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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 20.02.2002
Aktenzeichen: 17 U 15/01
Rechtsgebiete: PflVersG


Vorschriften:

PflVersG § Nr. 3 S. 3
Werden angemeldete Zukunftsschäden ausdrücklich oder den Umständen nach von einem mit der Haftpflichtversicherung abgeschlossenen Abfindungsvergleich nicht erfasst, wird die Verjährungshemmung (§ Nr. 3 S. 3 PflVersG) durch den (Teil-) Vergleich insoweit nicht beendet
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES TEIL- UND GRUNDURTEIL

17 U 15/01

Verkündet am 20.02.2002

In dem Rechtsstreit

hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter am Oberlandesgericht... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.2.2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.12.2000 verkündete Urteil des Landgerichts Limburg abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage ist hinsichtlich der Zahlungsansprüche (mindestens 5.111,92 € Schmerzensgeld und 7.274,99€ Ersatz materiellen Schadens) dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen materiellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 19.08.1981 zu ersetzen, soweit er ab dem 01.01.2000 aufgetreten ist oder auftritt und nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

Zur Entscheidung über den Betrag der streitigen Zahlungsansprüche wird die Sache an das Landgericht Limburg zurückverwiesen, das auch über die Kosten der Berufung zu entscheiden hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO a.F. abgesehen. Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zum Erlass eines Teil- und Grundurteils unter Zurückverweisung der Sache an das Landgericht zur Durchführung des Betragsverfahrens. Der hinsichtlich seines Entstehungstatbestandes dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitige Direktanspruch der Klägerin auf Ausgleich der Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 19.8.1981 (§§ 823, 847 BGB, 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVersG) ist nicht gem. §§ 852 Abs. 1 BGB, 14 StVG , § Nr. 3 S. 1, 2 PflVersG verjährt. Ausweislich der Postzustellungsurkunden Bl. 31 f. d. A. ist vorliegende Klage am 22.5.2000 erhoben worden. Zu diesem Zeitpunkt war die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen, so dass zunächst Unterbrechung und ab 1.1.2002 Hemmung eintrat (§§ 209 Abs. 1 BGB a.F., 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, Art. 229 § 6 Abs. 1, 2 EGBGB).

Zwar liegt keine "konstitutive Befreiung" von der Verjährungseinrede vor. Eine solche kann in dem Umstand, dass die Beklagten den Vorbehalt der Klägerin in der Abfindungserklärung vom 22.12.1982 (Bl. 46 d. A.) akzeptierten, wonach weitere Ansprüche vorbehalten bleiben, soweit eine unfallbedingte Verschlechterung des Gesundheitszustandes, ausgehend von dem Gutachten Dr. L. vom 20.10.1982, eintritt, nicht gesehen werden. Mit ihrer Zustimmung zu dem Vorbehalt haben die Beklagten weder ein selbständiges Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) abgegeben, noch den Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Zukunftsschadens wie bei einem Feststellungsurteil gem. § 218 Abs. 1 BGB a.F. von der Verjährungseinrede freigestellt. Allein die nach dem Gutachten vom 20.10.1982 bestehende Möglichkeit des Auftretens weiterer Unfallfolgen erst nach mehr als drei Jahren rechtfertigt eine solche Auslegung nicht (§§ 133, 157 BGB; vgl. BGH, NJW 1992, 2228 f.). Ein Anerkenntnis der Haftung ist im Text der Abfindungserklärung ausdrücklich verneint (vgl. BGH, VersR 1999, 382 [383]). Anlass für die Annahme, ohne Abgabe einer die Verjährung langfristig hinausschiebenden Erklärung von der Klägerin mit einer auf den Zukunftsschaden gerichteten Feststellungsklage überzogen zu werden, hatten die Beklagten ebenfalls nicht. Vielmehr ging die Ankündigung im Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 23.11.1982 (Bl. 15 d. A.) dahin, er könne derzeit nicht absehen, ob noch eine weitere Besserung eintritt, und werde deshalb nach Ablauf von zwei Jahren auf die Angelegenheit zurückkommen.

