Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 26.04.2004
Aktenzeichen: 1 U 265/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 178 Abs. 1 S. 1
Zum Begriff der Wohnung im Sinne § 178 Abs. 1 Satz 1 ZPO
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 265/03

Verkündet am 26.04.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.10.2003 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main aufgehoben.

Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Wegen des Sach- und Streitstandes des ersten Rechtszuges wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Beklagte rügt mit ihrer Berufung, dass das Landgericht zu Unrecht die Zustellung des Vollstreckungsbescheides als wirksam und den hiergegen gerichteten Einspruch als unzulässig behandelt habe. Die auf die Zusatzrechnung vom ...03.2003 gestützte weitere Forderung der Klägerin sei nicht begründet. Gegenstand der Rechnung seien Leistungen, die vom ursprünglichen Vertrag umfasst und in der Schlusszahlung enthalten seien. Bei der unter T 3 genannten Leistung handele es sich eindeutig um Nachbesserung des Fernsehempfanges. Fehlerhaft seien die von der Beklagten geltend gemachten Mängel und die darauf abgeleiteten Gegenansprüche als unsubstantiiert behandelt worden.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufgebung des angefochtenen Urteils das Verfahren an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen, möglichst an eine andere Zivilkammer oder Kammer für Handelssachen,

hilfsweise der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist zu gewähren,

hilfsweis für den Fall der Nichtzurückverweisung unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Vollstreckungsbescheides des Amtsgerichts Hünfeld vom 22.04.2003 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II. Die Berufung der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges nach § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

Zu Unrecht hat das Landgericht den Einspruch der Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hünfeld als unzulässig angesehen.

Der am 28.05.2003 eingegangene Einspruch der Beklagten gegen den Vollsteckungsbescheid ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Die Niederlegung des Vollstreckungsbescheides am 24.04.2003 unter der Anschrift in A hat die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt; es handelte sich nicht um eine nach §§ 178, 180 ZPO wirksame Ersatzzustellung, da die Beklagte zu dieser Zeit in A keine Wohnung im Sinne des § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO mehr hatte. Die Indizwirkung der Zustellungsurkunde, dass die Beklagte unter der Zustellungsanschrift wohne (Bundesverfassungsgericht NJW 1992, 234, 235; BGH NJW-RR 1994, 564), ist durch die plausible und schlüssige Darlegung der Beklagten entkräftet, sie habe ihren Lebensmittelpunkt in B, ...straße.

Für den Begriff der "Wohnung" im Sinne der Zustellvorschriften kommt es auf das tatsächliche Wohnen an, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt, dort auch schläft, und dorthin auch regelmäßig wiederkehrt (BGH a. a. O; BGH Beschluss vom 4.06.1997, XII ARZ 13/97, JURIS). Er muss dort seinen räumlichen Lebensmittelpunkt haben. Das traf für die Wohnung der Beklagten in A für die Zeit der Niederlegung des Vollstreckungsbescheides (24.04.2003) und des Mahnbescheides (27.03.2003) nicht mehr zu. Vielmehr hatte die Beklagte durch ihr Verhalten nach außen erkennbar - jedenfalls für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar (BGH NJW-RR 1994, 564) - die Aufgabe der Wohnung in A als den Lebensmittelpunkt bestimmende Hauptwohnung zum Ausdruck gebracht. Das ergibt sich aus ihren eidesstattlichen Versicherungen vom 27.03.2003 (Blatt 26 der Akten) und 5.07.2003 (Blatt 64 der Akten), der eidesstattlichen Versicherung des Dipl.- Ing. C vom 28.07.2003 (Blatt 27 der Akten) sowie aus dem Schreiben der Beklagten an den Rechtsanwalt D vom 4.06.2003 (Blatt 66 der Akten). Danach wohnte sie jedenfalls seit Anfang 2003 unter der Adresse ...straße in B. Dort übte sie auch das am ...01.2003 zum Gewerberegister der Stadt B angemeldete Gewerbe aus. Selbst wenn man die Verlegung des Lebensmittelpunktes nach B nicht schon für die Zeit ab Januar 2003 annimmt, hatte diese jedenfalls seit dem ...03.2003 stattgefunden. Dass die Beklagte ab ...03.2003 ihren Lebensmittelpunkt unter der Adresse ...straße in B genommen hatte, ist daraus erkennbar, dass sie seit dieser Zeit dort auch polizeilich ihre Hauptwohnung angemeldet hatte. Zwar setzt die Begründung einer neuen Wohnung grundsätzlich eine polizeiliche Ummeldung nicht voraus.

