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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 06.09.2004
Aktenzeichen: 16 U 41/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 651e I 1
Die Beurteilung der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise vorliegt, setzt eine am Reisezweck und am Reisecharakter orientierte Gesamtwürdigung aller Umstände voraus. Maßgebend ist, ob dem Reisenden die Fortsetzung der Reise trotz der Reisemängel und Unannehmlichkeiten zumutbar ist.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 U 41/04

Verkündet am 06.09.2004

In dem Rechtsstreit

...

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. Dezember 2003 (2 - 19 O 371/02) abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.078 € nebst Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz seit 11. Januar 2003 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreit hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im Tatbestand des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. Dezember 2003.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 12. Dezember 2003 die Beklagte zur Zahlung von 1.826,31 € nebst Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz seit 11. Januar 2003 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dem Kläger stehe nur ein Anspruch auf Erstattung eines Teiles des Reisepreises entsprechend einer Minderungsquote von 17 % zu. Ein Kündigungsrecht des Klägers habe nicht bestanden, da dies eine Gesamtminderungsquote von 20 % voraussetze, die nicht erreicht sei.

Gegen dieses dem Kläger am 12. Februar 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 9. März 2004 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und seine Rechtsmittel gleichzeitig begründet.

Er meint, es seien wesentlich höhere Minderungsbeträge gerechtfertigt als sie vom Landgericht angenommen worden seien. Für den verschmutzen Strand seien 20 % Minderung angemessen, für die Abwasserrohre ins Meer 15 %, für die hohe Zahl der Liegen und die Enge am Strand 10 %, für die geringere Zahl der Strandbars 5 %, für die stinkenden Müllsäcke in der Anlage ebenfalls 5 %, für das eintönige Essen, das zu kleine Büffet und die Speisen auf dem Boden 10 %. Dass kein Frühstück nach 10.00 Uhr und kein Abendessen nach 21:30 Uhr angeboten werde, führe zu einer Minderung von 5 %. Die fehlende Möglichkeit, andere Getränke zum Essen zu bestellen als vorgegeben, rechtfertige eine Minderung von 5 % statt von 2 % wie es das Landgericht angenommen hat. Eine weitere Minderung von 5 % sei gerechtfertigt, weil einige Restaurants geschlossen oder für Gesellschaften reserviert seien. Die uralte Restauranteinrichtung und die Gäste in kurzen Shorts führten zu einer weiteren Minderung von 10 %. Die einfache Möblierung aus alten Korbmöbeln bedeute eine Minderung von 15 % und die zu gering eingestellte Klimaanlage, die eingeschränkte Funktionsfähigkeit der Dusche und der ausgelaufene Kühlschrank führten zu einer Minderung des Reisepreises von 20 %.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. Dezember 2003 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger über 1.826,31 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz liegenden Zinsen daraus seit 11. Januar 2003 weitere 10.251,69 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz liegenden Zinsen daraus seit dem 11. Januar 2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass der Kläger das preisgünstigste Hotel innerhalb der Anlage gebucht habe. Der Reisepreis sei bezogen auf das Urlaubsziel durchschnittlich. Der Strand sei algenfrei gewesen und regelmäßig gereinigt worden.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

Das Rechtsmittel des Klägers ist auch in der Sache begründet. Der Kläger kann von der Beklagten Rückzahlung des Reisepreises von 10.265 € nach § 651e Abs. 3 S. 1 BGB verlangen. Nach dieser Vorschrift verliert der Reiseveranstalter seinen Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis, wenn der Vertrag gekündigt wird. In diesem Fall ist deshalb der gezahlte Reisepreis vom Veranstalter an den Reisenden zurückzuerstatten. Wie beim Rücktritt wandelt sich der Reisevertrag auch im Falle der Kündigung in ein Rückgewährschuldverhältnis.

Der Kläger hat den Reisevertrag mit der Beklagten zumindest konkludent gekündigt, indem er am 27. August 2002 in einem Gespräch mit der Reiseleitung nach Rüge zahlreicher Mängel einen Hotelwechsel ablehnte und erklärte, er fliege am selben Tag zurück. Dieser Erklärung kann nur der Inhalt beigemessen werden, dass der geschlossene Reisevertrag nicht mehr durchgeführt, sondern gekündigt werden soll.

Eine wirksame Kündigung des Reisevertrages setzt nach § 651e Abs. 1 S. 1 BGB eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise voraus.

