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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 04.02.2009
Aktenzeichen: VII-Verg 70/08 (1)
Rechtsgebiete: BGB, GWB, VOB/A


Vorschriften:

BGB § 146
BGB § 148
BGB § 150 Abs. 1
GWB § 97 Abs. 7
GWB § 124 Abs. 2
GWB § 128 Abs. 3
GWB § 128 Abs. 4
VOB/A § 28 Nr. 2 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 11. November 2008 (VK VOL 34/2008) aufgehoben und wird die Antragsgegnerin verpflichtet, die Angebote zu Los 1 der Ausschreibung mit der Kennzahl SGB-49218 unter Einschluss des Angebots der Antragstellerin erneut zu werten.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer werden zu 2/3 von der Antragsgegnerin und zu 1/3 der Antragstellerin auferlegt. Die Antragsgegnerin hat zudem 2/3 der in diesem Verfahren entstandenen Auslagen der Antragstellerin zu tragen. Die Antragstellerin trägt 1/3 der Auslagen der Antragsgegnerin.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden zu 2/3 der Antragsgegnerin und zu 1/3 der Antragstellerin auferlegt.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 8.000 Euro

Gründe:

I. Die Antragsgegnerin schrieb Gebäudereinigungsarbeiten aus (Ausschreibungskennzahl SGB-49218). Hier geht es um das Los 1. Die Antragstellerin beteiligte sich mit dem preisgünstigsten Angebot an der Ausschreibung, versäumte jedoch, der ihr mit Erklärungsfrist bis zum 16.9.2008 von der Antragsgegnerin angetragenen Bindefristverlängerung rechtzeitig zuzustimmen. Darauf teilte ihr die Antragsgegnerin mit, da das Angebot ungültig geworden sei, könne es nicht bezuschlagt werden. Den auf erfolglose Rüge der Antragstellerin angebrachten Nachprüfungsantrag hat die Vergabekammer als unzulässig abgelehnt. Die Vergabekammer hat die Antragsbefugnis der Antragstellerin verneint (§ 107 Abs. 2 GWB) und hat dies damit begründet, dass das Angebot der Antragstellerin infolge Ablaufs der Bindefrist erloschen und nicht mehr annahmefähig sei.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der diese darauf hinweist, dass der Auftraggeber auch nach Ablauf der Bindefrist nicht gehindert sei, den Zuschlag auf ein Angebot zu erteilen. Nach Maßgabe des § 150 Abs. 1 BGB sei ein Zuschlag als Angebot des Auftraggebers zu werten, das der betreffende Bieter rechtlich wirksam durchaus anzunehmen in der Lage sei.

Nachdem sie - wie im ersten Rechtszug - zunächst beantragt hat, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Zuschlag auf ihr Angebot zu erteilen,

beantragt die Antragstellerin nunmehr,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Angebote unter Einschluss ihres, der Antragstellerin, Angebot erneut zu werten.

Die Antragsgegnerin beantragt

Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.

Die Antragsgegnerin tritt der Rechtsauffassung der Beschwerde entgegen. Zudem macht sie Gründe geltend, welche einen Eignungsmangel der Antragstellerin begründen sollen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

Durch Beschluss vom 9.12.2008 hat der Senat die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde verlängert.

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.

1. a) Die Vergabekammer hat die Antragsbefugnis der Antragstellerin auch auf der Grundlage der von ihr eingenommenen Auffassung, wonach das Angebot der Antragstellerin wegen Ablaufs der Bindefrist nicht mehr zu berücksichtigen sei, zu Unrecht verneint. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 107 Abs. 2 GWB). Sie hat ein Interesse am ausgeschriebenen Auftrag. Dies ist, was den Regelfall bildet, durch das Angebot belegt (vgl. BGH, Beschl. v. 26.9.2006 - X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, 61 Rn. 18).

