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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 18.01.2001
Aktenzeichen: 1 U 209/99
Rechtsgebiete: BGB, BörsG, VwGO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839
BGB § 839 Abs. 1
BörsG § 1
BörsG § 9
BörsG § 4 Abs. 1
BörsG § 5
BörsG § 1 Abs. 5
BörsG § 4 Abs. 5
BörsG § 25 Abs. 1
BörsG § 25
BörsG § 43 Abs. 1
BörsG § 25 Abs. 3
BörsG § 1 Abs. 4
BörsG § 6 Abs. 1 Nr. 2
VwGO § 42 Abs. 2
ZPO § 287
ZPO § 296 a
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 546 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 209/99

5 0 35/99 Landgericht Wiesbaden

Verkündet am 18.1.2001

In dem Rechtsstreit ...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 07.07.1999 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung von 13.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Der Wert der Beschwer beträgt 100.000,00 DM.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von dem beklagten Land aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen, die er Organen der D-Börse zur Last legt.

Am 10.03.1998 erwarb der Kläger über die von ihm beauftragte ...-Bank Optionen auf Aktien der ...- AG. Hierbei handelte es sich um 50.000 Call-Optionen, bezogen auf einen Basispreis von 165,00 DM, letzter Handels-/Ausübungstag 20.03.1998, zum Optionspreis von je 4,60 DM und 50.000 Call-Optionen, bezogen auf einen Basispreis von 170,00 DM, letzter Handels-/Ausübungstag 20.03.1998, zum Optionspreis von je 2,70 DM.

Am 11.03.1998 verbreitete die ...- AG gegen 8.11 Uhr eine ad-hoc-Mitteilung, wonach sie für ihre Aktionäre eine Sonderausschüttung in Höhe von 20,00 DM je Aktie plane. Auf diese Ankündigung reagierte der Handel an der D-Börse mit fallenden Preisen für Kaufoptionen auf ...-Aktien. Um drohende Kursverluste zu vermeiden, wollte der Kläger die von ihm gehaltenen Optionen am Morgen des 11.03.1998 verkaufen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch daran, dass die Geschäftsführung der D-Börse den Handel mit Optionen auf Aktien der ...-AG um 9.43 Uhr bis gegen 14.47 Uhr aussetzte.

Der Kläger hat behauptet, der von ihm mit der Abwicklung der Geschäfte beauftragte Herr Do. habe gegen 9.45 Uhr telefonisch dem zuständigen Mitarbeiter der ...-Bank den Auftrag für den Verkauf der Optionen erteilen wollen. Wenn die Geschäftsführung der D- Börse zu diesem Zeitpunkt nicht die Aussetzung des Handels angeordnet hätte, hätte er die Optionen zu den zuletzt vor der Aussetzung gehandelten Kursen von 5,60 DM und 3,50 DM verkaufen können. Durch die Aussetzung des Handels sei ihm deshalb in Höhe der Differenz zu den bei Wiedereröffnung des Handels notierten Kursen von 4,30 DM und 2,80 DM ein Schaden entstanden. Die vorübergehende Aussetzung des Handels durch die Geschäftsführung der D-Börse sei pflichtwidrig gewesen. Als besonders einschneidende Maßnahme, die zu erheblichen Vermögensverlusten der Anleger führen könne, komme sie nur als ultima ratio in Betracht. Bei der Entscheidung sei nach dem Wortlaut des § 25 Abs. 1 Börsenordnung maßgeblich auf die Interessen des Publikums abzustellen. Es sei nicht erkennbar, dass die Geschäftsführung der D-Börse insoweit eine korrekte Abwägung vorgenommen habe.

Die schadensverursachende vorübergehende Aussetzung des Handels sei auch dadurch mitverursacht worden, dass der Börsenrat der D-Börse in Ziffer 2.2.1.7. Abs. 1 der Bedingungen für den Handel an der D-Börse eine Bestimmung erlassen habe, wonach beim Anfallen von Dividenden, Boni oder sonstigen Barausschüttungen eine Berichtigung des Basispreises nicht stattfinde. Diese Bestimmung sei verfehlt gewesen, wie ihre spätere Abänderung zeige.

