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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 20.04.2009
Aktenzeichen: 1 W 21/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 494 a Abs. 1
ZPO § 494 a Abs. 2
Der Antragsgegner eines selbstständigen Beweisverfahrens kann auch dann eine Verpflichtung des Antragstellers zur Klageerhebung verlangen, wenn er die wenigen Mängel, die entgegen der umfangreichen Beweisbehauptung festgestellt worden sind, alsbald beseitigt hat (Abgrenzung zu BGH NJW-RR 2003, 454).
Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (künftig: Antragsteller) begehrt nach Abschluss eines selbständigen Beweisverfahrens, bei dem er die Parteirolle des Antragsgegners innehatte, den Antragsgegnern als den Antragstellern des selbständigen Beweisverfahrens (künftig: Antragsgegner) gem. § 494 a Abs. 1 ZPO aufzuerlegen, binnen einer festzusetzenden Frist Klage zu erheben; damit soll ein Ausspruch des Gerichts gem. § 494 a Abs. 2 ZPO, dass die Antragsgegner die ihm im selbständigen Beweisverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten jedenfalls überwiegend zu tragen haben, vorbereitet werden.

Dem selbständigen Beweisverfahren lag die Behauptung umfangreicher Baumängel an der vom Antragsteller ausgeführten Klinkerfassade des von den Antragsgegnern neu errichteten Hauses zugrunde. Die Antragsgegner stützten sich mit ihren Beweisbehauptungen auf eine von ihnen eingeholte Stellungnahme des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen SV1 vom 15.11.2007. Dieser hielt die Mängel für so gravierend, dass er als Möglichkeit zu einer fachgerechten Mängelbeseitigung nur den Abbruch der Klinkerfassade und deren Neuherstellung ansah; den Aufwand hierfür bezifferte er mit brutto 30.000 €. Der gerichtlich bestellte Sachverständige SV2 konnte in seinem Gutachten vom 26.08.2008 die geltend gemachten Mängel teilweise nicht bestätigen, stellte allerdings kleinere Mängel fest, deren Beseitigungsaufwand er auf netto 1.800 € bezifferte. Der Antragsteller beseitigte am 10.11.2008 diese Mängel, die Mängelbeseitigungsarbeiten wurden von den Antragsgegnern abgenommen.

Der Antragsteller hat beantragt, den Antragsgegnern eine Frist zur Klageerhebung zu setzen. Er macht geltend, er habe ein Rechtsschutzinteresse daran, durch Klagefristsetzung gem. § 494 a Abs. 1 ZPO und einen anschließenden Kostenantrag nach § 494 a Abs. 2 ZPO die ihm entstandenen Kosten insoweit erstattet zu erhalten, als die geltend gemachten Mängel nicht festgestellt und demzufolge auch ein Anspruch auf Mängelbeseitigung nicht erfüllt worden sei.

Die Antragsgegner vertreten die Auffassung, wegen der zwischenzeitlich erfolgten Mängelbeseitigung und Abnahme sei für eine Klageerhebung kein Raum mehr.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 09.03.2009, abgesandt am 10.03.2009, den Antrag als unzulässig, da rechtsmissbräuchlich unter Bezug auf den Beschluss des BGH vom 19.12.2002 - VII ZB 14/02 -, NJW-RR 2003, 454 abgelehnt. Hiergegen richtet sich die am 24.03.2009 eingegangene sofortige Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Wegen der Begründung der Beschwerde wird auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 31.03.2009 verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Antragsteller kann gem. § 494 a Abs. 1 ZPO verlangen, dass den Antragsgegnern eine Frist zur Klageerhebung gesetzt wird.