Die Antragstellerin macht ebenso eine Verletzung in Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB geltend. Insoweit ist ausreichend, dass ihrer in diesem Zusammenhang als richtig zu unterstellenden Darlegung zufolge eine Rechtsverletzung möglich erscheint. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes, der durch das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren sichergestellt werden soll, kann danach die Antragsbefugnis nur einem Unternehmen fehlen, bei dem eine Rechtsbeeinträchtigung offensichtlich nicht gegeben ist (vgl. BGH a.a.O. Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 29.7.2004 - 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 566 = VergabeR 2004, 597, 599). Im Streitfall ist von der Antragstellerin geltend gemacht worden, die Antragsgegnerin habe dadurch, dass sie ihr Angebot übergangen habe, gegen das Gebot, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, verstoßen (§ 25 Nr. 3 VOL/A). Die Antragsgegnerin sei trotz Ablaufs der Bindefrist nicht gehindert gewesen, auf ihr, der Antragstellerin, Angebot einen Zuschlag zu erteilen, zumal es das wirtschaftlichste sei. Behauptet der Antragsteller eine Verletzung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren durch den Auftraggeber, kommt regelmäßig auch in Betracht, dass er davon in subjektiven Rechten betroffen ist.

Genauso wenig ist zu verneinen, dass der Antragstellerin durch Nichtberücksichtigung im Vergabeverfahren ein Schaden droht. An die Darlegung eines Schadens sind im Rahmen der Antragsbefugnis keine hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn, so hier, ein Schadenseintritt nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG a.a.O. NZBau 2004, 564, 566 = VergabeR 2004, 597, 599). Die Vergabekammer hat danach bei weitem zu strenge Prüfungsmaßstäbe an die Antragsbefugnis angelegt.

b) Die Rügeobliegenheit (§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB) ist von der Antragstellerin gewahrt worden. Sie hat eine Rüge am sechsten Tag nach Zugang der Information, dass ihr Angebot nicht zu berücksichtigen sei, ausgesprochen. Bedenkt man, dass bis dahin in ihrem Unternehmen Nachforschungen über die Säumnis anzustellen waren, war dies im Rechtssinn unverzüglich.

2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

a) Die Antragstellerin hat Anspruch darauf, dass ihr Angebot auch zum Los 1 der Ausschreibung gewertet wird. Die Antragsgegnerin darf davon nicht mit der Begründung absehen, die Antragstellerin habe eine Verlängerung der Bindefrist versäumt. Die Versäumung der Bindefrist ist im Streitfall kein Grund, das Angebot der Antragstellerin unberücksichtigt zu lassen.

Dazu hat der Senat im Beschluss vom 9.12.2009 über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde im Wesentlichen ausgeführt:

Allerdings trifft zu, dass das Angebot der Antragstellerin gemäß den §§ 146, 148 BGB erloschen ist. Jedoch führt die zivilrechtliche Wertung, wie sich aus § 150 Abs. 1 BGB ergibt, nicht dazu, dass das Angebot auch vergaberechtlich hinfällig ist. So entspricht gefestigter Rechtsprechung auch des Bundesgerichtshofs, dass der Auftraggeber nicht daran gehindert ist und unter der Geltung des öffentlichen Haushaltsrechts im Einzelfall sogar dazu gehalten sein kann, den Zuschlag auf ein verfristetes Angebot zu erteilen. Mit den haushaltsrechtlichen Bindungen (hier jenen aus § 25 GemHVO NRW i.V.m. dem Runderlass des Innenministeriums vom 22.3.2006, NRWMBl. 2006, 222), denen der Auftraggeber unterliegt, ist in der Regel unvereinbar, ein preislich günstiges Angebot, erst recht - wie im vorliegenden Fall - das annehmbarste Angebot, von der Wertung nur deshalb auszunehmen, weil darauf der Zuschlag nicht mehr durch einfache Annahmeerklärung erteilt werden kann, sondern ein eigener Antrag des Auftraggebers und die Annahme durch den Bieter nötig sind (vgl. BGH, Urt. v. 28.10.2003 - X ZR 248/02, NZBau 2004, 166 = VergabeR 2004, 190 = ZfBR 2004, 290, 291; OLG Naumburg, Beschl. v. 13.10.2006 - 1 Verg7/06; OLG Rostock, Beschl. v. 8.3.2006 - 17 Verg 16/05; OLG Frankfurt, Beschl. v. 5.8.2003 - 11 Verg 1/02, VergabeR 2003, 725, 729; BayObLG, Beschl. v. 15.7.2002 - Verg 15/02, VergabeR 2002, 534, 536; Senat, Beschl. v. 29.12.2001 - Verg 22/01, VergabeR 2002, 267, 269; Beschl. v. 20. Februar 2007 - VII-Verg 3/07, BA 2 f.; Beschl. v. 14. Mai 2008 - VII-Verg 17/08, BA 7 f.). Dies hat jedenfalls dann zu gelten, wenn, wie im Streitfall, die Verdingungsunterlagen einen Ausschluss verfristeter Angebote nicht vorschreiben und das fragliche Angebot seinem Inhalt nach unverändert ist. Der Umstand, dass die erwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu einem Verhandlungsverfahren nach VOF ergangen ist, bedeutet nicht, dass die darin genanten Regeln auf andere Vergabeverfahren nicht übertragbar sind.

