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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 05.11.2008
Aktenzeichen: 12 W 97/08
Rechtsgebiete: RVG, RVG-VV, ZPO


Vorschriften:

RVG § 15 Abs. 2
RVG-VV Nr. 3100
ZPO § 104 Abs. 3
Macht ein Gläubiger im Mahnverfahren gleichzeitig Zahlungsansprüche gegen einen Schuldner und einen Mithaftenden geltend und wurden nach Abgabe an das einheitlich zuständige Streitgericht dort aus durch den Kläger nicht veranlassten Gründen für jeden Beklagten gesendete Verfahren angelegt, die vor mündliche Verhandlung verbunden werden, so liegt nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit vor, die dem zweifachen Ansatz der Verfahrensgebühr entgegensteht.
Gründe:

I.

Die Kläger haben die Beklagte zu 1) und den vormaligen Beklagten zu 2) vor dem Mahngericht als Gesamtschuldner auf Zahlung einer Hauptforderung von 26.996,21 € nebst Kosten von 1.336,26 € und rückständigen Zinsen von 20.611,05 € sowie laufenden Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz in Anspruch genommen.

Hierüber haben die Kläger am 29. Dezember 2004 Mahnbescheide beantragt, die das Mahngericht am 18. Januar 2005 erlassen hat, und zwar im Verfahren 04-1768100-2-1 gegen die Beklagte zu 1) und den Beklagten zu 2) als Gesamtschuldner und im Verfahren 04-1768100-1-3 gegen den Beklagten zu 2) und die Beklagte zu 1) als Gesamtschuldner. Gegen die am 21. Januar 2005 zugestellten Mahnbescheide hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 28. Januar 2005 Teilwiderspruch wegen der Kosten und der Zinsen eingelegt.

Die Beklagten haben die Hauptforderung am 4. Februar 2005 gezahlt.

Die Abgabe beider Mahnverfahren an das Landgericht Darmstadt ist am 25. Oktober 2007 nach Eingang der Kosten erfolgt, die von dem Mahngericht nur einmal angefordert wurden.

Das Landgericht hat die Verfahren 1 O 440/07 und 1 O 453/07 angelegt.

Die Klagebegründung im Verfahren 1 O 440/07 ist nach Aufforderung durch das Landgericht vom 1. November 2007 am 12. Dezember 2007 erfolgt; im Verfahren 1 O 453/07 war die Klagebegründung bereits gegenüber dem Mahngericht mit Abgabeantrag völlig gleichlautend erfolgt. Die Kläger haben Teilerledigung hinsichtlich der Hauptforderung erklärt und den Anspruch auf Zinsen und Kosten streitig weiterverfolgt. Gegenstand der Hauptforderung waren bergrechtliche Entschädigungsansprüche der Kläger wegen Tonabbau durch die Kommanditgesellschaft gewesen.

Die Beklagten haben sich in beiden Streitverfahren der Teilerledigungserklärung unter Protest gegen die Kosten angeschlossen durch Schriftsätze vom 20. November 2007 und 28. Dezember 2007 und im übrigen Abweisung der Klage beantragt. Durch Beschluss vom 1. Februar 2008 hat das Landgericht die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit der Maßgabe verbunden, dass das Az. 1 O 440/07 führt.

Durch Schriftsatz vom 21. März 2007 haben die Kläger eine subjektive Klageänderung auf neuen Beklagten zu 2) vorgenommen. Mit Schriftsatz vom 9. Juni 2008 haben sie die Klage teilweise zurückgenommen.

Die Parteien haben im Termin vom 23. Juni 2008 einen Vergleich geschlossen, wonach die Beklagten als Gesamtschuldner 1000 € an die Kläger zahlen und die Kläger die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs als Gesamtschuldner übernehmen. Durch Streitwertbeschluss vom selben Tage hat das Landgericht den Wert für Rechtsstreit und Vergleich auf 47.000 € festgesetzt. Hierauf haben die Parteien Rechtsmittelverzicht erklärt.

Mit Kostenfestsetzungsanträgen vom 23. Juni 2008 haben die Beklagten u.a. beantragt, die Verfahrensgebühr aus 47.000 € zweimal festzusetzen. Dem hat das Landgericht durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. August 2008 entsprochen und insgesamt 5.374,60 € zu Lasten der Kläger festgesetzt. Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde den Klägern am 4. September 2008 zugestellt.