Als Verzicht auf die Verjährungseinrede (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1999, 587 f.; OLG Hamm, VersR 1996, 78 f.), kann die Zustimmung der Beklagten zu dem Vorbehalt in der Abfindungserklärung ebenfalls nicht ausgelegt werden. Insoweit folgt der Senat den Gründen der angefochtenen Entscheidung (§ 543 Abs. 1 ZPO a.F.). Weder aus der Abfindungserklärung selbst, noch aus dem vorausgegangenen Schriftverkehr ergeben sich Anhaltspunkt für die Annahme, die Parteien hätten trotz der Ankündigung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, sich nach Ablauf von 2 Jahren wieder zu melden, die Frage der Verjährung regeln wollen. Nachdem die Parteien seit dem Schreiben vom 8.9.1981 in Verhandlungen über den zu leistenden Schadensersatz gestanden hatten und die Verjährung zumindest bis zum Abschluss des Abfindungsvergleichs gehemmt gewesen war (§ 852 Abs. 2 BGB), stand der Klägerin hinsichtlich der vorbehaltenen Ansprüche auch nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Gutachten vom 20.10.1994 noch genug Zeit zur Herbeiführung einer Einigung mit den Beklagten oder für die Erhebung einer Feststellungsklage zur Verfügung.

Dem Eintritt der Verjährung steht jedoch § 3 Nr. 3 S. 3 PflVersG entgegen. Danach ist die Verjährung von Schadensersatzansprüchen, die beim Haftpflichtversicherer angemeldet wurden, bis zum Eingang der schriftlichen Entscheidung des Versicherers gehemmt. Dies gilt auch für die Verjährung des Direktanspruchs gegen den Versicherer "spätestens in zehn Jahren von dem Schadensereignis an" (§ 3 Nr. 3 S. 2 Hbs. 2 PflVersG). Es handelt sich nach Sinn und Zweck dieser "Auffangfrist" und nach dem Aufbau der Regelung nicht um eine absolute Verjährungsfrist (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1990, 472 f.; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 3 PflVersG Rz. 4). Die in Rede stehenden Schadensersatzansprüche der Klägerin wurden unstreitig angemeldet. Dies ergibt sich im übrigen schon aus dem Vorbehalt in der Abfindungserklärung vom 22.12.1982. Die dadurch bewirkte Hemmung der Verjährung dauerte bis zum Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 17.1.2000 (Bl. 128d. A.) an.

