die Antragstellerin Bieterin im Sinne der Vorschriften. Aus der Vorlage 20070036 der Antragsgegnerin für die Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses vom 23.01.2007 (Bl. 50 ff. "Vergabeakte") ergibt sich, dass zwei miteinander konkurrierende Konzepte im Hinblick auf das vom Ausschuss am 18.05.2006 geforderte "niedrigschwellige Beratungsangebot für Leistungsbeziehende von Arbeitslosengeld" vorgelegt worden waren. Es heißt dort:

Mittlerweile hat der Mieterverein B. eine Konzeptskizze für ein niedrigschwelliges Beratungsangebot für ALG II-Betroffene eingereicht (siehe Anlage 1). Darüber hinaus hat auch die B.er Sozialberatung ein entsprechendes Konzept (siehe Anlage 2) vorgelegt, das mit einem Antrag auf finanzielle Förderung der Beratungstätigkeit verbunden wurde.

Als Anlage 2 war der Antrag der Antragstellerin vom 04.01.2007 beigefügt.

Der Ausschuss hat in der Sitzung vom 23.01.2007 sodann entschieden, "auf der Basis des durch den Mieterverein vorgelegten Konzeptes ... zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Kontaktstelle für arbeitslose Menschen ein[zu]richte[n]" und damit eine Auswahlentscheidung zwischen beiden Konzepten getroffen. In der Folgezeit entwickelten die Beratungsstelle für Arbeitslose des ev. Kirchenkreises B. und der Mieterverein B., H. und Umgegend e.V. ein Konzept, das mit Vorlage Nr. 20072089 vorgestellt wurde; Träger sollte danach der Ev. Kirchenkreis B. sein. Dieses wurde sodann in der Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses vom 04.04.2007 (Bl. 114 ff. "Vergabeakte") gebilligt. In der selben Sitzung wurde auch ein Zuschuss für die Antragstellerin unter dem Tagesordnungspunkt "Vergabe von Zuwendungen an Selbsthilfegruppen und Initiativen" beschlossen; in der Verwaltungsvorlage (Bl. 94/95 "Vergabeakte") wurde darauf hingewiesen, dass das Konzept der Antragstellerin hinsichtlich der Einrichtung eines niedrigschwellligen Beratungsangebots für Leistungsbeziehende nach SGB II und SGB XII beraten worden sei.

Daraus ergibt sich, dass bereits vor Abschluss des Vertrages der Antragsgegnerin mit dem Ev. Kirchenkreis B. die Antragstellerin mit ihrem Konzept konkurrierend gegenüber der Antragsgegnerin aufgetreten war.

3.

Ob es sich um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1, 4 GWB handelt, bedarf - wie bereits im Beschluss vom 28.05.2008 ausgeführt - im Rahmen des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens keiner durchgreifenden Prüfung. Diese rechtlich nicht ohne Weiteres zu beantwortende Frage ist dem Nachprüfungsverfahren selbst vorzubehalten.

Um eine - vergaberechtsfreie - Verteilung von Zuschüssen dürfte es sich handeln, wenn die öffentliche Hand Zuschüsse an jeden, der die Kriterien erfüllt, verteilt. Um einen öffentlichen Auftrag dürfte es sich dagegen handeln, wenn die öffentliche Hand zwecks Erbringung von Dienstleistungen eine Auswahlentscheidung unter mehreren in Betracht kommenden Interessenten durchführt.

4.

Die Antragstellerin kann auch nicht - wie die Vergabekammer andeutet - als von vornherein nicht finanziell leistungsfähig angesehen werden. Das Kriterium der finanziellen Leistungsfähigkeit soll gewährleisten, dass der Bieter einen etwa ihm erteilten Auftrag durchführen, etwa eine notwendige Zwischenfinanzierung vornehmen kann. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin einen etwa ihr erteilten Auftrag mit Hilfe von "Zuschüssen" der Antragsgegnerin nicht durchführen könnte.

Die Antragstellerin erfüllt auch ohne Weiteres den Begriff des Unternehmens, wie er in Art. 1 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge definiert ist.

5.

Auch die übrigen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor.

Sollte Vergaberecht Anwendung finden, wäre der Nachprüfungsantrag bereits mangels bekannt gegebener Wertungskriterien erfolgreich.

Insoweit kann der Antragstellerin nicht entgegen gehalten werden, sie habe nicht unverzüglich gerügt, § 107 Abs. 3 GWB. Dies ist bereits deshalb nicht der Fall, weil für sie nicht erkennbar war, ob der Schwellenwert überhaupt überschritten war oder nicht.

III.

Im Hinblick auf die Schwierigkeit der Rechtslage ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts trotz fehlenden Vertretungszwangs im Verfahren vor der Vergabekammer anzuordnen, § 121 Abs. 2, 1. Alt. ZPO analog.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. § 127 Abs. 4 ZPO analog).

Ende der Entscheidung

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