Hiergegen wenden sie sich mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 17. September 2008 und rügen die zweimalige Festsetzung der Verfahrensgebühr als unzutreffend. Die Beklagten haben die Festsetzung verteidigt.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 22. September 2008 nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO, 11 Abs. 1 Rechtspflegergesetz.

Sie ist auch begründet. Die Anmeldung und Festsetzung einer vollen Verfahrensgebühr nach VV 3100 RVG für die Tätigkeit des Beklagtenvertreters sowohl im Verfahren 1 O 440/07, als auch im Verfahren 1 O 453/07 widerspricht § 15 Abs. 2 RVG. Der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Beklagten lag in beiden Fällen dieselbe Angelegenheit zu Grunde.

Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne ist das gesamte Geschäft, das der Rechtsanwalt für seinen Auftraggeber erledigen soll. Maßgeblich ist nicht der Auftrag, da auch ein einheitlicher Auftrag mehrere Angelegenheiten auslösen kann (vergleiche BGH vom 13. April 2006, NJW 2006, 2703, zitiert nach juris Nr. 22). Es ist vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls festzustellen, ob es sich um mehrere Angelegenheiten handelt (vergleiche BGH vom 11. Dezember 2003, NJW 2004, 1043 zitiert nach juris Nr. 27). Identität besteht grundsätzlich nur, wenn ein einheitlicher Auftrag vorliegt, die Rechtsverfolgung gebündelt erfolgt und zwischen den einzelnen Gegenständen ein innerer, objektiver Zusammenhang besteht (vergleiche OLG Frankfurt vom 1. Juli 2004, NJW-RR 2005, 67, 68). Dabei ist die Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne zwar regelmäßig mit der Tätigkeit in einem einzelnen gerichtlichen Verfahren identisch (vergleiche Hartmann 38. Auflage § 15 RVG Randnummer 16); daraus folgt, dass bis zur Verbindung von Verfahren bereits angefallene Gebühren bestehen bleiben (vergleiche OLG Koblenz vom 5. Mai 1986, Juristisches Büro 1986, 1523). Daraus folgt jedoch nicht, dass eine vom Gericht veranlasste, isolierte Führung von Verfahren jeweils ohne Rücksicht auf den Gegenstand eine neuerliche und anrechnungsfreie Gebühr nach VV 3100 RVG auslöst.

Macht ein Gläubiger im Mahnverfahren gleichzeitig Zahlungsansprüche gegen einen Schuldner und einen Mithaftenden mit einem einheitlichen Mahnbescheidsantrag geltend und werden dann nach Abgabe der Sache an das einheitlich zuständige Streitgericht dort aus durch den Kläger nicht veranlassten Gründen für jeden Beklagten gesonderte Verfahren angelegt, die vor der mündlichen Verhandlung miteinander verbunden werden, so liegt nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit mit der Folge des Ausschlusses des Ansatzes einer zweifachen Verfahrensgebühr vor (vergleiche OLG Düsseldorf vom 4. März 1997, 10 W 27/97, Juristisches Büro 1998, 82).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Antragsteller haben am 29. Dezember 2004 einheitlich Mahnbescheide gegen die Kommanditgesellschaft und deren Komplementär beantragt, jeweils mit dem Zusatz der gesamtschuldnerischen Haftung. Die Antragsgegner haben zeitgleich durch ihren Prozessbevollmächtigten Teilwiderspruch einlegen lassen und die Hauptforderung gezahlt. Bereits hierin lag nur eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG, weil die Mahnverfahren die KG und deren Komplementär betrafen, gegen die dieselbe Forderung als Gesamtschuldner geltend gemacht wurde. Die Angelegenheit wurde von deren Prozessbevollmächtigtem deckungsgleich und zeitgleich behandelt, wie der am selben Tag eingelegte und inhaltlich identische Teilwiderspruch belegt. Daraus folgt für den Senat, dass diesem Handeln des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein einheitlicher Auftrag zur Abwehr der Ansprüche gegen die Gesamtschuldner vorlag. Die in den Mahnverfahren verfolgten Gegenstände standen nicht nur in einem objektiven, inneren Zusammenhang, sondern waren auf ein identisches Begehren gerichtet. Die Kläger begehrten von der Kommanditgesellschaft und deren Komplementär als Gesamtschuldnern den Ausgleich des bergrechtlichen Entschädigungsanspruchs. Der Antragsgegner zu 2) war bei der Inanspruchnahme im Mahnverfahren noch Komplementär der KG, weil er erst am 19. Juni 2007 von dem späteren Beklagten zu 2) abgelöst wurde. Es lag daher auch aus der maßgeblichen Sicht der Antragsgegner nur ein Auftrag zur Abwehr der Ansprüche gegen die Gesamtschuldner vor.

