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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 07.02.2005
Aktenzeichen: 1 U 223/04
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 4
StVO § 5 III Nr. 1
Die Mitverursachung eines Verkehrsunfalls durch Ansetzen zum Überholen trotz unklarer Verkehrslage erhält nicht dadurch zusätzliches Gewicht, dass hierbei - naturgemäß - auch der Abstand zum Vorausfahrenden verringert und der nach § 4 StVO erforderliche Sicherheitsabstand nicht mehr eingehalten wird.
Gründe:

I.

Von einem Tatbestand wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO).

II.

Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Der Kläger kann von den Beklagten wegen des Unfalles vom 14.09.2003 gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, 3 PflVG Zahlung von insgesamt 3.765,68 € - das entspricht 2/3 seines materiellen Schadens - beanspruchen.

Die Abwägung der schuldhaften Mitverursachung des Unfalles durch den Kläger und die Beklagte zu 1) sowie des Betriebsrisikos der beteiligten Fahrzeuge führt zu einer Haftung der Beklagten dem Grunde nach von 2/3 des Gesamtschadens. Wegen des schuldhaften Fahrfehlers der Beklagten zu 1) wird auf die insoweit zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Zu Recht hat das Landgericht auch einen schuldhaften Fahrfehler des Klägers bejaht. Denn der Kläger hat entgegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO trotz unklarer Verkehrslage zum Überholen angesetzt. Überholen ist der Vorgang des Vorbeifahrens auf dem selben Straßenteil an einem anderen Verkehrsteilnehmer, der sich in derselben Richtung bewegt (Jagusch/Hentschel, 35. Aufl., StVO § 5 Rn. 16 m. w. N.). So verhielt es sich hier, da das Fahrzeug der Beklagten zu 1) noch nicht damit begonnen hatte, nach links abzubiegen, als der Kläger beschleunigte, um zum Überholen anzusetzen. Unklar war die Verkehrslage, weil sich nicht verlässlich beurteilen ließ, was die dem Kläger vorausfahrende Beklagte zu 1) jetzt sogleich tun werde. Sie hatte ihre Fahrt verlangsamt, ohne aber zu blinken. Die sich abzeichnende Fahrbewegung nach rechts war noch nicht so deutlich, um hinreichend sicher davon ausgehen zu können, dass die Beklagte zu 1) auch nach rechts abbiegen werde. Denn es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beklagte zu 1) die Begrenzungslinie rechts der Geradeausspur bereits überfahren hatte. Wenn - wie hier - es den Anschein hat, der Vorausfahrende wolle abbiegen, ohne dass dies deutlich wird, liegt eine unklare Verkehrslage vor (vgl. Jagusch/Hentschel a. a. O. § 5 Rn. 34 m. w. N.).

Dem Kläger kann allerdings nicht zusätzlich zu dem Verstoß gegen die Pflicht aus § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ein pflichtwidrig unzureichender Sicherheitsabstand nach § 4 StVO zur Last gelegt werden. § 4 StVO betrifft den Abstand zu dem Vorausfahrenden vor Beginn des Überholvorganges. Wer überholen will, darf den Abstand (erst) dann verringern, wenn er ausscheren und zügig vorbeifahren kann (Jagusch/Hentschel a. a. O. § 4 Rn. 6 m. w. N.). Wird der Abstand zum Vorausfahrenden im Rahmen eines trotz unklarer Verkehrslage begonnenen Überholvorganges verringert, kann der Verletzung des Gebotes zur Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes nicht als eine zur Verletzung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO hinzutretende Pflichtverletzung betrachtet werden.

Der vorwerfbare Fahrfehler der Beklagten zu 1) hat ein wesentlich größeres Gewicht als der des Klägers. Die fast vollständig unterlassene Ankündigung der Absicht der Beklagten zu 1) zum Linksabbiegen in Verbindung mit der unmittelbar vorangegangenen Fahrbewegung nach rechts ergibt ein grob verkehrswidriges Verhalten der Beklagten zu 1). Es ist angemessen, dass der grob verkehrswidrig nach links Abbiegende bei einer Kollision mit einem trotz unklarer Verkehrslage Überholenden mit einer Quote von 2/3 für den Unfallschaden haftet (vgl. Jagusch/Hentschel a. a. O. § 9 Rn. 55 m. w. N.). Da sich der Unfallschaden unstreitig auf 5.648,51 € beläuft, kann der Kläger somit Zahlung von 3.765,68 € verlangen. Die weitergehende Klage auf Ausgleich des materiellen Schadens ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Landgericht die Klage wegen des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruches abgewiesen. Die Verletzungen des Klägers sind so gering, dass die Billigkeit eine Entschädigung insoweit nicht erfordert (§ 253 BGB). Ausweislich des ärztlichen Berichtes vom 23.09.2003 erlitt der Kläger lediglich einen geringen Druckschmerz im Bereich der linken Hand und am rechten Oberschenkel eine oberflächliche Schürfung ohne Bewegungseinschränkung des Kniegelenkes.

Die Zinsforderung ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB).

Die Kosten beider Rechtszüge haben die Parteien entsprechend dem Antrag ihres Obsiegens und Unterliegens zu tragen (§§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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