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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 03.09.2001
Aktenzeichen: 1 U 73/00
Rechtsgebiete: StVO, ZPO


Vorschriften:

StVO § 5 Abs. 3 Nr. 1
StVO § 5
StVO § 9 Abs. 1
StVO § 9 Abs. 1 S. 4
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Bei einer Kollision zwischen einem eine Kolonne überholendem PKW und einem Linksabbieger kann eine hälftige Haftungsverteilung gerechtfertigt sein (§§ 7, 17, 18 StVG, 5, 9 StVO).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit ...

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. August 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.04.2000 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Hanau abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 526,00 DM nebst 4 % Zinsen aus 5.618,39 DM vom 07.09.1999 bis 30.11.1999 und aus weiteren 526,00 DM seit dem 07.09.1999 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 93 % und die Beklagten 7 % zu tragen.

Von den im Berufungsrechtszug entstandenen Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 92 % und die Beklagten 8 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt für den Kläger 6.144,39 DM und für die Beklagten 526,00 DM.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat nur geringen Erfolg. Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Beklagten, die über den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag hinausgehen, stehen dem Kläger in Höhe von 233,39 DM zu.

Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beklagten für den Unfallschaden dem Grunde nach zu 50 % haften (§§ 7, 17, 18 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 3 PflVG). Sowohl der Beklagte zu 1) als auch der Kläger haben den Unfall schuldhaft verursacht.

Das schuldhafte Fahrverhalten des Beklagten zu 1) besteht darin, dass er entgegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO die vor ihm fahrende Fahrzeugkolonne aus mindestens drei Fahrzeugen trotz unklarer Verkehrslage überholen wollte. Eine unklare Verkehrslage bestand deshalb, weil der Beklagte zu 1) nicht verlässlich beurteilen konnte, was das vorausfahrende Fahrzeug des Klägers jetzt sogleich tun werde. Zwar kann nicht festgestellt werden, dass der Beklagte zu 1) bereits vor Beginn des Überholvorganges hätte erkennen können, dass der Kläger nach links abbiegen wollte. Gleichwohl musste der Beklagte zu 1) ein derartiges Fahrverhalten des Klägers jedenfalls deshalb in Betracht ziehen, weil das Fahrzeug des Klägers auf gerader und hindernisfreier Strecke vor einer Abbiegemöglichkeit nach links seine Geschwindigkeit reduzierte. Wer eine Kolonne überholen will, muss sicher sein, dass kein vorausfahrendes Fahrzeug links abbiegen will. Demgemäss trifft eine erhöhte Sorgfaltspflicht denjenigen, der mehrere Fahrzeuge hintereinander überholt (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., StVO § 5 Rn. 40, 34). Hier hatte der Beklagte zu 1) nach seiner eigenen Einlassung im Termin am 13.08.2001 nicht von Anfang an auch auf das Fahrzeug des Klägers geachtet. Danach hat er schuldhaft trotz unklarer Verkehrslage verbotswidrig überholt.

Dem Beklagten zu 1) kann nicht auch eine Mitverursachung des Unfalles durch überhöhte Geschwindigkeit zur Last gelegt werden. Seine Geschwindigkeit vor Einleitung der Vollbremsung betrug 100 km/h. Diese Tatsache ist zwischen den Parteien unstreitig, da der Kläger eine Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) von 100 km/h bis 130 km/h behauptet und die Beklagten lediglich eine höhere Geschwindigkeit als 100 km/h bestreiten. Mit Rücksicht darauf, dass der Beklagte zu 1) eine übersichtliche Landstraße ohne Geschwindigkeitsbegrenzung befuhr, kann diese Geschwindigkeit nicht als ein Fehlverhalten angesehen werden, das zusätzlich neben der Verletzung der Pflichten beim Überholen nach § 5 StVO besteht.

