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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 31.03.2009
Aktenzeichen: 10 U 185/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 180 Nr. 1
Ob ein Briefschlitz in der Tür eines Mehrfamilienhauses eine ähnliche Einrichtung i.S.d. § 180 Nr. 1 ZPO darstellt, ist umstritten. Soweit in der Literatur teilweise ein Gemeinschaftsbriefkasten von mehreren Mietparteien mangels eindeutiger Zuordnungsmöglichkeit als ungeeignete Einrichtung i.S.d. § 180 Nr. 1 ZPO aufgefasst wird , kann es nicht auf die allgemeine Bezeichnung als Gemeinschaftsbriefkasten ankommen. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Briefkasten bzw. die ähnliche Einrichtung eindeutig eine Zuordnung zum Adressaten ermöglicht und für diesen - auch - beschriftet ist. Entscheidend ist, ob der Adressat typischerweise über diese Vorrichtung seine Post erhält, da er damit zu erkennen gibt, dass er dem Kreis der Mitnutzer hinreichendes Vertrauen entgegenbringt.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28.7.2008 abgeändert. Das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 26.5.2007 wird aufgehoben und der Vollstreckungsbescheid vom 5.9.2007 (AZ 07-1557508-0-5) aufrechterhalten.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen mit Ausnahme der durch die Säumnis der Klägerin im Termin am 26.5.2007 entstandenen Kosten, die die Klägerin zu tragen hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts werden in Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO) und wie folgt ergänzt:

Die Klägerin begehrt Provisionszahlungen von der Beklagten in Höhe von EUR 35.907,82. Nachdem die Beklagte gegen den von der Klägerin erwirkten Vollstreckungsbescheid Einspruch eingelegt hat, hat das Landgericht ein den Vollstreckungsbescheid aufhebendes Versäumnisurteil gegen die Klägerin erlassen. Dieses wurde mit Urteil vom 28.7.2008 bestätigt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Einspruch der Beklagten rechtzeitig gewesen sei. Die Beklagte habe nachgewiesen, dass sie vor dem Zustellungstermin ihren Wohnsitz verlegt hatte. Ausschlaggebend sei ihr Wille, nicht mehr an dem früheren Sitz zu residieren. Der Klägerin stünden keine Ansprüche aus dem behaupteten Partnerschaftsvertrag zu, da sich aus dem eingereichten E-Mail-Verkehr ergebe, dass im Januar 2007 noch kein endgültiger Vertrag geschlossen worden sei.

Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie ist der Ansicht, dass ohne Beweiserhebung nicht von einer fehlerhaften Zustellung ausgegangen werden könne. Sie habe mit der Beklagten mündlich einen Partnerschaftsvertrag geschlossen, dessen Inhalt dem bereits von ihr mit der ... Gesellschaft bestehenden Vertrag entsprochen habe. Lediglich über den Abschluss eines Vorstandsvertrags hätten sich die Parteien noch nicht geeinigt gehabt.

Sie beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und das Versäumnisurteil vom 26.5.2008 aufzuheben und den Vollstreckungsbescheid vom 5.9.2007 aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 24.2.2009 durch Vernehmung der Zeugen und Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.2.2009 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Da der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid unzulässig ist, ist das Versäumnisurteil aufzuheben und der Vollstreckungsbescheid aufrechtzuerhalten.

Der Einspruch der Beklagte ist unzulässig, da er nach Ablauf der Notfrist von zwei Wochen i.S.d. §§ 339, 700 ZPO eingegangen ist. Die Frist begann mit der Zustellung des Vollstreckungsbescheids (§ 339 2. Hs ZPO). Diese Zustellung erfolgte hier am 7.9.2007. Die Frist lief damit am 21.9.2007 ab, so dass der am 26.11.2007 eingegangene Einspruch verspätet ist.

Der Tag der Zustellung des Vollstreckungsbescheids ist aufgrund des in dem Aktenausdruck i.S.d. § 696 Abs. 2 ZPO dargestellten Textes der hierüber errichteten Urkunde nachgewiesen. Der Aktenausdruck erbringt vollen Beweis für den Inhalt der in ihm wiedergegebenen Zustellungsurkunde (§§ 696 Abs.2, 418, 182 Abs. 1 S. 2 ZPO).

Soweit der Beweis der Unrichtigkeit gemäß § 418 Abs. 2 ZPO zulässig ist, erfordert dies den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine objektive Falschbeurkundung belegt. Die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde muss vollständig entkräftet werden (BGH NJW 2006, 150, 151). Die Beklagte konnte den bezeugten Inhalt der Zustellungsurkunde nicht entkräften, wonach ihr der Vollstreckungsbescheid nicht persönlich übergeben werden konnte und deshalb in den zu ihrem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Einrichtung eingelegt wurde (§§ 178, 180 ZPO).

