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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 26.10.2000
Aktenzeichen: 16 U 229/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 138 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 850c
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
Ein Gläubiger ist nur dann vorübergehend nach Treu und Glauben gehindert, einen finanziell nicht leistungsfähigen (Ehegatten-)Bürgen in Anspruch zu nehmen (mit der Folge, dass seine Klage nur als "zur Zeit unbegründet" abgewiesen werden kann), wenn eine konkrete Erwartung auf künftigen Vermögenserwerb besteht. Allein die Aussicht, zukünftig mehr als nur teilweise wieder erwerbstätig werden zu können, genügt dafür nicht.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 U 229/99

2/27 O 54/99 LG Frankfurt am Main

Verkündet am 26.10.2000

In dem Rechtsstreit ... hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. September 200

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 27. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29. September 1999 ­ 2-27 O 54/99 ­ wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer: DM 23.582,60. Entscheidungsgründe

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

I. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil hält einer Überprüfung stand.

1. Eine Bürgschaft ist ­ von anderen, hier nicht einschlägigen Fällen abgesehen ­ grundsätzlich dann nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn sich der Bürgschaftsvertrag bei vernünftiger Betrachtungsweise als wirtschaftlich sinnlos erweist, weil aus der Sicht des Gläubigers kein berechtigtes Interesse an einer Haftung dieses Umfangs besteht. Ist das dem (Ehegatten-)Bürgen zur Verfügung stehende Einkommen und Vermögen voraussichtlich so gering, dass man es bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtungsweise vernachlässigen kann, so bildet die Bürgschaft kein taugliches, im Hinblick auf die für den Bürgen mit der Haftung verbundenen Belastungen vertretbares Sicherungsmittel (BGH ­ 25.4.1996 ­ NJW 1996, 2088 [2089]; ders. ­ 23.1.1997 ­ NJW 1997, 1003; ders. ­ 8.10.1998 ­ NJW 1999, 58 [60]; ders. ­ 25.11.1999 ­ NJW 2000, 362 [363] = MDR 2000, 284). Dem Bürgen eine Verbindlichkeit aufzuerlegen, die er aller Voraussicht nach niemals erfüllen kann, ist mit der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar (BGH ­ 25.4.1996 ­ a.a.O. [2090]). Dabei spielt eigenes Einkommen des Bürgen nur dann eine Rolle, wenn es die gemäß § 850c ZPO geltenden Pfändungsfreigrenzen in nennenswertem Umfang übersteigt (BGH ­ 25.4.1996 ­ a.a.O. [2091]). Ein grobes Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen liegt in der Regel auch dann vor, wenn seine pfändbaren Einkünfte voraussichtlich nicht ausreichen werden, in fünf Jahren ein Viertel der Hauptsumme abzudecken (BGH ­ 18.9.1997 ­ NJW 1997, 3372 [3373]).

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn mit der Einbeziehung des Bürgen in die Haftung den Gefahren vorgebeugt werden soll, die sich für die Durchsetzung der Ansprüche ergeben, wenn die Ehegatten Vermögen auf den anderen, nicht schuldenden Ehepartner übertragen oder dafür sorgen, dass neuer Erwerb nur in dessen Person entsteht. Ist der Bürge nicht leistungsfähig und kann aufgrund der bei Vertrags- schluss erkennbaren Tatsachen auch nicht erwartet werden, dass er in absehbarer Zeit mit eigenem Einkommen oder Vermögen zur Tilgung der Kreditforderung beizutragen vermag, dann bildet das Interesse des Gläubigers, sich vor Nachteilen durch Vermögensverlagerung zu sichern, die wesentliche Grundlage für den erkennbar gewordenen Geschäftswillen der Parteien (BGH ­ 25.4.1996 ­ a.a.O. [2089, 2090]; ders. ­ 23.1.1997 ­ a.a.O. [1003, 1004]).

Sobald jedoch die Wirtschaftsgemeinschaft der Partner wegfällt, begründet die durch keine konkreten Umstände zu belegende Hoffnung, der Bürge werde in Zukunft einmal Vermögen erlangen, kein berechtigtes Interesse der Bank mehr am unveränderten Fortbestand einer solchen Bürgschaft. Die Bank ist deshalb nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert, den Ehegatten, der eine seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weit übersteigende Bürgschaftsverpflichtung eingegangen ist, in Anspruch zu nehmen (BGH ­ 25.4.1996 ­ a.a.O. [2090, 2091]; ders. ­ 23.1.1997 ­ a.a.O. [1004]).

Besteht allerdings eine konkrete Erwartung auf künftigen Vermögenserwerb, dann ist der Gläubiger dennoch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) so lange gehindert, den finanziell nicht leistungsfähigen Bürgen aus seiner Verpflichtung in Anspruch zu nehmen, wie in dessen Person noch kein Vermögen entstanden ist (BGH ­ 23.1.1997 ­ a.a.O. [1004]; ders. ­ 8.10.1998 ­ a.a.O. [58, 59], ders. ­ 25.11.1999 ­ a.a.O.). In diesem Falle ist die Klage gegebenenfalls mangels Fälligkeit der Bürgschaftsforderung als zur Zeit unbegründet" abzuweisen.