Auch der Kläger hat den Unfall schuldhaft mitverursacht. Allerdings kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger entgegen § 9 Abs. 1 StVO seine Abbiegeabsicht nicht rechtzeitig und deutlich ankündigte. Nach den glaubhaften Angaben der Zeugen S. und D. ist davon auszugehen, dass der Kläger den Blinker nach links gesetzt hatte. Aufgrund der persönlichen Angaben des Klägers im Termin am 13.08.2001 ist auch davon auszugehen, dass der Fahrtrichtungsanzeiger erhebliche Zeit vor dem Beginn des Abbiegens gesetzt wurde. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung, sich auf der Fahrbahn bis zur Mitte möglichst links einzuordnen (§ 9 Abs. 1 S. 2 StVO), kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Die schuldhafte Mitverursachung des Unfalles durch den Kläger ergibt sich indes daraus, dass er entgegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO nicht nochmals vor dem Abbiegen durch Rückschau auf den nachfolgenden Verkehr achtete. Es mag sein, dass der Kläger vor dem Abbiegen durch Blick in den Außenspiegel und Rückschau nochmals den nachfolgenden Verkehr beobachten wollte. Jedenfalls hat er es hierbei an der erforderlichen Sorgfalt fehlen lassen. Das ergibt sich daraus, dass er bei der nochmaligen Rückschau das Fahrzeug des Beklagten zu 1) nicht wahrnahm, das sich bereits auf der Gegenfahrbahn befand, um das dem Kläger als zweites Fahrzeug folgende Fahrzeug des Zeugen W. zu überholen. Die Tatsache, dass der Kläger vor dem Abbiegen aufgrund von Unaufmerksamkeit nicht erkannte, dass der Beklagte zu 1) begonnen hatte, die vor ihm fahrende Fahrzeugkolonne zu überholen, ergibt sich daraus, dass sich der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug bereits mehrere Sekunden lang auf der Gegenfahrspur befand, als der Kläger begann, nach links abzubiegen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Beklagte zu 1) und das vorausfahrende Fahrzeug W. eine Geschwindigkeit von 80 km/h inne hatten und der Beklagte zu 1) dem Fahrzeug W. mit einem Abstand von 20 m bis 25 m folgte. Für eine Ausgangsgeschwindigkeit vor Beginn des Überholvorganges von 80 km/h spricht die Gesamtschau der Angaben über die gefahrene Geschwindigkeit, die der Zeuge W. mit 80 km/h bis 90 km/h und der Beklagte zu 1) mit 70 km/h angaben. Die Annahme eines Abstandes zwischen dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) und dem des Zeugen W. von 20 m bis 25 m vor Beginn des Überholvorganges erscheint deshalb gerechtfertigt, weil er dem vom Zeugen W. berichteten Abstand zwischen den Fahrzeugen D. und W. entspricht und mit Rücksicht auf die Geschwindigkeit von 80 km/h zugunsten des Klägers eher gering bemessen ist. Da ferner davon auszugehen ist, dass der Beklagte zu 1) das mit 80 km/h fahrende Fahrzeug W. mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h überholte, benötigte er zur Überwindung des Abstandes zu dem vorausfahrenden Fahrzeug mindestens 4 Sekunden. Selbst wenn die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen dem Fahrzeug W. und dem überholenden Fahrzeug des Beklagten zu 1) 30 km/h betragen haben sollte, hätte der Beklagte zu 1) mehr als 3 Sekunden benötigt, um das vorausfahrende Fahrzeug einzuholen. Da der Beklagte zu 1) bei Beginn des Abbiegevorganges des Klägers das Fahrzeug W. bereits überholt hatte, ist davon auszugehen, dass der Kläger dessen Fahrzeug bereits mindestens 3 Sekunden vor dem Beginn des Abbiegevorganges auf der Gegenfahrspur hätte wahrnehmen können.

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob der Kläger beim Beginn des Abbiegevorganges hätte erkennen können, dass der Beklagte zu 1) den Überholvorgang begonnen hatte, kommt nicht in Betracht. Die Auswertung der polizeilichen Unfallskizze mit Eintragung der Blockierspur, der Lichtbilder über den Endstand der Fahrzeuge und der Fahrzeugschäden erlaubt keinen Rückschluss darauf, von welchem Zeitpunkt an sich der Beklagte zu 1) auf der Gegenfahrbahn befunden haben muss und demgemäss für den Kläger wahrnehmbar war. Für die Beurteilung der Frage, wie lange sich das Fahrzeug des Beklagten zu 1) vor dem Beginn des Abbiegens des Klägers auf der Gegenfahrbahn befand, ist der ursprüngliche Abstand zwischen den Fahrzeugen des Zeugen W. und des Beklagten sowie die Geschwindigkeitsdifferenz beim Überholen unter Berücksichtigung der Beschleunigung maßgeblich. Diese Frage lässt sich durch Auswertung der Fahrzeugschäden, der Endstellung der Fahrzeuge nach dem Anstoß und Auswertung der Unfallskizze nicht beantworten.

