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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 02.03.2007
Aktenzeichen: 11 Verg 15/06
Rechtsgebiete: GWB


Vorschriften:

GWB § 107 Abs. 3
Zur Abgrenzung zwischen Rügeschreiben und einer bloßen Bitte um Klarstellungen zur Leistungsbeschreibung.
Gründe:

I.

Der Antragsgegner gab im August 2006 die Vergabe von Reinigungsleistungen an insgesamt 64 Schulen und Turnhallen im Kreisgebiet europaweit bekannt. Die Vergabe soll in vier Losen erfolgen, wobei den einzelnen Losen zwischen 12 (Los 2) und 18 (Los 1) Objekte zugeordnet sind. Auf Anforderung der Antragstellerin übersandte der Antragsgegner ihr unter dem 19.9.2006 die Verdingungsunterlagen. Sie enthalten als Anlage 2 die besonderen Vertragsbedingungen - Gebäudereinigung (BVB-Gebäudereinigung) -, deren § 2 (Umfang der Arbeiten) vorsieht:

"Der Bewerber hat sich vor Abgabe des Angebots über den Umfang der Arbeiten in den einzelnen Gebäuden und Räumlichkeiten an Ort und Stelle zu unterrichten".

Am 2.10.2006 erhielt der Antragsgegner von der Antragstellerin ein Schreiben, das zahlreiche Anfragen zur Leistungsbeschreibung und zum Leistungsumfang enthielt und wegen dessen Inhalts auf den Sachverhalt des angefochtenen Beschlusses sowie die Anlage Ast 3 zum Nachprüfungsantrag Bezug genommen wird.

Mit Schreiben vom 04.10.2006 beantwortete der Antragsgegner die von der Antragstellerin gestellten Fragen. Zu den Fragen 1 und 2 heißt es in dem Schreiben sinngemäß, dass Raumkataster mit konkreten Raummaßen nicht zur Verfügung stünden. Es stehe der Antragstellerin frei, die öffentlichen Gebäude jederzeit zu betreten und sich ein Bild zu machen. Die Besichtigung der Klassenräume sei nach Rücksprache mit dem Hausmeister möglich. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage Ast 4 zum Nachprüfungsantrag Bezug genommen.

Die Antragstellerin hat kein Angebot abgegeben. Mit Schriftsatz vom 9.11.2006 hat sie einen Nachprüfungsantrag gestellt, den sie mit einem Verstoß gegen § 8 Nr. 1 VOL/A auf Grund der in ihrem Schreiben vom 29.9.2006 genannten Sachverhalte begründet hat. Dieses Schreiben, so hat die Antragstellerin gemeint, erfülle die Anforderungen an eine Rüge im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB.

Die Vergabekammer hat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 06.12.2006 bestimmt. Mit einem als "Anhörung" überschriebenen Schreiben vom 30.11.2006 wies die Vorsitzende der Vergabekammer die Beteiligten auf Zweifel an der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags hin, weil es an einer ausreichend deutlichen Rüge im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB fehle. Der Antragstellerin wurde Gelegenheit gegeben, bis zum 4.12.2006 zur Auffassung der Kammer Stellung zu nehmen bzw. den Nachprüfungsantrag zurückzunehmen (VK 240).

Am 4.12.2006 erkundigte sich der hauptamtliche Beisitzer der Vergabekammer telefonisch bei den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin, ob mit einer Rücknahme des Nachprüfungsantrages oder mit weiterem Sachvortrag zu rechnen sei. Auf die Antwort des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin, es solle noch umfangreich vorgetragen werden, antwortete der Beisitzer, er habe lediglich nochmals darauf hinweisen wollen, dass - falls keine neuen Argumente kämen - der Antrag voraussichtlich als unzulässig verworfen werde.

Mit Schriftsatz vom selben Tag lehnte die Antragstellerin die Vorsitzende und den hauptamtlichen Beisitzer der 2.Vergabekammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab (VK 254). Begründet hat sie die Anträge im Wesentlichen damit, dass sich die Vorsitzende ausweislich der "Anhörung" und der hauptamtliche Beisitzer ausweislich des am 04.12.2006 geführten Telefonats frühzeitig und einseitig auf eine bestimmte Rechtsauffassung festgelegt hätten, ohne sich mit den von ihr, der Antragstellerin, für andere Auffassungen gebrachten Belegstellen auch nur auseinanderzusetzen.