Die von der Geschäftsführung bei der Aussetzung des Handels und vom Börsenrat beim Erlass der Börsenordnung zu beachtenden Amtspflichten dienten dem Schutz des Publikums und damit auch dem Schutz des Klägers als einzelnem Anleger.

Der Kläger hat beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 100.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24.11.1998 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, dass die Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung des Handels ermessensfehlerfrei getroffen worden sei. Nach der ad-hoc-Mitteilung der ...-AG sei offen gewesen, zu welchem Zeitpunkt die beabsichtigte Sonderausschüttung gezahlt werde und wann die grundsätzlich zu erwartende Reduzierung des Börsenkurses der ...-Aktie eintreten werde. Noch vor Handelsbeginn am 11.03.1998 habe die D- Börse die Handelsteilnehmer über die Mitteilung der ...-AG informiert. Nach Eröffnung des Handels am 11.03.1998 um 9.10 Uhr hätten sämtliche DAI-Kaufoptionsserien auf die angekündigte Sonderausschüttung mit stark sinkenden Kursen reagiert. Hiervon seien auch diejenigen Optionsserien betroffen gewesen, deren Verfallstag vor der angekündigten Aufsichtsratsentscheidung der ...-AG über die Sonderausschüttung am 09.04.1998 gelegen habe. Ursache hierfür sei unter anderem gewesen, dass der Kurs der ...-Aktie als Basiswert aller DAI-Optionen wegen der Ankündigung der Sonderausschüttung rational nicht nachvollziehbaren Kursschwankungen unterworfen gewesen sei. Aufgrund von Unklarheiten sei es bereits wenige Minuten nach Handelsbeginn zu einer zunehmenden Zahl von irrtümlichen Eingaben durch Handelsteilnehmer gekommen, die später gegenüber der D-Börse als sogenannte Mistrades entsprechend den Ausführungsbestimmungen zur Behandlungen von Fehleingaben mit dem Ziel der Aufhebung der betroffenen Geschäfte geltend gemacht worden seien. Zwischen Handelsbeginn um 9.10 Uhr und der Handelsunterbrechung um 9.43 Uhr sei es in DAI-Optionen zu 342 Geschäften, davon 150 in Call-Optionen und 192 in Put-Optionen gekommen. Insgesamt 70 dieser Geschäfte hätten sogenannte Mistrades dargestellt und nach den Ausführungsbestimmungen zur Behandlung von Fehleingaben wieder storniert werden müssen. Da außerdem die eingegebenen Kauf- und Verkaufspreise teilweise extrem weit auseinander gelegen hätten, habe offensichtlich für die Handelsteilnehmer eine unklare Situation vorgelegen, die eine ordnungsgemäße Bewertung der Optionen nicht mehr erlaubt habe. In dieser Situation sei die vorübergehende Aussetzung des Handels mit DAI-Optionen erforderlich gewesen. Das beklagte Land hat ferner die Auffassung vertreten, dass etwaige Amtspflichten der Geschäftsführung der D-Börse lediglich den Schutz der Allgemeinheit, nicht aber auch den des Klägers als eines einzelnen Anlegers bezweckten. Überdies sei dem Kläger durch die vorübergehende Aussetzung des Handels kein Schaden entstanden. Es könne nicht festgestellt werden, ob und gegebenenfalls zu welchem Preis ein Verkauf der Optionen des Klägers durch die ...-Bank erfolgt wäre, wenn der Handel mit diesen Optionen nicht ausgesetzt worden wäre.

Das Landgericht hat die Klage durch am 07.07.1999 verkündetes Urteil abgewiesen (Bl. 219-231 d.A.). Der Kläger hat gegen das ihm am 25.08.1999 zugestellte Urteil am 27.09.1999 (das war ein Montag) Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 27.11.1999 am 29.11.1999 (Montag) begründet.

Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen die Auffassung des Landgerichts, es lasse sich nicht feststellen, dass ihm infolge der Aussetzung des Handels ein Schaden entstanden sei. Er behauptet, dass er die Optionen zu den zuletzt vor der Aussetzung notierten Kursen hätte verkaufen können, wenn der Handel nicht ausgesetzt worden wäre. Die Annahme des Landgerichts, es wäre ohne Aussetzung des Handels kurzfristig zu erheblichen Kursverlusten gekommen, sei Spekulation. Hiergegen spreche, dass die Optionspreise vor der Aussetzung des Handels bereits auf der Ankündung der Sonderausschüttung beruhten. Die Optionspreise zeigten zwar stetige Verluste, von einem Einbruch der Notierungen könne jedoch keine Rede sei. Die Optionen zum Basispreis von 165,00 DM seien von einem Kurs bei Handelsbeginn von 7,60 DM um 9.17 Uhr auf 7,70 DM gestiegen, erst danach habe sich ein Abwärtstrend gezeigt. Bei den Optionen zum Basispreis von 170,00 DM seien die Kurse sogar noch kurz vor Aussetzung des Handels gestiegen. Der um 9.27 Uhr erreichte Kurs von 3,50 DM sei in den nachfolgenden 12 Minuten bis zur Aussetzung des Handels nicht mehr unterschritten worden. Danach sei die Annahme gerechtfertigt, dass die Optionen zu den zuletzt vor Aussetzung gehandelten Preisen hätten verkauft werden können. Da die Schwierigkeiten bei der Darlegung des Schadens gerade auf dem der Geschäftsführung der D-Börse zuzurechnenden pflichtwidrigen Verhalten beruhten, müsse dem beklagten Land die Darlegungsund Beweislast dafür auferlegt werden, dass und aus welchen Gründen ein Schaden des Klägers in jedem Fall ausscheide.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 100.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24.11.1998 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Zu Recht habe das Landgericht die Verursachung eines dem Kläger entstandenen Schadens durch die vorübergehende Aussetzung des Handels verneint. Im übrigen fehle es an der Verletzung einer Amtspflicht und an der Drittbezogenheit etwaiger Amtspflichten.

Mit am 27.12.2000 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger seinen Sachvortrag zur Entstehung eines Schadens durch Ausführungen über die Errechnung eines theoretischen Optionspreises ergänzt.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kann von dem beklagten Land keinen Schadensersatz wegen der Aussetzung des Handels mit DAI-Optionen am 11.03.1998 beanspruchen.

Wegen der Aussetzung des Börsenterminhandels durch die Geschäftsführung der D- Börse gemäß § 25 der Börsenordnung für die D_Börse vom 16.12.1994, zuletzt geändert gemäß Veröffentlichung in der Börsen-Zeitung Nummer 114 vom 18.06.1996 (im folgenden: Börsenordnung) kommt die Amtshaftung des beklagten Landes nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht. Der Senat folgt der herrschenden Meinung, die die Börse als Marktveranstaltung (nicht: den privatrechtlichen Träger der Börse, hier eine Aktiengesellschaft) als eine nicht rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts oder eine nicht rechtsfähige öffentlich- rechtliche Einrichtung eigener Art ansieht (Schwark, BörsG, 2. Aufl., § 1 Rn. 14 ff., 19; Schönle, Bank- und Börsenrecht, 2. Aufl., S. 7; Kümpel, WM 1985, Beilage 5 S. 4, Schlüter, Wertpapierhandelsrecht, G I Rn. 9; Peterhoff in: Schäfer (Herausgeber), BörsG § 1 Rn. 31 ff. m.w.N.). Hierfür spricht, dass nach § 1 BörsG die Errichtung einer Börse der Genehmigung der zuständigen obersten Landesbehörde bedarf, die auch die Aufsicht über die Börse ausübt. Die Börsenorgane ­ Börsenrat, Börsengeschäftsführung, Zulassungsstelle, Handelsüberwachungsstellen, Ehrenausschuss nach § 9 BörsG ­ üben öffentlich- rechtliche Funktionen aus. Zum Besuch der Börse und zur Teilnahme am Börsenhandel ist eine Zulassung durch die Geschäftsführung erforderlich (§ 7 Abs. 1 BörsG). Das börsliche Benutzungsverhältnis ist öffentlichrechtlich ausgestaltet. So erlässt der Börsenrat nach § 4 Abs. 1 BörsG als öffentlichrechtliche Satzung die Börsenordnung sowie nach § 5 BörsG eine Gebührenordnung. Maßnahmen der Börsenleitung werden herkömmlich als Verwaltungsakte qualifiziert (Schwark a.a.O. § 1 Rn. 15 m.w.N.). Diese rechtliche Qualifizierung gilt auch für die D_Börse. § 1 Abs. 5 BörsG stellt klar, dass sich der Anwendungsbereich des Börsengesetztes auf die D-Börse erstreckt (Peterhoff a.a.O., § 1 Rn. 18).

