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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 30.03.2005
Aktenzeichen: 1 W 93/04
Rechtsgebiete: AVAVG, EuGVVO


Vorschriften:

AVAVG § 22
EuGVVO § 45
EuGVVO § 46 I
EuGVVO § 46 III
1. Die Vollstreckung eines belgischen Urteils über nachehelichen Unterhalt, verstößt selbst dann nicht gegen den deutschen ordre public, wenn das Urteil darauf beruht, dass dem unterhaltspflichtigen Ehegatten die Schuld am Scheitern der Ehe zugesprochen wird.

2. Bei dem nach belgischen Recht eingelegten Pourvoi en Cassation handelt es sich um einen "ordentlichen Rechtsbehelf" im Sinne des Art. 46 Abs 1 EuGVVO.

3. Eine Aussetzung des Verfahrens auf Erteilung der Vollstreckungsklausel gemäß Art. 46 Abs. 1 EuGVVO kommt nicht in Betracht, soweit der Antragsgegner dem von ihm im Erststaat erhobenen, noch nicht beschiedenen Rechtsbehelf Einwände zugrunde legt, die er auch im bisherigen dortigen Verfahren hätte vorbringen können.

4. Bei der Ermessensentscheidung, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung durch denjenigen, welcher die Vollstreckbarkeitserklärung begehrt, einzustellen (Art. 46 Abs. 3 EuGVVO), sind im Einzelfall alle Nachteile zu berücksichtigen, die sich bei einer Vollstreckung aus einer nur vorläufig vollstreckbaren Entscheidung für den Vollstreckungsgläubiger im Rahmen seines bisherigen Prozessverhaltens hat Zweifel aufkommen lassen, in welchem Land sich ihm gehörende Vermögensgegenstände befinden, die bei einer etwaigen Rückabwicklung der vorläufigen Vollstreckung nach einem Erfolg des noch nicht beschiedenen Rechtsbehelfs im Erststaat von Bedeutung sind.


Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für das Urteil des Tribunal de Première Instance de Bruxelles vom 08.04.2004 - Az. 2001/8749/A -, durch welches der Antragsgegner im Wesentlichen verurteilt worden ist, bestimmte nacheheliche Unterhaltsleistungen pro Monat zu erbringen; wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf die Kopie in französisch (Bl. 39 ff d.A.) und auf die deutsche Übersetzung (Bl. 47 ff d.A.) verwiesen. Die Ehe war im Dezember 1997 durch Urteil eines schwedischen Gerichts geschieden worden.

Mit Beschluss vom 18.10.2004, dem Antragsgegner zugestellt am 09.11.2004, hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main die beantragte Erteilung der Vollstreckungsklausel angeordnet. Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner am 09.12.2004 Beschwerde eingelegt. Er ist entsprechend seinem Hauptantrag der Auffassung, dass der Beschluss gemäß Art. 45 i.V.m. Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aufzuheben sei, da die Verurteilung zu Unterhaltsleistungen nach belgischem Recht auf dem Schuldprinzip beruhe und der Beschluss daher gegen den deutschen ordre public verstoße. Hilfsweise beantragt er die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens gemäß Art. 46 Abs. 1 EuGVVO, da er gegen das genannte Urteil des Tribunal de Première Instance de Bruxelles als ordentlichen Rechtsbehelf im Sinne der genannten Vorschrift fristgemäß einen Pourvoi en Cassation zum Cour de Cassation eingelegt habe, der überwiegende Erfolgsaussicht habe. Weiter hilfsweise begehrt er, gemäß Art. 46 Abs. 3 EuGVVO die Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit durch die Antragstellerin abhängig zu machen oder die Abwendungsbefugnis des Antragsgegners auszusprechen, da die Vermögenssituation der Antragstellerin mit den Erwägungen des belgischen Urteils als undurchsichtig zu bezeichnen sei und bei einem Obsiegen mit dem belgischen Rechtsmittel eine Rückerlangung gezahlter Beträge von der Antragstellerin, die in Belgien lebe, mit unzumutbarem Aufwand verbunden sei. Wegen der Einzelheiten seines Sachvortrags und der vom ihm gestellten Anträge wird auf den Inhalt der Beschwerdeschrift vom 08.12.2004 (Bl. 163 ff d.A.) verwiesen.

Die Antragstellerin ist der Beschwerde mit Schriftsatz vom 14.02.2005 (Bl. 219 ff d.A.) entgegengetreten. Sie hält einen Verstoß gegen den deutschen ordre public nicht für gegeben und meint überdies, das vom Antragsteller gegen das belgische Urteil eingelegte Rechtsmittel fülle den Begriff des "ordentlichen Rechtsbehelfs" nicht aus.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (Art. 43 EuGVVO, § 11 AVAVG), aber lediglich in ihrem zweiten Hilfsantrag begründet.

