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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 12.07.2007
Aktenzeichen: 16 U 13/07
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 1004
GG Art. 1
GG Art. 2
GG Art. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Der Verfügungskläger (nachfolgend: Kläger) wendet sich im Wege der einstweiligen Verfügung gegen ein Kapitel in dem von dem Verfügungsbeklagten (nachfolgend: Beklagter) verlegten Taschenbuch "Die ... ", das von A als Begleitbuch zu der Fernsehreihe der Q "Die ..." herausgegeben wurde. Das Buch erschien im Jahr 2003 als Taschenbuchausgabe des ursprünglich 2001 veröffentlichten Hardcover-Buchs mit gleichem Titel, das der Y-Verlag verlegt. Auf S. 250 - 274 dieses Taschenbuchs wird unter namentlicher Nennung des Klägers über den Mordfall D berichtet.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 120 - 122 d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat dem beklagten Verlag mit Beschlussverfügung vom 18. August 2006 strafbewehrt untersagt, das Taschenbuch zu vertreiben, anzubieten oder im Vertrieb vorrätig zu halten, soweit dort über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an D unter vollständiger, identifizierender Namensnennung berichtet wird. Auf den Widerspruch des Beklagten hat es die einstweilige Verfügung durch Urteil vom 12. Dezember 2006 mit der Begründung bestätigt, die beanstandete Berichterstattung verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers.

Die angegriffene Namensnennung in dem Buchartikel des Beklagten sei bereits zum Zeitpunkt des Erscheinens im Jahr 2003 nicht zulässig gewesen. Die Ausstrahlung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit ließe es nicht zu, dass die Kommunikationsmedien sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre befassen. Als maßgeblicher Orientierungspunkt für die nähere Bestimmung der zu ziehenden zeitlichen Grenze sei das Interesse an der Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft zu nennen. Nach der Güterabwägung sei im Einzelfall wegen des seit der Verurteilung verstrichenen Zeitraums trotz der Schwere der Tat die Nennung des Namens eines Straftäters nicht gerechtfertigt, wenn für die Berichterstattung kein aktueller Anlass bestehe. Ein solcher aktueller Anlass habe hier nicht vorgelegen. Entgegen der Auffassung des Beklagten handele es sich nicht um ein andauerndes Strafverfahren von 1991 bis 2005, da zwischen Erkenntnisverfahren und Wiederaufnahmeverfahren zu unterscheiden sei. Zudem sei 2003 das erste Wiederaufnahmeverfahren rechtskräftig abgeschlossen gewesen und das zweite noch nicht anhängig gemacht worden.

Der Pressefreiheit des Beklagten habe bereits im Zeitpunkt der Veröffentlichung das Resozialisierungsinteresse des Klägers entgegengestanden. Einer Identifizierung habe es zur zusammenhängenden Darstellung des Tatgeschehens, der Ermittlungen und der Täters nicht bedurft.

Etwas anderes folge auch nicht aus dem eigenen Verhalten des Klägers gegenüber den Medien. Die namentliche Erwähnung der Kläger auf der homepage des damaligen Verteidigers sei nicht im Rahmen der Mandatsausübung erfolgt. Eine eventuelle konkludente Einverständniserklärung des Klägers habe sich auf die Berichterstattung über konkrete Wiederaufnahmeverfahren beschränkt und Zeitpunkte nach dem relevanten Erschienungsjahr 2003 betroffen.

Dem Beklagten sei auch keine Aufbrauchfrist zu bewilligen. Eine solche komme nur ausnahmsweise in Betracht. Auch sei es drei Jahre nach Erscheinen der Restauflage dem Beklagten zumutbar, die unzulässigen Teile zu schwärzen oder mit einem korrigierten Text zu überkleben.

Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 122 - 126 d. A.) wird verwiesen.

Gegen dieses ihm am 22. Dezember 2006 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem am 18. Januar 2007 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er nach entsprechender Fristverlängerung mit einem am 22. März 2007 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Er weist zunächst darauf hin, dass er sich gegenüber dem Kläger bereits vor Erlass der einstweiligen Verfügung unter Vertragsstrafeversprechen unbedingt verpflichtet habe, keine weiteren Exemplare des Buches "Die ..." auszudrucken und aufzubinden. Da der Kläger in diesem Umfang bereits geschützt sei, habe kein Anspruch auf eine darauf gerichtete einstweilige Verfügung bestanden.

Auch die einstweilige Verfügung im Hinblick auf die Restexemplare sei unbegründet.

Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit sei so lange gegeben, wie Verfahren vor öffentlichen Gerichten geführt würden, die den Mord an D zum Gegenstand hätten. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses des Buches, das 2001 in seiner Hardcoverauflage erschienen sei, sei das erste Wiederaufnahmeverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen. Dementsprechend laute der Schluss des Kapitels "...". Aktueller habe damals nicht berichtet werden können. Der Kläger habe zudem jede Gelegenheit genutzt, die Presse über sein Verfahren informiert zu halten. Soweit sein Strafverteidiger die Öffentlichkeit mit Informationen versorgt habe, sei er dazu von seiner Schweigepflicht entbunden gewesen. Dann müsse sich der Kläger das Verhalten des Strafverteidigers auch zurechnen lassen. Zudem hätte er damit sein Einverständnis mit einer namentlichen Nennung in den Medien erklärt.