1. Einem solchen Anspruch steht rechtlich nicht entgegen, dass der Antragsteller die im Verhältnis zum Vorbringen in der Antragsschrift des selbständigen Beweisverfahrens wenigen Mängel, welche der gerichtliche Sachverständige als gegeben festgestellt hat, beseitigt hat und die Antragsgegner diese Arbeiten abgenommen haben; insbesondere ist ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers nicht zu verneinen.

a) Das selbständige Beweisverfahren kennt im Grundsatz keine Kostenentscheidung (BGHZ 132, 96 [juris Rn. 21]), was seinen Grund darin findet, dass im selbständigen Beweisverfahren nicht festgestellt werden kann und darf, wer letztlich obsiegt oder unterliegt (OLG Hamm, OLGR 1993, 2, 3; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 12. Aufl. 2008, Rn. 126). Allerdings gilt der Grundsatz, dass die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu den Kosten des Hauptsacheverfahrens gehören und von der dort getroffenen Kostenentscheidung mit umfasst werden, sofern nur die Parteien und der Streitgegenstand des Beweisverfahrens und des Hauptprozesses identisch sind (BGH BauR 2006, 865 [juris Rn. 11]; BauR 2004, 1487 [juris Rn. 8]); denn das selbstständige Beweisverfahren und das anschließende Klageverfahren sind insoweit als Einheit anzusehen (OLG Celle, OLGR 2003, 354 [juris Rn. 6, 7]).

b) Sinn und Zweck des § 494 a ZPO ist es demgegenüber, die Lücke zu schließen, die entsteht, wenn der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens nach der Beweisaufnahme auf eine Hauptsacheklage verzichtet (BGH NJW 2007, 1282 [juris Rnr. 9]; BGH NJW-RR 2008, 330 [juris Rnr. 9]); er soll nicht durch Unterlassen der Hauptsacheklage der Kostenpflicht entgehen, die sich bei Abweisung einer Hauptsacheklage ergeben würde (BGH NJW-RR 2003, 1240 [juris Rnr. 12]; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 22. Aufl. 2006, § 494 a Rn. 2); die Kostentragungspflicht nach § 494 a Abs. 2 ZPO wurzelt demnach in einem mutmaßlichen Unterliegen des Antragstellers des selbständigen Beweisverfahrens (Stein/Jonas-Leipold, a.a.O.). Andererseits hat die Rechtsprechung in einem Fall, in dem der Antragsgegner des selbständigen Beweisverfahrens die festgestellten Mängel beseitigt und damit den Hauptsacheanspruch auf Mängelbeseitigung anerkannt hat, für eine Kostenentscheidung nach § 494 a ZPO keinen Raum gesehen (BGH NJW-RR 2003, 454 [juris Rnr. 6, 7]).

c) Die letztgenannte Entscheidung, welche eine Ausnahme von der Spezialregelung des § 494 a ZPO zum Gegenstand hat, ist hier nicht einschlägig. Der Senat entnimmt dieser Entscheidung, dass dort die geltend gemachten Mängel zur Gänze im Beweissicherungsgutachten bestätigt und sodann beseitigt wurden. Es mag sein, dass sich in einem derartigen Fall der Gedanke eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses aufdrängt; denn der Antragsgegner des selbständigen Beweisverfahrens hat sich dadurch, dass er die geltend gemachten und festgestellten Mängel beseitigt hat, seinerseits gleichsam in die Rolle des Unterlegenen begeben. Dieser Fall ist aber mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Denn hier wurden Mängel nur in einem Umfang festgestellt, die ihrem Gewicht und den erforderlichen Mängelbeseitigungskosten nach deutlich hinter dem zurückblieben, was nach dem Antrag im selbständigen Beweisverfahren an Mängeln geltend gemacht war. In einem derartigen Fall sieht der Senat nach den oben unter a) und b) dargelegten Grundsätzen keinen rechtlichen Ansatzpunkt, um den Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens von seiner in § 494 a ZPO statuierten Pflicht zu entlasten, die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners des Beweisverfahrens, der mangels festgestellter Mängel im Hauptsacheverfahren obsiegt hätte, zu tragen. Jedenfalls hat sich in einem derartigen Fall der Antragsgegner, der die wenigen festgestellten Mängel pflichtgemäß und im Übrigen entsprechend einem honorigen Geschäftsgebaren beseitigt hat, dadurch nicht in die Rolle des Unterlegenen begeben.

