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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 09.11.2006
Aktenzeichen: 1 U 34/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 I
2 cm überschreitende Niveauunterschiede auf dem eine stark untergeordnete Verkehrsbedeutung aufweisenden Fußweg am Rande eines kleinen, ländlichen Ortes begründen nicht ohne Weiteres eine Verkehrspflichtverletzung der sicherungspflichtigen Gemeinde, insbesondere dann nicht, wenn dem Fußgängerverkehr eine parallel verlaufende, völlig ebene, ausreichend beleuchtete und wenig befahrene Anliegerstraße zur Verfügung steht, wegen angrenzenden Baumbestandes mit Unebenheiten zu rechnen ist, die Niveauunterschiede nicht scharfkantig abgegrenzt sind, sondern die Form von Hügeln und Mulden haben.
Gründe:

Der Kläger nimmt die beklagte Gemeinde auf Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens aus einem Sturzunfall vom 6.5.2002 mit der Begründung in Anspruch, sie habe Unebenheiten in Höhe von 5 - 10 cm verkehrspflichtwidrig nicht beseitigt.

Zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das Landgericht hat ein Grundurteil erlassen und durch Teilurteil der Zahlungsklage teilweise sowie der Feststellungsklage insgesamt stattgegeben. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter. Sie rügt, das Landgericht verkenne, dass es für die Sicherungsanforderungen bezüglich Bodenunebenheiten jeweils auf die örtlichen Verhältnisse ankomme. Angesichts der ländlichen Umgebung, der begrenzten Verkehrsbedeutung und der unübersehbaren Bäume sei mit Unebenheiten infolge Wurzeltriebs erkennbar zu rechnen gewesen, hiervor habe nicht besonders gewarnt werden müssen. Der Klagevortrag zur Sturzstelle sei ebenso widersprüchlich gewesen wie die Aussage der Zeugin Z1. Es sei offen, ob der Kläger gerade wegen einer nicht hinnehmbaren Unebenheit gestürzt ist. Die Lichtverhältnisse habe das Landgericht unzureichend aufgeklärt. Dem Kläger falle ein erhebliches Mitverschulden zur Last. Der Feststellungsantrag hätte hinsichtlich der immateriellen Zukunftsschäden abgewiesen werden müssen.

Die Beklagte beantragt,

das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch, weil diese ihre gegenüber dem Kläger bestehende Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt hat.

Der Zustand des Gehweges am Unfalltag begründet keine Verletzung der die Beklagte treffenden Verkehrssicherungspflicht. Das Landgericht überspannt die Anforderungen an die sicherungspflichtige Gemeinde, es verkennt die insoweit differenzierende obergerichtliche Rechtsprechung.

Der für die Unterhaltung öffentlicher Wegeflächen Verantwortliche ist nicht dazu verpflichtet, stets dafür zu sorgen, dass jene völlig eben sind. Jeder Fußgänger muss mit gewissen Unebenheiten rechnen und sich darauf einstellen. Mit welchen Unebenheiten der Verkehr rechnen muss und ab wann eine Beseitigungspflicht des Sicherungspflichtigen anzunehmen ist, bestimmt sich jeweils anhand der örtlichen Verhältnisse, insbesondere der Verkehrsbedeutung des Wegs, einer etwaigen Ablenkung des Fußgängerverkehrs etwa durch Geschäfte u. Ä. und der Erkennbarkeit der Gefahr in optischer Hinsicht oder von der Lebenserfahrung her. Soweit die Rechtsprechung als Faustregel Niveauunterschiede ab 2 cm als verkehrswidrig angesehen hat, bezieht sich das auf scharfe Kanten in städtischen Ballungsgebieten; in ländlichen Wohnstraßen oder in der Nähe von Grünanlagen sind auch höhere Kanten für akzeptabel gehalten worden, insbesondere dann, wenn sie gut zu sehen waren oder wenn - etwa wegen angrenzenden Baumbestandes - nach der Lebenserfahrung mit ihnen zu rechnen war (vgl. OLG Hamm NJW-RR 1987, 412 f.; NZV 1995, 484; Senat OLGR 1993, 298 f.; OLG Düsseldorf OLGR 1995, 23; OLG Koblenz OLGR 1999, 199 f.; 2001, 171, 172; OLG Schleswig OLGR 2002, 383).

Nach diesen Grundsätzen lässt der Zustand des streitgegenständlichen Gehwegs zum Unfallzeitpunkt entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht auf eine Verkehrspflichtverletzung der Beklagten schließen.

Seine Feststellung, die Unebenheiten des Weges seien weit über 2 bis 3 cm hinausgegangen, liegt insoweit neben der Sache, als sich die sog. "2 cm-Rechtsprechung" auf scharfkantig abgegrenzte Niveauunterschiede bezieht. Es geht ihr um die Vermeidung und ggf. Beseitigung von Stolperfallen. Hügel und Mulden stellen, wenn sie allmählich ansteigen bzw. absinken, keine vergleichbar gefährlichen Stolperfallen dar. Kanten in der genannten Höhe sind weder der Zeugenaussage Z1 noch den zur Akte gereichten Lichtbildern (Bl. 120 ff.) zu entnehmen. Dass die Zeugin den Zustand des Weges als "katastrophal im Sinne von hügelig" bezeichnet hat, lässt keinen Schluss auf die Höhe von Kanten zu.

Der Kläger musste an der fraglichen Stelle zudem auch mit 2 cm deutlich überschreitenden Kanten rechnen. Der Fußweg hat eine stark untergeordnete Verkehrsbedeutung. Er liegt am Rande eines kleinen, ländlichen Ortes und verläuft parallel zu einer Anliegerstraße, der ...straße, die unstreitig völlig eben, ausreichend beleuchtet und so wenig befahren ist, dass sie problemlos auch von Fußgängern benutzt werden kann; der Kläger hat im Zusammenhang mit der Frage seiner Ortskenntnis selbst behauptet, wenn er die 400 - 500 m weite Strecke zur Wohnung seiner Mutter ausnahmsweise einmal zu Fuß gegangen sei, sei er immer auf der Straße gelaufen. Die großen Pappeln am Rand des Weges legten nach der Lebenserfahrung die Möglichkeit nahe, dass Wurzeln unter den Weg gewachsen waren und diesen stellenweise angehoben hatten; der vernünftige Fußgängerverkehr stellte diese nahe liegende Möglichkeit in Rechnung. Die Aufmerksamkeit von Fußgängern war und ist dort nicht durch Geschäfte o. Ä. anderweit beansprucht.

Es kann offen bleiben, ob der Gehweg zur Unfallzeit ausreichend beleuchtet war. Eine Gemeinde ist nicht verpflichtet, jede öffentliche Wegefläche zu beleuchten, sie darf vielmehr auch insoweit nach der Verkehrsbedeutung der verschiedenen Wege differenzieren. Angesichts dessen, dass auch dem Fußgängerverkehr die wenig befahrene ...straße zur Verfügung stand, durfte die Beklagte von einer gesonderten Beleuchtung des Gehweges absehen.

Danach kann offen bleiben, ob eine Haftung der Beklagten außerdem wegen eines weit überwiegenden Mitverschuldens des Klägers (§ 254 BGB) mit der Begründung zu verneinen wäre, er hätte ohne Weiteres - wie nach seiner Darstellung zuvor immer - die Fahrbahn der ...straße benutzen können.

Da eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach ausscheidet, kommt es auf die Schadenshöhe sowie darauf nicht an, ob die Schwere der Verletzungen des Klägers einen immateriellen Vorbehalt bei der Feststellung rechtfertigen würde.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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