Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 03.07.2003
Aktenzeichen: 16 U 40/03
Rechtsgebiete: HPresseG


Vorschriften:

HPresseG § 10
Zu den formalen Voraussetzungen einer Gegendarstellung nach § 10HPresseG (hier: eigenhändige Unterzeichnung durch den Betroffenen).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 U 40/03

Verkündet am 3. Juli 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Juni 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. Januar 2003 - 2-03 O 640/02 - wird zurückgewiesen.

Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Entscheidungsgründe:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.

I. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil hält jedenfalls im Ergebnis einer Überprüfung stand.

Das Gegendarstellungsverlangen der Verfügungsklägerin (kurz: Klägerin) ist sowohl in Bezug auf ihren Hauptantrag als auch in Bezug auf ihre verschiedenen Hilfsanträge (II bis VI) nicht begründet.

1. Den Hilfsanträgen (jetzt:) IV und VI liegen bereits keine wirksamen Gegendarstellungsverlangen zugrunde; denn sie sind in unzulässiger Weise von einer dazu nicht berechtigten Person unterzeichnet, wie schon das Landgericht zu Recht festgestellt hat.

1.1. Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 HPresseG muss die Gegendarstellung von dem Betroffenen unterzeichnet sein.

Diese Unterzeichnung muss im Hinblick auf den höchstpersönlichen Charakter der Gegendarstellungserklärung von dem Betroffenen eigenhändig handschriftlich vollzogen werden. Sinn dieses Erfordernisses ist es, dem Presseunternehmen die Möglichkeit zu geben, sich durch Prüfung der Unterschrift vor dem Abdruck davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich von dem Betroffenen herrührt (Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 25. Kap. RN 18).

Dieses Erfordernis der Unterzeichnung durch den Betroffenen steht einer Unterzeichnung durch einen bevollmächtigten Vertreter entgegen (so ausdrücklich für Hessen: Löffler/Ricker a.a.O. RN 19). Etwas anderes gilt nur für den gesetzlichen Vertreter; denn eine juristische oder sonst geschäftsunfähige Person kann nur durch ihren gesetzlichen Vertreter handeln (Löffler/Ricker a.a.O. RN 19).

1.2. Soweit deshalb die verlangten Gegendarstellungen IV und VI lediglich von einem Prokuristen der Klägerin, zugleich in Vollmacht eines weiteren Prokuristen, unterzeichnet sind, genügen sie den Anforderungen an eine Unterzeichnung durch den Betroffenen nicht.

Dass das Gegendarstellungsrecht insbesondere den Schutz eines Betroffenen vor Eingriffen in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und sein Selbstbestimmungsrecht bezweckt, um ihm zu ermöglichen, der Gefahr unvollständiger, missverständlicher und entstellender Berichterstattung für die Meinungsbildung der Öffentlichkeit zu begegnen, indem er die bis dahin nur einseitig informierte Leserschaft mit einer eigenen Darstellung zu erreichen sucht (Löffler/Ricker a.a.O., Kap. 23 RN 3, 4), ist unbestritten, führt jedoch nicht weiter.

Wenn die Klägerin meint, Prokuristen seien keine "unternehmensfremde dritte" Personen, für das Unternehmen vielmehr per se und kraft Amtes umfassend handlungsfähig und deshalb könnten sie auch Gegendarstellungserklärungen unterschreiben, teilt der Senat diese Auffassung in Übereinstimmung mit dem Landgericht nicht. Auch Prokuristen sind "Bevollmächtigte" im Sinne der §§ 164 ff BGB (Lieb/Krebs in MünchKomm-HGB, § 49 RN 12; Staub/Joost, HGB, § 49 RN 2) und eben nicht Vertretungs"organ". Trotz des weitgehend unbeschränkten Umfanges ihrer Bevollmächtigung gilt diese nicht für eigenhändige gesetzliche Pflichten des Inhabers oder Vertretungsorgans, die eine persönliche Verantwortlichkeit und deshalb ein unmittelbares Handeln dieser Personen verlangen (Lieb/Krebs a.a.O. RN 9). Aus diesem Grunde lässt auch Höchstpersönlichkeit eine Stellvertretung nicht zu (Lieb/Krebs a.a.O. RN 51).

