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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 30.04.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 48/08
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 63
StPO § 126 a
Zu den Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose nach § 63 StGB bei geringfügiger Anlass tat.
Gründe:

Die weitere Beschwerde ist zulässig und begründet, da die Voraussetzung für eine einstweilige Unterbringung des Beschuldigten nach § 126 a StPO nicht vorliegen. Es bestehen zwar dringende Gründe dafür, dass der Beschuldigte rechtswidrige Taten begangen hat, jedoch nicht dafür, dass seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden wird.

Der Beschuldigte ist der ihm im Unterbringungsbefehl vom 23.1.2008 zur Last gelegten Straftaten der Körperverletzung, der Beleidigung und des Verstoßes gegen das Waffengesetz dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht beruht auf den in dem Unterbringungsbefehl bezeichneten Beweismitteln. Soweit dem Beschuldigten in dem Unterbringungsbefehl zudem die Straftat der Bedrohung zur Last gelegt wird, dürfte insoweit kein dringender Tatverdacht bestehen. Nach dem Akteninhalt ist nicht erkennbar, dass der Beschuldigte einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn gerichteten Verbrechens bedroht hat. Soweit er gegenüber dem Zeugen Z1 geäußert haben soll "Dich erwisch ich als nächsten", beinhaltet dies keine Drohung mit einem Verbrechen. Allenfalls könnte der Äußerung die Drohung mit einer einfachen bzw. gefährlichen Körperverletzung, mithin keines Verbrechens, entnommen werden. Zudem ist die Drohung von dem Bedrohten selbst nicht wahrgenommen worden. Der Zeuge Z1, der die Äußerung allein vernommen hat, war nicht Adressat der vermeintlichen Bedrohung, sondern der Zeuge Z2. Dann müsste der Beschuldigte aber gewusst und gewollt haben, dass die Drohung zur Kenntnis des Zeugen Z2 als eigentlichen Adressaten seiner Äußerung gelangt und von diesem als ernst gemeint aufgefasst werden würde. Hierfür bietet der Akteninhalt keinerlei Anhaltspunkte.

Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (BGH NStZ-RR 2007, 74; BGH NStZ-RR 2003, 232). Weiter bedarf es der Feststellung eines Zusammenhanges zwischen der vorliegenden psychischen Störung und der Anlasstat (BGH NStZ-RR 2003, 232; BGH NStZ-RR 2007, 74). Infolge seines Zustandes müssen von dem Betroffenen weitere Taten zu erwarten sein, was - da die Maßregel ihn in hohem Maße beschwert - nur zur Anordnung der Unterbringung führt, wenn nicht nur die einfache Möglichkeit, sondern eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für neuerliche schwere Störungen des Rechtsfriedens besteht (BGH NStZ-RR 2007, 300; BGH NStZ-RR 2006, 265; BGH NStZ 1986, 572; Senatsbeschlüsse v. 29.1.1998 - 1 Ws 21/98 u. v. 5.11.2007 - 1 Ws 119/07 -; Fischer, StGB, 55. Aufl., § 63 Randziffer 13). In Anbetracht der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit rechtfertigen nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, eine Unterbringung nach § 63 StGB und eine entsprechende einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO (BGH NStZ 1995, 228; BGH NStZ-RR 1997, 166; BGH NStZ-RR 2005, 72). Bei geringfügigerer Anlasstat bedarf die Gefährlichkeitsprognose besonderer Prüfung (BGH NStZ-RR 2005, 303; Fischer a.a.O., Randziffer 14).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle nicht erfüllt.

Bereits der Zusammenhang zwischen einer psychischen Störung des Beschuldigten und den Anlasstaten kann nach Aktenlage nicht festgestellt werden. Nach Aktenlage ist offen, ob die Anlasstaten nicht allein auf die Alkoholisierung des Beschuldigten zurückzuführen sind. In der gutachterlichen Stellungnahme der Klinik für forensische Psychiatrie ... vom 18.4.2008 ist ohne nähere Begründung ausgeführt, dass den Tatzeitpunkten ein akut - psychotisches Geschehen und eine Alkoholintoxikation - wobei der Grad der Alkoholisierung nicht festgestellt ist - vorlag, so dass von einer Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB aufgrund einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit auszugehen sei. Der Sachverständige kommt - ohne deren Grundlagen zu nennen - zur Diagnose, dass bei dem Beschuldigten eine schizoaffektive Psychose, eine Alkoholabhängigkeit und ein schädlicher Gebrauch von multiplen psychotrophen Substanzen festzustellen sei. Ein wahnhaftes Erleben des Beschuldigten wird weder durch das Tatgeschehen noch durch den sonstigen Akteninhalt belegt.