Der im Jahre 1982 geschlossene Abfindungsvergleich erfüllt die an eine Entscheidung über die angemeldeten Ansprüche zu stellenden Anforderungen nicht. Die Verjährungshemmung wird nur durch eine schriftliche Erklärung des Versicherers beendet, die eine eindeutige Stellungnahme zu den erhobenen Ansprüchen enthält und für den Geschädigten erkennbar endgültig und erschöpfend ist (BGH, VersR 1991, 179 f.; Stiefel/Hofmann, § 3 PflVersG Rz. 12). Das kann zwar auch bei einer positiven Entscheidung der Fall sein, wenn der Versicherer zweifelsfrei erkennen lässt, dass er gegen den Grund des Anspruchs keine Einwendungen erhebt und auch künftige Forderungen aus dem Schadensfall freiwillig bezahlen wird, sofern der Geschädigte die entsprechenden Schadensposten der Höhe nach ausreichend belegt (BGH, VersR 1991, 878 [879]; 1992, 604 [605]). Das Einverständnis der Beklagten mit dem Vorbehalt bestimmter künftiger Ansprüche in der Abfindungserklärung vom 22.12.1982 lässt sich jedoch nicht in diesem Sinne auslegen. Sinn und Zweck des Vorbehalts war es, wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt (§ 543 Abs. 1 ZPO a.F.), künftig evtl. auftretende weitere Schäden von dem Verzicht der Klägerin auf die den Abfindungsbetrag übersteigenden Ansprüche auszugrenzen, soweit diese Schäden auf einer unfallbedingten Verschlechterung des im Gutachten Dr. L. vom 20.10.1982 festgestellten Gesundheitszustandes beruhen. Eine zweifelsfreie Erklärung der Beklagten, künftige Forderungen der Klägerin nicht mit Einwendungen zum Grund des Anspruchs anzugreifen, scheitert schon an der ausdrücklichen Klarstellung in der Abfindungserklärung vom 22.12.1982, die Zahlung der Abfindungssumme sei "kein Anerkenntnis einer Haftung". Hinzu kommt, dass die Beklagten zuvor mit Schreiben vom 28.5.1982 (Bl. 117 d. A.) Einwendungen erhoben hatten, nämlich dahin, der Sicherheitsgurt sei nicht angelegt gewesen. Dass sie davon (auch) für künftige, unter Umständen weit höhere Schäden abrücken würden, lässt sich aus dem Einverständnis mit dem Vorbehalt künftiger Ansprüche nicht herleiten. Im übrigen hatten die Beklagten ihr Angebot einer Abfindung der Klägerin im Schreiben vom 8.12.1982 unstreitig damit begründet, der Gesundheitszustand der Klägerin werde sich ihres Erachtens "weiterhin konsolidieren". Auch von daher konnte sich die Klägerin einer freiwilligen Leistung der Beklagten auf der Höhe nach belegte künftige Schadensposten nicht sicher sein. Vielmehr erschien ein Bestreiten des Ursachenzusammenhangs künftiger Schäden mit der beim Unfall vom 19.8.1981 erlittenen Körperverletzung und Gesundheitsbeeinträchtigung (haftungsausfüllende Kausalität), wie es wegen des im Arztbericht Dres. S. und H. vom 27.7.1999 (Bl. 47 d. A.) festgestellten degenerativen Knorpelschadens dann auch tatsächlich erfolgt ist, von vornherein einigermaßen wahrscheinlich, jedenfalls nicht ausgeschlossen. Unter diesen Umständen stellt der im Jahre 1982 geschlossene Abfindungsvergleich lediglich eine Teilregulierung auf Basis des damals feststellbaren Gesundheitszustands der Klägerin dar, mit der die Verjährungshemmung gem. § 3 Nr. 3 S. 3 PflVersG wegen des darüber hinaus angemeldeten, aus der Abgeltungswirkung der Vereinbarung ausgeklammerten Zukunftsschadens nicht beendet wurde (vgl. BGH, VersR 1999, 382 [384]; 1996, 78 [Nichtannahmebeschluss zu OLG Hamm, Urt. v. 9.11.1994-32 U 114/94]; Knappmann in: Prölls/Martin, 26. Aufl., § 3 Nr. 3 PflVersG Rz. 3 a.E.; Stiefel/Hofmann, § 3 Nr. 3 PflVersG Rz. 13,15).

Die seitens der Beklagten herangezogene Rechtsprechung (OLG Hamm, OLGR 1999, 69 ff.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1997, 1318, ablehnend Knappmann in: Prölls/Martin, § 3 Nr. 3 PflVersG Rz. 3) trägt die Annahme einer Beendigung der Hemmung durch den Abfindungsvergleich im vorliegenden Fall nicht. Das OLG Karlsruhe hatte über die Beendigung der Verjährungshemmung durch einen Abfindungsvergleich zu entscheiden, durch den eine "abschließende Regelung aller (bis dahin) im Raum stehenden Ansprüche" gewollt war. Auch im Fall des OLG Hamm gingen die Parteien davon aus, mit dem Abfindungsvergleich "tatsächlich eine umfassende Regelung getroffen zu haben". Vorliegend betrifft der Vorbehalt, was auch in der Formulierung zum Ausdruck kommt, demgegenüber die bei Abschluss des Vergleichs einigermaßen konkrete Möglichkeit eines künftigen Schadens. Nach dem Gutachten Dr. L. vom 20.10.1982 (Bl. 42 ff. d. A.) war der Heilungsverlauf verzögert. Es bestanden noch starke Bewegungseinschränkungen des rechten Knies, unsicherer Gang, Schmerzen bei jeder Bewegung und Muskelschwäche am Bein. Außerdem hatte Dr. L. eine 2 Jahre andauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 % festgestellt und für die Zeit danach eine nochmalige Begutachtung empfohlen. Vor diesem Hintergrund kann die durch den Abfindungsvergleich unter Ausklammerung des Zukunftsschadens bewirkte Regulierung nicht als erkennbar endgültig und erschöpfend begriffen werden, wie es § 3 Nr. 3 S. 3 PflVersG erfordert. Das mag anders sein, wenn der Vorbehalt hinsichtlich des Zukunftsschadens ohne konkreten Anlass nur aus höchster Vorsicht in die Abfindungserklärung aufgenommen wird.