In der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2006 wies die Vergabekammer die Befangenheitsanträge - ohne Begründung -zurück (Ergebnisniederschrift VK 338). Dabei entschieden zunächst die beiden Beisitzer über den gegen die Vorsitzende gerichteten Antrag und - nach dessen Ablehnung - die Vorsitzende und der ehrenamtliche Beisitzer über den gegen den hauptamtlichen Beisitzer gerichteten Antrag.

Die Antragstellerin hat beantragt,

das Vergabeverfahren über die Vergabe von Reinigungsarbeiten - 2006/S 147-158849 - aufzuheben.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 14.12.2006 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag verworfen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, da die Antragstellerin die geltend gemachten Verstöße nicht im Sinne des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB rechtzeitig gerügt habe. Das Schreiben der Antragstellerin vom 29.9.2006 erfülle nicht die Anforderungen an eine Rüge.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Gegen den ihr am 14.12.2006 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 27.12.2006 sofortige Beschwerde eingelegt und diese wie folgt begründet:

Über die Befangenheitsanträge gegen die Vorsitzende und den hauptamtlichen Beisitzer habe die Vergabekammer in fehlerhafter Besetzung entschieden. Die Ablehnung der Befangenheitsanträge sei inhaltlich fehlerhaft.

Sie, die Antragstellerin, sei vor dem Beschluss vom 14.12.2006 auch nicht ausreichend angehört worden. Die Vergabekammer habe zu Unrecht angenommen, dass es sich bei ihrem Schreiben vom 29.9.2006 nicht um eine Rüge im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB handele. Da die Rüge auch sachlich berechtigt sei, habe die Vergabekammer dem Nachprüfungsantrag stattgeben müssen.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen bei dem Regierungspräsidium Darmstadt vom 14.12.2006, Aktenzeichen: 69 d VK-62/2006 aufzuheben,

2. den Beschwerdegegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren über Reinigungsleistungen für Schulen und Sporthallen im X-Kreis - 2006/S 147-158849 - aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 14.12.2006 zurückzuweisen,

die Kosten für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten des Beschwerdegegners für notwendig zu erklären.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die in der Beschwerdeinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere in gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

1.) Allerdings rügt die Antragstellerin zu Recht, dass die Vergabekammer über die Ablehnungsanträge in fehlerhafter Besetzung entschieden hat.

Zu der Frage, nach welchen Vorschriften Befangenheitsanträge gegen Mitglieder der Vergabekammern zu behandeln sind, bestehen in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedliche Auffassungen. Überwiegend wird die entsprechende Anwendung der Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder bei Ablehnungsgesuchen gegen Ausschussmitglieder für sachgerecht gehalten (Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht § 105 GWB Rdnr. 957 m.w.N.; juris PK-VergR/Summa, § 105 GWB Rn. 14).

Nach OLG Düsseldorf (NZBau 06, 598) soll § 54 Abs. 1 VwGO entsprechend heranzuziehen sein, der auf die §§ 41 bis 49 ZPO verweist. Konsequenz dieser Auffassung ist jedenfalls, dass entsprechend § 44 a VwGO die Entscheidung der Vergabekammer über ein gegen eines ihrer Mitglieder gerichtetes Ablehnungsgesuch nicht isoliert anfechtbar ist. Dessen fehlerhafte Behandlung bleibt also ohne Konsequenzen, wenn keine Beschwerde in der Hauptsache eingelegt wird oder das Beschwerdegericht eine eigene, das Nachprüfungsverfahren abschließende Sachentscheidung trifft.

Ein weiterer Unterschied könnte sich bei der Frage ergeben, in welcher Besetzung die Kammer über Ablehnungsgesuche entscheidet. Gem. §§ 45 ff.ZPO, 54 VwGO tritt bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch an Stelle des Abgelehnten dessen Vertreter. Gem. §§ 20 Abs. 4, 21 HVwVfG entscheidet der Ausschuss ohne sein abgelehntes Mitglied. Eine Vertretung des Abgelehnten ist hier nicht vorgesehen (Thüringer OLG, Beschluss v. 22.12.1999, 6 Verg 3/99; a.A. wohl Summa a.a.O; Aktualisierung v. 07.09.2006, der trotz Heranziehung der §§ 20,21 VwVfG die Mitwirkung eines Vertreters für geboten hält.).