d) Bei der letztgenannten Einschätzung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass in einem derartigen Fall für den Antragsgegner des Beweisverfahrens nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH eine Möglichkeit bestanden hätte, eine jedenfalls teilweise Kostentragung durch den Antragsteller des Beweisverfahrens zu erreichen. Denn hätte der hiesige Antragsteller die teilweise festgestellten Mängel nicht beseitigt, hätten die Antragsgegner eine "Teilklage" erheben können, nämlich nur wegen der festgestellten Mängel. Da in einem derartigen Fall wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung bezüglich des selbständigen Beweisverfahrens keine Teilentscheidung nach § 494 a ZPO ergehen kann, sondern über die Kostentragung für das selbständige Beweisverfahren insgesamt im Hauptsacheverfahren zu entscheiden ist, wäre dem Hauptsachekläger im Umfang der im Beweisverfahren nicht bestätigten Mängel in analoger Anwendung des § 96 ZPO ein Teil der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners des Beweisverfahrens aufzuerlegen gewesen (BGH, Beschl. v. 24.06.2004 - VII ZB 11/03 - NJW 2004, 3121 [juris Rn. 10, 14]; Beschl. v. 21.10.2004 - V ZB 28/04 -, NJW 2005, 43 [juris Rn. 5, 7]). Ein solches prozessual eröffnetes Taktieren eines Werkunternehmers - also ein entgegen dem Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens rechtsuntreues Verhalten, um die Möglichkeit der Geltendmachung von Kosten zu erlangen - kann aber von der Rechtsordnung nicht erwünscht sein.

e) Wollte man in einem Fall wie dem vorliegenden den nach § 494 a Abs. 1 ZPO vorgesehenen Antrag als Vorbereitung einer Kostentscheidung ablehnen, wäre dem jetzigen Antragsteller und vormaligen Antragsgegner des selbständigen Beweisverfahrens auch mit einem Verweis auf einen etwaigen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem vormaligen Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens rechtlich nicht geholfen.

Ein solcher Kostenerstattungsanspruch, der sich rechtlich auf eine schuldhafte Verletzung der Vertragsbeziehung zwischen den Parteien eines Werkvertrages in der Gestalt einer Verletzung der Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) stützen ließe (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB), wäre von vorneherein nur dann begründet, wenn man das selbständige Beweisverfahren als eine Art außergerichtliche Geltendmachung in Vorbereitung des nachfolgenden Klageverfahrens ansähe; denn in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass allein in der Erhebung einer Klage oder in der sonstigen Inanspruchnahme eines staatlichen, gesetzlich geregelten Rechtspflegeverfahrens zur Durchsetzung vermeintlicher Rechte weder eine unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 823 ff BGB noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben und damit eine zum Schadensersatz verpflichtende Vertragsverletzung gesehen werden kann (BGH, Urt. v. 23.01.2008 - VIII ZR 246/06 -, NJW 2008, 1147 [juris Rn. 8 m.w.N.]). Sähe man das selbständige Beweisverfahren nicht als gerichtliches Verfahren in dem letztgenannten Sinn, sondern nur als dessen Vorbereitung, käme in Betracht, die von der Rechtsprechung des BGH neuestens herausgearbeiteten Grundsätze für die Kostenerstattung bei außerprozessualer Geltendmachung vermeintlicher Rechte (s. BGH, a.a.O. Rn. 12 ff; Urt. v. 16.01.2009 - V ZR 133/08 -, NZBau 2009, 237 [juris Rn. 15 ff]) auf das selbständige Beweisverfahren zu übertragen. Aber auch dann wäre eine auf § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützte Haftung des Antragstellers des selbständigen Beweisverfahrens nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu verneinen, wenn er nicht fahrlässig gehandelt und die Verletzung seiner Pflichten nach § 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB nicht zu vertreten hat (BGH, Urt. v. 16.01.2009, a.a.O., juris Rn. 19); dieses soll schon dann der Fall sein, wenn der Gläubiger eines Anspruchs diesen Anspruch für plausibel halten darf (a.a.O. Rn. 20).