Teilweise wird in der Rechtsprechung versucht, durch Quantifizierung einen einheitlichen Minderungsprozentsatz anzusetzen, von dem ab bei Reisemängeln eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise angenommen wird. Das Landgericht Frankfurt am Main (NJW-RR 1993, 61, RRa 1995, 67 und 89, RRa 1997, 42) meint, bereits bei Mängeln mit einem Gesamtgewicht von 20 % sei eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise gegeben. Andere Gerichte ziehen dagegen einen Vergleich zu § 651 f Abs. 2 BGB und sehen erst ab einer fiktiven Minderung des Reisepreises von 50 % die Erheblichkeitsschwelle überschritten (Landgericht Hannover NJW-RR 1986, 213; 1992, 50, 98, 194).

Der Senat hat insoweit entschieden, dass eine am Reisezweck und am Reisecharakter orientierte Gesamtwürdigung aller Umstände erforderlich ist und auf starre Prozentsätze nicht abgehoben werden kann (Senatsurteil vom 13. Juli 1995 16 U 199/94, RRa 1995, 224 m. w. N.). Fiktive Minderungssätze können allenfalls ergänzend herangezogen werden. Maßgebend ist vor allem, ob dem Reisenden die Fortsetzung der Reise angesichts der Reisemängel zumutbar ist (so auch Führich, Reiserecht, 4. Aufl., Rz. 311 m. w. N.).

Die vom Kläger gebuchte Reise wies zahlreiche erhebliche Mängel auf, die die Fortsetzung der Urlaubsreise für ihn und die mitreisenden Personen unzumutbar gemacht haben. Der wesentliche Mangel der Reise lag - wie das Landgericht zutreffend angenommen hat - im Bereich der Strandbenutzung. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Badereise mit einem kleinen Kind gebucht hat. Bei einer solchen Reise hat der Strand eine besondere Bedeutung für die Erholung.

Die Beklagte hat insoweit einen langen feinsandigen Sand versprochen. Im Hinblick darauf, dass der Kläger eine Luxusreise in das "renommierteste Feriendorf ..." gebucht hat, durfte er erwarten, dass er einen Strand vorfindet, der dem exklusiven Charakter der Anlage genügt, also ausreichende individuelle Freiheit am Strand bietet und Möglichkeiten für das Kind zum Spielen. Stattdessen war der Strand eng belegt mit Liegen und Sonnenschirmen.

Durch die enge Belegung war es auch relativ laut. Der Strand war mit Tang und Algen verschmutzt und es führten Rohre ins Meer. Der Kläger konnte also das Meer und den Strand nicht benutzen. Hierbei spielt es keine Rolle, ob aus den Rohren tatsächlich Abwässer ins Meer liefen, wie der Kläger behauptet hat, oder ob es, wie die Beklagte behauptet hat, nur Entwässerungsrohre waren. Angesichts der Gefahr der Verschmutzung des Meeres war eine Benutzung kaum zumutbar, zumal selbst bei unterstellter Richtigkeit des Beklagtenvortrags unklar ist, was denn eigentlich durch die Rohre entwässert wurde.

Angesichts der hohen Erwartungen, die der Kläger wegen des exklusiven Charakters der Anlage an den Strand stellen durfte und den Umstand, dass der Kläger eine Badereise gebucht hat und somit dem Strand und dem Baden im Meer eine besondere Bedeutung zukam, bewertet das Gericht diesen Mangel wesentlich stärker als das Landgericht. Angemessen wäre insoweit eine fiktive Minderung von 25 % unter Einbeziehung des Umstandes, dass die Zahl der Strandbars nicht der von dem Beklagten versprochenen Zahl entsprach.

Neben dem mangelhaften Strand waren aber auch zahlreiche andere Mängel vorhanden, die dem Kläger das Verbleiben in der versprochenen Luxusanlage unzumutbar machten. Hinsichtlich der Unterkunft war der defekte Kühlschrank, die eingeschränkte Duschmöglichkeit und die zu schwach eingestellte Klimaanlage zuberücksichtigen. Hinzu kamen die Verpflegungsmängel, die sich im zu klein dimensionierten Büffet äußerten, das nach einer halben Stunde abgeräumt war. Hinzu kam, dass Speisen teilweise auf dem Boden zerstreut waren, die Mahlzeiten ohne Abwechslung waren und nur eine eingeschränkte Getränkeauswahl zur Verfügung stand. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob sämtliche vorgenannten Beanstandungen an der Verpflegung Mängel sind oder ob es sich nur um Unannehmlichkeiten handelt.

Bei der Gesamtwürdigung der Umstände für die Frage, ob eine Fortsetzung der Reise unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen unabhängig davon ob es sich um Mängel oder nur um Unannehmlichkeiten handelt. Deshalb war auch in die Bewertung einzubeziehen, dass Frühstück nur bis 10:00 Uhr und Abendessen nur bis 21:30 Uhr möglich war, die Restauranteinrichtung alt und einige Restaurants geschlossen oder reserviert waren. Bezieht man in die Gesamtbetrachtung noch ein, dass in der ganzen Anlage Müllsäcke herumstanden, so gibt eine Gesamtwürdigung aller Umstände, dass eine Fortsetzung der Reise dem Kläger und seinen Mitreisenden nicht zumutbar war, die Reise also erheblich beeinträchtigt war.