Dem Grunde nach steht die volle Haftung der Beklagten nach dem beiderseitigen Vortrag fest. Eine Beschränkung auf Schäden, die aus einer über 30 % hinausgehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit resultieren, haben die Parteien nicht vereinbart. Die Abfindungserklärung der Klägerin kann nicht in diesem Sinne ausgelegt werden (§§ 133, 157 BGB). Der darin enthaltene Vorbehalt des Zukunftsschadens bezieht sich auf eine "unfallbedingte Verschlechterung des Gesundheitszustandes, ausgehend von dem Gutachten Dr. L. vom 20.10.1992". In diesem Gutachten ist unter Nr. 13.1 (und nochmals unter Nr. 44) als "dauernde" Unfallfolge eine 30 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit "für 2 Jahre" festgestellt. Für die Zeit danach wird eine erneute Begutachtung empfohlen. Damit lässt sich dem Gutachten gerade keine über den Zeitraum von 2 Jahren hinausgehende Gesundheitsbeeinträchtigung entnehmen, weshalb die Parteien eine solche mit der Wendung "ausgehend von dem Gutachten" auch nicht in die Abfindungssumme einbezogen haben. Die Abfindung bis zur 30 %Grenze erstreckt sich vielmehr nur auf die Zeit von zwei Jahren ab der Begutachtung, in der die Heilung unstreitig glatt verlief.

Der Höhe nach ist der Rechtsstreit derzeit nicht entscheidungsreif. Insoweit bedarf es vor allem der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, inwieweit die ab 1999 erhobenen ärztlichen Befunde in ursächlichem Zusammenhang mit der am 19.8.1981 zugefügten Verletzung von Körper und Gesundheit stehen (haftungsausfüllende Kausalität). Nachdem aufgrund der beiderseits vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen zu den im Nachhinein wieder aufgetretenen Beschwerden eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die den materiellen Schaden und das Schmerzensgeld betreffenden Klageforderungen auch im für die Klägerin ungünstigsten Fall nicht gänzlich unbegründet sind, macht der Senat insoweit von der Möglichkeit eines Grund-Urteils Gebrauch (§ 304 ZPO), unter Zurückverweisung des Betragsverfahrens an das Landgericht (§ 538 Nr. 3 ZPO a.F.). Die mit der Klage verfolgten Zahlungsansprüche waren von Anfang an nach Grund und Höhe streitig.

Der den materiellen Zukunftsschaden ab 1.1.2000 betreffende Feststellungsantrag ist zulässig. Der Heilungsverlauf - und damit auch der aus dem Unfall resultierende Schaden - ist ausweislich der vorgelegten ärztlichen Unterlagen noch in der Entwicklung. Nachdem sich die Parteien über die Haftung der Beklagten dem Grunde nach einig sind, ergeht hinsichtlich des Feststellungsantrags Teilurteil (§ 301 ZPO).

Über die Kosten der Berufung ist einheitlich im Endurteil des Betragsverfahrens zu entscheiden (Vollkommer in: Zöller, 21. Aufl., § 304 ZPO Rz. 26).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 ZPO).

Ende der Entscheidung

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