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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 21.12.2000
Aktenzeichen: 16 U 219/99
Rechtsgebiete: StGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

StGB § 266a
StGB § 266a Abs. 1
StGB § 14 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 284 Abs. 2
BGB § 823 Abs. 2
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
Zur Pflicht des Geschäftsführers einer GmbH, die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen auch im Falle eigener krankheitsbedingter Verhinderung sicherzustellen.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 U 219/99

2/27 O 7/99 LG Frankfurt am Main

Verkündet am 21.12.2000

In dem Rechtsstreit ...

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. November 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 27. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. Oktober 1999 ­ 2-27 O 7/99 ­ abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 13.765,84 nebst 4% Zinsen aus DM 6.764,82 seit dem 16. Juni 1995 und aus DM 7.001,02 seit dem 16. August 1995 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen, die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 37% und der Beklagte 63%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer:

a) für die Klägerin: DM 8.096,71;

b) für den Beklagten: DM 13.765,84.

Entscheidungsgründe

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

I. Die zulässige Berufung ist nur zum Teil begründet.

Die Klägerin kann von dem Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266a StGB Schadensersatz wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge für die Monate Mai und Juni 1995 in Höhe des ausgeurteilten Betrages verlangen.

1. Nach § 266a Abs. 1 StGB macht sich der Arbeitgeber strafbar, wenn er Sozialversicherungsbeiträge seiner Arbeitnehmer nicht an die Sozialversicherung abführt. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB trifft die Strafbarkeit auch den Geschäftsführer einer GmbH als deren vertretungsberechtigtes Organ (BGH ­ 15.10.1996 ­ NJW 1997, 130 [131] = MDR 1997, 151; OLG Düsseldorf ­ 6.11.1992 ­ NJW-RR 1993, 1128).

Unstreitig hat der Beklagte als Geschäftsführer der N. Sch. GmbH die Beitragsanteile der Arbeitnehmer der GmbH aus deren Vergütungen für die Monate Mai bis Juli 1995 nicht an die Klägerin abgeführt.

2. Für die Monate Mai und Juni 1995 hat der Beklagte auch schuldhaft seine Rechtspflicht, die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer der GmbH an die Klägerin abzuführen, verletzt. Für den Monat August 1995 ist nicht nachgewiesen, dass der Beklagte eine solche Rechtspflicht mindestens bedingt vorsätzlich verletzt hat.

Die Zahlung der Beiträge ist nach der Satzung der Klägerin spätestens am 15. des Folgemonats, also des Monats, der dem Monat, für den die Beiträge zu entrichten sind, folgt, fällig. Das bedeutet, dass im vorliegenden Fall die Beiträge für ­ Mai 1995 am 15. Juni 1995, ­ Juni 1995 am 15. Juli 1995, ­ Juli 1995 am 15. August 1995 fällig waren.

2.1. In die Zeit der behaupteten arbeitsunfähigen Erkrankung des Beklagten fielen jedoch lediglich die Fälligkeitszeitpunkte vom 15. Juli und 15. August 1995, nicht jedoch derjenige vom 15. Juni 1995 für die Beitragszahlung des Monats Mai 1995. Damit ist die Verantwortlichkeit des Beklagten für die Zahlung der zu diesem Zeitpunkt fällig gewordenen Beiträge selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn sein Vorbringen über die (erst) am 6. Juli 1995 erlittene Herzattacke und den anschließenden Krankenhausaufenthalt zutreffen sollte.

Für die Zeit vor seiner Einlieferung in ein Krankenhaus hat der Beklagte nur allgemein vorgetragen, unter Gesundheitsstörungen" gelitten zu haben, die sich in schweren Ermüdungserscheinungen, Wahrnehmungsstörungen und Bewusstseinstrübungen" geäußert haben sollen. Das reicht nicht, um eine arbeitsunfähige Erkrankung des Beklagten annehmen zu können, die zu einem Ruhen seiner dienstvertraglichen Pflichten hätte führen können (Palandt/Heinrichs, BGB, § 275 RN 14, 17, 24; Schönke/Schröder, StGB, § 266a RN 10).

Der Umstand, dass der Allein- bzw. Mehrheitsgesellschafter Dr. K. in dieser Zeit alle Zahlungen dirigiert" habe und über die Bankkonten nur mit dessen Zustimmung habe verfügt werden können, reicht ebenfalls nicht aus, um den Beklagten von seinen gesetzlichen Pflichten und damit seiner Verantwortlichkeit für eine Nichtzahlung zu befreien. Das gleiche gilt für den Umstand, dass die Berechnung und Auszahlung der Löhne und Gehälter für die Mitarbeiter der GmbH durch das externe Verwaltungsund Beratungsbüro J. K. & R. W. erfolgt sein soll (vgl. BGH ­15.10.1996 ­ NJW 1997, 130 [132] = MDR 1997, 151). Hierüber bedarf es deshalb keiner Beweisaufnahme.

