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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 07.04.2004
Aktenzeichen: 1 U 172/03
Rechtsgebiete: BGB, GG, HBO 1990, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839
GG Art. 34
HBO 1990 §§ 109 ff.
ZPO § 256
1. Die rechtswidrige Eintragung einer Baulast kann Amtshaftungsansprüche des betroffenen Grundstückseigentümers auslösen.

2. Dies gilt grundsätzlich nicht für die unverbindliche Äußerung einer Rechtsansicht in einem gerichtlichen Verfahren oder im Zusammenhang mit einem solchen.

3. Für die Begründetheit einer Feststellungsklage reicht es aus, dass wahrscheinlich ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH NJW-RR 1997, 339, 340; NJW 1978, 544).

4. Zum Zurechnungszusammenhang zwischen der Eintragung einer Baulast und dem einstweiligen Verzicht des Grundstückseigentümers auf Verkaufsbemühungen sowie darauf beruhenden Schäden.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 172/03

Verkündet am 07.04.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 23.10.2002 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu ersetzen, der ihm daraus entstanden ist, dass der Beklagte am ... September 1992 für das Grundstück des Klägers in A..., Flur ..., Flurstück ... eine Baulast ins Baulastenverzeichnis eingetragen und erst am ...4.1997 wieder gelöscht hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 4/9, der Beklagte zu 5/9 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Der Kläger nimmt den Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) auf Schadensersatz mit der Begründung in Anspruch, der Beklagte habe den Verkauf des klägerischen Hausgrundstücks Gemarkung A..., Flur ..., Flurstück ... dadurch vereitelt, dass er im Jahre 1992 eine rechtswidrige Baulast eingetragen und auch nach deren im Jahre 1997 erfolgter Löschung eine unzutreffende Rechtsansicht zur Erschließung des Grundstücks vertreten habe.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klageforderung sei verjährt, außerdem sei dem Kläger kein Schaden entstanden.

Mit seiner Berufung rügt der Kläger verschiedene Fehler des Landgerichts bei der Rechtsanwendung. Er beantragt,

das landgerichtliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu ersetzen, der ihm daraus entstanden ist und noch entsteht, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger unter anderem mit Schreiben vom ... September 1992 und mit dem Regelungsinhalt der Baulast vom ... September 1992 die öffentlich-rechtliche Behauptung aufgestellt und nach dem Urteil des VG Darmstadt vom 13. November 1996 aufrechterhalten hat, dass das mit einem Wohnhaus nebst Garage bebaute Grundstück des Klägers in A..., Flur ..., Flurstück ..., aufgrund der Baugenehmigungen vom ... Juli und ... September 1977 allein und ausschließlich über das Flurstück ... vom ... Weg erschlossen wird, und dass deshalb der Eigentümer des Flurstückes ... auf dem Flurstück ... eine ständig freizuhaltende Zufahrt für den Einsatz von Feuerlösch- und Rettungsfahrzeugen herzustellen und zu unterhalten hat und das Flurstück ... als Zugang und Zufahrt zum begünstigten Grundstück dauernd von Nutzungen freizuhalten ist, die die Zufahrts- bzw. Zugangsfunktion beeinträchtigen können und der Beklagte über diese angebliche Baurechtslage auf dem Flurstück ... eine entsprechende Baulast eingetragen und die Durchsetzung dieser angeblichen Baurechtslage durch Mittel des Verwaltungszwanges in Aussicht gestellt bzw. sich vorbehalten hat.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Anderem mit der Begründung, angesichts einer Wertsteigerung des klägerischen Grundstücks zwischen 1992 und 2001 um rund 10 % sei dem Kläger kein Schaden entstanden.

II. Die Berufung des Klägers ist zulässig und überwiegend begründet. Der Beklagte haftet dem Kläger für die durch die rechtswidrige Baulast verursachten Schäden (§ 839 BGB, Art. 34 GG).