Deshalb hält es der Senat auch für unschädlich, dass die Antragsteller nach Aktenlage möglicherweise zwei einzelne Mahnbescheide beantragt haben. Für zwei Anträge spricht die Vergabe von zwei Aktenzeichen durch das Mahngericht; dagegen spricht allerdings, dass das Mahnverfahren 04-1768100-2-1 ohne Anforderung von Kosten mit abgegeben wurde, als im Mahnverfahren 04-1768100-1-3 die dort angeforderten Kosten gezahlt waren. Letztlich kann es dahinstehen, ob die Antragsteller für die identischen Gegenstände zwei getrennte Anträge gestellt haben, weil auch in diesem Fall nur eine gebührenrechtliche Angelegenheit für den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegner vorlag (vergleiche OLG Köln vom 11. November 1998, 17 W 365/98, OLGR Köln 1999, 220, zitiert nach juris). Ebenso wie dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller aus einer Vereinzelung von Verfahren kein gebührenrechtlicher Vorteil entstehen darf (vergleiche BGH NJW 2004, 1043, juris Nr. 30), gilt dies auch für den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegner, die sich gegen die von den Antragstellern erwirkten gleichartigen Mahnbescheide einheitlich verteidigen wollen.

Die in dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 29. Juni 1993 (10 W 62/93, Juristisches Büro 1994, 436) dargelegte Auffassung hat der 10. Senat des OLG Düsseldorf durch seine Entscheidung vom 4. März 1997 (a.a.O.) aufgegeben. Sie überzeugt auch insoweit nicht, als sie allein auf die verfahrensmäßige Handhabung abstellt und dadurch die ebenso bedeutsamen Fragen des Auftrags und des Gegenstandes zurücktreten.

Aus der Entscheidung des OLG Oldenburg vom 24. Oktober 2002 (Juristisches Büro 2003, 322) ergibt sich nichts anderes, weil sie die Frage der Gerichtskosten betrifft.

Da die Abgabe der Mahnverfahren an das für beide Antragsgegner zuständige Landgericht zeitgleich erfolgt ist und in beiden Mahnanträgen der Hinweis auf den jeweils anderen Antragsgegner als Gesamtschuldner enthalten war, beruht es auf verfahrensrechtlichen Zufälligkeiten, dass hierfür bei dem Streitgericht zwei verschiedene Verfahren angelegt wurden.

Im streitigen Verfahren ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten ebenfalls nur in derselben Angelegenheit tätig geworden, weil er in beiden Verfahren inhaltlich identische Klageerwiderungen verfasst hat. Schließlich wurden die Verfahren durch das Landgericht mit Beschluss vom 1. Februar 2008 miteinander verbunden, bevor hierüber erstmals am 23. Juni 2008 verhandelt wurde. Dass die Verbindung erst nach Terminierung erfolgte, ist sowohl für die Frage des Auftrages des Beklagtenvertreters, als auch für den Gegenstand der Rechtsverteidigung ohne Bedeutung. Die subjektive Klageänderung durch Schriftsatz vom 21. März 2008 durch Austausch des inzwischen eingetretenen Komplementärs der KG ist für die Frage der Identität der Angelegenheit ebenfalls ohne Bedeutung, weil kein neuer Auftrag erkennbar ist und die Klageänderung erst nach der Verbindung erfolgt ist.

Die festgesetzten Kosten waren daher um eine 1,3 fache Verfahrensgebühr aus 47.000,00 € zu reduzieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 3 ZPO.

Der Wert der Beschwerde entspricht der Differenz der Gebühren.

Ende der Entscheidung

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