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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 14.08.2008
Aktenzeichen: 1 U 27/08
Rechtsgebiete: UKlaG, ZPO


Vorschriften:

UKlaG § 1
ZPO § 935
ZPO § 940
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten hat Erfolg. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet. Der für die Anspruchsdurchsetzung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche Verfügungsgrund liegt nicht vor.

1) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht zwar davon ausgegangen, dass dem Verfügungskläger im Grundsatz die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG zugute kommt. § 5 UklaG nimmt Bezug auf § 12 Abs. 2 UWG, wonach die in §§ 935, 940 ZPO geregelten Dringlichkeitsvoraussetzungen bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen nicht dargelegt und glaubhaft gemacht werden müssen, die Dringlichkeit insoweit vielmehr vermutet wird.

2) Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist die Dringlichkeitsvermutung vorliegend jedoch widerlegt, weil der Verfügungskläger trotz Kenntnis der Verwendung der - aus seiner Sicht unwirksamen - Allgemeinen Geschäftsbedingungen längere Zeit zugewartet hat, ohne gegen die Verfügungsbeklagte gerichtlich vorzugehen. Die Untätigkeit spricht gegen die Eilbedürftigkeit. Denn damit gibt der Verfügungskläger zu erkennen, dass er selbst die Sache nicht als eilig betrachtet hat (sog. "Selbstwiderlegung", vgl. Köhler in: Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, 26. Aufl. 2008, § 12 Rn. 3.15; Schlingloff in: Münchener Kommentar, Lauterkeitsrecht, §§ 5 - 22 UWG, 2006, § 12 Rn. 387; Retzer in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 2004, § 12 Rn. 304; Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 113).

a) Über die dringlichkeitsschädliche Zeitspanne zwischen der Kenntnis und der Einreichung des Verfügungsantrages - was also genau eine "längere Zeit" ist - besteht in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine unterschiedliche Auffassung. Zum Teil werden Regelfristen von einem bis zu drei Monaten befürwortet, zum Teil werden bei besonderer Sachlage auch längere Fristen als hinnehmbar angesehen, ohne dass eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung eintreten soll (vgl. die Einzelnachweise dazu bei Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 12 Rn. 3.15; Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, Stand 27.03.2008, § 12 Rn. 87). Nach Ansicht des Senats lässt sich eine feste zeitliche Grenze nicht ziehen. Vielmehr ist bei der Beurteilung einer etwaigen Selbstwiderlegung stets auf die maßgeblichen Umstände des Einzelfalls abzustellen, bei der die Ausnutzung bestimmter Fristen ein wesentlicher Gesichtspunkt sein kann, aber nicht stets sein muss (ebenso OLG Hamburg, GRUR-RR 2007, 302 [juris Rn. 12]). Unter Abwägung der maßgeblichen Umstände ist die Dringlichkeitsvermutung im Streitfall als widerlegt anzusehen.

b) Dabei kann es dahinstehen, ob - wie das Landgericht angenommen hat - dem Verfügungskläger bis zum Ablauf der Befristung der behördlichen Anordnung zum 09.04.2007 ein triftiger Grund zur Seite stand, eine Antragstellung im einstweiligen Verfügungsverfahren zurückzustellen. Denn jedenfalls danach war eine kurzfristige Reaktion des Verfügungsklägers zu erwarten und geboten, die jedoch nicht erfolgt ist. Dabei ist als maßgeblicher Zeitpunkt für ein Tätigwerden des Verfügungsklägers entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs der Antragsschrift per Fax am 19.07.2007 abzustellen, sondern erst auf den Eingang des Originals am 23.07.2007. Denn dem per Telefax eingereichten Exemplar der Antragsschrift waren die Anlagen, insbesondere die Anlage AS 1, nicht beigefügt. Auf diese wird aber im Verfügungsantrag Bezug genommen, und ohne diese war weder der Antrag verständlich noch das konkrete Begehren ersichtlich. Diese Anlage ist erst am 23.07.2007 mit dem Original eingegangen. Dieses Zuwarten von annähernd 3 1/2 Monaten rechtfertigt die Annahme, dass für eine eilige, vorläufige Regelung aus Sicht des Verfügungsklägers kein dringendes Bedürfnis bestand. Denn nachvollziehbare Gründe dafür, warum er so lange zugewartet und nicht zumindest zeitnah nach Ablauf der Befristung der behördlichen Anordnung einen Verfügungsantrag gestellt hat, hat der Verfügungskläger nicht angeführt.

