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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 04.02.2004
Aktenzeichen: 1 U 52/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 426
1. Ein nur mit der Ausschreibung, der Vergabe und der Bauaufsicht betrauter Architekt muss eigenverantwortlich prüfen, ob die ihm zur Verfügung gestellten Planungsunterlagen mit der Baugenehmigung und den Regeln der Baukunst vereinbar sind. Die Anforderungen an diese Überprüfung reduzieren sich nicht dadurch, dass die Planungsunterlagen von dritter Seite stammen. Eine Verletzung dieser Verpflichtung begründet die Haftung des Architekten gegenüber seinem Auftraggeber (Außenverhältnis).

2. Wenn sich die Pflichtverletzung des Architekten auf das Unterlassen dieser Prüfung beschränkt, haftet der planende Architekt im Innenverhältnis allein. (BGB 254; BGB 426).


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 52/03

Verkündet am 4. Februar 2004

In dem Rechtsstreit

...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 20.1.2003 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Gießen wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Parteien streiten im Rahmen eines Gesamtschuldnerregresses um die interne Haftungsaufteilung zwischen zwei Architekturbüros.

Die X KGaA (nachfolgend: X) plante 1997 den Anbau einer großen Lagerhalle in Y. Sie beauftragte die A +B Verwaltungs- und Planunsgesellschaft mbH (nachfolgend: A + B), sämtliche hierfür erforderlichen Architekten- und Ingenieurleistungen zu erbringen. Die A + B schaltete mit mündlichen Verträgen zwei Subunternehmer ein, und zwar den Architekten Z 1, dessen Haftpflichtversicherer die Klägerin ist, für die den Leistungsphasen 1 ­ 5 des § 15 HOAI entsprechenden Leistungen, die Beklagte für die den Leistungsphasen 6 ­ 8 des § 15 HOAI entsprechenden Leistungen. Die X verpflichtete sich in einem Baudispensvertrag vom 23.4./8.5.1998 mit der Stadt Y zur Einhaltung eines damals noch nicht verbindlichen Bebauungsplanes, der u. A. die Festsetzung enthielt, dass "grelle Farbgebungen generell unzulässig" seien. In den am 5.3.1998 zur Genehmigung vorgelegten Planungsunterlagen hatte Z 1 auf eine Angabe zur Farbe des zu errichtenden Baukörpers verzichtet; erst in die Ausführungsplanung nahm er nach einer entsprechenden Vorgabe der X auf, die Fassade solle in "RAL 2002" ­ einem Farbton zwischen dunkelorange und hellrot ­ erstellt werden. Die Beklagte schrieb entsprechend aus. Am 11.8.1998 wurde die Baugenehmigung erteilt; unter Nr. 9. der dieser beigefügten Anlage hieß es, bei der Ausführung und dem Betrieb seien die Festsetzungen des Bebauungsplanes genau zu beachten und einzuhalten. Am gleichen Tage fanden die Vergabeverhandlungen statt, die in die Erteilung eines Auftrages an das ausführende Unternehmen am 24.8.1998 mündeten. Während der Bauausführung stellte sich aufgrund eines Nachbarwiderspruches heraus, dass die Farbe der Fassade mit dem Bebauungsplan nicht in Einklang stand. Die X musste sich zwecks Vermeidung eines behördlichen Baustopps gegenüber der Stadt Y zu einer Farbänderung verpflichten. Sie zog den entsprechenden Schadensbetrag vom Honorar der A + B ab. Diese verklagte Z 1 auf Zahlung von 65.007,61 DM ­ den für die Beschichtung in einem gemäßigten Farbton von der X aufgewendeten Betrag ­ zuzüglich Zinsen sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich aller weiteren Schäden aus der fehlerhaften Farbgebung; der Prozess wurde unter Beteiligung der Klägerin gegen eine Zahlung in Höhe von 50.000 zuzüglich Anwaltskosten und die Zusage, die Kosten eines ggf. erforderlich werdenden Wiederholungsanstrichs zu übernehmen, vergleichsweise beendet. Die Klägerin zahlte 52.544,40 . In hälftiger Höhe will sie nun bei der Beklagten Rückgriff nehmen. Z 1 hat seinen vermeintlichen Rückgriffsanspruch an die Klägerin abgetreten.

Sie hat behauptet, dem Geschäftsführer der Beklagten sei der Bebauungsplan inhaltlich bekannt gewesen (Zeugen Z 1, Z 2).