Danach durfte die Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin auch dann, wenn es wegen Ablaufs der Bindefrist nicht mehr annahmefähig im Sinne des § 148 BGB war, nicht mit der bloßen Begründung ausschließen, es sei erloschen. Zwar kommt einem Zuschlag unter diesen Umständen nur mehr die Qualität eines (neuen) Angebots des Auftraggebers zu, welches der Bieter annehmen muss, wenn ein Vertrag zustande kommen soll (vgl. § 150 Abs. 1 BGB). Jedoch folgt auch aus dem § 28 Nr. 2 Abs. 2 VOB/A zugrunde liegenden und auf Auftragsvergaben nach der VOL/A übertragbaren Rechtsgedanken, dass ein verfristetes Angebot noch angenommen werden kann. Ein solches Angebot von der Wertung auszuschließen, verbietet sich unter den oben genannten Voraussetzungen jedenfalls dann, wenn es sich um das wirtschaftlichste handelt.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof sind nach § 124 Abs. 2 GWB nicht gegeben. Der Senat entscheidet nicht abweichend vom Beschluss des Thüringer OLG vom 30.10.2006 (9 Verg 4/06, VergabeR 2007, 118). Das Thüringer OLG hat wegen einer Besonderheit des seiner Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts die Fähigkeit eines Angebots, bezuschlagt zu werden, verneint. Danach hatte nämlich der Auftraggeber nach Ablauf der Angebotsbindefrist den Antragsteller aufgefordert, eine weitere Bindefristverlängerung zu erklären. Die darauf vorgenommene Fristverlängerung hat das Thüringer OLG als Einreichung eines neuen Angebots verstanden, welches nach zwischenzeitlichem Ablauf der Angebotsabgabefrist nicht (mehr) habe gewertet werden dürfen (a.a.O. 119, 120). Davon unterscheidet sich der Streitfall dadurch, dass die Bindefrist für das Angebot der Antragstellerin einfach abgelaufen ist, ohne dass die Antragsgegnerin danach noch um eine Verlängerung der Frist angetragen hat.