1. Hinsichtlich der Amtspflichtverletzungen der Bediensteten des Beklagten ist zu differenzieren:

a) Die Baulast war rechtswidrig. Dies ist zwischen den Parteien seit dem dies ausführlich begründenden Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 13.11.1996 (Bl. 167 ff., 175 ff. der beigezogenen Akte 2 E 1437/93 [3] VG Darmstadt) nicht mehr im Streit. Der Kläger hatte keine Baulast bewilligt. Andere Rechtsgrundlagen fehlten; insbesondere gab die dem Kläger für sein Haus erteilte Baugenehmigung hierfür nichts her, was der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 10.4.2001 (9 UE 1066/97, Bl. 69 ff. d. A.) im Einzelnen ausgeführt hat.

Es bedarf keiner näheren Begründung, dass ein Amtsträger gegenüber dem Grundstückseigentümer verpflichtet ist, für dessen Grundstück keine Baulast einzutragen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

b) Soweit die Klage auf "Rechtsbehauptungen" zur Erschließungs- und Genehmigungslage gestützt wird, fehlt es an einer Amtspflichtverletzung. Der Beklagte hat - abgesehen von der Baulast - hierzu keine verbindlichen Regelungen getroffen, sondern lediglich unverbindlich ihre Rechtsansicht geäußert, das Hausgrundstück des Klägers werde allein über das Nachbargrundstück ... erschlossen; diese Meinungsäußerungen fielen insbesondere in verschiedenen gerichtlichen Verfahren. Hierin kann nicht allein deshalb eine Amtspflichtverletzung erblickt werden, weil die Rechtsansicht für den Kläger ungünstig war und eine Billigung der zuständigen Verwaltungsgerichte nicht gefunden hat. Es ist gerade Sinn gerichtlicher Verfahren, einen Raum zur Auseinandersetzung über unterschiedliche Rechtsansichten zu geben.

2. Die die Eintragung der Baulast betreffende Amtspflichtverletzung der Bediensteten des Beklagten muss als fahrlässig bezeichnet werden. Die Zulässigkeit der Baulast ließ sich auch nicht ansatzweise vertreten. Ein Amtsträger muss die Rechtskenntnisse haben, die er für sein Amt benötigt; der Verschuldensbegriff ist objektiviert.

3. Für die Begründetheit einer Feststellungsklage reicht es aus, dass wahrscheinlich ein Schaden entstanden ist (vgl. BGH NJW-RR 1997, 339, 340; NJW 1978, 544). Das ist hier der Fall.

a) Der Kläger wollte sein Hausgrundstück unstreitig im Jahre 1992 verkaufen. Dass er das nicht getan hat, führte jedenfalls in Gestalt entgangener Anlagezinsen und fortlaufender Unterhaltsaufwendungen bei Leerstand zu ganz erheblichen Vermögenseinbußen. Das Landgericht hat in seinem Streitwertbeschluss vom 10.4.2003 insoweit einen jährlichen Schadensbetrag von 135.000 DM plausibel zugrunde gelegt.

b) Entscheidend ist nicht der konkrete Nachweis beeinträchtigter Verkaufschancen, sondern der unstreitige Umstand, dass der Kläger nach Eintragung der Baulast auf Verkaufsbemühungen verzichtet hat, weil er annahm, das Hausgrundstück sei mit der Baulast nicht oder jedenfalls nicht zu einem angemessenen Preis verkäuflich. Diese Annahme traf nach der allgemeinen Lebenserfahrung ersichtlich zu: Es fällt schwer, einen Käufer für ein Grundstück zu finden, das mit einer Baulast belastet ist, die seinem Eigentümer etwas Unmögliches auferlegt, nämlich die Unterhaltung einer Zufahrt auf einem im Eigentum eines Dritten stehenden Nachbargrundstück. Soweit das Landgericht auf die vermeintlich vorteilhafte Absicherung der Zufahrt durch die Baulast abstellt, übersieht es, dass allenfalls die Baulast auf dem Nachbargrundstück ... im erwogenen Sinne für den Eigentümer / Erwerber des Grundstücks ... vorteilhaft sein konnte, nicht die auf diesem Grundstück selbst eingetragene. Die Baulast forderte den einstweiligen Verzicht des Klägers auf Verkaufsbemühungen nach allem heraus mit der Konsequenz, dass der Zurechnungszusammenhang zur Amtspflichtverletzung durch den klägerischen Entschluss nicht unterbrochen wird (vgl. etwa BGH NJW 1995, 449 ff. [unter I 3 b) der Entscheidungsgründe]; 126 ff. [unter II 3 c) der Entscheidungsgründe]). Des gilt allerdings nur für die Zeit bis zur Löschung der Baulast. Danach fehlte es nicht nur an einem amtspflichtwidrigen Verhalten des Beklagten, sondern auch an einem vernünftigen Anlass für den Kläger, von Verkaufsbemühungen weiterhin abzusehen. Die Rechtsansicht des Beklagten zur Erschließung war ausweislich des o. g. Urteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs abwegig, und der Kläger hat dies auch erkannt.

c) Der danach wahrscheinliche Schaden des Klägers wird durch die vom Beklagten zuletzt behauptete Wertsteigerung von rund 10 % im maßgebenden Zeitraum auch nicht annähernd ausgeglichen. Die Ermittlung der klägerischen Schäden und der hierauf anzurechnenden Vorteile war deshalb insgesamt dem Streit und einem etwaigen Folgeprozess der Parteien über die Schadenshöhe vorzubehalten.

4. Eine Kürzung des klägerischen Schadensersatzanspruchs unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens (§ 254 BGB) lässt sich nicht darauf stützen, dass der Kläger das Nachbargrundstück ... an seine Tochter veräußert und sich dadurch der Zufahrtsmöglichkeit über dieses Grundstück beraubt hat. Der Verkauf geschah lange vor Eintragung der Baulast; der Beklagte behauptet selbst nicht, der Kläger habe diese voraussehen können.

5. Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht verjährt.

a) Der Widerspruch und die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Baulast führten als Maßnahmen des Primärrechtsschutzes gegen die Amtspflichtverletzung zur Unterbrechung der Verjährung (vgl. BGHZ 95, 238, 242 ff., st. Rspr.). Die Unterbrechungswirkung endete analog § 211 Abs. 1 BGB a. F. erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des auf Primärrechtsschutz gerichteten Verfahrens (vgl. BGH a. a. O.), d. h. frühestens - weil das Verfahren wegen des Restes noch beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof anhängig war - mit Ablauf der Rechtsmittelfrist für das die Baulast aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts (vgl. BGH VersR 1995, 1190 f. [unter I 3 d) der Entscheidungsgründe]).

b) Die einmonatige Antragsfrist für die Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 1 VwGO a. F.) lief am Montag, dem 14.4.1997 ab, so dass die dreijährige Verjährungsfrist am 14.4.2000 ablief. Die am 11.3.2000 eingereichte Klage konnte also die Verjährung bei "demnächstiger" Zustellung unterbrechen (§ 270 Abs. 3 ZPO a. F.).

c) Die Klage ist demnächst zugestellt worden. Auf Verzögerungen infolge gerichtlichen Personalmangels kommt es insoweit nicht an. Da der Streitwert hier keinesfalls auf der Hand lag, konnte der Kläger von der Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses einstweilen absehen und die diesbezügliche gerichtliche Aufforderung abwarten, auf die er dann mit maximal zweiwöchiger Verzögerung einzahlend reagieren musste (vgl. KG KGR 2000, 233, 234; BGH NJW 1986, 1347, 1348). Das hat er getan: Die gerichtliche Anforderung datiert vom 9.5.2000 (Bl. 19 d. A.), die Einzahlung vom 22.5.2000 (Vorblatt I d. A.).

6. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO; die unterschiedlichen Kostenquoten ergeben sich daraus, dass der Kläger seine Ersatzforderung in der Berufungsinstanz auf die Zeit bis 2001 beschränkt hat.

Ende der Entscheidung

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