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Beklagte hafte schon im Außenverhältnis nicht, weil sich ihre Prüfungspflicht auf aus den Planungsunterlagen selbst erkennbare Fehler beschränkt habe. Eine Kenntnis ihres Geschäftsführers von der Farbvorgabe habe die Klägerin nicht substantiiert behauptet. Jedenfalls sei Z 1 als planender Architekt Hauptverantwortlicher für den Fehler und hafte daher im Innenverhältnis zur Beklagten allein.

Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin insbesondere das Übergehen ihres Beweisangebots zur Kenntnis des Geschäftsführers der Beklagten von der Farbvorgabe im Bebauungsplan und eine Verletzung der Hinweispflicht (§ 139 ZPO).

Sie beantragt,

das landgerichtliche Urteil abzuändern und

1. die Beklagte zur Zahlung von 26.272,20 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, im Falle der Erforderlichkeit eines Wiederholungsanstrichs zur Beseitigung weiterer Mängel betreffend Fassadenfarbe des Objektes C., ... -Straße ... in ... Y, die daraus entstehenden Kosten entsprechend dem im Bauvertrag vom 28.06.1999 gemachten Angebot der Fa. A. für das Jahr 2005 in Höhe von 59.617,62 DM (30.482,01 €) anteilig in Höhe von 50 % gegenüber der Klägerin gesamtschuldnerisch auszugleichen, zu deren Übernahme sich die Klägerin im Außenverhältnis verpflichtet hat,

hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin in Höhe von 50 % der Kosten eines gegebenenfalls notwendigen Wiederholungsanstrichs freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat durch Vernehmung der Zeugen Z 1 und Z 2 Beweis erhoben. Zur Darstellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nimmt er auf die Sitzungsniederschrift vom 17.12.2003 (Bl. 275 f. d. A.) Bezug.

II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das landgerichtliche Urteil wird durch seine Hilfsbegründung getragen.

1. Die Klage scheitert allerdings nicht bereits an einer fehlenden Haftung der Beklagten im Außenverhältnis zu ihrem Vertragspartner, dem Generalplaner A + B . Der Architektenvertrag ist regelmäßig als Werkvertrag zu qualifizieren. Auch der allein mit der Bauaufsicht betraute Architekt schuldet als werkvertraglichen Erfolg, dass das Bauwerk entsprechend den genehmigten Bauvorlagen und frei von Mängeln entsteht (vgl. BGHZ 82, 100, 105; 68, 169, 174) Zur Erfüllung dieser seiner Verpflichtung muss er eigenverantwortlich prüfen, ob die ihm zur Verfügung gestellten Planunterlagen mit der Baugenehmigung und den Regeln der Baukunst vereinbar sind (vgl. BGHZ 68, 169, 177; OLG Hamburg IBR 2000, 131; OLG Köln BauR 1997, 505 f.; OLG Bamberg BauR 1991, 791; Schulze-Hagen IBR 2000, 506; Weyer IBR 2000, 445). Die Anforderungen an diese Überprüfung reduzieren sich nicht dadurch, dass die ihm zur Verfügung gestellten Planungs- oder Ausschreibungsunterlagen von dritter Seite stammen. Das Gegenteil ist richtig (vgl. BGH BauR 2001, 273 f. [unter II 1 der Entscheidungsgründe]; 2000, 1513 ff. [unter II 2 b) der Entscheidungsgründe]), und zwar deshalb, weil die Aufteilung der Architektenaufgaben für den Auftraggeber besondere Risiken mit sich bringt, denen nur durch eine fortlaufende, sorgfältige Überprüfung zu begegnen ist. Ob sich diese Prüfungspflicht des die Aufsicht führenden Architekten auf von einem Sonderfachmann ermittelte, vom planenden Architekten übernommene technische Grundlagen erstreckt (vgl. verneinend OLG Hamm NJW-RR 1991, 410 f. mit zustimmender Besprechung von Saerbeck IBR 1991, 78), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, da es hier nicht um schwierige Grundlagenfragen, sondern um einen vergleichsweise problemlosen Abgleich der Planunterlagen mit der Baugenehmigung geht. Diesen schuldete die Beklagte schon als Bauleiter im Sinne der Nr. 8 des § 15 HOAI, erst recht aufgrund ihrer vertraglichen Verpflichtung zur Erbringung der in Nrn. 6 und 7 des § 15 HOAI aufgeführten Architektenleistungen.