Selbst wenn die Namensnennung - wie vom Landgericht angenommen - im Zeitpunkt des Erscheinens des Taschenbuchs 2003 unzulässig gewesen wäre, wären in der Folgezeit durch den weiteren Wiederaufnahmeantrag Rechtfertigungsgründe für die Berichterstattung entstanden.

Schließlich müsse ihm, dem Beklagten, eine Aufbrauchfrist gewährt werden. Im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens sei wegen des drohenden wirtschaftlichen Schadens gegenüber dem offensichtlich geringfügigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des lebenslang einsitzenden Klägers die Ablehnung einer Aufbrauchfrist ermessensfehlerhaft.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. Dezember 2006 (2-03 O 568/06) dahingehend abzuändern, dass die einstweilige Verfügung vom 18. August 2006 aufgehoben und der zugrundeliegende Antrag zurückgewiesen wird.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil. Die Publikation diene allein der Unterhaltung. Sie habe bereits bei ihrem Erscheinen einen so schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dargestellt, dass der Vertrieb von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Die angegriffene Berichterstattung unternähme es nämlich, ihn, den Kläger, anlassunabhängig so in den Zusammenhang der absoluten Person der Zeitgeschichte, des Schauspielers D, zu stellen, dass er tatsächlich lebenslang unter voller Namensnennung legitimer Berichterstattungsgegenstand würde.

Er moniert zudem, dass sich die Publikation gar nicht mit seinen Wiederaufnahmegesuchen beschäftige; Gegenstand sei allein die ursprüngliche Tat. Auch lasse der Beklagte unberücksichtigt, dass Äußerungen eines Straftäters in der Öffentlichkeit, mit der er seine Unschuld beteuere, in der Tendenz resozialisierungsfreundlich seien. Die Rechtewahrung - hier über Wiederaufnahmeanträge - dürfe ihm nicht persönlichkeitsrechtlich zum Nachteil gereichen. Schließlich sei sein Verteidiger nur deshalb an die Öffentlichkeit gegangen, weil zuvor staatliche Organe unter Namensnennung an die Öffentlichkeit getreten seien.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg, da es an einem Verfügungsanspruch fehlt.

Abgesehen davon, dass das Landgericht die von dem Beklagten bereits abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung hinsichtlich der noch nicht aufgebundenen und ausgedruckten Exemplare unberücksichtigt gelassen hat, steht dem Kläger kein Anspruch gegen den beklagten Verlag auf Unterlassung des Vertriebs, des Angebots und des Vorrätighaltens der Restauflage zu.

Entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung war die Namensnennung in dem angegriffenen Buchartikel des Beklagten zum Zeitpunkt ihres Erscheinens zulässig. Das Landgericht hat zwar zutreffend die von dem Bundesverfassungsgericht in seinem Lebach - I - Urteil (BVerfGE 35, 202) aufgestellten Grundsätze dargelegt, ist jedoch zu einer Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und der durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit des Beklagten gekommen, die den Besonderheiten des Einzelfalls nicht gerecht wird.