Der für § 266a Abs. 1 StGB ausreichende bedingte Vorsatz liegt vor. Seine Voraussetzungen sind auch dann erfüllt, wenn der Geschäftsführer trotz Vorstellung von der Möglichkeit der Beitragsvorenthaltung diese billigt und nicht auf Erfüllung der Ansprüche des Sozialversicherungsträgers auf Abführung der Arbeitnehmeranteile hingewirkt hat (BGH ­ 21.1.1997 ­ a.a.O. [1239]). Nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten hat er sich als Geschäftsführer der GmbH um die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer zumindest ab Mai 1995, wenn nicht schon vorher, überhaupt nicht gekümmert. Er hat weder sichergestellt, dass genügend liquide Mittel bereit stehen, noch die fristgerechte Zahlung bzw. Überweisung veranlasst; er hat sich vielmehr damit begnügt, darauf zu hoffen, dass andere das schon erledigen werden. Dem Beklagten war somit die allein ihm obliegende gesetzliche Abführungspflicht völlig gleichgültig. Das rechtfertigt die Annahme bedingten Vorsatzes.

2.2. Am 15. Juli 1995, dem Fälligkeitszeitpunkt der Beiträge für den Monat Juni, befand sich der Beklagte nach seinem Vortrag zwar bereits im Krankenhaus. Dies befreite ihn jedoch nicht von der Verpflichtung, für den kurz bevorstehenden Fälligkeitstermin Vorsorge zu treffen, um sicherzustellen, dass zu diesem Termin liquide Mittel bereit stehen und von einer verantwortlichen Person an die Klägerin abgeführt werden können; insoweit verlagerte sich die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals des § 266a Abs. 1 StGB (in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB) gleichsam auf einen Zeitpunkt vor dem Fälligkeitstermin (BGH ­ 21.1.1997 ­ NJW 1997, 1237).

Zu einer solchen Vorsorge war der Beklagte ungeachtet der natürlich nicht vorauszusehenden Herzattacke schon deshalb umso mehr verpflichtet, weil die GmbH wegen der Nichtzahlung der Mai-Beiträge zum 15. Juni 1995 von der Klägerin nachweislich eine Zahlungserinnerung erhalten hatte.

Dies steht aufgrund der Vernehmung des Zeugen G. fest und ist auch von dem Beklagten nicht ernsthaft bestritten worden. Der Zeuge hat glaubhaft bekundet, dass die zentrale EDV-Anlage der Klägerin bereits am nächsten Tag nach Fristablauf ­ mit Ausnahme von Wochenenden und Feiertagen ­ eine Zahlungserinnerung erstellt. So sei dies auch im vorliegenden Fall geschehen; die Zahlungserinnerung sei etwa am 20. Juni 1995 versandt worden. Jedenfalls seien am 26. Juni 1995 Säumniszuschläge, die zusammen mit der Zahlungserinnerung berechnet werden, verbucht worden.

Damit war dem Beklagten noch vor Ende Juni 1995 die Nichtzahlung der Beiträge für Mai 1995 bekannt. Dann aber hätte er bis zu seiner Herzattacke, die er erst am 6. Juli 1995 erlitten haben will, ausreichend Zeit gehabt, nicht nur die Gründe für die Nichtzahlung zu erforschen (und die Nachzahlung zu veranlassen), sondern vor allem auch dafür Sorge zu tragen, dass wenigstens die fristgerechte Zahlung der Beiträge für Juni 1995 gewährleistet ist. Dass er überhaupt irgendetwas in dieser Hinsicht veranlasst habe, behauptet der Beklagte selber nicht.

Das rechtfertigt auch hier die Annahme bedingten Vorsatzes.

2.3. Demgegenüber ist hinsichtlich der erst am 15. August 1995 fällig gewordenen Sozialversicherungsbeiträge für den Monat Juli eine mindestens bedingt vorsätzliche Verletzung der gesetzlichen Abführungspflicht nicht ausreichend nachgewiesen.

a) Nach dem Vortrag des Beklagten will er am 6. Juli 1995 wegen einer Herzattacke zur Notaufnahme in ein Krankenhaus gekommen sein, wo er am 8. Juli 1995 einen Herzinfarkt erlitten haben will. Nach zwei Bypass-Operationen sei er dann erst am 8. September 1995 aus dem Krankenhaus entlassen worden.