2. Für die Bestimmung der Haftungsanteile mehrerer Gesamtschuldner im Innenverhältnis ist entsprechend § 254 BGB darauf abzustellen, inwieweit der Schaden von den einzelnen Gesamtschuldnern verursacht worden ist (vgl. BGH VersR 1969, 331 [unter II 1 der Entscheidungsgründe]; BGHZ 43, 227, 231). Diese Abwägung ergibt für den Streitfall, dass der Versicherungsnehmer Z 1 der Klägerin im Innenverhältnis allein haftet.

a) Wenn die Haftung eines Gesamtschuldners allein darauf beruht, dass er den anderen nicht beaufsichtigt oder kontrolliert hat, haftet er im Innenverhältnis regelmäßig nicht mit, das heißt der zu Beaufsichtigende oder zu Kontrollierende ­ der "Primärschädiger" ­ hat den Schaden intern allein zu tragen (vgl. BGH VersR 1980, 770 f. [unter II 2 b) der Entscheidungsgründe]; 1971, 476 [unter III der Entscheidungsgründe]; BGHZ 43, 227, 231, 235; OLG Jena VersR 1998, 990 ff.). Eine abweichende Beurteilung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Primärschädiger gegen den Aufsichts- oder Kontrollpflichtigen einen vertraglichen Anspruch auf Aufsicht oder Kontrolle hat (vgl. BGH VersR 1980, 770 f. [unter II 2 b) der Entscheidungsgründe]).

b) Der Streitfall ist der dargestellten Grundregel gemäß zu beurteilen. Die Haftung der Beklagten gegenüber ihrem Auftraggeber, dem Generalplaner A + B , beruht allein darauf, dass sie ihrer Verpflichtung zur Überprüfung der vom Versicherungsnehmer Z 1 der Klägerin erstellten Ausführungsplanung nicht gerecht geworden ist. Diese Verpflichtung traf die Beklagte nur im Verhältnis zu ihrem Auftraggeber; Z 1 hatte gegen sie keinen Anspruch darauf, von ihr kontrolliert zu werden. Auch die übrigen Umstände des Falles rechtfertigen eine interne Mithaftung der Beklagten nicht:

(1) Es mag sein, dass sowohl die Ausführungspläne durch Z 1 als auch die Ausschreibungsunterlagen durch die Beklagte zu einer Zeit erstellt wurden, als die Baugenehmigung noch nicht vorlag, so dass eine Überprüfung beider Unterlagen nach Eingang der Baugenehmigung besonders nahe lag. Diese Erwägung betrifft jedoch das Außenverhältnis der Gesamtschuldner zu ihrem Auftraggeber, nicht das Gewicht der beiderseitigen Verursachungsbeiträge.

(2) Es kommt nicht darauf an, ob ­ wie die Klägerin behauptet ­ die Beklagte Z 1 den Farbwunsch der X anlässlich eines Abstimmungsgespräches übermittelte oder ob Z 1 hiervon auf anderem Wege erfuhr, wie überhaupt die zeitliche Reihenfolge der Unterrichtung und der Planungsarbeiten nicht von Bedeutung sein kann. Entscheidend ist vielmehr, dass die Bestimmung der Farbe des zu errichtenden Bauwerks in den Zuständigkeitsbereich Z 1s als Planer fiel.

(3) Die Beklagte hätte im Innenverhältnis mit gehaftet, wenn sie ­ wie die Klägerin weiter behauptet ­ die Farbfestsetzung im Bebauungsplan gekannt und deshalb nicht nur eine Überprüfung der Ausführungsplanung Z 1s versäumt, sondern gleichsam sehenden Auges baurechtswidrig ausgeschrieben hätte. Hierfür ist die Klägerin jedoch beweisfällig geblieben. Die Zeugen Z 1 und Z 2, deren Vernehmung das Landgericht unter Überspannung der Substantiierungsanforderungen an den Klagevortrag und unter Verletzung des § 139 ZPO zu Unrecht abgelehnt hatte, haben jene Behauptung der Klägerin nicht bestätigt.

III. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) bestehen nicht.

Die nach § 254 BGB vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge im Einzelfall ist eine genuin tatrichterliche Aufgabe (vgl. BGH VersR 1969, 331 [unter II 1 der Entscheidungsgründe]). Die hierzu heran gezogenen Grundsätze sind in der Rechtsprechung seit langem geklärt; ein neuerliches Klärungsbedürfnis ergibt sich nicht allein aus dem ­ soweit ersichtlich ­ bislang unveröffentlichten Urteil des OLG Köln vom 13.9.2002 (3 U 105/01), in dem aus der Haftung des Bauleiters im Außenverhältnis und der jene begründenden Pflicht zur eigenständigen Prüfung der Pläne ohne Weiteres auf eine Mithaftung im Innenverhältnis geschlossen wird.

Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.



Ende der Entscheidung

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