Meldet sich aber der Zustellungsadressat beim Einwohnermeldeamt am Ort seiner neuen Wohnung polizeilich an und teilt er dabei mit, es handele sich um seine Hauptwohnung, so ist dies ein starkes Indiz für die entsprechende Veränderung des Lebensmittelpunktes (BGH NJW-RR 1994, 564). Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte die Wohnung in A nicht völlig aufgegeben hatte, sondern sich dort hin und wieder am Wochenende aufhielt. Danach war die (Zweit-)Wohnung in A jedenfalls seit ...03.2003 nicht mehr als Wohnung im Sinn der Zustellvorschriften anzusehen.

Die Zurückverweisung der Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges entsprechend dem Antrag der Beklagten erscheint deshalb sachgerecht, weil eine weitere Aufklärung und umfangreiche Beweisaufnahme notwendig ist. Die Beklagte hat gegen die rechnerisch unstreitige Forderung der Klägerin aus dem Vollstreckungsbescheid schlüssig Schadensersatzansprüche geltend gemacht und Aufrechnung erklärt. Insoweit bedarf der Rechtsstreit weiterer Aufklärung und der Beweiserhebung.

Allerdings hat die Beklagte hinsichtlich der Aufrechnung mit einem Gegenanspruch von 5.011,20 € wegen einer Zahlung an die Firma E in entsprechender Höhe die Voraussetzungen für eine Ersatzvornahme nicht schlüssig dargetan und auch keinen Beweis dafür angetreten, dass sie mit der Klägerin eine Verrechnung dieser Zahlung gegen die Werklohnforderung vereinbarte. Die Beklagte hat jedoch schlüssig einen Schadensersatzanspruch wegen angeblich fehlerhaft montierter Brandmelder in Höhe von 21.000 € geltend gemacht. Da sich die behauptete Gegenforderung auf die Kosten für das Versetzen aller Brandmelder bezieht, waren Angaben zu den Zimmern, in welchen sich die Brandmelder befinden, für die Schlüssigkeit der Gegenforderung entbehrlich. Schlüssig vorgetragen und beweisbedürftig ist ferner der geltend gemachte Schaden, der durch Fehlalarme der Brandmelder entstanden sein soll. Der ebenfalls zur Aufrechnung gestellte angebliche Schadensersatzanspruch in Höhe von 10.440 € wegen der Nachbesserung der Satellitenempfangsanlage bedarf weiterer Aufklärung, da unklar ist, was zwischen den Parteien insoweit vereinbart wurde.

Die Zurückverweisung erstreckt sich auch auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von weiteren 687,18 € nebst Zinsen. Allerdings ist diese Forderung der Klägerin rechnerisch gerechtfertigt. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die in der Rechnung unter T 1 am 5.08.2002 erbrachte Leistung in den Zimmern ... und ... bereits zum Leistungsumfang des urspünglichen Auftrages gehörte. Danach handelte es sich um eine Zusatzleistung.

Der erwähnte Kurzschluss wurde von einem Dritten verursacht.

Die zu seiner Beseitigung erbrachte Leistung der Klägerin war somit keine Nachbesserung. Soweit die Klägerin unter T 2 am 17.09.2002 erbrachte Leistungen abrechnet, hat die Beklagte nicht dargelegt, dass der ursprüngliche Vertrag einen TV-Anschluss für das Zimmer ... vorsah. Auch insoweit handelt es sich somit um eine Zusatzleistung der Klägerin. Schließlich betrifft die unter T 3 am 22/23.10.2002 erbrachte Leistung unstreitig Nachbesserung wegen Beschädigung eines Bauteiles. Ebenso ist unstreitig, dass dieser Schaden nach Abnahme der Leistung der Klägerin eintrat und nicht von dieser herbeigeführt wurde. Gleichwohl ist eine Entscheidung über die zusätzliche Forderung der Klägerin von 687,18 € im Wege des Teilurteils nicht möglich, da auch insoweit die Aufrechnung der Beklagten Erfolg haben kann. Somit ist der Rechtsstreit insgesamt an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung ist dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, weil erst dieser Anspruch ermöglicht, dass eine eventuell eingeleitete Vollstreckung aus dem aufgehobenen Urteil eingestellt und Vollstreckungsmaßnahmen aufgehoben werden. Die Entscheidung zur Sicherheitsleistung beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

Zurück