Grundsätzlich gewährt das Persönlichkeitsrecht auch verurteilten Straftätern Schutz vor einer zeitlich unbeschränkten Berichterstattung durch die Medien. Allerdings vermittelt das allgemeine Persönlichkeitsrecht Straftätern keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden. Eine vollständige Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse gibt es nicht. Entscheidend ist vielmehr stets, in welchem Maße eine Berichterstattung die Persönlichkeitsentfaltung beeinträchtigen kann (BVerfG NJW 2000, 1859). Dabei hat das Bundesverfassungsgericht eine feste Grenze zwischen der grundsätzlich zulässigen aktuellen Berichterstattung und einer unzulässigen späteren Darstellung oder Erörterung nicht allgemein festgelegt. Vielmehr liegt das entscheidende Kriterium darin, ob die betreffende Berichterstattung eine erheblich neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des Täters zu bewirken geeignet ist (BVerfGE 35, 202). In diesem Zusammenhang kommt für die nähere Bestimmung der zeitlichen Grenze das Interesse an der Resozialisierung des Straftäters in Betracht, dessen entscheidendes Stadium mit der Entlassung beginnt (BVerfGE 35, 202). Diesem Kriterium hat das Landgericht in der Abwägung eine zu hohe Bedeutung beigemessen. In den Jahren 2001 bis 2003 stand nämlich eine Entlassung des Klägers und damit eine zeitnah zu erfolgende Vorbereitung auf die Rückkehr in die Gesellschaft nicht im Raum. Allein der zeitliche Ablauf zwischen Verurteilung und Berichterstattung rechtfertigt aber nicht die Annahme, dass das Resozialisierungsinteresse des Betroffenen überwiege. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Veröffentlichung des Buches durch den beklagten Verlag zum damaligen Zeitpunkt eine erheblich neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des Klägers hätte bewirken können. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Mord an D ein besonders spektakuläres, aufsehenerregendes Verbrechen war, das die Nation aufwühlte und im Hinblick auf die Person des Opfers, die Tatumstände, die schwierige Ermittlungsarbeit und das sich lang hinziehende Strafverfahren im Fokus der Öffentlichkeit stand. Auch nach der Verurteilung des Klägers im Jahr 1993 wurde in der Presse weiter über den Mordfall unter namentlicher Nennung des Klägers berichtet, insbesondere im Rahmen der ab November 1999 von dem Kläger und seinem Bruder gestellten Wiederaufnahmeanträge. Zwar ist zutreffend, dass niemand den Schutz seiner Privatsphäre dadurch verliert, dass über ihn - gegebenenfalls unzulässigerweise - berichtet wurde und er nichts dagegen unternommen hat. Allerdings hat der Kläger die Medienberichterstattung unter voller Namensnennung durch eigenes Zutun gewünscht und gefördert. Das ergibt sich insbesondere aus den Schreiben des Klägers vom 31. August 2004 und 23. November 2004 an die Chefredaktion der X Zeitung und aus der Presseerklärung seines Verteidigers, RA1, vom 15. April 2005. Zwar liegen sie zeitlich nach Erscheinen des streitgegenständlichen Buches; sie lassen aber in Verbindung mit den weiteren von dem Beklagten vorgelegten Presseartikeln den Rückschluss auf das wirkliche Interesse des Klägers zu, das stets dahin ging, die Öffentlichkeit von seiner Unschuld zu überzeugen und sich in einem günstigen Licht darzustellen, um ein mögliches Wiederaufnahmeverfahren positiv zu beeinflussen. Soweit der Kläger behauptet, sein Verteidiger habe sich nur deshalb an die Presse gewandt, weil dies zuvor die staatlichen Organe getan hätten, vermag der Senat dies den vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen. Zudem überzeugt die Argumentation des Landgerichts nicht, wonach sich eine mögliche konkludente Einwilligung des Klägers mit einer namentlich identifizierenden Berichterstattung lediglich auf das Wiederaufnahmeverfahren bezogen habe. Zum einen ist eine Unterscheidung zwischen einer Berichterstattung über den Wiederaufnahmeantrag und über die Tat als solche nicht ohne weiteres möglich, da es im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens bzw. eines vorangehenden Antrags gerade um die Tat und die Frage geht, ob der Betroffene zu Unrecht verurteilt wurde. Zum anderen darf zwar niemand dadurch Nachteile erleiden, dass er Rechtsmittel geltend macht. Wer sich damit aber namentlich an die Öffentlichkeit wendet, muss es hinnehmen, wenn die Öffentlichkeit - ebenfalls unter Namensnennung - die Tat beleuchtet, auch wenn der Fokus nicht auf dem Wiederaufnahmeantrag gelegt wird. Andernfalls hätte es der Kläger in der Hand zu entscheiden und zu bestimmen, was über ihn berichtet wird. Dies würde zu einer einseitigen Berichterstattung und einer nicht hinnehmbaren Einschränkung der Pressefreiheit sowie Instrumentalisierung der Presse führen.

Dem Kläger ist zuzugestehen, dass es sich bei dem Artikel um eine umfangreiche Abhandlung über das Opfer, die Täter und die Hintergründe der Tat handelt. Allerdings ist der Wirkungskreis einer Buchveröffentlichung weniger umfassend als eine Berichterstattung in der Tagespresse oder im Fernsehen. Vor dem Hintergrund der kurz vor dem Veröffentlichungszeitraum und auch nachfolgend nach wie vor aktuellen, vom Kläger selbst unterstützten Berichterstattung über die Wiederaufnahmeanträge und des Umstandes, dass es sich um einen der spektakulärsten Kriminalfälle des letzten Jahrhunderts in Deutschland handelt, war die namentliche Nennung des Klägers in der angegriffenen Publikation letztlich nicht zu beanstanden.

Ein Unterlassungsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass noch eine restliche Auflage des Buches zum Verkauf ansteht und das Haftende des Klägers näher rückt. Eine im Zeitpunkt der Veröffentlichung zulässige Berichterstattung bleibt auch dann zulässig, wenn sich die Umstände ändern. Insoweit ist es einem Verlag auch nicht zuzumuten, jeweils erneut abzuwägen, ob einem zunächst zulässigen Vertrieb zu einem späteren Zeitpunkt Persönlichkeitsrechte Betroffener entgegenstehen könnten. Dies widerspräche auch dem Schutz wirtschaftlicher Entscheidungen, die im berechtigten Vertrauen auf ihre Rechtmäßigkeit getroffen wurden. Im Übrigren dürfte der restlichen Auflage von etwa 2000 Exemplaren, die nach Auskunft des Beklagten nicht weiter beworben werden, keine Marktbedeutung zukommen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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