Die Frage bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, weil die Vergabekammer in jedem Fall bei der Entscheidung über die Ablehnungsanträge fehlerhaft besetzt war, andererseits aber beide Ablehnungsanträge in der Sache zu Recht zurückgewiesen wurden, so dass die Rüge im Ergebnis erfolglos bleibt.

Verfahrensfehlerhaft hat der abgelehnte hauptamtliche Beisitzer bei der Entscheidung über den Ablehnungsantrag gegen die Vorsitzende mitgewirkt, obwohl bis zu diesem Zeitpunkt über den gegen ihn gerichteten Befangenheitsantrag noch nicht entschieden war. Bis zur Entscheidung darüber, ob ein Ablehnungsgesuch zulässig und begründet ist, hat sich das abgelehnte Mitglied der Vergabekammer aber unabhängig von der Berechtigung der Ablehnung vorläufig jeder Mitwirkung am Verfahren zu enthalten (Summa a.a.O.).

Ungeachtet dessen erhebt sich die Frage, welche Konsequenzen sich aus einer fehlerhaften Besetzung der Vergabekammer bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch ergeben. Auch die Antragstellerin selbst zeigt mögliche Konsequenzen ihrer Rüge nicht auf, insbesondere beantragt sie nicht etwa die Zurückverweisung der Sache an die Vergabekammer zur erneuten Entscheidung über die Befangenheitsanträge. Wegen des für das gesamte Nachprüfungsverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes kommt allein die fehlerhafte Zurückweisung eines Ablehnungsgesuches als Anlass für eine Zurückverweisung der Sache an die Vergabekammer nicht in Betracht (Summa a.a.O. Rdnr. 16.6).

Das gilt hier erst recht, weil die Vergabekammer in der Sache selbst die Befangenheitsanträge rechtsfehlerfrei beschieden hat, so dass die angegriffene Entscheidung auch nicht auf dem gerügten Verfahrensfehler beruht.

Den gegen die Vorsitzende gerichteten Befangenheitsantrag hat die Antragstellerin auf den Hinweis der Vorsitzenden im Schreiben vom 30.11.2006 gestützt, wonach die Kammer erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages habe (Bl. 240 f d.A. VK). Aus ihrer, der Antragstellerin, Perspektive wirke das Schreiben so, als habe sich die Vorsitzende vorzeitig festgelegt, ohne die erwähnte Entscheidung des Kammergerichts (KG VergabeR 02, 398) auch nur zu erwähnen. Das zeige, dass die Vorsitzende gegenteilige Argumente nicht zur Kenntnis genommen habe.

Besorgnis der Befangenheit bedeutet, dass Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit eines Amtsträgers oder Richters aufkommen lassen. Im Kern gelten die gleichen Voraussetzungen wie für die Ablehnung eines Richters. Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.

Ein im Rahmen der richterlichen Aufklärungspflicht gebotenes richterliches Verhalten begründet niemals einen Ablehnungsgrund, selbst wenn dadurch die Prozesschancen einer Partei verringert werden. Dabei ist vom Rechtsstandpunkt des Gerichtes auszugehen. Keinen Ablehnungsgrund bilden insbesondere vorläufige Meinungsäußerungen, durch die sich der Richter noch nicht abschließend festgelegt hat (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 42 Rdnr. 26 m.w.N.).

Ebenso liegt der Fall auch hier. Der - wie noch auszuführen ist auch sachlich berechtigte - Hinweis auf Zweifel an der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages vermag die Besorgnis der Befangenheit deshalb nicht zu begründen, weil es sich um einen verfahrensleitenden, sachdienlichen Hinweis handelte. Selbst wenn der Hinweis in der Sache selbst unrichtig gewesen wäre, würde dies nicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.