Es fehlt auch an der eine Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigenden Gefährlichkeit des Beschuldigten. Die gutachterliche Stellungnahme vom 18.4.2008 gelang zu dem Ergebnis, dass bei dem Beschuldigten ohne entsprechende Behandlung und Nachsorge auch in Zukunft den Einweisungsdelikten ähnliche Delikte zu erwarten seien. Eine Progredienz der zu erwartenden Straftaten stellte der Gutachter weder fest, noch lassen sich der Stellungnahme oder dem Akteninhalt Anhaltspunkte oder Belege für eine künftig zunehmende Intensität oder Frequenz der zu erwartenden Straftaten entnehmen.

Die Prognose des Gutachters begründet nach den Umständen des Falles keine hohe Wahrscheinlichkeit für die künftige Begehung erheblicher Taten und lässt eine Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit nicht erkennen.

Der Senat sieht die dem Beschuldigten zur Last gelegten Anlasstaten nicht als erheblich im Sinne des § 63 StGB an. Nach den konkreten Umständen des Falles - die für die Bewertung maßgeblich sind (Fischer a.a.O., Randziffer 18; st. Rspr. d. Senats: vgl. Beschlüsse v. 8.3.1994 - 1 Ws 213/93; v. 17.9.2007 - 1 HEs 127/07; v. 5.11.2007 - 1 Ws 119/07) - stellen sich die Tatvorwürfe nicht als ein Fall der mittleren Kriminalität dar. In dem Unterbringungsbefehl werden die dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten lediglich als Beleidigung und einfache Körperverletzung bewertet. Eine Beleidigung ist als lediglich belästigende Bagatelltat nicht geeignet die Schwelle zur Erheblichkeit i.S.d. § 63 StGB zu überschreiten (vgl. Fischer, a.a.O., § 63 Rz 17, 18 m.w.N.). Auch die Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten Z2 erreicht nicht den Schweregrad der mittleren Kriminalität. Der Beschuldigte soll dem Zeugen Z2 nach dessen Angaben mit der rechten Faust auf das linke Auge geschlagen. Dies hat aber zu keiner nachhaltigen Beeinträchtigungen geführt. Der Zeuge Z2 hat in seiner Vernehmung selbst angegeben, dass er dem Schlag des Beschuldigten ausgewichen sei und er deshalb nicht voll und mitten ins Gesicht getroffen worden sei. Etwaige Folgen des Schlages, insbesondere Verletzungen des Auges, hat der Zeuge nicht mitgeteilt. Angesichts der sonst detaillierten Angaben des Zeugen geht der Senat davon aus, dass der Zeuge auch angegeben hätte, wenn er durch den Schlag des Beschuldigten verletzt worden wäre. Der dem Beschuldigten zur Last gelegte Verstoß gegen das Waffengesetz, der darin besteht, dass der Beschuldigte ein unter das Waffengesetz fallendes Messer mit einer 8 cm langen Klinge mit sich geführt hat, erreicht ebenfalls nicht den Bereich der mittleren Kriminalität. Auch die Vorverurteilungen des Beschuldigten zeigen, dass er nicht zur Begehung erheblicher Straftaten neigt. Gegenstand der Vorverurteilungen sind überwiegend von dem Beschuldigten begangene Beleidigungen und in einem Fall eine versuchte gefährliche Körperverletzung, begangen im Zustand erheblicher verminderter Schuldfähigkeit, bei der die Tatbegehung aber bereits mehrere Jahre zurückliegt (Tatzeit 23.7.2003). Danach bleibt festzustellen, dass dem Beschuldigten keine als hinreichend erheblich zu bewertenden rechtswidrige Taten zur Last zu legen sind. Die Prognose, von dem Beschuldigten sei mit ähnlichen Delikten zu rechnen, die zu seiner Einweisung in die psychiatrische Klinik ... geführt haben, begründet danach keine die Unterbringung rechtfertigende Gefahr. Damit erfordert die öffentliche Sicherheit auch nicht die vorläufige Unterbringung des Beschuldigten gem. § 126 a StPO, da keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Beschuldigte weitere rechtswidrige Taten von solcher Schwere begehen wird, dass der Schutz der Allgemeinheit die einstweilige Unterbringung gebietet (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 126 a Randziffer 5).

Der Unterbringungsbefehl war auch nicht in einen Haftbefehl umzuwandeln, da die Voraussetzungen der §§ 112 f. StPO nicht vorliegen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 126 a Randziffer 12). Der Erlass eines Haftbefehls kam bereits deshalb nicht in Betracht, da nach der Stellungnahme der Klinik für forensische Psychiatrie ... vom 18.4.2008 zumindest nicht auszuschließen ist, dass der Beschuldigte bei Tatbegehung schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB war, was der Annahme eines dringenden Tatverdachts entgegenstände (Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 Rz 5 m.w.N.). Zudem wäre angesichts der bisher vollzogenen Freiheitsentziehung von ca. 4 Monaten die Verhängung von Untersuchungshaft unverhältnismäßig, da die angesichts der allenfalls verwirklichten Bagatelldelikte zu erwartende Strafe bereits durch die Dauer der Untersuchungshaft verbüßt sein dürfte.

Ende der Entscheidung

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