c) Insbesondere ist die zögerliche Verfahrenseinleitung entgegen der Ansicht des Verfügungsklägers nicht damit zu rechtfertigen, dass die Sache komplizierte Rechtsfragen aufwirft. Die einen etwaigen Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG rechtfertigenden Tatsachen - der Inhalt des sog. "Anreizsystems" der Verfügungsbeklagten in der konkreten Ausgestaltung - waren dem Verfügungskläger spätestens seit Herbst 2006 bekannt. Die Neufassung der Schienenbenutzungsbedingungen (SBN) inklusive der Regelungen über das - nahezu unverändert gebliebene - Anreizsystem lag ihm seit dem 14.09.2006 vor. Er hatte sodann in einer an die Bundesnetzagentur gerichteten Stellungnahme vom 13.10.2006 den Standpunkt bezogen, das Anreizsystem sei nicht praktikabel; die Entgeltgrundsätze wiesen schwere Verstöße gegen geltendes Recht auf und zeichneten sich in entscheidenden Passagen durch die Wahl unklarer Begriffe aus, die eine flexible Anwendung der SBN zugunsten der Verfügungsbeklagten ermöglichten. Diesem Schreiben hatte der Verfügungskläger ein Gutachten seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 13.10.2006 beigefügt, in dem die rechtlichen Bedenken gegen das Anreizsystem dargelegt worden waren. Mit dem Einwand, diese Stellungnahme seiner Prozessbevollmächtigten befasse sich nicht mit der Frage der zivilrechtlichen Bewertung des Anreizsystems, kann der Verfügungskläger nicht gehört werden. Maßgeblich für den Fristbeginn ist die vollständige Kenntnis derjenigen Tatsachen, die eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ermöglichen (vgl. Retzer in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, a.a.O., § 12 Rn. 308; Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 12 Rn. 3.15; Schlingloff in: Münchener Kommentar, Lauterkeitsrecht, §§ 5 - 22 UWG, 2006, § 12 Rn. 388). Diese Tatsachenkenntnis lag für den Verfügungskläger im Herbst 2006 vor. Überdies hatten die Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers bereits in ihrer Stellungnahme vom 13.10.2006 auf Bedenken hingewiesen, die auch zivilrechtlich von Bedeutung und sodann zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht worden sind, wie etwa die einseitige Belastung der Eisenbahngüterverkehrsunternehmen mit - aufgrund nicht durchschaubarer Ursachenketten nicht zurechenbaren - Verspätungsminuten, die Nichtberücksichtigung von Infrastrukturmängeln, die Zuordnung der Verspätungsminuten durch den Fahrdienstleiter ohne nähere Begründungspflicht und Kontrollmöglichkeit sowie die Beweislastregelung bei Beschwerden der Eisenbahngüterverkehrsunternehmen.

d) Seinem eigenen Sachvortrag zufolge war dem Verfügungskläger auch bekannt, dass die Regulierungsbehörde im Rahmen der sodann durchgeführten Vorabprüfung eine Rechtskontrolle nur über die Einhaltung "eisenbahnrechtlicher" Infrastruktur-Zugangsvorschriften vorzunehmen hatte, es bei dieser Prüfung also letztlich nicht um die Beurteilung typisch zivilrechtlicher Fragen gehen konnte. Das Allgemeine Eisenbahngesetz enthält in §§ 14b ff. die durch Gesetz vom 27.04.2005 (BGBl I 1138) eingefügten Vorschriften über Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde, der nach § 14b Abs. 1 AEG die Aufgabe obliegt, die Einhaltung der Vorschriften des Eisenbahnrechts über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur zu überwachen, nach Nummer 4 der Vorschrift insbesondere hinsichtlich der Benutzungsbedingungen, Entgeltgrundsätze und Entgelthöhen. Die Ausrichtung auf das Eisenbahnrecht gebietet dabei zumindest eine Zurückhaltung der Regulierungsbehörde bei der Beurteilung von durch Nutzungsbedingungen aufgeworfenen typischen zivilrechtlichen Fragen, deren Klärung den Zivilgerichten vorbehalten ist. Insoweit sind das Diskriminierungsverbot und das Transparenzgebot schon generell keine Instrumente, um letztlich jede, an sich zivilgerichtlicher Kontrolle unterliegende Rechtsfrage oder Frage der Auslegung und/oder der Wirksamkeit vertraglicher Regelungen zum Gegenstand eines Widerspruchs nach § 14e AEG zu machen (ebenso OVG Münster, Beschluss vom 28.01.2008 - 13 B 2014/07 - [juris Rn. 13]).