2. Die erstmals im Berufungsverfahren eingeführten Hilfsanträge zu (jetzt:) II, III und V sind zulässig.

Zwar handelt es sich insoweit um eine Klageänderung; denn jede neue Gegendarstellung bildet einen neuen Streitgegenstand (OLG Hamburg-12.3.1981 - AfP 1981, 408 [409]). Diese Klageänderung im Berufungsverfahren ist jedoch nach § 533 Nr. 1 und 2 ZPO zulässig; denn die neuen Gegendarstellungen befassen sich nur mit Teilen des ursprünglichen Gegendarstellungsverlangens und damit umfassenderen Streitgegenstandes. Dass sie teilweise Abweichungen im Wortlaut enthalten, ändert daran nichts.

3. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 HPresseG kann der Abdruck einer Gegendarstellung verlangt werden, wenn jemand durch eine in einem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist.

Die Klägerin hat aus der zugrunde liegenden Erstveröffentlichung der Beklagten 13 Einzelaussagen herausgegriffen und sie zum Gegenstand ihres ersten Gegendarstellungsverlangens gemacht. Gegenstand ihrer weiteren jeweils hilfsweise geltend gemachten reduzierten Gegendarstellungen sind wiederum teils identische, teils im Wortlaut leicht abgewandelte einzelne Aussagen hiervon (10 in Antrag II, 5 in Antrag III), in Antrag V nur noch eine einzige Einzelaussage.

Bei dieser, die somit Gegenstand aller verlangten Gegendarstellungen ist (Nr. 9 des Antrags I = Nr. 6 des Antrags II = Nr. 3 des Antrags III = Antrag V), handelt es sich jedoch nicht um eine Tatsachenbehauptung.

3.1. Tatsachenbehauptung ist nur, was einer objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Gesichertes grundsätzlich dem Beweis offen steht (BGH- 13.10.1964-NJW 1965, 36 [37]; ders. - 22.6.1982 - NJW 1982, 2246). Doch reicht es für eine Tatsachenmitteilung aus, wenn in Gestalt eines Werturteils bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten Vorgängen hervorgerufen wird, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind (BGH - 22.6.1982-NJW 1982, 2248 [2249]).

Tatsachenbehauptungen können auch im Gesamtzusammenhang "offen" aufgestellter Einzelaussagen "versteckt" bzw. "zwischen den Zeilen" stehen (sog. verdeckte Aussagen). Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Mitteilung einzelner Fakten, aus denen der Leser eigene Schlüsse ziehen kann (und soll), und der erst eigentlich "verdeckten" Aussage des Autors, mit der dieser durch das Zusammenspiel der offenen Äußerungen eine zusätzliche Sachaussage macht bzw. sie dem Leser als unabweislich Schlussfolgerung nahe legt. Nur im zweiten Fall kann die "verdeckte" Aussage einer "offenen" Tatsachenbehauptung gleichgestellt werden (BGH -28.6.1994 - AfP 1994, 295 [297]).

Ist eine Äußerung demgegenüber durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt, handelt es sich um eine Meinungsäußerung (BVerfG - 22.6.1982 - AfP 1982, 215 [216]; BGH - 16.6.1998 - AfP 1998, 506 [507]), die nicht gegendarstellungsfähig ist.

3.2. Diesen Anforderungen an eine Tatsachenbehauptung genügt die genannte Einzelaussage nicht.

a) Die zugrunde liegende Äußerung lautet in der Erstveröffentlichung im Zusammenhang vollständig:

Die Lüge und ihre Revokation sind im System schon eingebaut. Das hat Baron schon vor wenigen Wochen mit Gerhard Schröder so gemacht. Ohne Quelle oder auch nur Plausibilität erfand er einen Anruf Schröders beim Bundesverfassungsgericht.