Gleiches gilt im Ergebnis von der Ablehnung des Befangenheitsantrages gegen den hauptamtlichen Beisitzer. Insoweit rügt die Antragstellerin ebenfalls, er habe sich vorzeitig festgelegt, weil er sich anlässlich eines Telefonat am 4.12.2006 danach erkundigte, ob der Nachprüfungsantrag zurückgenommen werde und darauf hinwies, dass andernfalls mit einer Verwerfung des Nachprüfungsantrages gerechnet werden müsse. Auch insoweit liegt kein grober Verstoß gegen verfahrensrechtliche Grundsätze vor, der auf eine Voreingenommenheit des hauptamtlichen Beisitzers schließen lässt. Der Antragstellerin war Gelegenheit zur Stellungnahme und auch zur Äußerung, ob der Nachprüfungsantrag zurückgenommen wird, bis zum 4.12.2006 gegeben worden. Es entspricht den üblichen Gepflogenheiten, bei Ausbleiben einer Äußerung bis zum Ablauf einer gesetzten Frist nochmals nachzufragen. Im Übrigen hat der hauptamtliche Beisitzer sich in der Sache nicht weitergehend oder abweichend von dem geäußert, was die Vergabekammer in dem Hinweis vom 30.11.2006 ohnehin bereits angedeutet hatte.

Ebenso erfolglos bleibt die Rüge eines Verstoßes gegen die Anhörungspflicht nach § 28 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, was konkret die Antragstellerin rügt. Sowohl hinsichtlich der Entscheidung über die Befangenheitsanträge als auch in der Sache hatte sie Gelegenheit, sich in der mündlichen Verhandlung zu äußern.

Ausweislich der Sitzungsniederschrift hatten die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zum Vortrag. Anschließend ist die Sach- und Rechtslage erörtert worden. Die Rüge der Antragstellerin, die Vergabekammer habe sie nicht ausreichend angehört, entbehrt somit jeder Grundlage.

2.) Die Entscheidung der Vergabekammer ist auch in der Sache nicht zu beanstanden.

Die Vergabekammer hat zu Recht angenommen, dass das Schreiben der Antragstellerin vom 29.9.2006 die Anforderungen an ein Rügeschreiben im Sinne von § 107 Abs. 3 GWB nicht erfüllt. Dabei ist sie zutreffend davon ausgegangen, dass das grundsätzlich erforderliche Abhilfeverlangen im Rügeschreiben nicht ausdrücklich enthalten sein muss, sondern es genügt, wenn die Vergabestelle dem Schreiben durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont entnehmen kann, dass ein Bieter Abhilfe verlangt. Dass sie diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht als erfüllt angesehen hat, weil nach dem konkreten Inhalt des Schreibens davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin einen Verstoß gegen Vergabevorschriften dann nicht annehme, wenn Termine für die Besichtigung und Vermessung der Schulen und Turnhallen benannt würden, ist nicht zu beanstanden und entspricht der Rechtsprechung des Senats.

Danach muss eine Rüge zwar keine Begründung, insbesondere keine detaillierte rechtliche Würdigung enthalten. Auch der Begriff Rüge muss nicht verwendet werden. Zum Ausdruck kommen muss aber, welchen Sachverhalt das Unternehmen für vergaberechtswidrig hält und dass es dem Auftraggeber vor Anrufung der Vergabekammer die Möglichkeit einer Selbstkorrektur geben möchte. Auch die Formulierung einer Rüge als "Hinweis gegenüber der Vergabestelle" ist möglich, jedoch muss nach dem objektiven Empfängerhorizont zumindest durch Auslegung eindeutig erkennbar sein, dass nicht nur eine Anregung zur Optimierung eines Vergabeverfahrens gegeben werden soll, sondern ein Rechtsfehler geltend gemacht wird (Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl., § 107 , Rdnr. 38 b). Entscheidend ist, dass die Vergabestelle die Aussage als ernst gemeinte und verbindliche Rüge qualifizieren kann. Es muss klar sein, dass es sich um eine Beanstandung handelt und nicht etwa um eine Frage zu tatsächlich oder vermeintlich missverständlichen Formulierungen in den Verdingungsunterlagen.

Um letzteres handelt es sich aber bei dem Schreiben vom 29.9.2006. Zwar werden unter den Ordnungsziffern 1. bis 11. verschiedene Positionen des Leistungsverzeichnisses als unvollständig und nicht ausreichend konkret angesprochen. Die daraus von der Antragstellerin gezogene Schlussfolgerung ergibt sich indes aus den Fragen 1 bis 10 und der abschließenden Bemerkung, wonach die Antragstellerin um eine zeitnahe Beantwortung der Fragen bittet, um die Ausschreibung mit der nötigen Gründlichkeit bearbeiten zu können. Im Hinblick auf diese Formulierung erweist sich das Verständnis der Vergabekammer, wonach die Antragstellerin von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften nicht ausgehe, sofern die Fragen beantwortet bzw. Termine für die Besichtigung und Vermessung der Schulen und Turnhallen benannt würden, als zutreffend. Der Antragsgegner hat die gestellten Fragen im Einzelnen beantwortet und der Antragstellerin im Übrigen mitgeteilt, dass Raumkataster mit konkreten Raummaßen nicht zur Verfügung stünden, es der Antragstellerin aber freistehe, die öffentlichen Gebäude jederzeit zu betreten.