Dieses Vorbringen ist geeignet, die gesetzliche Pflicht des Beklagten als Geschäftsführers der GmbH, für die fristgerechte Abführung der Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer zu sorgen, wegen Unmöglichkeit auszuschließen; denn bei dienstunfähiger Erkrankung ist einem Geschäftsführer die Erfüllung seiner Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge aus tatsächlichen Gründen unmöglich (Schönke/Schröder, StGB, § 266a RN 10; vgl. Tröndle/Fischer, StGB, § 266a RN 12).

Eine solche Unmöglichkeit normgemäßen Handelns lässt bei Unterlassungsdelikten bereits die Tatbestandsmäßigkeit entfallen. Dementsprechend ist auch bei § 266a StGB die tatsächliche Möglichkeit zur Erfüllung der dem Arbeitgeber (Geschäftsfüh- rer) obliegenden Pflicht tatbestandliche Voraussetzung des Vorenthaltens (BGH ­ 15.10.1996 ­ a.a.O. [132]).

b) Soweit die Klägerin den Umfang der behaupteten Erkrankung und die sich daraus ergebende mögliche Arbeitsunfähigkeit des Beklagten schlicht mit Nichtwissen bestritten hat, genügt dies nicht, den objektiven Tatbestand der dem Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzung als gegeben anzunehmen oder den nur von ihm angebotenen Beweis zu erheben.

Es ist allgemein anerkannt, dass die Schutzgesetzverletzung selbst. d.h. die objektive Pflichtwidrigkeit des in Anspruch genommenen vermeintlichen Schädigers, festgestellt sein muss. Jegliche Zweifel hieran gehen also zulasten des Geschädigten. Es besteht kein rechtfertigender Grund, von dem Grundsatz abzuweichen, wonach der Verletzte den Verstoß des vermeintlichen Schädigers gegen die diesem durch ein Schutzgesetz auferlegte Verhaltenspflicht nachzuweisen habe. Jede Verlagerung der Beweislast im Bereich deliktischer Haftung bedeutet nämlich eine Hinwendung zu einer reinen Erfolgshaftung. Sie bedarf daher einer besonderen Legitimation. Die Feststellung einer objektiven Pflichtverletzung kann danach allenfalls in solchen Fällen den vermeintlichen Schädiger treffen, in denen eine ihm auferlegte Verhaltenspflicht schlechthin erfolgsbezogen gedacht ist. Das ist im Bereich deliktischer Haftung grundsätzlich nicht der Fall (BGH ­ 13.12.1984 ­ MDR 1985, 916).

Die Klägerin ist dem substanziierten Vortrag des Beklagten über seine Erkrankung und die Stationen seines dadurch bedingten Krankenhausaufenthalts nicht mit einem konkreten Gegenvortrag entgegengetreten, der Anlass dazu geboten hätte, Zweifel an der Darstellung des Beklagten zu erwecken. Dass die Klägerin außerhalb des Geschehens steht, ist kein Grund, entgegen dem vorgenannten Grundsatz die Darlegungs- und Beweislast für den objektiven Tatbestand im Bereich deliktischer Haftung umzukehren.

c) Eine Unmöglichkeit normgemäßen Handelns aufgrund arbeitsunfähiger Erkrankung war hier in Bezug auf die am 15. August 1995 fällige Beitragsabführungspflicht auch nicht vorhersehbar, sodass dem Beklagten nicht wenigstens vorgeworfen werden kann, insoweit keine Vorsorge getroffen zu haben. Anfang Juli 1995, also in der Zeit vor seiner Erkrankung (siehe vorstehend zu 2.2.), brauchte er sich um die erst am 15. August 1995, also für den übernächsten Termin, fällig werdende Beitragszahlung noch nicht zu sorgen (vgl. BGH ­ 21.1.1997 ­ a.a.O.).

Damit entfällt eine Haftung des Beklagten für die am 15. August 1995 fällig gewesenen Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer der GmbH.

3. Die Verzinsungspflicht hinsichtlich der jeweils fälligen Beiträge wegen Verzuges ergibt sich aus § 284 Abs. 2 BGB.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Sie berücksichtigt das beiderseitige Obsiegen und Unterliegen der Parteien in den beiden Rechtszügen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Vollstreckungsschutz ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Beschwer war nach § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festzusetzen.

Für eine Zulassung der Revision (vgl. § 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO) bestand kein Anlass.

Ende der Entscheidung

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