Die Klägerin zitiert dabei in ihrer ersten (Haupt-)Gegendarstellung nur die ersten beiden Sätze, in den weiteren Gegendarstellungen sogar nur noch den ersten Satz und will dem dadurch erweckten Eindruck entgegentreten, der Chefredakteur der >....< verbreite systematisch Lügen bzw. lasse systematisch vorsätzlich falsch berichten.

b) Diese Darstellung der Klägerin führt jedoch zu einer falschen Betrachtungsweise.

Bei jeder rechtlichen Prüfung einer Äußerung dahingehend, ob sie eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung enthält, ist auch das redaktionelle Umfeld und der Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen, in der die Äußerung gefallen ist, soweit er für die Adressaten wahrnehmbar war. Die Äußerung darf deshalb nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BVerfG- 10.10.1995 - NJW 1995, 3303 [3305]; BGH-25.3.1997-NJW 1997, 2513; ders. -7.12.1999 - NJW 2000, 1036 [1038]).

Hiergegen hat die Klägerin verstoßen.

Sie hat nämlich schon in ihrer ersten (Haupt-)Gegendarstellung an dieser Stelle die eigentliche Tatsachenbehauptung, die als Beleg für die vorausgehende Äußerung dienen soll, gerade unerwähnt gelassen. Das stellt eine unzulässige Verkürzung der Äußerung der Verfügungsbeklagten (kurz: Beklagten) dar. Denn durch die Erwähnung der dort im (hier weggelassenen) dritten Satz genannten Tatsache - gegen die die Klägerin im Übrigen gesondert vorgeht - ergibt sich für den unvoreingenommenen verständigen Durchschnittsleser, auf den abzustellen ist (BVerfG- 15.1.1999-AfP 1999, 159 [161]; BGH - 16.6.1998-AfP 1998, 506 [507]; KG- 13.4.1999-AfP 1999, 369 [370]), dass die Äußerung im ersten Satz als Schlussfolgerung und Bewertung der anschließend aufgeführten Tatsache und damit als Meinungsäußerung aufzufassen ist.

Das gilt erst recht für die weiteren hilfsweise verlangten Gegendarstellungen, in denen die Klägerin auch noch den zweiten Satz weggelassen hat; denn dann fehlt jegliche Grundlage für die - bewertende - Äußerung der Beklagten. Der verbleibende Satz stellt auf diese Weise nur noch eine völlig substanzlose Äußerung dar. Eine sich als Schlussfolgerung aus einer bestimmten genannten Tatsache darstellende Bewertung wird aber nicht dadurch zu einer eigenständigen Tatsachenbehauptung, dass die Belegtatsache einfach weggelassen wird.

Das gilt auch, soweit die Klägerin versucht, ihre Gegendarstellungsverlangen zu diesem Punkt damit zu rechtfertigen, dass sie vorbringt, der gesamte Inhalt der Erstveröffentlichung der Beklagten erwecke den von ihr genannten Eindruck. Die Gegendarstellungsverlangen der Klägerin zu diesem Punkt beziehen sich jedoch gerade nicht auf den gesamten Inhalt der Erstveröffentlichung, sondern reduzieren sich - im Hauptantrag - auf die zwei Einzelsätze bzw. - in den Hilfsanträgen - sogar allein auf einen einzigen isoliert herausgegriffenen Satz.

c) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer "verdeckten" Tatsachenbehauptung im oben genannten Sinne. Es ist nicht ersichtlich, dass mit der Aussage, "Lüge und Revokation" seien "im System schon eingebaut", eine eigenständige Sachaussage tatsächlicher Art gemacht wurde. Auch der unvoreingenommene verständige Durchschnittsleser wird diese Äußerung eher als Metapher und bildhafte Beschreibung des Autors der Erstveröffentlichung verstehen und weniger als Behauptung eines so geschehenen tatsächlichen Vorganges.