Die Mitglieder der Börsengeschäftsführung sind Beamte im haftungsrechtlichen Sinn. Für Pflichtverletzungen kommt deshalb gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG die Amtshaftung des betreffenden Bundeslandes in Betracht (Peterhoff a.a.O. BörsG § 4 Rn. 17, 18; Schwark a.a.O. § 3 Rn. 3). Nur in verwaltungsgerichtlichen Verfahren kann die (rechtlich unselbständige) Börse aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 4 Abs. 5 BörsG unter ihrem Namen klagen und verklagt werden.

Die hier als Amtspflichtverletzung geltend gemachte Aussetzung des Börsenterminhandels nach § 25 Abs. 1 Börsenordnung ist ­ ebenso wie die Zulassung des Börsenterminhandels ­ eine Maßnahme hoheitlicher Tätigkeit. Nach § 25 Abs. 1 Börsenordnung kann die Geschäftsführung die Zulassung von Börsentermingeschäften zum Handel zurücknehmen oder den Börsenterminhandel aussetzen, wenn dies zum Schutz des Publikums geboten erscheint, insbesondere wenn die Notierung eines Wertpapiers an der von der Terminbörse insoweit benannten Wertpapierbörse ausgesetzt wird. Danach bestand die Amtspflicht, den Börsenterminhandel nicht ohne Vorliegen der genannten Voraussetzungen auszusetzen. Ob diese Amtspflicht verletzt wurde, hängt von Tatsachen ab, die zwischen den Parteien streitig sind. Diese bedürfen jedoch keiner weiteren Aufklärung. Denn der Kläger kann selbst im Falle einer Verletzung dieser Amtspflicht keinen Schadensersatz von dem beklagten Land beanspruchen, weil sie nicht auch ihm gegenüber als geschütztem Dritten bestand.

Ob der Geschädigte Dritter" im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB ist, richtet sich danach, ob die Amtspflicht ­ wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch ­ den Zweck hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung eine Schadenersatzpflicht. Hingegen ist anderen Personen gegenüber, selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen (BGH NJW 1994, 2091, 2092 m.w.N.). Die Aussetzung des Börsenterminhandels bezweckt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 25 Börsenordnung ­ in Anlehnung an § 43 Abs. 1 BörsG ­ (auch) den Schutz des Publikums und damit den Schutz der Allgemeinheit. Die Interessen des Publikums zielen insbesondere auf Transparenz des Börsenhandels und Information, um gleiche Ausgangschancen zu erlangen, auf die Bildung eines der wirklichen Geschäftslage entsprechenden Börsenpreises sowie auf eine stabile Kursentwicklung (Schwark a.a.O. § 4 Rn. 9; Peterhoff a.a.O. § 1 Rn. 17). Publikum sind nicht nur die jeweiligen Inhaber von an der Terminbörse gehandelten Kontrakten, sondern ebenso die interessierte Öffentlichkeit und auch potentielle Anleger, die etwa vor einer Kaufentscheidung stehen. Demgemäss zielt der Schutz des Publikums über den Schutz des einzelnen Anlegers hinausgehend auf breite Kreise der Bevölkerung in ihrer Gesamtheit, so dass eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten einzelnen Anleger nicht besteht. Vielmehr ist der Schutz des einzelnen Anlegers bei der Aussetzung des Börsenterminhandels ein bloßer Rechtsreflex (Peterhoff a.a.O. § 1 Rn. 17, § 4 Rn. 18; Claussen, DB 1994, 969, 973; anderer Ansicht Schwark a.a.O. § 43 Rn. 12; Hamann in: Schäfer (Herausgeber) BörsG § 43 Rn. 20).