Soweit sie behauptet hat, der am Haus X Str. a in die Haustür eingelassene Briefschlitz sei zum Zeitpunkt der beurkundeten Zustellung nicht - mehr - mit ihrem Namenszug versehen gewesen, konnte sie dies nicht nachweisen.

Die von ihr benannte Zeugin konnte nicht bestätigten, dass in ihrer Anwesenheit Herr A am 29.8.2007 Namensschilder der Beklagten an der Hauseingangstür und am Briefschlitz abmontiert hat. Sie gab auch nach ausdrücklichem Vorhalt dieser Behauptung an, daran keine Erinnerung zu haben.

Soweit sie aussagte, dass ihres Erachtens nur der Name des Zeugen auf dem Briefschlitz angebracht war, konnte sie keine hinreichende zeitliche Eingrenzung vornehmen, auf welchen Zeitpunkt sich diese Erinnerung bezog. Zudem relativierte sie diese Angabe durch die weitere Aussage, sie könne nicht ausschließen, dass der Namenszug der Beklagten vorhanden gewesen sei, als sie das erste Mal bei dem Haus gewesen sei. Auch wenn die Zeugin nach Vorhalt des notariellen Kaufvertrags die Übernahme des Hauses durch ihren Arbeitgeber auf eine warme Jahreszeit im Jahr 2007 eingrenzen konnte und die eigentliche Übergabe auf den Herbst 2007 bezog, kann diesen Angaben nicht entnommen werden, dass konkret am 7.9.2007 kein Namensschild der Beklagten mehr an dem Briefschlitz vorhanden gewesen ist.

Der Zeuge hat demgegenüber unter Bezugnahme auf ein dem Gericht vorgelegtes Schreiben vom 27.9.2007 der neuen Hauseigentümerin angegeben, dass das davor vorhandene Namensschild der Beklagten "paar Tage" vor oder nach Zugang des Schreibens entfernt worden sei. Da auch die Beklagte nicht behauptet, dass sie ihr Namensschild mehrmals an- und wieder abgeschraubt hat, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass es jedenfalls am 7.9.2007 noch nicht beseitigt worden war.

Soweit die Beklagte darauf verweist, der Briefschlitz sei hier grundsätzlich nicht als geeignete Vorrichtung i.S.d. § 180 Nr. 1 ZPO aufzufassen, da es sich um einen gemeinschaftlichen Briefschlitz handele, überzeugt dies nicht.

Ob ein Briefschlitz in der Tür eines Mehrfamilienhauses eine ähnliche Einrichtung i.S.d. § 180 Nr. 1 ZPO darstellt, ist umstritten. Soweit in der Literatur teilweise ein Gemeinschaftsbriefkasten von mehreren Mietparteien mangels eindeutiger Zuordnungsmöglichkeit als ungeeignete Einrichtung i.S.d. § 180 Nr. 1 ZPO aufgefasst wird (Stein/Jonas-Roth, 22. Aufl., § 180 Rd 3; Musielak-Wolst, 5. Aufl., § 180 Rd. 2 bei einer "Mehrzahl" von Mietsparteien), kann es nach Einschätzung des Senats nicht auf die allgemeine Bezeichnung als Gemeinschaftsbriefkasten ankommen. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Briefkasten bzw. die ähnliche Einrichtung eindeutig eine Zuordnung zum Adressaten ermöglicht und für diesen - auch - beschriftet ist. Entscheidend ist, ob der Adressat typischerweise über diese Vorrichtung seine Post erhält, da er damit zu erkennen gibt, dass er dem Kreis der Mitnutzer hinreichendes Vertrauen entgegenbringt (so auch Münchener-Kommentar-Häuberlein, 3. Aufl., § 180 Rd. 4; Wieczorek/Schütze-Rohe, 3. Aufl., § 180 Rd. 9; Baumbach/Lauterbach, 65. Aufl., § 180 Rd. 5 - häufig unrichtig zitiert). Von Bedeutung ist demnach auch die Größe des mitnutzenden Kreises.

Vorliegend hat die Beklagte nicht bestritten, dass ihr Post üblicherweise durch den Briefschlitz zugestellt wurde. Neben der Beklagten wurde der Briefschlitz den Angaben der Zeugen nach für Post des genutzt sowie für das Projekt X Str. a. Der Kreis der Nutzer war damit auf drei Personen begrenzt und überschaubar. Der Hinweis der Beklagten, die Zeugen hätten bekundet, dass gelegentlich auch Post für die Anwohner der X Str. b und c eingeworfen wurde, erweitert nicht die Zahl der zu berücksichtigenden Nutzer. Es handelte sich dabei unstreitig um Fehlwürfe, die nie auszuschließen sind und sich auf die tatsächliche Nutzergröße nicht auswirken.