Dem umfangreichen Schreiben der Antragstellerin vom 29.9.2006 ist keineswegs zu entnehmen, dass die Antragstellerin auf einer "Korrektur"" der vermeintlichen Mängel der Leistungsbeschreibung bestehen wollte, die praktisch nur in Form der Aufhebung des Vergabeverfahrens möglich gewesen wäre, sondern dass sie sich im Rahmen der konkreten Ausschreibung um einen Auftrag bemühen wollte und hierzu noch einiger Klarstellungen zur Leistungsbeschreibung bedarf. Sollte die Antragstellerin mit der Beantwortung ihrer Fragen durch den Antragsgegner nicht einverstanden gewesen sein, hätte es danach einer ausdrücklichen Rüge bedurft.

Die von der Antragstellerin als ihr günstig angeführte Entscheidung des Kammergerichts rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Soweit das Kammergericht die Ansicht vertritt, zu einer Rüge gehöre nicht, dass der Bieter der Vergabestelle unmissverständlich deutlich macht, ihr werde nunmehr die letzte Chance gegeben, den geltend gemachten Verstoß zu korrigieren, unterscheidet sie sich nicht von der Rechtsprechung des Senats. Sinn und Zweck der Rüge ist es indessen, der Vergabestelle Gelegenheit zur Selbstkorrektur zu geben. Dieser Zweck wird mit dem Schreiben der Antragstellerin vom 29.9.2006 deswegen nicht erreicht, weil das Schreiben den Eindruck erweckt, dass mit Beantwortung der gestellten Fragen die vermeintlichen Beanstandungen "bilateral" behoben werden könnten. Danach hatte die Antragsgegnerin keinen Anlass zu der Annahme, die Antragstellerin bestehe (derzeit) auf einer Korrektur der behaupteten Mängel der Ausschreibung, was - wie dargelegt - auf eine Aufhebung des Vergabeverfahrens hinausgelaufen wäre. Jedenfalls diese weitreichende Konsequenz hätte dem Antragsgegner aber deutlicher als in dem besagten Schreiben vor Augen geführt werden müssen. Denn die Bitte um Bekanntgabe von Flächenmaßen und Besichtigungsterminen steht im Widerspruch zu so einer weitreichenden Konsequenz. Sie deutet vielmehr darauf hin, dass sich die Antragstellerin ihr weiteres Vorgehen bis zu einer Beantwortung der Fragen durch den Antragsgegner vorbehalten und eine Rüge bis dahin gewissermaßen zurückhalten wollte.

Es besteht kein Anlass für eine Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH). Die von der Antragstellerin als Vorlagefrage formulierte Frage stellt sich nicht. Die Anforderungen an ein Rügeschreiben sind von der Rechtsprechung der Vergabesenate hinreichend geklärt, ohne dass insoweit Meinungsunterschiede erkennbar werden. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall eignet sich nicht zur Vorlage an den EuGH. Maßgeblich ist nämlich in jedem Fall das Verständnis des Erklärungsempfängers. Im Hinblick auf die dem Antragsgegner unterbreiteten Fragen ist auszuschließen, dass dieser das Schreiben als Rügeschreiben hätte einordnen können. Der Fragecharakter des Schreibens steht eindeutig im Vordergrund. Das gilt unabhängig davon, ob aus einer Rüge unmissverständlich hervorgehen muss, dem Auftraggeber werde "die letzte Chance" vor einer Anrufung der Vergabekammer gegeben. Auch wenn man diese Anforderung nicht stellt, bleibt der Charakter des Schreibens als (bloße) Anfrage eindeutig.

Nach allem war die sofortige Beschwerde zurück zu weisen. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens entsprechend § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Der Streitwert war gem. § 50 Abs. 2 GKG auf 5% der geschätzten Bruttoauftragssumme festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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