2. Diese Voraussetzungen für eine gegenwärtige oder zukünftige Inanspruchnahme des Bürgen sind in der Person der Beklagten nicht erfüllt.

2.1. Die Beklagte hat bei Übernahme ihrer Bürgschaftverpflichtung am 23. Oktober 1995 ihr Nettoeinkommen mit DM 1.200,­ angegeben. In erster Instanz hat sie u.a. für 1995 Lohnbescheinigungen vorgelegt, die für dieses Jahr ein Gesamtnettoeinkommen von DM 14.199,60 ausweisen. Das ergibt ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von DM 1.183,30. Damit lag die Beklagte sogar noch unterhalb der Pfändungsfreigrenze der Tabelle zu § 850c ZPO von DM 1.220,­, war also erkennbar leistungsunfähig. Dass bei Übernahme der Bürgschaft mit einer nennenswerten Einkommenssteigerung konkret zu rechnen gewesen sei, hat die Klägerin nicht behauptet.

Soweit es für die Beurteilung, ob der Bürge voraussichtlich in nennenswertem Umfang Zahlungen zu leisten vermag, in erster Linie auf seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei Fälligkeit der Bürgschaftsforderung ankommen soll (BGH ­ 25.4.1996 ­ a.a.O. [2090]), sehen die Einkommensverhältnisse noch ungünstiger aus. Nach einer Bescheinigung ihres jetzigen Arbeitgebers befand sich die Beklagte 1999, als die Bürgschaft fällig gestellt wurde, in Erziehungsurlaub.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte in längerfristiger überschaubarer Zeit Vermögen oder Einkünfte in einer Höhe erwerben werde, die es ihr ermöglichen, erhebliche Teile der Bürgschaftsforderung abzutragen, sind nicht ersichtlich. Selbst wenn die Beklagte mit zunehmendem Alter ihres Kindes in der Lage wäre, mehr als nur teilweise wieder zu arbeiten und dadurch Einkünfte zu erzielen, die den Pfändungsfreibetrag deutlich übersteigen, kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sich die Bürgschaftsforderung bis dahin durch die mittlerweile aufgelaufenen Zinsen ­ mit Zahlungen des Hauptschuldners ist offensichtlich ebensowenig zu rechnen ­ annähernd verdoppelt haben dürfte. Damit dürfte die Beklagte kaum imstande sein, die Bürgschaftsforderung jemals nennenswert zurückzuführen.

Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Bürgen kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nur auf seine eigenen Vermögensverhältnisse an; die Vermögensverhältnisse des Hauptschuldners haben außer Betracht zu bleiben (BGH ­ 27.1.2000 ­ NJW 2000, 1182 [1183]).

2.2. Soweit bei der Frage der Unwirksamkeit einer Ehegatten-Bürgschaft auch der Umstand eines Eigeninteresses an der Begründung der Hauptschuld berücksichtigt werden kann, kommt es nur auf eigene geldwerte Vorteile an; lediglich mittelbare Vorteile haben außer Betracht zu bleiben. Der bloße Umstand, dass der bürgende Ehegatte einen mit den Mitteln der Hauptschuld erworbenen Gegenstand mit be- nutzt, genügt deshalb nicht für die Annahme eines Eigeninteresses (BGH ­ 27.1.2000 ­ a.a.O. [1184]).

Deshalb spielt es hier keine Rolle, dass die Beklagte mit dem Pkw ihres Ehemannes, der mit dem durch die Bürgschaft abgesicherten Kredit erworben und regelmäßig für dessen Fahrten zur Arbeit benutzt wurde, gelegentlich als Beifahrerin mitgefahren ist. Sie selber konnte das Fahrzeug mangels einer Fahrerlaubnis zu keiner Zeit allein benutzen.

2.3. Die somit eintretende Unwirksamkeit der Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten hätte nur verhindert werden können, wenn ein berechtigtes Interesse der Klägerin bestanden hätte, sich durch die Bürgschaft vor Vermögensverlagerungen des Hauptschuldners auf die Beklagte abzusichern. Auf diese Möglichkeit kann sich die Klägerin jedoch aus zwei Gründen nicht berufen:

a) Zum einen hat sie selber ausdrücklich vorgetragen, dass die Gefahr von Vermögensverschiebungen zwischen den Eheleuten im vorliegenden Falle keine Geschäftsgrundlage gewesen sei. Damit entfiel von vornherein ein berechtigtes Interesse an der Bürgschaft der leistungsunfähigen Beklagten.

b) Zum anderen ist die Ehe der Beklagten mit dem Hauptschuldner inzwischen geschieden und die Beklagte anderweitig neu verheiratet. Damit entfällt die Gefahr von Vermögensverschiebungen von dem Hauptschuldner auf die Beklagte.

Damit verbleibt es bei der Unwirksamkeit der verfahrensgegenständlichen Bürgschaft.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Vollstreckungsschutz ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Beschwer war nach § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festzusetzen. Für eine Zulassung der Revision (vgl. § 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO) bestand kein Anlass.



Ende der Entscheidung

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