Nach § 651e Abs. 2 S. 1 BGB ist zwar grundsätzlich vor der Kündigung des Reisevertrages eine Frist erforderlich, damit der Reiseveranstalter Abhilfe schaffen kann. Diese Fristsetzung ist jedoch nach § 651e Abs. 3 S. 2 BGB entbehrlich, wenn die Abhilfe unmöglich ist, vom Reiseveranstalter verweigert wird oder wenn die Kündigung des Vertrages durch ein besonderes Interesse des Reisenden gerechtfertigt wird. Ein besonderes Interesse des Reisenden an der sofortigen Kündigung liegt vor, wenn das Vertrauen des Reisenden auf eine ordnungsgemäße Abhilfe schwer erschüttert ist (Führich a.a.O., Rz. 315). Dies ist der Fall, wenn zahlreiche Mängel vorhanden sind, so dass es aussichtslos erscheint, sie vor Urlaubsende zu beseitigen (Amtsgericht Bielefeld RRa 1995, 152, Amtsgericht Flensburg RRa 1999, 48, Landgericht Frankfurt RRa 2000, 52, 54).

Die meisten der vom Kläger gerügten Mängel konnten in angemessener Zeit nicht abgestellt werden. Dies gilt insbesondere für die Rohre ins Meer und die enge Strandbelegung. Auch das Angebot einer Ersatzunterkunft war dem Kläger nichtzumutbar, da eine gleichwertige Anlage nicht zur Verfügung stand. Der Kläger hatte die renommierteste Anlage ... gebucht. Die übrigen Hotels auf der Insel A hatten weder ein derart umfangreiches Freizeitprogramm, noch waren sie wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2004 erklärt hat, vom übrigen Standard mit der gebuchten Ferienanlage vergleichbar.

Dem Kläger steht damit ein Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises von 10.265 € zu. Diesem Anspruch steht keine Gegenforderung der Beklagten auf Entschädigung für den Reisezeitraum vom 25. bis 27. August 2002 gegenüber. Zwar sieht § 651e Abs. 3 S. 2 BGB vor, dass der Reiseveranstalter für die bereits erbrachten oder bis zur Beendigung der Reise noch zu erbringenden Reiseleistungen eine Entschädigung verlangen kann. Jedoch entfällt der Anspruch auf diese Entschädigung, wenn die Leistung des Reiseveranstalters infolge der Aufhebung des Vertrages für den Reisenden kein Interesse hat. Ob die erbrachte Reiseleistung für den Reisenden noch ein Interesse hat, hängt vom Maß der Reisebeeinträchtigung, dem vereinbarten Urlaubszweck und der Dauer der Beeinträchtigung ab.

Im vorliegenden Fall hatten die von der Beklagten erbrachten Reiseleistungen für den Kläger kein Interesse. Angesichts der Fülle der Mängel hat er sofort nach der Ankunft die Reiseleitung kontaktiert, unverzüglich die Mängel gerügt und den Reisevertrag gekündigt. Abgesehen vom An- und Abreisetag hatten er und die beiden mitreisenden Personen nur einen Tag Aufenthalt in der Anlage. Ein irgendwie gearteter Erholungswert kommt einem derart kurzen Aufenthalt nicht zu.

Neben dem Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises steht dem Kläger auch ein Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten für den Rückflug in Höhe von 1.355 € nach § 651e Abs. 4 S. 2 BGB zu.

Daneben hat der Kläger auch einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Reiserücktrittskostenversicherung bzw. Reisegepäckversicherung in Höhe von 458 € nach § 651 f Abs. 1 BGB. Wie bereits dargelegt, war die Reise des Klägers wesentlich beeinträchtigt. Dem Kläger steht deshalb neben dem Kündigungsrecht ein Anspruch auf Schadensersatz zu, es sei denn der Reiseveranstalter legt dar undbeweist, dass er den Mangel nicht zu vertreten hat. Da die Beklagte entsprechende Darlegungen nicht vorgenommen hat, ist sie zum Schadensersatz verpflichtet. Als Schaden sind auch die Kosten einer Reiserücktrittsversicherung und einer Reisegepäckversicherung anzusehen, da es sich insoweit um fehlgeschlagene Aufwendungen handelt.

Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

Da die Beklagte im Rechtsstreit unterlegen ist, hat sie gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Das Gericht sah keinen Anlass, die Revision zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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