Übertragen auf eine Sachverhaltskonstellation wie diejenige in dem selbständigen Beweisverfahren, welches dem vorliegenden Antragsverfahren zugrunde liegt, wird man eine solche Plausibilität der zum Gegenstand der Beweisbehauptungen gemachten Mängel und damit ein Nichtvertretenmüssen einer etwaigen Pflichtverletzung jedenfalls dann anzunehmen haben, wenn sich der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens auf eine plausibel erscheinende, von ihm eingeholte gutachterliche Stellungnahme eines namhaften Sachverständigen stützen kann; eine solche wird man hier in der Gestalt der gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen SV1 vom 15.11.2007 zu sehen haben.

f) Nicht entschieden zu werden braucht im Rahmen des vorliegenden Antrags nach § 494 a Abs. 1 ZPO, ob es bei einer nachfolgenden Kostenauferlegung nach § 494 a Abs. 2 ZPO rechtlich möglich ist, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aus dem selbständigen Beweisverfahren nach dem Umfang der festgestellten bzw. nicht bestätigten Mängel auf die Parteien des selbständigen Beweisverfahrens zu verteilen. Eine solche Möglichkeit sieht § 494 Abs. 2 ZPO nicht vor; in der Literatur wird eine solche Möglichkeit teilweise verneint (s. Kniffka/ Koeble-Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl. 2008, 2. Teil Rn. 162). Ob die Spezialregelung des § 494 a ZPO als abschließende Regelung gegenüber den allgemeinen Kostenverteilungsvorschriften der §§ 91 ff ZPO, die eine Kostenquotelung zulassen, anzusehen ist, wie es sich möglicherweise aus der Gesetzgebungsgeschichte des § 494 a ZPO herleiten ließe, hat der BGH bisher offen gelassen (s. BGH, Beschl. v. 09.05.2007 - IV ZB 26/06 -, NJW 2007, 3721 [juris Rn. 10]). Andererseits hat es der BGH bisher stets vermieden, Vorschriften der §§ 91 ff ZPO analog auf das selbständige Beweisverfahren anzuwenden (s. für § 91 a ZPO BGH, a.a.O. Rn. 11). Soweit einzelne Oberlandesgerichte und ein Teil der Literatur eine Kostenquotelung bei § 494 a ZPO zugelassen haben (OLG München, Beschl. v. 11.06.1996 - 13 W 1586/98 -, OLGR 1996, 219, 220; OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.03.1998 - 1 W 1/98 -, OLGR 1998, 362, 363; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.09.2002 - 5 W 26/02 -, BauR 2003, 289 [juris Rn. 20 f]; Stein/Jonas-Leipold, a.a.O. § 494 a Rn. 12, 34), wird dies dogmatisch in keiner Weise hergeleitet, sondern - wenn überhaupt - ausschließlich mit dem Gesichtspunkt der Sachgerechtigkeit begründet; damit wird aber letztlich die strikte Bestimmung des § 494 a ZPO durch die in § 92 ZPO vorgesehene Möglichkeit einer Kostenverteilung nach dem Obsiegen und Unterliegen modifiziert.

2. Die übrigen Voraussetzungen des § 494 a Abs. 1 ZPO sind gegeben. Vorsorglich sind die hiesigen Antragsgegner als Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens auf die sich aus § 494 a Abs. 2 ZPO ergebenden Konsequenzen hinzuweisen, falls sie nicht innerhalb der gesetzten Frist Klage erheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

4. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war veranlasst, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO für eine Zulassung erfüllt sind.

5. Der Beschwerdewert war gemäß § 3 ZPO entsprechend dem geschätzten Umfang der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers, welche den Antragsgegnern nach Meinung des Antragstellers unter Zugrundelegung des festgesetzten Werts für das selbständige Beweisverfahren voraussichtlich aufzuerlegen sind, festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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