Gegen eine Einbeziehung des Klägers in den Schutzbereich der bei der Aussetzung des Terminhandels zu beachtenden Amtspflichten spricht auch der Umstand, dass die Aussetzung des Börsenterminhandels als belastender Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, weil die Rechtsfolgen der Aussetzung nach § 25 Abs. 3 Börsenordnung in das Benutzungsverhältnis der Börsenteilnehmer eingreifen (Schwark a.a.O. § 43 Rn. 11). Gegen diese Entscheidung steht den hiervon betroffenen Börsenteilnehmern (nicht dem einzelnen Anleger) der Verwaltungsrechtsweg offen. Wird aber ein Amtshaftungsanspruch darauf gestützt, dass die Amtspflichtverletzung im Erlass eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts oder in der rechtswidrigen Ablehnung oder Unterlassung eines begünstigenden Verwaltungsakts bestehe, so fällt in der Regel die Drittgerichtetheit der verletzten Amtspflicht mit der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO zusammen (BGH NJW 1994, 1647; Palandt/Thomas, 60. Aufl., BGB § 839 Rn. 50). Da der Kläger jedoch nicht Handelsteilnehmer ist, stand ihm eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO nicht zu. Auch dieser Gesichtspunkt spricht gegen seine Einbeziehung in den Schutzbereich der in Rede stehenden Amtspflichtverletzungen.

Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Zweifel gezogen, das § 1 Abs. 4 BörsG klarstellt, dass die Börsenaufsichtsbehörde die ihr nach diesem Gesetz zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt (so dass hier Amtshaftungsansprüche ausgeschlossen sind), eine entsprechende Regelung aber für Maßnahmen der Geschäftsführung der Börse nicht geschaffen wurde. Dieser Umstand rechtfertigt allenfalls die Annahme, dass die Geschäftsführung der Börse ihre Aufgabe nicht nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt, so dass bei der Verletzung von Amtspflichten der Geschäftsführung der Terminbörse grundsätzlich Amtshaftungsansprüche in Betracht kommen können. Dieser Umkehrschluss ist jedoch unergiebig für die Frage, ob bei einer Aussetzung des Handels gemäß § 25 Abs. 1 der Börsenordnung auch die Interessen des einzelnen Anlegers geschützt werden sollen.

Danach steht der Kläger außerhalb des Schutzbereichs der Amtspflichten bei der vorübergehenden Aussetzung des Handels, deren Verletzung er behauptet. Eine Amtshaftung des beklagten Landes wegen der vorübergehenden Aussetzung des Handels kommt demgemäss nicht in Betracht.

Ein Amtshaftungsanspruch des Klägers kann auch nicht damit begründet werden, dass Nummer 2.2.1.7 der Bedingungen für den Handel an der D-Börse vom 20.11.1989 (Börsen-Zeitung Nummer 9 vom 13.01.1990, zuletzt geändert gemäß Veröffentlichung in der Börsen-Zeitung Nummer 12 vom 20.01.1998) bestimmt, dass eine Berichtigung des Basispreises nicht stattfindet, wenn Dividenden, Boni oder sonstige Barausschüttungen anfallen, und hierdurch die Aussetzung des Handels mitverursacht wurde. Entgegen der Auffassung des Klägers handelte der Börsenrat bei Erlass der beanstandeten Regelung nicht amtspflichtwidrig. Gegen die Wirksamkeit dieser Bestimmung sind Bedenken nicht ersichtlich und auch vom Kläger nicht geltend gemacht. Der Börsenrat erlässt die Börsenordnung als (öffentlich- rechtliche) Satzung aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung des § 4 Abs. 1 BörsG. Innerhalb der inhaltlichen Grenzen der autonomen Satzungsgewalt, die sich durch Wesen, Zweck und Aufgabenkreis der öffentlich- rechtlichen Veranstaltung Börse ergeben (Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung 12, 319, 325), steht dem Börsenrat Gestaltungsfreiheit zu. Danach werden bei dem Erlass der Börsenordnung nicht schon dann Amtspflichten verletzt, wenn andere Regelungen denkbar sind, die zur Erreichung bestimmter Ziele möglicherweise zweckmäßiger erscheinen. Entsprechendes gilt für den Erlass der Bedingungen für den Handel an der Terminbörse, der nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Börsenordnung zu den Aufgaben des Börsenrates gehört. Überdies ist der Kläger nicht in den Schutzbereich von Amtspflichtverletzungen bei Erlass der Börsenordnung und der Bedingungen für den Handel an der D-Börse einbezogen. Soweit bei Erlass dieser Normen (auch) die Interessen des Publikums zu wahren sind (§ 4 Abs. 2 BörsG), wird aus den bereits oben ausgeführten Gründen nicht der Schutz des einzelnen Anlegers, sondern der Schutz des Publikums und damit der Allgemeinheit bezweckt. Damit kommt eine Amtshaftung des beklagten Landes auch nicht wegen Amtspflichtverletzung bei Erlass der Bedingungen für den Handel an der D- Börse in Betracht.