Spätestens nachdem das OVG Münster im Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 26.03.2007 - 13 B 2592/06 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Verfügungsbeklagten gegen den Bescheid der Bundesnetzagentur vom 20.11.2006 angeordnet hatte, musste der Verfügungskläger zudem damit rechnen, dass das Anreizsystem auch nach Ablauf der behördlichen Anordnung am 09.04.2007 angewandt werden würde, zumal das OVG Münster das Anreizsystem als mit den Vorgaben des § 21 EIBV vereinbar angesehen und im einzelnen dargelegt hatte, dass eine Diskriminierung der Eisenbahngüterverkehrsunternehmen durch das allein an die Pünktlichkeit anknüpfende Anreizsystem nicht erkennbar sei.

e) Schließlich hat der Verfügungskläger die Dringlichkeitsvermutung auch mit seinem Sachvortrag, er habe ein Interesse daran gehabt, die Umsetzung des Ende 2006 in Kraft getretenen Anreizsystems in der Praxis sowie die daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen für die Mitgliedsunternehmen einige Zeit zu beobachten, selbst widerlegt. Mit diesem Vorbringen hat er dokumentiert, dass ihm die Sache selbst nicht eilig erschien. Zudem lässt sich ein weiteres Zögern nach dem 09.04.2007 aber auch nicht mit fehlenden Erfahrungen aus der Praxis erklären. Seinem eigenen - bereits mit der Antragsschrift dargebotenen - Sachvortrag zufolge soll sich bereits seit Beginn der Anwendung des Anreizsystems (zweiter Samstag im Dezember 2006) gezeigt haben, dass die Eisenbahngüterverkehrsunternehmen im Rahmen der Verantwortungszuweisung und Saldenstellung durch das Anreizsystem einseitig benachteiligt werden. Nach der Präsentation der Verfügungsbeklagten vom 03.04.2007, auf die sich der Verfügungskläger beruft, waren bereits im Februar 2007 zu Lasten der Eisenbahngüterverkehrsunternehmen 3.194.785 Verspätungsminuten angefallen. Die durch den Verfügungskläger exemplarisch eingereichten Saldenmitteilungen von drei Mitgliedern dokumentieren, dass bereits die im Februar, März und April 2007 ausgestellten Rechnungen der Verfügungsbeklagten jeweils Salden zwischen über 2.000 bis über 8.000 Euro (vgl. etwa Rechnung vom 05.04.2007, gerichtet an die Firma A GmbH, Anlage AS 11) auswiesen. Zum Zeitpunkt des Ablaufs der behördlichen Anordnung am 09.04.2007 lagen dem Verfügungskläger folglich ausreichende Erfahrungen aus der Praxis vor; die wirtschaftlichen Auswirkungen hatten sich deutlich gezeigt.

f) Die Dringlichkeitsvermutung besteht entgegen der Ansicht des Verfügungsklägers ungeachtet des Zeitablaufs auch nicht deshalb fort, weil er als Verband im öffentlichen Interesse tätig wird. Dafür besteht kein sachlicher Grund. Vielmehr setzt sich auch ein Verband zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn er lange untätig bleibt und hinnimmt, dass sich bestehende Zustände verfestigen. Klagebefugte Verbände sind grundsätzlich nicht privilegiert zu behandeln (vgl. Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 12 Rn. 3.17; Schlingloff in: Münchener Kommentar, Lauterkeitsrecht, §§ 5 - 22 UWG, 2006, § 12 Rn. 394; Retzer in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, a.a.O., § 12 Rn. 318; OLG Frankfurt, GRUR 1988, 849).

g) Ist damit die Dringlichkeitsvermutung widerlegt, ist denklogisch eine anderweitige Darlegung der Dinglichkeit ausgeschlossen.

3) Der Verfügungskläger hat die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu tragen (§§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO).

Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit entfällt bei Berufungsurteilen wie dem vorliegenden wegen § 542 Abs. 2 ZPO (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 708 Rn. 8; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 708 Rn. 8; Krüger in: Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 708 Rn. 13; Münzberg in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 705 Rn. 4, § 708 Rn. 35).

4) Die Revision ist gesetzlich unstatthaft (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

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