1. Der angefochtene Beschluss ist nicht entsprechend dem Hauptantrag des Antragsgegners gemäß Art. 45 i.V.m. Art. 34 Nr. 1 EuGVVO wegen eines Verstoßes gegen den deutschen ordre public aufzuheben. Ein solcher Verstoß wäre nur anzunehmen, wenn die Anerkennung des Titels nach den Wertungen der inländischen Rechtskultur schlechterdings untragbar erschiene (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.02.2001 - 3 W 429/00 -, NJW-RR 2001, 1575) und dies nach der einschränkenden Fassung des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO überdies "offensichtlich" ist (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 25. Aufl. 2005, Anh. I Art 34 EuGVVO Rn. 7). Ein solcher Verstoß ist hier aber nicht gegeben. Es kann dahinstehen, ob ein ehemaliger Ehegatte nach belgischem Recht im Wesentlichen nur dann eine Unterhaltsrente erhält, wenn dem anderen Ehegatten die Schuld am Scheitern der Ehe zugesprochen wird. Denn selbst angesichts der Tatsache, dass das Schuldprinzip dem deutschen Ehescheidungs- und Unterhaltsrecht mittlerweile - sieht man von § 1579 BGB ab - grundsätzlich fremd ist, gehört der Grundsatz des verschuldensunabhängigen nachehelichen Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten nicht zum unantastbaren Bestand der deutschen Rechtsordnung; die Anerkennung ausländischer Scheidungsfolgenurteile, die auf der Basis eines Verschuldens am Scheitern einer Ehe die Unterhaltsfrage entschieden haben, scheitern nicht am ordre public (Geimer, Internationales Zivilprozessrecht [IZPR], 5. Aufl. 2005, Rn. 2982).

2. Auch dem 1. Hilfsantrag auf Aussetzung des vorliegenden Verfahrens gemäß Art. 46 Abs. 1 EuGVVO ist der Erfolg zu versagen, da die rechtlichen Voraussetzungen für eine derartige Aussetzung nicht vorliegen.

a) Allerdings handelt es sich bei dem vom Antragsgegner gegen das belgische Urteil eingelegten Rechtsmittel des Pourvoi en Cassation um einen ordentlichen Rechtsbehelf im Sinne der genannten Vorschrift. Was als "ordentlicher Rechtsbehelf" anzusehen ist, bestimmt sich nicht nach nationalem - hier etwa belgischem - Recht, sondern ist für alle Mitgliedstaaten des EuGVVO einheitlich autonom auszulegen. Danach fällt unter diesen Begriff jeder Rechtsbehelf, der zur Aufhebung und Abänderung der Entscheidung im Erststaat führen kann und für dessen Einlegung im Erststaat eine gesetzliche Frist bestimmt ist (EuGH, Urt. v. 22.11.1977 - Rs 43/77 -, Slg. 1977 S. 02175, als Leitsatz in NJW 1978, 1107); Zöller-Geimer, ZPO, 25. Aufl. 2005, Anh. I Art. 46 EuGVVO Rn. 5). Diese Voraussetzungen sind für den Pourvoi en Cassation nach belgischem Recht erfüllt, wie die Vorschriften der Art. 1073 ff des belgischen Code Judiciaire zeigen.

b) Über den Aussetzungsantrag hat gemäß Art. 46 Abs. 1 EuGVVO das Oberlandesgericht als Rechtsmittelgericht nach pflichtgemäßem Ermessen ("kann") zu entscheiden; dabei hat es die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Erststaat, also hier diejenigen des vom Antragsgegner eingelegten Pourvoi en Cassation, zu berücksichtigen (OLG Saarland, Beschl. v. 24.11.1997 - 5 W 282/97-94 -, insoweit nur in RIW 1998, 632, 633; Zöller-Geimer, a.a.O., Art. 46 EuGVVO Rn. 6). Allerdings darf das Beschwerdegericht bei dieser Entscheidung nur auf Gründe zurückgreifen, die der Schuldner vor dem Gericht des Urteilsstaats noch nicht geltend machen konnte (EuGH, Urt. v. 04.10.1991 - Rs. 183/90, Slg. I 1991 4743 - van Dalfsen/van Loon; BGH, Beschl. v. 21.04.1994 - IX ZB 8/94 -, NJW 1994, 2156, 2157 zu Art. 38 Abs. 1 EuGVÜ; MünchKomm-ZPO-Gottwald, 2. Aufl. 2001, Art. 38 EuGVÜ Rn. 4); diese Beschränkung auf "neue" Gründe rechtfertigt sich daraus, dass zum einen Vorbringen, welches das Gericht im Urteilsstaat schon berücksichtigt hat, schon allein wegen des Verbots der révision au fond (Art. 45 Abs. 2 EuGVVO = Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ) unberücksichtigt zu bleiben hat, und dass zum anderen Gründe, die der Schuldner hätte vorbringen können, aber vorzubringen versäumt hat, ausgeschlossen sind, weil sonst eine zu starke Einschränkung des mit den entsprechenden Abkommen - dem EuGVÜ und dem EuGVVO - bezweckten freien Urteilsverkehrs droht (Stadler, IPrax 1995, 220, 222; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl. 2002, Art. 46 Rn. 5). Dies ist hier mit dem Vorbringen des Antragstellers in seinem Pourvoi en Cassation der Fall. Seine Einwände, dass sich die Unterhaltspflicht nach schwedischem und nicht nach belgischem Recht beurteile, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung in einer bestimmten Weise auszulegen sei und dass das belgische Gericht gemäß dem belgischen internationalen Privatrecht die Entscheidung des schwedischen Gerichts nicht in der Sache überprüfen dürfe, hätten bereits im belgischen Berufungsverfahren vor dem Tribunal de Première Instance de Bruxelles vorgebracht werden müssen, sofern dies, was sich dem Urteil dieses Gerichts nicht entnehmen lässt, nicht geschehen ist.