Die Berufung des Klägers ist auch deshalb nicht begründet, weil das Landgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass dem Kläger durch die vorübergehende Aussetzung des Handels am 11.03.1998 kein Schaden entstanden ist.

Die als pflichtwidrige Amtspflichtverletzung geltend gemachte Aussetzung des Handels mit ...-Optionen hat nur dann einen Vermögensschaden beim Kläger verursacht, wenn der Kläger ohne die Aussetzung des Handels die Optionen zu einem Kurs hätte verkaufen können, der 4,30 DM bzw. 2,80 DM ­ den Kursen bei Fortsetzung des Handels, zu denen der Kläger hätte verkaufen können ­ überstieg. Die Besonderheiten des Terminhandels ­ jedenfalls mit Call-Optionen auf Aktien der ...-AG am 11.03.1998 ­ in Verbindung mit den vom Kläger vorgelegten Kursausdrucken lassen es nicht als wahrscheinlich erscheinen (§ 252 S. 2 BGB), dass dem Kläger ein Verkauf der von ihm gehaltenen Optionsserien zu den Preisen möglich gewesen wäre, die im Handel unmittelbar vor dessen Aussetzung erzielt wurden. Denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Kläger auch ohne Aussetzung des Handels keine höheren Preise erzielt hätte, als sie bei Wiedereröffnung des Handels gezahlt wurden.

Es kann schon nicht hinreichend sicher festgestellt werden, wann der geplante Verkauf stattgefunden hätte. Die Zeitangabe des Klägers, dass sein Bevollmächtigter gegen 9.45 Uhr" mit der ...-Bank telefoniert habe, um den Auftrag zum Verkauf der Optionen zu erteilen, ist ungenau. Im Rahmen einer solchen Zeitangabe läge auch noch ein um 9.50 Uhr oder 9.52 Uhr geführtes Telefongespräch. Berücksichtigt man die erforderliche Zeit zur Entgegennahme des Verkaufsauftrages und geht man zugunsten des Klägers davon aus, dass die ...-Bank seinen Auftrag unverzüglich durch Eingabe des Verkaufsauftrages in das elektronische System der D-Börse erledigt hätte, dann wäre das vom Kläger veranlasste Verkaufsangebot jedenfalls nicht vor 9.50 Uhr auf dem Terminmarkt vorhanden gewesen. Möglicherweise hätten die Kurse zu dieser Zeit auch ohne die um 9.43 Uhr vorgenommene Aussetzung des Handels 4,30 DM und 2,80 DM betragen.

Hinsichtlich der Optionen mit Basispreis 165,00 DM ist zu berücksichtigen, dass deren Preis in der Zeit von 9.17 Uhr bis 9.34 Uhr ­ also innerhalb von 17 Minuten ­ von 7,70 DM um 2,10 DM auf 5,60 DM sanken. In der Zeit von 9.17 Uhr bis 9.23 Uhr ­ also in nur 6 Minuten ­ ergab sich ein Kursverlust von 1,40 DM. Unter diesen Umständen und mit Rücksicht auf die fortscheitenden Kursverluste nach Wiedereröffnung des Handels erscheint es nicht fernliegend, dass auch ohne die Aussetzung des Handels der Kurs bis 9.50 Uhr auf 4,30 DM gesunken wäre.

Entsprechendes gilt für die Optionen zum Basispreis von 170,00 DM. Hier kam es in der Zeit von 9.13 Uhr bis 9.16 Uhr ­ also innerhalb von nur 3 Minuten ­ zu einem Kursverlust von 0,55 DM auf 4,00 DM. In der Zeit von 9.20 Uhr bis 9.27 Uhr ergab sich ein weiterer Kursverlust von 4,00 DM auf 3,50 DM. Zwar wurde ein Kurs von 3,50 DM noch um 9.39 Uhr erzielt. Mit Rücksicht auf die auch hier nach der Wiedereröffnung des Handels sich fortsetzenden Kursverluste erscheint es ebenfalls nicht fernliegend, dass sich auch ohne Aussetzung des Handels um 9.43 Uhr bis zu dem fiktiven Verkauf um 9.50 Uhr ein Kurs von 2,80 DM ergeben hätte. Danach kann die Verursachung eines Schadens ­ auch eines gemäß § 287 ZPO geschätzten Mindestschadens ­ durch die Aussetzung des Handels nicht festgestellt werden. Der Sachvortrag des Klägers zur Berechnung eines theoretischen Optionspreises in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 22.12.2000 kann nach § 296 a ZPO nicht berücksichtigt werden. Er veranlasst auch nicht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, weil er zu keinem anderen Ergebnis führt. Das gilt hier schon deshalb, weil ein Call-Optionspreis bei sinkenden Aktienkursen nicht allein das Ergebnis eines exakten Rechenvorganges ist, sondern bekanntlich auch von kaum zu prognostizierenden Umständen ­ etwa von plötzlich auftretenden Unsicherheiten des Marktes oder psychologischen Einflüssen ­ erheblich mitbestimmt sein kann. Auch errechnet der Kläger selbst als theoretischen Optionspreis für 9.46 Uhr 3,016 DM (Basiskurs 170,00 DM) und 5,63 DM (Basiskurs 165,00 DM). Da die Kurse der ...-Aktien ausweislich der vom Kläger mit Schriftsatz vom 22.12.2000 vorgelegten Übersicht von etwa 168,00 DM um 9.45 Uhr auf etwa 167,00 DM um 9.50 Uhr sanken, folgt daraus auch ein weiteres Absinken des hypothetischen Optionspreises für einen hypothetischen Geschäftsabschluss um 9.50 Uhr. Danach ist der Sachvortrag des Klägers im Schriftsatz vom 22.12.2000 zur Darlegung eines durch die Aussetzung des Handels wahrscheinlich entstandenen Schadens nicht geeignet.

Eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast für die Verursachung eines Schadens zu Lasten des beklagten Landes ist nicht gerechtfertigt. Für die Verursachung des hier geltend gemachten Schadens durch die Aussetzung des Handels stehen dem Beklagten keine besseren Erkenntnismöglichkeiten als dem Kläger zu. Die Darlegung, dass kein Schaden verursacht worden sei, ist mit den gleichen Schwierigkeiten verbunden wie die Darlegung des Gegenteils. Selbst wenn das beklagte Land die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen würde, dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei, fehlte es bei Fehlschlagen dieser Darlegung oder Beweisführung an der erforderlichen Grundlage für die positive Feststellung eines Schadens, ohne die eine Schadensersatzklage keinen Erfolg haben kann. Es besteht keine Vermutung dafür, dass sich eine Aussetzung des Handels im allgemeinen bei fallenden Aktienkursen ungünstig auf die Preise von Call-Optionen auswirkt. Vielmehr ist in Betracht zu ziehen, dass eine vorübergehende Aussetzung des Handels auch durch Verringerung von Unsicherheiten oder bei sich stabilisierenden Aktienkursen eher günstige Auswirkungen auf den Optionspreis zur Folge haben kann. Eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast kann auch nicht damit begründet werden, dass gerade das als pflichtwidrig angesehene Verhalten der Geschäftsführung der D-Börse die Unklarheit des hypothetischen Optionspreises verursacht. Die sich zu Lasten des Klägers auswirkende Unsicherheit des hypothetischen Optionspreises beruht nicht auf der vorübergehenden Aussetzung des Handels, sondern auf den Unwägbarkeiten bei der Bildung des Optionspreises, die nicht in den Risikooder Verantwortungsbereich der D-Börse fallen. Danach ist eine Änderung der Beweislast zugunsten des Klägers weder wegen besserer Erkenntnismöglichkeiten des Beklagten noch wegen Unzumutbarkeit der Beweisführung für den Kläger geboten.

Danach ist die Klage auch deshalb unbegründet, weil nicht festgestellt werden kann, dass dem Kläger durch die vorübergehende Aussetzung des Handels mit den von ihm gehaltenen Call-Optionen ein Schaden entstanden ist.

Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat der Kläger die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Wert der Beschwer wurde nach § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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