Die von beiden Zeugen geschilderte Praxis, wonach die eingeworfene Post vom Hausmeister oder dem Zeugen sortiert und in entsprechenden Stapeln auf den unteren Treppenstufen gelagert wurde, spricht ebenfalls dafür, dass die Beklagte in diese Form der Postzustellung Vertrauen hatte.

Die von der Beklagten angegebene Entscheidung des OLG Bremen (OLGR 2007, 304, 305) steht der dargestellten Ansicht nicht entgegen. Der dort zu beurteilende Sachverhalt zeichnete sich dadurch aus, dass lediglich ein unbeschrifteter Briefschlitz vorhanden war. Damit liegt eine maßgebliche Abweichung zu der hier vorliegenden Konstellation eines ausdrücklich für die Beklagte gekennzeichneten Briefschlitzes vor.

Entgegen den Ausführungen der Beklagten ergibt sich auch aus der Begründung des Gesetzesentwurfs zu der Reform des Zustellreformgesetzes nicht, dass lediglich ein zu einem Einfamilienhaus gehörender Briefschlitz als ähnliche Vorrichtung i.S.d. § 180 ZPO anzusehen ist. In der Begründung wird darauf Bezug genommen, dass "insbesondere" der Briefschlitz bei einem Einfamilienhaus als derartige Einrichtung angesehen werden könne (BT-Drucksache 14/4554, S. 21). Die Formulierung "insbesondere" lässt damit gerade auch andere Konstellationen als möglich erscheinen und steht der Annahme eines abschließenden Charakters entgegen.

Soweit die Beklagte schließlich darauf verweist, sie habe tatsächlich am 7.9.2007 in der X Str. a keinen Geschäftssitz mehr unterhalten, so dass dort keine Zustellungen für sie vorgenommen werden konnten, überzeugt dies nicht. Dabei kann offenbleiben, ob die Beklagte tatsächlichen ihren Geschäftssitz zu diesem Zeitpunkt verlegt hatte. Jedenfalls kann den Darlegungen der Beklagten nicht entnommen werden, dass nicht noch ein von ihr zurechenbar gesetzter Rechtsschein für das Bestehen eines Geschäftssitzes in der X Str. a bestanden hat. Auch dann muss sie sich eine dort vorgenommene Zustellung zurechnen lassen (vgl. Zöller-Stöber, 27. Aufl., § 178 Rd. 17). Unstreitig ist die Beklagte Dritten gegenüber als unter der Adresse X Str. a geschäftsansässig aufgetreten. Dies belegt auch eindrucksvoll die Gerichtsakte, wonach noch bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils am 28.7.2008 die Schriftsätze der Beklagten im Rubrum als Anschrift X Str. a aufweisen. Soweit die Beklagte insoweit auf ein Büroversehen ihre Prozessbevollmächtigten verweist, kann dies angesichts des Umstands, dass ihre Geschäftsadresse ein maßgeblicher Streitpunkt des Rechtsstreits ist, allenfalls für ein einmaliges Versehen überzeugen. Tatsächlich findet sich die Adresse jedoch auf allen drei Schriftsätzen dieses Verfahrens erster Instanz und auch auf den Schriftsätzen des Parallelverfahrens nebst dortigem Urteilsrubrum (Landgericht Frankfurt am Main, AZ: 2-17 O 85/07). Dass die Beklagte im Übrigen nach außen den Eindruck vermieden hat, unter der Adresse X Str. a geschäftsansässig zu sein, hätte damit näherer Darlegungen bedurft. Die eingereichte E-Mail der A GmbH & Co. KG genügt dafür nicht. Sie deutet allein darauf hin, dass nunmehr ein extern verwalteter Briefkasten eingerichtet wurde. Ob und wie dies nach außen kommuniziert wurde, ist offen. Gleiches gilt für die eingereichte Nachricht der Sitzverletzung an das Registergericht.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand i.S.d. §§ 233 ZPO lagen nicht vor. Den Ausführungen der Beklagten kann keine unverschuldete Fristsäumnis entnommen werden. Da sie - wie ausgeführt - jedenfalls den Rechtsschein eines Geschäftslokals in der X Str. a unterhalten hat, musste sie auch dafür Sorge tragen, dort niedergelegte Post zur Kenntnis zu nehmen. Darlegungen, wie sie diesen Sorgfaltsanforderungen genügt hat, fehlen.

Die vage Behauptung der Beklagten, die Klägerin selbst habe das Schreiben aus dem Hauseingang X Str. a entfernt, ist unsubstanziiert und nicht von einem Beweisangebot begleitet. Ob aus der E-Mail der Klägerin vom 22.11.2007 folgt, dass die Klägerin davon ausging, die Beklagte habe keine Kenntnis von dem Vollstreckungsbescheid, kann dabei offenbleiben. Annahmen der Klägerin über eine erfolgte Kenntnisnahme sind für die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht ausschlaggebend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S.d. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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