3. Dagegen war dem 2. Hilfsantrag, die Zwangsvollstreckung gemäß Art. 46 Abs. 3 EuGVVO von der Leistung einer Sicherheit durch die Antragstellerin abhängig zu machen, der Erfolg nicht zu versagen. Im Rahmen der insoweit vom Beschwerdegericht zu treffenden Ermessensentscheidung ist die Erfolgsaussicht nicht der einzige Maßstab; vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, da die Vorschrift umfassend vor Nachteilen schützen soll, die sich bei einer Vollstreckung nur vorläufig vollstreckbarer Entscheidungen unter Umständen ergeben können (BGH, a.a.O.; Stadler, a.a.O.). In die danach vorzunehmende Abwägung nach pflichtgemäßem Ermessen ist zunächst einzustellen, dass das Berufungsurteil eine Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung nicht vorsieht. Zwar beurteilt der Senat die Erfolgsaussichten des Cassationsverfahrens als ungewiss; dem Senat ist es wegen des Verbots der révision au fond versagt, die Erfolgsaussichten materiell zu beurteilen, und allein aus der unbestrittenen Tatsache, dass ein beim belgischen Cour de Cassation zugelassener Rechtsanwalt aus Gründen seiner Arbeitsbelastung und seines guten Rufs nur dann eine Cassationssache annehme, wenn er das Rechtsmittel für erfolgversprechend erachtet, folgt entgegen der Auffassung des Antragsgegners noch nicht, dass dieses Rechtsmittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben werde. Nicht als eine Erschwernis, welche eine Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung der Antragstellerin geboten erscheinen ließe, sieht es der Senat allerdings an, dass etwaige vorläufige Zahlungen im Falle des Erfolgs des belgischen Cassationsverfahrens vom in Deutschland ansässigen Antragsteller in Belgien zurückgefordert werden müssten; denn es ist nicht ersichtlich, dass der Rechtsverkehr mit Belgien als einem EU-Staat nennenswerte Erschwernisse böte. Dem belgischen Berufungsurteil ist aber zu entnehmen, dass die Antragstellerin ihre Einkommensverhältnisse im dortigen Verfahren nur zögerlich und unvollkommen angegeben hat und nicht hinreichend klar ist, ob sie in Schweden oder in Belgien einer Beschäftigung nachgeht, obwohl sie in Belgien lebt. Im Falle einer Rückforderung von vorläufig geleisteten Zahlungen wäre der Antragsgegner daher genötigt, zu ermitteln, in welchem Land sich der Antragstellerin gehörende Vermögensgegenstände befinden. Die damit verbundene Erschwernis für den Antragsgegner geht zu Lasten der Antragsstellerin. Es kommt hinzu, dass sie Einwände gegen eine Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung nicht erhoben hat.

4. Der Festsetzung einer Sicherheitsleistung gem. § 22 AVAVG bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung einer Rechtsbeschwerde gegen die vorliegende Entscheidung oder bis zur Entscheidung über diese bedurfte es nicht, da der Antragsgegner durch die gemäß Art. 46 Abs. 3 EuGVVO angeordnete, bis zur Entscheidung über den Pourvoi en Cassation fortbestehende und damit zeitlich weiterreichende Sicherheitsleistung hinreichend gesichert ist.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 92 Abs. 1 ZPO und hatte zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner nur mit seinem zweiten Hilfsantrag Erfolg hatte, die insoweit angeordnete Sicherheitsleistung aber nicht nur als Nebenentscheidung, sondern bezüglich der hier in Rede stehenden Vollstreckbarerklärung Teil der Hauptsacheentscheidung ist. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG 2004 i.V.m. § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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