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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 30.04.2003
Aktenzeichen: 1 W 24/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 45
Zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gegen einen Einzelrichter ist die Kammer oder der Senat in vollständiger Besetzung berufen, auch wenn die Sache dem Einzelrichter zu alleiniger Entscheidung übertragen war.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

1 W 24/03

Entscheidung vom 30.04.2003

In der Beschwerdesache

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter am Oberlandesgericht... am 30.04.2003 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18.02.2003 wird zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

Der Kläger begehrt mit seiner Klage Entschädigung oder Schadensersatz von Seiten des beklagten Landes in Zusammenhang damit, dass er in der Zeit von 1986 bis Frühjahr 1989 systematisch gehindert worden sei, die begonnene Verfüllung zweier Grundstücke, auf denen er Kies abgebaut hatte, zu Ende zu führen, um so wieder privatnütziges Ackerland zu erlangen. Im Rahmen dieses Verfahrens vor dem Landgericht Frankfurt am Main hat er die Einzelrichterin, Richterin am Landgericht W., mit Schriftsatz vom 15.01.2003 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Sein Befangenheitsgesuch stützt er darauf, dass die Richterin unmittelbar nach Eingang der Klageerwiderung, in der das beklagte Land die Einrede der Verjährung erhoben und sich ausführlich mit der Frage der Verjährung und etwa in Betracht kommenden Unterbrechungshandlungen auseinander gesetzt hat, dem Beschluss über die Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung auf 15.01.2003 folgenden Hinweis angefügt hat:

"Der Kläger wird darauf hingewiesen, dass das Gericht die Ausführungen des beklagten Landes zur Frage der Verjährung für begründet erachtet, es wird angeraten, die Klage zurückzunehmen."

Der Kläger beanstandet, dieser Hinweis sei ergangen, ohne dass er zuvor Gelegenheit gehabt habe, zur Klageerwiderung Stellung zu nehmen.

Das Landgericht hat das Befangenheitsgesuch durch Einzelrichter-Beschluss vom 18.02.2003 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde, der das Landgericht durch Einzelrichter-Beschluss vom 02.04.2003 nicht abgeholfen hat.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig, sie ist aber nicht begründet. Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht zu der Auffassung gelangt, dass der vom Kläger vorgetragene Ablehnungsgrund letztlich nicht geeignet ist, bei verständiger Würdigung vom Standpunkt einer Partei Anlass zu geben, an der Unparteilichkeit der Richterin zu zweifeln (vgl. § 42 Abs. 2 ZPO).

Allerdings hätte über das Befangenheitsgesuch nicht durch Einzelrichter-Beschluss, sondern durch die Kammer in voller Besetzung entschieden werden müssen. Denn unter "dem Gericht" i.S.d § 45 Abs. 1 ZPO ist der durch seinen geschäftsplanmäßigen Vertreter ergänzte Spruchkörper des Abgelehnten zu verstehen (Zöller-Vollkommer, ZPO, 23.Aufl. 2002, § 45 Rn. 2). Dies gilt auch, wenn - wie hier - die abgelehnte Richterin in der Hauptsache allein zur Entscheidung befugt ist (Musielak-Smid, ZPO, 3. Aufl. 2002, § 45 Rn. 2). Der Senat sieht davon ab, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und zur erneuten Entscheidung in nunmehr zutreffender Besetzung an das Landgericht zurückzuverweisen. Er kann vielmehr eine eigene Sachentscheidung treffen, da die Sache entscheidungsreif ist.

Insgesamt ergibt sich bei verständiger Würdigung aller Umstände, dass aus dem Verhalten der Richterin eine Besorgnis der Befangenheit noch nicht zu entnehmen ist. Zutreffend weist das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss darauf hin, dass es grundsätzlich Aufgabe des Gerichts ist, auf entscheidungserhebliche Gesichtspunkte wie etwa die Frage, ob die von der Beklagtenseite erhobene Einrede der Verjährung Erfolg haben könnte, hinzuweisen. Weiterhin entspricht es auch grundsätzlich dem Gebot einer konzentrierten Verfahrensleitung mit dem in der ZPO-Novelle in besonderer Weise zum Ausdruck gebrachten Gebot der Verfahrensbeschleunigung, derartige Hinweise möglichst früh zu geben (vgl. § 139 Abs. 4 ZPO). Es ist auch grundsätzlich nicht als Ausdruck von Voreingenommenheit zu werten, wenn eine Richterin oder ein Richter die Anregung gibt, eine Klage oder ein Rechtsmittel mangels sich abzeichnender Erfolgsaussicht zurückzunehmen (Zöller-Vollkommer, a.a.O, § 42 Rn. 26); vielmehr entspricht dies gerade dem Grundsatz eines fairen Verfahrens, indem die Prozessparteien über die Erfolgsaussichten ihres Vorbringens nicht im Unklaren gelassen werden. Demgegenüber erscheint es erheblich problematisch, sich in einer derart frühen Phase, in der die Gegenseite- hier der Kläger- zu bestimmten Ausführungen noch kein rechtliches Gehör gehabt hat, in einer so dezidiert formulierten Weise zu äußern, wie dies hier geschehen ist. Eine besondere Brisanz mag sich für den Kläger bezüglich des Hinweises der Richterin daraus ergeben haben, dass nicht nur die Ausführungen des beklagten Landes zur Frage der Verjährung "für begründet erachtet' wurden, sondern auch noch "angeraten" wurde, die Klage zurückzunehmen. Allerdings ist für Prozessparteien - zumal wenn sie wie hier anwaltlich vertreten sind - ohne weiteres erkennbar, dass derartige Hinweise lediglich den aktuellen Sach- und Streitstand widerspiegeln und in diesem Sinn als vorläufig zu verstehen sind, wenn dies auch nicht explizit zum Ausdruck gebracht wird; andererseits hätte eine solche Verdeutlichung gerade in der hier in Rede stehenden frühen Phase des Verfahrens, nämlich vor einer Gelegenheit des Klägers zu weiterer Stellungnahme, durchaus Irritationen vermeiden können. Dass nach Auffassung des Senats eine Besorgnis der Befangenheit letztlich zu verneinen ist, beruht darauf, dass - für den Kläger erkennbar - im Tatsächlichen die Eckdaten, welche für die Frage, ob eine Verjährung anzunehmen ist oder nicht, nach dem Sach- und Streitstand, wie er sich der Einzelrichterin im Zeitpunkt ihres Hinweises darstellte,

klar zu Tage lagen und sich ihre Einschätzung damit auf rechtliche Gesichtspunkte bezog, die in jedem Fall ihrer Beurteilung unterliegen; dem entsprechend enthält die Erwiderung des Klägers vom 15.01.2003 zur Frage der Verjährung keinen neuen Tatsachenvortrag, sondern lediglich Rechtsausführungen. Dass die Richterin für derartige Rechtsausführungen nicht mehr offen gewesen wäre, lässt sich nach dem hier anzulegenden Beurteilungsmaßstab der Betrachtungsweise aus der Sicht einer verständigen Partei dem Verhalten der Richterin nicht entnehmen. Zwar mag es sein, dass der Kläger - folgt man seinem Sachvortrag - aus Verfahren bei anderen Gerichten oder Verwaltungsbehörden den Eindruck gewonnen hat, er solle benachteiligt werden; diesen Eindruck auf die abgelehnte Richterin zu übertragen besteht aber bei ruhiger und sachlicher Betrachtung auch aus seiner Sicht insgesamt kein hinreichender Grund.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO für eine Zulassung nicht erfüllt sind.

Ende der Entscheidung

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