b) Die von der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren an der Eignung der Antragstellerin, insbesondere an deren Zuverlässigkeit, angebrachten Bedenken rechtfertigen bei Anlegung gewöhnlicher Wertungsmaßstäbe auch unter Berücksichtigung des insoweit anzuerkennenden Beurteilungsspielraums nicht die von der Antragsgegnerin gezogenen Schlussfolgerungen. So kann aus den Vorgängen um den Ablauf der Bindefrist im vorliegenden Fall, und zwar auch aus der von der Antragsgegnerin dargestellten Gesamtheit, nicht auf eine Unzuverlässigkeit der Antragstellerin geschlossen werden, den ausgeschriebenen Auftrag ordnungsgemäß abzuwickeln. Ein Unternehmen ist als unzuverlässig anzusehen, wenn es unter Berücksichtigung aller insoweit maßgebenden Umstände eine vertragsgerechte Ausführung der zu vergebenden Leistungen einschließlich der Gewährleistung nicht erwarten lässt. Die danach erforderliche Gesamtbewertung aller in Betracht zu ziehenden Umstände ist von der Antragsgegnerin nicht angestellt, jedenfalls aber nicht vorgetragen worden. Die Antragsgegnerin stützt ihre nachteilige Bewertung vielmehr auf einen einzelnen Vorgang (oder einen eng abzugrenzenden Sachverhaltskomplex), nämlich auf das Geschehen um die Versäumung einer Bindefristverlängerung, der für sich allein genommen nicht geeignet ist, Aufschluss darüber zu geben, ob von der Antragstellerin eine ordnungsgemäße Ausführung des ausgeschriebenen Auftrags insgesamt nicht erwartet werden kann. So sind Schlechtleistungen bei bisherigen Dienstleistungsaufträgen z.B. nicht behauptet worden.

Im Ergebnis genauso verhält es sich hinsichtlich des Umstands, dass die Antragstellerin - bislang Mieterin in von der Antragsgegnerin angemieteten Räumen - einzelne Monatsmieten nicht durch Zahlung geleistet (§ 362 Abs. 1 BGB), sondern mit Vergütungsansprüchen aus Dienstleistungsaufträgen (Werkverträgen i.S.v. § 631 BGB) aufgerechnet hat (§ 387 ff. BGB). Die Aufrechnung ist ein Erfüllungssurrogat, welches genauso wie die Zahlung zum Erlöschen der Forderung des anderen Teils, hier einer Mietzinsforderung, führt (§ 389 BGB). Aus einem bloßen Aufrechnungsvorgang statt einer Bezahlung kann in der Regel nicht auf eine Unzuverlässigkeit des Antragstellers geschlossen werden. Dergleichen ist ebenso wenig wegen der von der Antragsgegnerin ausgesprochenen Kündigung des Mietverhältnisses am Platz. Unabhängig davon, ob und inwieweit dies bei der vorliegenden Ausschreibung einen Schluss auf die Zuverlässigkeit der Antragstellerin erlaubte, macht die Antragsgegnerin nicht geltend, dabei habe es sich um eine außerordentliche Kündigung oder um eine solche aus wichtigem Grund gehandelt. Nach Lage der Dinge lassen die vorstehend behandelten Bedenken der Antragsgegnerin auch zusammengenommen auf keinen Mangel an Zuverlässigkeit bei der Antragstellerin schließen.

Insgesamt betrachtet fußt die der Antragstellerin nachteilige Eignungsbeurteilung durch die Antragsgegnerin derzeit zudem auf keiner hinreichend breiten und gesicherten Erkenntnisgrundlage. Die Beschwerdeentscheidung kann darauf nicht gestützt werden. Die Eignungswertung des Auftraggebers muss auf gesicherten Erkenntnisgrundlagen beruhen (vgl. BGH, Urt. v. 26.10.1999 - X ZR 30/98, NJW 2000, 661 = BauR 2000, 254, 245).

Infolgedessen ist das Angebot der Antragstellerin in die Wertung der Angebote zum Los 1 einzubeziehen und ist die Angebotswertung, um den Vergaberechtsverstoß zu beheben, insoweit zu wiederholen.

Der Vortrag der Antragsgegnerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 29. Januar 2009 gibt (entsprechend § 156 ZPO) keine Veranlassung zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen beruht auf § 128 Abs. 3 und 4 GWB sowie auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 91, 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Der Antragstellerin ist mit Rücksicht auf das in beiden Nachprüfungsinstanzen angebrachte Begehren, ihr den Zuschlag zu erteilen, ein erhebliches Unterliegen zuzuschreiben, das der Senat im Streitfall nur deswegen lediglich mit einem Drittel bewertet hat, weil die Antragstellerin das bislang wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat.

Ende der Entscheidung

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