Sind aber mehrere sich nicht gegenseitig ausschließende Deutungen des Inhalts einer Äußerung möglich, die nicht mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können, so ist der rechtlichen Beurteilung diejenige zugrunde zu legen, die dem auf Unterlassung in Anspruch Genommenen günstiger ist und die betroffene Person weniger beeinträchtigt (BVerfG - 26.6.1990 - NJW 1991, 95 [96]; dass. - 25.8.1994 - NJW 1994, 2943; dass. - 7.5.1997 - NJW 1997, 2669 [2670]; BGH - 25.3.1997 - VersR 1997, 842 [843] ders. - 16.6.1998-AfP 1998, 506 [507] = NJW 1998, 3047; KG - 13.4.1999 - AfP 1999, 369 [370]).

Dabei sei auch die übliche Kontrollfrage gestellt, ob diese Äußerung einem Beweis zugänglich ist. Dies wird man negativ beantworten müssen. Ob eine "Lüge im System eingebaut" sei, lässt sich kaum unmittelbar mittels irgendeines Beweismittels nachweisen. Die einzelnen Indizientatsachen, die allenfalls eine solche Schlussfolgerung rechtfertigen können, sind jedoch gerade nicht Gegenstand des Gegendarstellungsverlangens zu diesem Punkt.

d) Bedenken gegen die verlangte Gegendarstellung zu diesem Punkt ergeben sich auch noch aus einem anderen Grund. Weitere Voraussetzung einer Gegendarstellung ist nämlich, dass ihre tatsächlichen Angaben in einem direkten gedanklichen Zusammenhang zu der in der Erstmitteilung enthaltenen Tatsachenbehauptung stehen, d.h. es muss gerade um die Richtigstellung der Erstmitteilung gehen (Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, Kap. 25 RN 22).

Dieser unmittelbare Bezug der gewünschten Gegendarstellung zu der beanstandeten Äußerung ist zumindest im Hauptantrag nicht ohne Weiteres erkennbar. Dass "der Chefredakteur der >....< dafür Sorge trägt, dass jeder Artikel mit der gebotenen journalistischen Sorgfalt recherchiert" werde, hat mit dem von der Klägerin aus der Aussage, dass "Lüge und Revokation im System eingebaut" seien, herausgelesenen Eindruck, dass der Chefredakteur systematisch Lügen verbreiten lasse, eigentlich unmittelbar nichts zu tun. Die verlangte Gegendarstellung bringt keine direkte Richtigstellung der Ausgangsäußerung. Das eine schließt vielmehr das andere nicht unbedingt aus.

Das gilt aber auch für die geänderten Versionen dieses Punktes in den Hilfsanträgen.

Dort wird in dem isoliert herausgegriffenen einen Satz noch nicht einmal eine konkrete Person genannt. Damit aber fehlt jeglicher Bezug zu der in der Erwiderung hervorgehobenen - richtigzustellenden - Handlungsweise gerade des Chefredakteurs der >....<.

Der Fall einer zulässigen bloßen "Ergänzung" einer unvollständigen Tatsachenbehauptung (vgl. Löffler/Ricker a.a.O. RN 23) liegt hier erkennbar nicht vor.

4. Entfällt unter diesen Umständen die Begründetheit des allen Anträgen gemeinsamen Gegendarstellungsverlangens zu diesem Punkt, dann scheitern wegen des im Gegendarstellungsrecht geltenden alles-oder-nichts-Prinzips (vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, RN 447) auch die weitergehenden Anträge I bis III insgesamt, ohne dass es noch darauf ankäme, ob und gegebenenfalls welche Einzelpunkte möglicherweise isoliert betrachtet gegendarstellungsfähig wären.

Desgleichen sind die weiteren von den Parteien behandelten Rechtsfragen zur Verspätung und Aktualität der verschiedenen Gegendarstellungsverlangen nicht mehr entscheidungserheblich.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 und, soweit es um die zurückgenommene Berufung gegen den Beklagten zu 2 geht, aus § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück