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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 19.01.2006
Aktenzeichen: 13 W 95/05
Rechtsgebiete: GVG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 158 II
ZPO § 141
Zur Frage, ob Rechtshilfe zum Zwecke der Parteivernehmung "verboten" ist
Gründe:

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Grund eines Verkehrsunfalls auf Zahlung von 2.897,84 € nebst Zinsen in Anspruch. Er hat behauptet, seine Ehefrau habe mit seinem PKW am ... 06. 2003 mit einer Geschwindigkeit von 130 bis 140 km/h die mittlere von drei Spuren der A... in Richtung O1/ O2 befahren. Der Beklagte zu 2), der mit seinem bei der Beklagten zu 1) versicherten Kfz zunächst auf der äußerst linken Überholspur gefahren sei, habe in Höhe des klägerischen Fahrzeuges plötzlich und mit sich verringernder Geschwindigkeit die Fahrspur gewechselt und sei auf die mittlere Spur gefahren. Die Ehefrau des Klägers habe den dadurch bedingten Unfall trotz eines Brems- und Ausweichmanövers nicht vermeiden können.

Die Beklagten sind dieser Darstellung entgegen getreten. Sie haben einen Fahrspurwechsel des Beklagten in Abrede gestellt und geltend gemacht, der Beklagte zu 2) habe die linke Spur mit ca. 130 km/h befahren, als sein Fahrzeug plötzlich seitlich an der rechten hinteren Tür angefahren worden sei.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 18. 08. 2005 hat das Amtsgericht Hamburg die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen. Den Beklagten zu 2), der seinen Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Groß-Gerau hat, hatte das Amtsgericht Hamburg zuvor abgeladen, nachdem dieser auf seine am 1. 08.2005 erfolgte Bandscheibenoperation und eine sich anschließende stationäre Reha-Maßnahme hingewiesen hatte.

Noch am 18. 08. 2005 hat das Amtsgericht Hamburg beschlossen, dass der Beklagte zu 2) im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgericht Groß-Gerau " gemäß § 141 ZPO angehört werden" soll.

Mit Verfügung vom 16. 09. 2005 hat das Amtsgericht Groß-Gerau die Akten an das Amtsgericht Hamburg zurückgesandt und die Auffassung vertreten, "die Anhörung der Partei zur Sachaufklärung (habe) in der mündlichen Verhandlung vor dem Prozessgericht, also nicht vor dem ersuchten Richter zu erfolgen".

Am 13. 12. 2005 haben die Beklagten zu 1) und zu 2) eine Entscheidung des angerufenen Senats gemäß § 159 II GVG beantragt.

Der Senat ist nach § 159 I 1, II GVG zur Entscheidung berufen.

Das ersuchte Amtsgericht Groß-Gerau ist verpflichtet, das Rechtshilfeersuchen zu erledigen.

Ein Ersuchen um Rechtshilfe darf nach § 158 I GVG grundsätzlich nicht abgelehnt werden. Die Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens eines nicht im Rechtszug vorgesetzten Gerichts ist nach § 158 II GVG ausnahmsweise dann statthaft, wenn die vorzunehmende Amtshandlung nach dem Recht des ersuchten Gerichts verboten ist. Diese Ausnahmevorschrift ist nach einhelliger Meinung in Literatur und Rechtsprechung eng auszulegen, weshalb eine Ablehnung nur dann in Betracht kommt, wenn die von dem ersuchten Gericht vorzunehmende Handlung schlechthin unzulässig ist (BGH NJW 1990, 2936 f; BAG NJW 2001, 2196; Zöller / Gummer, 25. Auflage, § 158 GVG, Rd. 3 - jeweils mit weiteren Nachweisen).

Ein solches Verbot ist vorliegend nicht zu erkennen.

Es ist zwar allgemein anerkannt, dass die Anhörung einer Partei im Sinne des § 141 ZPO kein Instrument der Beweisaufnahme, sondern ein solches der materiellen Prozessleitung ist (vgl. statt vieler: Zöller / Greger, 25. Auflage, § 141 ZPO, Rd. 1 sowie vor § 445, Rd. 1). Die Regelung für die Zeugenvernehmung in § 451 ZPO kann daher ebenso wenig unmittelbar zur Begründung der Zulässigkeit des vorliegenden Rechtshilfeersuchens herangezogen werden wie Bestimmungen in § 375 ZPO.

Allerdings enthält § 141 ZPO auch kein ausdrückliches Verbot der Rechtshilfe. Diese Bestimmung gibt vielmehr dem "Gericht" im Sinne einer Sollbestimmung auf, das persönliche Erscheinen einer Partei anzuordnen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Obwohl in der Zivilprozessordnung unter anderem zwischen den Begriffen "Gericht", "Prozessgericht", "Mitglied des Prozessgerichts" und "ein anderes Gericht" differenziert wird ( vgl. z. B. §§ 355 I, 361 I, 362 I, 375, 613 I ZPO ) wird in § 141 ZPO schlicht von dem "Gericht" gesprochen, ein Begriff, welcher sich auch in § 156 GVG wieder findet, der die "Gerichte" verpflichtet, u. a. in bürgerlichen Rechtstreitigkeiten Rechtshilfe zu leisten. Gemessen an der Verwendung des Begriffes "Gericht" kann also nicht angenommen werden, § 141 ZPO schließe die Möglichkeit eines Rechtshilfeersuchens von vornherein aus.

Vor diesem Hintergrund wird die Frage der Zulässigkeit eines Rechtshilfeersuchens zwecks Parteianhörung in der Kommentarliteratur auch kontrovers - meist jedoch ohne nähere Begründung - behandelt ( für die Zulässigkeit sprechen sich aus: Kissel / Mayer, GVG, 4. Auflage, § 158 GVG, Rd. 38; Münchener Kommentar / Wolf, 2. Auflage, § 158 GVG, Rd. 11; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, 62. Auflage, § 158 GVG, Rd. 5; so wohl auch Zöller / Gummer, 25. Auflage, § 156 GVG, Rd. 2 und § 158 GVG, Rd. 5; gegen die Zulässigkeit sprechen sich aus: Zöller / Greger, 25. Auflage, § 141 ZPO, Rd. 6; Musielak / Stadler, 3. Auflage, § 141 ZPO, Rd. 11; ).

Das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen hat zwar in einer Entscheidung vom 29. 03. 1996 ( Az. 3 (III) AR 9 / 96; OLGReport Bremen 1996, 173 ) ausgeführt, aus der Regelung in § 141 I 2 ZPO - wonach das Gericht von der Anordnung des persönlichen Erscheinens absieht, wenn die Wahrnehmung des Termins einer Partei wegen großer Entfernung oder aus sonstigen Gründen nicht zuzumuten ist - folge, dass die Anhörung der Partei im Sinne § 141 ZPO nicht im Wege der Rechtshilfe delegiert werden könne. Dieser Würdigung vermag der vorliegend angerufene Senat sich nicht anzuschließen.

Nach § 158 IIGVG ist der Ausnahmefall der Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens daran geknüpft, dass die vorzunehmende Handlung schlechterdings "verboten" ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Gesetzgeber über § 141 I 2 ZPO ein Verbot und nicht nur eine Sollvorschrift aufstellt, so ist doch nicht anzunehmen, dass ein solches Verbot die Parteianhörung im Wege der Rechtshilfe betrifft. Aus dem Umstand, dass eine Partei zu einem Termin vor einem bestimmten Gericht nicht geladen werden darf / soll, wenn es ihr unzumutbar ist, kann nicht zwangsläufig geschlossen werden, dass diese Partei auch vor ein anderes Gericht, nämlich das Rechtshilfegericht, nicht geladen werden darf. Immerhin mögen die Zumutbarkeitserwägungen hier zu einem anderen Ergebnis gelangen.

Dass § 141 I 2 ZPO den Umkehrschluss zuließe, dass Rechtshilfeersuchen in Fällen der Parteivernehmung generell unzulässig seien, ist danach nicht erkennbar.

Dagegen spricht auch die Tatsache, dass die Zivilprozessordnung für Ehesachen in § 613 ZPO expressis verbis die Möglichkeit eröffnet, einen Ehegatten unter bestimmten Voraussetzungen zu Fragen der elterlichen Sorge durch einen ersuchten Richter anhören zu lassen. Ein generelles Verbot der Anhörung einer Partei im Wege der Rechtshilfe ist der Zivilprozessordnung somit fremd. Warum eine solche dann für andere, u. U. sogar weniger gewichtige Angelegenheiten, nicht zulässig sein sollte, ist nicht ersichtlich. Dagegen spricht auch die Tatsache, dass unter bestimmten, in §§ 375, 451 ZPO geregelten Prämissen, nicht nur eine Zeugenvernehmung, sondern auch eine Parteivernehmung im Wege der Rechtshilfe zulässig ist.

Bei dieser Würdigung sieht der Senat sich im Einklang mit der Rechtsprechung zu der in Unterbringungssachen geregelten Verpflichtung des "Gericht(s)" nach § 70 c FGG, den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme "persönlich" anzuhören. Auch hier ist inzwischen allgemein anerkannt, dass eine Anhörung durch einen ersuchten Richter auf Grund dieser gesetzlichen Bestimmung zwar möglichst unterbleiben "soll", dass damit ein gesetzliches Verbot aber gleichwohl nicht verbunden ist (OLG Frankfurt in OLGReport 2004, 76 f und Bayerisches Oberstes Landesgericht in OLGReport München 2004, 255 f; - jeweils mit weiteren Nachweisen ).

Das Anhörungsersuchen im Wege der Rechtshilfe bedurfte in Ansehung des überschaubaren Streitgegenstandes auch keiner erläuternden, eingrenzenden Bezeichnung des zur Klärung anstehenden Sachverhalts. Von daher muss nicht entschieden werden, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ( vgl. BGHR ZPO § 359 Nr 1 Rechtshilfe ) zur Ablehnung einer Zeugenvernehmung im Wege der Rechtshilfe wegen unzureichender Bezeichnung des Beweisthemas auf die Anhörung einer Partei nach § 141 ZPO übertragbar ist.

Ob ein Rechtshilfeersuchen ausnahmsweise auch dann abgelehnt werden kann, wenn es offensichtlich willkürlich oder rechtsmissbräuchlich ist, kann dahingestellt bleiben. Dafür bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte

Das Amtsgericht war daher zur Erledigung des Rechtshilfeersuchens anzuhalten.

Die Kostentragungspflicht folgt der entsprechenden Kostenregelung in der Hauptsacheentscheidung.

Ende der Entscheidung

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