Danach haben beide Parteien den Unfall schuldhaft mitverursacht. Der Anteil des Klägers hat kein geringes Gewicht, weil er dann, wenn er den Überholvorgang des Beklagten zu 1) erkannt hätte, den Unfall durch Anhalten seines Fahrzeuges leicht hätte vermeiden können. Das ergibt sich daraus, dass er sein Fahrzeug vor dem Abbiegen nahezu oder sogar vollständig angehalten hatte. Auch das Verschulden des Beklagten zu 1) hat erhebliches Gewicht, da ihn beim Überholen der Kolonne eine erhöhte Sorgfaltspflicht traf. Danach erscheint es gerechtfertigt, den Anteil der schuldhaften Mitverursachung des Unfalles bei beiden Unfallbeteiligten mit jeweils 50 % zu bewerten.

Der Höhe nach ist das angefochtene Urteil nur wegen eines Rechenfehlers abzuändern. Der Unfallschaden des Klägers beläuft sich auf insgesamt 11.488,78 DM. Er setzt sich zusammen aus dem Fahrzeugschaden von 10.600,00 DM, Abschleppkosten von 506,78 DM, Ab- und Anmeldekosten 80,00 DM sowie einer Unkostenpauschale von 50,00 DM. Diese Schadensposten sind zwischen den Parteien unstreitig. Außerdem kann der Kläger für drei Tage eine Nutzungsausfallentschädigung von insgesamt 252,00 DM beanspruchen. Unstreitig hat er sich am 06.08.1999 ein Ersatzfahrzeug angeschafft. Danach steht fest, dass ihm der Nutzungsausfallschaden für drei Tage tatsächlich entstanden ist. Dieser Anspruch wird nicht dadurch in Zweifel gezogen, das die Beklagten bestreiten, dass dem Kläger nicht ein anderweitiges Fahrzeug zur Verfügung stand. Für diesen den Nutzungsausfallschaden ausnahmsweise ausschließenden Umstand tragen die Beklagten die Darlegungs- und Beweislast. Der Nutzungswille des Klägers steht mit Rücksicht darauf, dass er schon wenige Tage nach dem Unfall ein Ersatzfahrzeug anschaffte, außer Zweifel. Auch die Höhe des Tagessatzes von 84,00 DM ist nicht zu beanstanden. Sie ergibt sich aus der Tabelle von Sanden/Danner, veröffentlicht NJW 1999, 2238, 2240. Dieser Entschädigungssatz gilt für Fahrzeuge bis zum Alter von etwa acht Jahren. Dieses Alter überschritt das Fahrzeug des Klägers im Unfallzeitpunkt nicht. Unter Berücksichtigung der Haftungsquote der Beklagten kann der Kläger danach Ersatz seines Unfallschadens in Höhe von insgesamt 5.744,39 DM beanspruchen.

Außerdem steht dem Kläger ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 400,00 DM zu. Aufgrund des Befundberichtes der Main-Kinzig-Kliniken vom 02.08.1999 und der Zeugenaussage der Ehefrau des Klägers steht fest, dass der Kläger unfallbedingt ein leichtes HWS-Schleudertrauma erlitt, welches für zwei Wochen zu deutlichen Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich führte. Für eine derartige Verletzung erscheint auf der Grundlage einer Haftung von 100 % ein Schmerzensgeld von 800,00 DM als angemessen, so dass der Kläger unter Berücksichtigung seiner eigenen schuldhaften Mitverursachung 400,00 DM beanspruchen kann. Auf die Ansprüche des Klägers von insgesamt 6.144,39 DM zahlte die Beklagte zu 2) vorgerichtlich 5.618,39 DM. Da das Landgericht weitere 292,61 DM ausurteilte, waren dem Kläger weitere 233,39 DM zuzusprechen nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit Verzugseintritt.

Die Anschlussberufung der Beklagten ist aus den Entscheidungsgründen zur Berufung des Klägers nicht begründet.

Entsprechend dem Anteil des Obsiegens und Unterliegens der Parteien, im ersten Rechtszug auch unter Berücksichtigung der Teil- Klagerücknahme, haben die Parteien die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§§ 269 Abs. 3, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.



Ende der Entscheidung

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